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England sür Kelloggs Vorschläge. 14. Mai 1928 Der „Observer" veröffentlicht am Sonntag einen ausführlichen Artikel aus der Feder Garvins, indem dieser die weltpolitische Bedeutung der Kelloggschen Vorschläge für das eng lische Volk mit besonderer Klarheit herausarbeitet. Garvin beantwortet zunächst die Frage, warum der amerikanische Plan das bedeutendste Ereignis seit der Gründung des Völkerbundes sei. Der Völkerbund sei eine der größten Errungenschaften der Zivilisation, aber in der Frage der Abrüstung und einer ausreichenden Sicherheit habe der Völkerbund versagen müssen, weil ohne Einbeziehung Amerikas der Weltfrieden über haupt nicht gesichert werden könne. Der amerikanische Plan, der auf den Grundsatz aufgebaut sei, daß vor dem Ruf zu den Waffen eine Aussprache herbeigeführt werden müsse, beseitige tatsächlich die Möglichkeit eines neuen Weltkrieges. Die weitere Behandlung des amerikanischen Vor schlages sei klar. Fünf von den sechs der beteiligten Mächte stimmten zu. Man könne nun nicht glauben, daßFrankreich einen nie wieder gut zu machenden Fehler durch ein Abseitsstehen begehen könne. D e u t sch kam d könne man zu seiner schnellen Antwort an Kellogg Glück wünschen, aber die deutsche Zustim mung ohne Vorbehalt sei verhältnismäßig leicht ge wesen. Für Großbritannien und Frankr e i ch, und besonders für letzteres, sei die Lage weniger einfach gewesen, aber Chamberlain habe nicht weniger guten Willen gehabt als Stresemann. Briands Schwierigkeiten Hütten allerdings berücksichtigt werden müssen, und Chamberlain habe Frankreich nicht ohne ernsthafte Schädigung der moralischen Belange der amerikanischen Vorschläge allein lassen können. Kellogg selbst habe seine Lage richtig erkannt, indem er die ersten Besprechungen mit Paris eröffnet habe. Auch Dr. Stresemann sei der Ansicht, daß durch eine Schwächung Briands keinem guten Zweck gedient werden könnte, dies wäre aber geschehen durch eine brüske Handlungs ¬ weise der englischen Regierung ohne Rücksicht auf die französischen Gefühle. Das wichtigste für das britische Volk sei, gute Beziehungen mit dem amerikanischen Volk zu unterhalten. Es sei wesentlich, daß jedes Land sich bewußt werde, daß die Kelloggschen Vorschläge unab änderlich seien. Die kontinentale Politik und die Stellung Eng lands im Völkerbunde seien bedingungslos unterstellt dem höheren Zweck der Einhaltung guter Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Auf diesem Grundsatz beruhe die Wohlfahrt und Lebensfähigkeit des britischen Weltreiches. Durch einen der größten Wechsel in der Geschichte sei die Seevorherrschaft Groß britanniens verloren gegangen und werde niemals zu- rückkehren. Die Vormacht zur See werde nunmehr zwi schen Großbritannien und den Vereinigten Staaten als gleichberechtigten Partnern ausgeübt. Das bedeute, daß auf keinen Fall das britische Reich künftig mir Frankreich oder Japan zusammengehen oder auch nur eine Völkerbundspolitik unterstützen könne, die eineFlot- tenspannung mit sich bringen würde, noch weniger eine feindliche Politik gegen die Vereinigten Staaten. Gar vin setzt dann im einzelnen auseinander, daß keines von den großen britischen Dominien bereit wäre, eine amerikanische Politik zu treiben. Daraus folge, daß die Kelloggschen Vorschläge für Großbritannien die größte Bedeutung besäßen, indem sie den Krieg zwischen den englischsprechenden Völkern ein für allemal aus schlössen. Auch Frankreich wir- die Kelloggschen Vorschläge vvraussichllich annehmen. Der „Gaulois" erwartet, daß Frankreich, um einer Isolierung zu entgehen, die Kellogg'schen Gegenkriegs- paktvorschläge annehmen werden müsse. Immerhin wäre zu hoffen, meint das Blatt, daß Kellogg in einem Zusatzartikel die Anwendung seines Vorschlages fest legen werde, um spätere Auseinandersetzungen zu ver meiden. Annäherung zwischen Berlin un- Vraa? 14. Mai 1928 Der tschechische Außenminister Benesch wird die ser Tage in Berlin erwartet. Wie es heißt