Volltext Seite (XML)
Die KUfe für Ostto, 1. Juni 1928. (Funkspruch.) Nordpolfahrer NoaldA m u n d j en hat sich an die Spitze einer Hilfs- erpedition gestellt, die von dem Amerikaner Lincol n Elsworlh finanziert werden soll. Eisworth selbst trifft in etwa 10 Tagen in Oslo ein und wird sich zu sammen mit Amundsen und dem bekannten norwegischen Flieger D i e t r i ch s o n, der bereits an der Amundsen- Expedition im Jahre 1925 teilgenommen hat. von Bergen aus nach Spitzbergen begeben. Dietrichson sollte sich ursprünglich am gestrigen Donnerstag nach Amerika einschiffen, um sich Oberst Berg für die Süd polexpedition zur Verfügung zu stellen,' er hat seine Reise jedoch aufgegeben und wird sich am Sonnabend auf dem Luftwege nach Friedrichshafen be geben, um dort einen Dornier-Wal für die Expedi tion zu beschaffen. Am gestrigen Donnerstag traf hier der Führer der schwedischen Hilfsexpedition, Kapitän Tornberg ein, um mit Kapitän Riiser Larsen zu verhandeln. Kapitän Tornberg bestätigte, das; Schweden zwei große Flugzeuge zur Verfügung stellt, die einen Aktionsradius von 000 Kilometer haben. Kapitän Tornberg ist jedoch überzeugt, daß dieser Aktionsradius auf das Doppelte erhöht werden kann. Die schwedische Expedition, die frühestens am Sonntag starten kann, wird sich direkt nach Tromsö begeben.f In der Besprechung zwischen Riiser Larsen und Tornberg wurde eine enge Zu sammenarbeit der beiden Expeditionen erörtert. Riiser Larsen wird nach einem Beschlus; der norwegischen Re gierung spätestens am Freitag von Bergen nach Spitz bergen abfahren. Leutnant Lützow-Holm trifft am Montag in Kingsbay ein und wird sofort Erkundungs flüge noch Norden und Osten unternehmen. Wie aus Kingsbay gemeldet wird, wollen sieben italienische Älpenjäger unter Führung des Kapitäns Sora aufSkiern den Versuch machen, bis Woodbay und Wijdebay vorzudringen, da man es für möglich hält, das; Nobile in dieser Gegend verunglückt oder notgelandet sein könnte. Verstimmung in Oslo. In Osloer amtlichen Kreisen hat der italienische -ie „Malia". Wunsch, keine große norwegische Hilfsexpedition nach Spitzbergen abgehen zu lassen, größtes Befremden er regt. Mair ist der Ansicht, daß die italienische Regie rung über die großen Entfernungen und die Eis schwierigkeiten schlecht orientiert sein müsse, wenn sie glaube, daß die „Citta di Milano" allein die ihr ge stellte Aufgabe bewältigen könne. Es habe fast den Anschein, als wolle sich Italien gerade mit Norwegen nicht in die Ehre der Rettung Nobiles und seiner Mann schaft teilen. Die italienische Regierung hat inzwischen allerdings durch ihren hiesigen Gesandten erklären lassen, daß die Osloer Presse ihre Haltung vollkommen mißverstanden habe. Italien sei für die von norwe gischer Seite gezeigte Bereitwilligkeit dankbar und werde die Verhandlungen mit der norwegischen Regie rung fortsetzen. Der norwegische Meteorologe Dr. Bjerknes hat auf eine Anfrage des Bergener Blattes „Dagen" die An sicht geäußert, daß die „Italia" möglicherweise als Freiba llon vor dem Windetreibe. Nach den Wetterkarten und meteorologischen Berichten zu urteilen, müsse das Luftschiff sich in diesem Falle irgend wo zwischen Norwegen und Island befinden. Es sei nicht ausgeschlossen, daß Nobile den Versuch mache, sich von der Luftströmung in bewohnte Gegenden führen zu lassen. Ein italienisches Wasserflugzeug für die Suche nach Nobile. Rom, 1. Juni. (Funkspruch.) In Mailand hat sich ein Ausschuß gebildet, der ein großes Wasserflug zeug für die Suche nach General Nobile und seiner Mannschaft ausrüsten will. Dieser Plan ist von Musso lini bewilligt worden, der das Wasserflugzeug „S. 55", ein Schwesterflugzeug des Apparates, mit dem de Pi nedo den Transozeanflug zurücklegte, zur Verfügung gestellt hat. Das Flugzeug wird so schnell wie möglich nach Spitzbergen starten, um sich an den Rettungsar beiten zu beteiligen. „Messaggero" veröffentlicht heute ein Interview mit dem Direktor des Observatoriums, Brosa, der der Ansicht ist, daß die Besatzung der „Italia" noch am Leben sei. Eine gewisse Schwierigkeit besteht nur darin, das neue Brenngas, das Dr. Eckener für die Motoren ver wendet, rechtzeitig nach Japan zu bekommen, da bei der Verschiffung natürlich verschiedene Rücksichten zu nehmen sind, da eine Decklagerung einer so großen An zahl von Stahlflaschen auf der Fahrt nach Japan auch nicht ohne weiteres möglich ist. r Der amtliche Bericht über -as Phosgenunglück. Eine englische Stimme für Revision -es Dawesptanes. London, 1. Juni. Die „Fortnightly Review" ver öffentlicht in ihrer Juniausgabe einen Artikel des gut unterrichteten und eben von einer Reise aus Polen und den Randstaaten zurückkehrenden „Augur" über die Frage einer Möglichkeit der Revision des D a w e s p l a n e s. Augur meint in diesem Aufsatz, daß mit dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund die Kontrollklnusel, wie sie der Dawesplan vorsehe, keine Berechtigung mehr hätte. Praktisch liege die Sache so, daß das deutsche Volk, wenn es bereit wäre sieben Stunden in der Woche länger zu arbeiten, um die Alli ierten zu bezahlen ,sich nicht von seiner Neparations schuld befreien könnte. In führenden Bankkreisen würde man sich daher nicht scheuen, die auf eine Reihe von Jahren aus gedehnten Reparationszahlungenaufeine viel kürzere F r i st z u begre n z e n. Es bestehe guter Grund für die Annahme, daß diese Erwägungen die Grundlage bildeten für die erechnungen, die bereits jetzt für eine Revision der deutschen Reparationszah lungen angestellt wurden. Auf die politische Seite über gehend, weist „Augur" auf die ganz verschiedenartigen Interessen der einzelnen Empfangsländer hin. Eng land, mit seinem Schuldenabkommen mit den Ver einigten Staaten mit seiner kleinen Forderung, gegen über Frankreichs mit seiner großen Reparationssumme, könne abwarten. Für Frankreich mit mehr als 50 Pro zent Anteil an den Reparationserträgen wäre ein end gültiges Abkommen gegenwärtig sowohl vom Stand punkt seiner Schuld an Amerika, wie dem der Franken stabilisierung aus abhängig. Witt Tschangtsolin Peking vertei digen? Unklare Meldungen. London, 1. Juni. (Funkspruch.) Die japanischen Behörden sind auf Grund der gestern aus Peking ein- getroffenen Mitteilungen der Ansicht, daß Tschangtsolin im Gegensatz zu dem ihm von maßgebender japanischer Seite gegebenen Rat entschlossen ist, Peking zu ver teidigen und däs Abtreten vom Schauplatz ablehnt. Die Verzögerungen bei seinem Rückzug werden als Selbstmord bezeichnet. Der Einzug der Südarmeen in Peking wird nur als eine Frage von Tagen bezeichnet. Tschangtsolin hat einen dringenden Befehl an seine Generäle gesandt, sich auf Tientsin zurückzuziehen, vor ausgesetzt, daß der Rückzug in geordneter Weise durch die ausländische Zone erfolgen kann. Die japanische Botschaft in Peking vertritt die Ansicht, daß die Ueber- tragung der Macht Tschangtsolins an einen der Be fehlshaber der Slldarmeen friedlich erfolgen wird und daß die Ausländer keines besonderen Schutzes bedürfen. Nach dem „Daily Telegraph" hat Marschall Tschangtsolin um eine Aussprache mit dem diploma- tischen Korps für den heutigen Freitag nachgesucht. Man glaubt, das er entschlossen ist, Peking zu vertei digen. Ein aus französischer Quelle stammendes Ge rücht will wissen, daß im Arsenal von Mukden Schwierigkeiten entstanden, die die Heranziehung der japanischen Truppen notwendig machten. In Peking werden, wie die „Chikago Tribune" meldet, große Mengen Eisenbahnmaterial zusammengezogen, offen bar zum Zwecke der Räumung der Stadt durch die Aus länder. Im Augenblick ist eine Konferenz im Gange, wer die Kontrolle über die Stadt übernehmen soll. Nfan versucht General Pen-Hsi, den Gouverneur der Lchansi-Provinz, als Gouverneur von Peking ein zusetzen. Ein japanisches Ultimatum wegen Tsingtau. Die Verteidigung Tientsins. Paris, 1. Juni. (Funkspruch.) Nach einer Havas- Depesche aus Tsingtau, hat General Poshimitsu, Kommandant der 