sei es falsch, politische Kombinationen mit diesem Besuch zu verbin den, da der Aufenthalt des tschechischen Außenministers in der Reichshauptstadt vorzugsweise privaten Charak ter trügt. Der Londoner Mitarbeiter des „Echo de Paris" meldet, daß man dem bevorstehenden Besuch D r. Veneschs bei Dr. Stresemann in Londoner politischen Kreisen außerordentliche Bedeutung beimesse. Insbesondere nach dem Aufenthalt Lord Bir kenheads in Berlin. Benesch habe sich sehr zu frieden über seine Aussprache mit Chamberlain ge äußert. Die Zusammenkunft Stresemann-Benesch be deutet nach der Auffassung des französischen Bericht erstatters eine weitere Etappe auf dem Wege der Versöhnung zwischen Berlin und Pra g. Die tschechische Regierung sehe sich zwei fellos gezwungen, der bedeutsamen deutschen Minder heit in der Tschechoslowakei Rechnung zu tragen. Benesch würden verschiedene Pläne zugeschrieben. Unter ande rem eine Annäherung an Ungarn, die sicherlich in Lon don nicht ungern gesehen würde. Es frage sich nur, ob Hom damit einverstanden sei. Das Werben um -en Balkan. Italienische Unterstützung für Bulgarien. 14. Mai 1928 Wie der „Times"-Berichterstatter in Sofia hört, hat Mussolini die italienischen Vertreter in der inter alliierten Kommission in Bulgarien und in der Repa rationskommission angewiesen, eine Forderung der bul garischen Regierung auf Erleichterung d e r R e - parationsza hl ungen zu unterstützen. Die interalliierte Kommission hat der Reparationskom mission einen Bericht über die wirtschaftlichen Folgen des letzten Erdbebens in Bulgarien übersandt. Die Kommission ist der Ansicht, daß die Einnahmen Bul gariens durch das Erdbeben bedeutend vermindert wer den und große Ausgaben für die Wiederaufbauarbeiten notwendig sind. Infolgedessen sei eine wesentliche Er leichterung der bulgarischen Reparationszahlungen nötig. Der Sohn Lord Nothermeres auf der Fahrt nach Budapest. 14. Mai 1928 Der Sohn Lord Nothermeres ist auf der Fahrt nach Budapest in Paris eingetrofsen. Nach seiner Erklärung ist er von der ungarischen Regierung einge laden worden, die ihm als Dank für die Tätigkeit seines Vaters eine hohe Auszeichnung verleihen wollte. Das Flugzeug, mit dem Lord Nothermeres Sohn nach Budapest unterwegs ist, trägt die ungarische und die englische Flagge und die Aufschrift: „Ein Willkommen dem ungarischen Volke." Prinz Karol mutz England bis heule abend verlassen. Prinz Karol muß England bis heute abend verlassen haben, wenn er einen Ausweisungsbefehl des Innenministeriums vermeiden will. Prinz Karol litt in den letzten Tagen an einer leichten Erkältung, jedoch meinte fein englischer Arzt am Sonntag abend, daß er gesundheitlich wieder auf der Höhe sei, so daß nach den Erklärungen des Innenministers vom Sonnabend mit einer stillschweigenden Verlängerung der Aufenthalts erlaubnis nicht zu rechnen ist. Beziehungen Karols zur Pariser russischen Botschaft? Das „Echo de Paris" bekämpft die Rückkehr des Prinzen Karol nach Frankreich und schreibt, Karol habe während seines Aufenthaltes in Paris fortgesetzt Beziehungen zur russischen Botschaft unterhalten. Diese Beziehungen habe er auch jetzt noch nicht aufgegeben. Der französische Innenminister sei hierüber ebenso unterrichtet, wie über die Ankunft eines bekannten rumänischen Kommunisten, der schon längst zur Grenze abgeschoben wäre, wenn er sich nicht eines hohen Protektors zu erfreuen hätte. Der Vormarsch -er Sü-lruppen auf TieMfin. 