3. japanischen Division, der ver gangener Woche die Truppen des Nordens aufforderte, sich sieben Meilen außerhalb der Stadt zurückzuziehen, nunmehr an die chinesischen Generäle ein Ultimatum gerichtet, in dem er diese auffordert, die Stadt Tsingtau bis zum 1. Juni zu räumen. Obwohl die Truppen des Südens die Absicht haben, die Stadt Tientsin bei ihrem Marsch aus Peking zu umgehen, haben die ausländischen Truppen im Umkreis von 10 Meilen um die Stadt eine i Verteidigungslinie gezogen, die in Abschnitte geteilt wurde. Die Japaner stellten 5000 Mann, die Ameri kaner 3700, die Engländer 1500, die Italiener 380 und die Franzosen 2000 Mann. Zusammen besitzen diese Truppen -14 Kanonen und 28 Flugzeuge. Ein nordchinesisches Armeekorps meutert. LMdon, 1. Juni. Funkspruch.) Wie aus Peking gemeldet wird, hat das achte nordchinesische Armee korps gemeutert. Die Truppen haben den Gehorsam verweigert und die weitere Beteiligung an den Kämpfen abqelehnt. Die Haltung der Truppen ist auf falsche Informationen durch Agenten verursacht, die die Nach richt ausgaben, daß Tschangtsolin mit seinem ganzen Stabe nach der Mandschurei geflohen sei. Durch die Meuterei wurde General Feng in die Lage versetzt, die Front bei Hodsienfu zu durchbrechen und bis auf acht zehn Meilen auf Peking heranzurücken, so daß er die Tientsin—Pukau-Eisenbahn, den letzten rückwärtigen Verbindungsweg der Nordarmee bedroht. LZ 12S im Zuli startbereit. Die Pläne Dr. Eckeners. Nach Meldungen aus Friedrichshafen ist damit zu rechnen, daß das neue Zeppelinluftschiff „L. Z. 127", das den Namen „Graf Zeppelin" tragen soll, im I u l i startbereit sein wird. Ueber die Pläne D r. Eckeners läßt sich folgendes mitteilen: Außer den Werkstatt- und Probeflügen hat er für dieses Jahr in der Hauptsache zwei große Flüge vorgesehen, für die die Vorbereitungen bereits eingesetzt haben. Beide Flüge gelten der Aufgabe, zu zeigen, wie groß die Leistungen des Zeppelinschiffes sind und wie gut es sich für weite Ozean- und Ueberlandflüge eignet. Dr. Eckener wird eine Fahrt nach Ameri k a—L a k e- h u r st und zurück über Berlin nach Friedrichs hafen unternehmen, außerdem einen Erdflug, der über Rußland, Japan (Tokio) quer durch Amerika, auch wieder von Lake hurst nach Deutschland führen soll. Für den letzten Flug werden etwa vierzehn Tage gerechnet. Vorher wird das neue Luftschiff „Graf Zeppelin" noch seine Dankesfahrt über Deutschland machen, die einen großen Teil der deutschen Städte berühren wird, die sich für den Bau eingesetzt haben. Da Dr. Eckener diesmal keinerlei Beschränkungen bei seinen Probeflügen auf erlegt sind, wird dieser Flug über Deutschland bis hoch nach dem Norden ausgedehnt werden, um gleichzei tig die Navigation mit dem neuen Schiff in nörd lichen Regionen auszuprobieren. Dann folgt sehr bald nach der Rückkehr von Friedrichshafen ein weiterer Probeflug, der wahrscheinlich über das Mittelmeer etwa bis Madeira führen soll. (Erst nachdem diese Probeflüge absolviert sind, wird das Schiff sich zu sei nen letzten beiden großen Fahrten, die vor dem Spät herbst durchgeführt werden sollen, rüsten. Berlin, 31. Mai. Das Reichskabinett hat in seiner Sitzung am 30. Mai den Bericht des vom Reichswirt schaftsminister entsandten Beamten über das Phosgen unglück in Hamburg entgegengenommen. In dem Be richt heißt es unter anderem: Das in dem Kessel enthalten gewesene Phosgen stammte gleich den auf dem Lagerplatze noch vor handenen Vorräten aus Demobilmachungsbeständen des alten Heeres. Dessen Bestände unterlagen nicht sämtlich der Zerstörung, vielmehr hat das Büro für die Liquidation des Kriegsmaterials Erzeugnisse mit wirt schaftlicher Verwendungsmöglichkeit in gewissem Um fang freigegeben. Ob der hier fragliche verhältnis mäßig geringe Restbestand seinerzeit ausdrücklich frei gegeben worden ist, hat bisher nicht festgestellt werden können. Eine Verletzung des Gesetzes über Kriegsgerät vom 7. Juli 1927 liegt hiernach nicht vor, da es sich