14. Mai 1928 Wie aus Schanghai gemeldet wird, hoffen die chine sischen Siidtruppen, Tientsin auf ihrem Vormarsch am heutigen Montag zu erreichen. In Tientsin befinden sich etwa 8600 Mann ausländische Truppen, darunter 4000 Amerikaner, mit 20 Flugzeugen, 5 Tanks und 5 Feldgeschützen, 1000 Engländer, 3000 Franzosen und etwa 600 Japaner. Der größte Teil der vorher stärke ren japanischen Besatzung ist kürzlich nach Tsinanfu ent sandt worden. Die Führer der ausländischen Truppen haben beschlossen, eine Vorpostenlinie im Umkreise von etwa 12 Kilometern um Tientsin zu besetzen. Den japa nischen Truppen füllt hierbei der Schutz der wichtigsten Punkte der ausländischen Konzession von Tientsin zu, einschließlich der Ostbahnstation und des Eisenbahn knotenpunktes der Tientsin—Pukau- und Peking— Mukdcn-Eisenbahn. Beschießung der Befestigungen von Amoq durch einen nordchinesischen Kreuzer. Nach einer Reutermeldung aus Amoy beschoß am Sonntag ein nordchinesischer Kreuzer die Befestigungs werke der Südtruppen im dortigen Hafen. Das Feuer wurde von den Befestigungen erwidert. Der Artillerie- kampf blieb auf beiden Seiten ziemlich wirkungslos. Die Eröffnung -er „Pressa". 14. Mai 1928 Am Sonntag wurden die Tore der Internationalen Presseaüsstellung in Köln offiziell für den Massenbesuch geöffnet. Es ist nicht nur eine Ausstellung für Deutsch land, sondern mehr als 30 Auslandsstaaten sind an der Ausstellung selbst beteiligt und demnach erwartet man auch einen außerordentlich großen Besuch der Ausländer. In der breiten Oeffentlichkeit ist man des Glaubens, diese Ausstellung könne nur akademischen Charakter tragen und deshalb die Fachleute selbst interessieren. Indessen: Man hat gerade großen Wert daraus gelegt, durch leb hafte Darstellung auch dem Laien einen unterhaltenden Einblick in das Wesen und Wirken der Presse zu geben, ihm die politische, wirtschaftliche und kulturelle Be ziehung der Presse zur Gegenwart zu veranschaulichen. Man sieht nicht nur Druckmaschinen und Typen, nicht nur Satzkästen und Setzmaschinen, nicht nur fertige Zeitungen, Zeitschriften und Plakate, sondern das ganze Werden der Zeitung, die Entwicklung der Presse seit Jahrhunderten. Gerade diese Ausstellung zeigt es, welche Macht die Presse besitzt, wie aus der ersten geschriebenen Zeitung des 16. Jahrhunderts in steter Fortentwicklung, getragen von Kämpsernaturen, eine Großmacht erstand, deren Ein fluß auf das öffentliche Leben heute festbegründet ist und nicht mehr fortgedacht werden kann. Ein großes Terrain von 21000 Quadratmetern nimmt die Ausstellung auf. Die ehemalige Kürassier kaserne ist für die Ausstellungsbauten mit verwandt worden. Der Kölner Baudirektor Abel hat Wunder geschaffen, da er Vorhandenes mit Neuem geschickt ver band und so der gesamten Ausstellung einen einheitlichen Charakter verlieh, der in die ganze Umgebung hinern- paßt und vor allem, da die „Pressa" am Rheinufer liegt, dem Beschauer von Köln aus wie das Wahr zeichen einer neuen Zeit wirkt. Das Kongreßhaus, ge krönt von einem 85 Meter hohen Turm, enthält Räume, die 30 bis 1200 Personen aufnehmen können. Die Festhalle bietet sogar Platz für 5000 Personen. Den Mittelpunkt der Ausstellung bildet das Staatenhaus. In diesem monumentalen, halbkreisförmigen Rundbau sind die Ausstellungen des Auslandes untergebracht wor den. Die interessanten Sondergruppen der Ausstellung, die insbesondere die Geschichte der Entwicklung der Presse zeigen, sind im Museumsbau zu finden, der sich rückwärts in ein langgestrecktes Gebäudeviereck fortsetzt. Schaut man von Köln aus hinüber, so gewinnt man den Eindruck, als ob hier eine neue Stadt im Entstehen wäre, deren prachtvollste Bauten bereits errichtet sind. Und man gewahrt vor allem bei diesem Ausblick die schönen Rheinterrassen, die das Restaurant und die Er frischungsräume aufnehmen, die selbstverständlich auch in dieser Ausstellung nicht fehlen. Die Stadt Köln hat mit der Veranstaltung dieser Ausstellung unbedingt eineü guten Griff getan. Nicht nur, daß sie die Augen der ganzen Welt auf sich zieht und während der Dauer der Ausstellung den Fremden verkehr außerordentlich steigern wird, sie hat sich auch durch die Errichtung der Ausstellungsbauten ein Messe- und Ausstellungsgelände geschaffen, das mit seiner vor züglichen Lage und in seiner geräumigen, übersichtlichen Art dazu führen muß, immer neue Ausstellungen nach Köln zu ziehen. Die „Pressa" ist ein guter Auftall, da die gesamte Oeffentlichkeit sich mit dieser Ausstellung und selbstverständlich damit im Zusammenhang mit Köln beschäftigen wird und somit jede spätere Ausstellung, selbst wenn sie nur für engste Kreise gedacht ist, populär machen muß. Vaterlän-ische Kun-gebung in Dres-en. 14 Mai 1928 Zu einer großen vaterländischen Kundgebung hatte am Sonntag vormittag die Deutschnationale Volkspartei in .den Zirkus Sarrasani eingeladen. Nachdem einige Märsche — gespielt von der Stahlhelmkapelle — ver klungen und die Fahnenabordnungen der vaterländischen Verbände eingezogen waren, ergriff nach einer kurzen einleitenden Ansprache Graf von der Goltz das Wort: Nicht als Parteimann spreche ich hier, sondern als Führer der Vereinigten Vaterländischen Verbände. Zwei Gedanken stellte der Redner seinen Ausführungen voran, mit denen er das Ziel der vaterländischen Bewegung kenn zeichnete. Einmal: Einigkeit im schwarz-weiß-roten Lager und weiter Einigkeit gegen alles Internationale, gegen allen Pazifismus, gegen alle Knechtsgesinnung, gegen alle Freunde unserer äußeren Feinde. Mit Wäschlappig keit kommen wir nicht weiter; optimistische Befreiungs politik tut not. Die Erfüllungspolitik hat uns sticht weitergebracht. Unsere Feinde wollen den Versailler Vertrag nicht ändern, sondern noch mehr von uns haben. Zu den Behauptungen und Vorwürfen, daß die vater ländische Bewegung den Krieg und die Revanche er strebe, erklärte der Redner: Wir sind nicht so dämlich, daß wir mit Eartenschläuchen gegen Maschinengewehre kämpfen wollen. Aber mit den Waffen des Geistes und des Charakters wollen wir kämpfen, wie alle unter drückten Völker es tun. Wir sind das einzige Volk der Erde, das die Hand noch küßt, die es züchtigt. Nicht auch noch moralisch abrüsten wollen wir, nachdem wir mit den Waffen abgerüstet sind. Die äußeren und inneren Feinde unterstützen sich immer, hassen Deutsch land von Grund aus. Der Kampf gilt der Sozialdemo kratie, aber nicht dem deutschen Arbeiter. Ausgabe der vaterländischen Bewegung ist es, den Arbeiter aus den Händen seiner Führer zu befreien." Auch der nächste Redner, der Stahlhelmsührer in Ostsachsen, General major Roßbach, wandte sich gegen die Erfüllungs politik und mahnte zur Einigkeit aller vaterländisch Ge sinnten. — Sodann sprach der deutschnationale Spitzen kandidat in Ostsachsen, Obersinanzrat Dr. Bang. Er führte u. a. aus: „Die tiefste Ursache unseres Zustandes ist eine Außenpolitik, die nur leben kann von der Preis gabe nationalpolitischer und nationalwirtschaftlicher Werte. Als Plus dieser Politik ist nur eines zu buchen: Die Lobpreisung dieser Politik durch das Ausland und der Nobelpreis. Die Schlußbilanz ist: Unersetzliches ist verwirtschaftet, nicht nur nichts ist erreicht, sondern wir sind verleumdeter und gefährdeter denn je. Wir treiben eine Außenpolitik, die alles weniger ist als Realpolitik, die in Wahrheit unangenehmen Realitäten dieser Welt mit dem stets bereiten Radiergummi einer phantasiereichen Illusion aus der Welt bringt. Das Wertvollste, was auf dem Spiele steht, sind ja nicht materielle Güter, sondern ist die deutsche Kultur und der deutsche Charakter. Das aber ist eine der schlimmsten aller Parteilügen, daß uns ein Abgehen von der Politik der freiwilligen Selbstentäußerung in den Krieg treibe. Das Gegenteil ist der Fall, nicht die Waffen fehlen uns, uns fehlt nur der Glaube an uns selbst, uns fehlt der Wille zuM gemeinsamen Neinsagen, ja uns fehlt ja sogar der Wille auch nur von unserer Rechtslage Gebrauch zu machen. Deshalb rufen wir auf zur Umkehr aus der Politik des Selbstbetruges und der Schuldlüge zur Politik der Wahrhaftigkeit. Aus der Wahrhaftigkeit ergibt sich die Entwicklung zur Freiheit mit derselben Logik, wie sich aus der Politik des Selbstbetruges die Entwicklung zum Unter gang ergibt." — Es sprachen noch die deutschnationalen Reichstagskandidaten Baurat Paul, Frau Weiß wange, die von dem Muttertag ausgehend, sich an die Frauen und Mütter wandte, und für die deutschnationale Arbeiterschaft Eewerkschaftssekretär Hartmann. Mst dem Gesang des Deutschlandliedes fand die Kundgebung ihren Abschluß.