weder um „für Kriegszwecke bestimmte giftige, erstickende oder ähnliche Erzeugnisse handelt", noch die Herstellung ohne die erforderliche Genehmigung stattgefunden hat. Es hat überhaupt keine Herstellung von Phosgen durch Dr. Stoltzenberg stattgefunden. Auch eine Verletzung sonstiger gesetzlicher Vorschriften kommt nicht in Be tracht. Das höchst bedauerliche Unglück ist nicht anders zu beurteilen, als andere Unglücksfälle. Eine weitere Gefährdung ist nach menschlichem Ermessen ausge schlossen. Im Laufe der Untersuchung hat sich ergeben, daß aus der Zeit, in der Dr. Stoltzenberg die jetzige Fabrik Müggenburg besessen hat, dort noch 38 Kilogramm Phosgen und andere ältere Chemikalienbestände lagern, die soweit erforderlich, vernichtet werden. Der Stand der Phosgenerkrankungen. Während sich in den Hamburger Krankenhäuser» nur noch eine geringe Anzahl Personen wegen leich terer Erkrankung an Phosgengasvergiftung in Be Handlungen befinden, meldete das Harburger Kranken haus gestern noch einen Bestand von 43 Kranken. Unter diesen befindet sich einer, der bereits entlassen worden war, der jedoch als rückfällig wieder eingeliefert werden mußte. Lörmszenen in -er Skupschtina. 1. Juni 1928 In der Skupschtina kam es am gestrigen Donners tag im Zusammenhang mit den vorgestrigen blutigen Ereignissen zu ungewöhnlich heftigen Lürmszenen. Als die Mitglieder der Regierung vollzählig den Sitzungs saal betraten, wurden sie von der Opposition mit Rufe» wie: „Nieder mit den Mörder, nieder mit den Sklave» Mussolinis", empfangen. Der Lärm war so groß, da» sich kein Redner Gehör verschaffen konnte. Die oppo sitionellen Abg. stiegen schließlich auf die Bänke uM sangen die Nationalhymne und das Lied „Istrien ch jugoslawisch". Bei dem Tumult wurden mehrere Bänke zertrümmert. Nachdem sich die Negierung wieder a»S dem Saale entfernt hatte, hob der Vorsitzende die Sili ung auf. Die nächste Sitzung wird am 8. Juni statt finden. Aehnliche Lärmszenen spielten sich in der SitzUNÜ des parlamentarischen Finanzausschußes ab. Die Ber einigte Opposition stellte den Antrag, die Sitzung sv lange auszusetzen, bis die Schuldigen der vorgestrige» blutigen Vorfälle bestraft sind. Als der Vorsitzende des Ausschusses diesen Antrag ablehnte, stürzte sich ein An hänger Radisch's auf den Präsidententisch und zerriß sämtliche Protokolle und Aktenstücke. Die SitzuMl wurde darauf unterbrochen. Nach der Skupschtinasitzung empfing der König be» Ministerpräsidenten Wukitschewitsch und den Außen Minister Dr. Marinkowitsch in Audienz. Es ist b,( zeichnend, daß zur gleichen Zeit auch der Stadtprä» dent von Belgrad Lacarcwitsch vom König zur Bericht erstattung über die vorgestrigen Zwischenfälle emp fangen wurde. Die Polizei hat die beiden oppositionellen Noch mittagsblätter „Nowosti" und „Rjetsch" beschlagnahm Die Druckereien sind durch Polizei besetzt worden. Der bisherige italienische Gesandte in Belgrad' General Vordrero, erschien am gestrigen Donnerst)» beim König in Abschiedsaudienz. Er beabsiäM Belgrad in den nächsten Tagen zu verlassen. Das Belgrader Kabinett stellt die Vertrauensfrage Mit Spannung wurde die gestrige Vollsitzung de- Klubs der Radikalen Abgeordneten erwartet. Auf de> Tagesordnung stand die Aussprache über die Anklage schrift gegen die Regierung und über die Vertraue»^ frage für den Ministerpräsidenten WukitschewiM Wukitscheroitsch gab einen Rückblick über die Tätigt des Kabinetts und verlangte die Abstimmung in Vertrauensfrage. Die Abstinnnung ergab 86 Stimme für und 12 Stimmen gegen Wukitschewitsch. Sitzung wurde hierauf auf heute vertagt. Beruhigung in Belgrad. , Velzred, 1. Juni. (Funkspruch.) In Belgrad haben die italienfeindlichen Kundgebungen nunme» aufgehört. Die letzte Nacht ist ruhig verlaufen. übrigen Lande dagegen, besonders in Ueskllb, jewo und Ragusa kam es auch am Donnerstag w>e zu Kundgebungen gegen Italien, den Faschismus " . Mussolini. Blutige Zusammenstöße haben sich "" nirgends ereignet.