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Es bleibt beim alten in Frankreich 30. April 1928 Das Eesamtresultat der französischen Wahlen hat eineVerschiebungderzukünftigenfran- zösischen Kammer nach rechts gebracht, die allerdings nicht in dem Umfang ausgefallen ist, wie man es vielfach erwartet hatte. Die neue Kammer wird etwa 375 ausgesprochene Anhänger der poincare- schen Innenpolitik zählen, denen etwa 235 Linke gegen überstehen werden, so daß unter allen Umständen mit der Fortsetzung des innenpolitischen Kurses des Kabinetts Poincare zu rechnen ist. Der Stabilisierungdesfran zösischen Franken steht nun nichts weiter im Wege. Ob Poincare das Kabinett aus den gleichen Persönlichkeiten bilden wird, ist mehr als fraglich. Die Entscheidung wird aber nicht vor dem 1. Juni, dem Tage des Zusammentritts der neuen Kammer, gefällt werden. Auffällig ist bei dem Ergebnis der Wahlen vor allem der Stimmenzuwachs der Gruppe Marin, die mit 15 konservativen Abgeordneten den rechtenFlügel derKammer bilden wird. Ihr steht eine Abschwächung der Kommunisten gegenüber, die ihre Zahl um die Hälfte verringert haben. Die Sozialdemokratische Partei hat ihren Führer Leon Blum verloren. Auch die Republikanischen Sozialisten, die Anhänger Briands und Painleves, haben eine Stimme ein- gebützt, die Radikalsozialisten dagegen 12. Diese Partei wird sich vermutlich gleich nach Zusammentritt der neuen Kammer in zwei Teile spalten. Der rechte Flügel dürfte unter Leitung Franklin Bouillons zu den rechten Parteien abschwenken. Man rechnet, daß sich etwa 50 Mann der Radikalsozialisten nach rechts, der Rest unter Daladiers Führung nach links schlagen wird. Die Morgenblätter sind noch nicht in der Lage, ausführlich auf die Wahl einzugehen. Auf der Rechten herrscht ausgesprochene Freude, aber auch die Links blätter sind nicht ganz unzufrieden. Das „Oeuvre" muß allerdings zugegeben, daß die Wahlen auf Poincares Namen erfolgt seien. Die linksgerichteten Wähler freu ten sich aber über die Niederlage der Kommunisten, denen man nicht vergessen dürfe, daß sie durch einen wahren Landesverrat den Autonomisten im Elsaß zum Siege verholfen hätten. Das „Oeuvre" glaubt aus den Wahlen den Schluß ziehen zu dürfen, daß die Reak tionen sowohl von rechts wie von links beseitigt seien. Der „Matin" erblickt die einzige Wolke am Himmel in dem Wahlausgang im Elsaß. Das vorläufige amtliche Ergebnis. Bis 4,20 Uhr waren von 429 Wahlkreisen insge samt 427 Resultate bekannt, die sich nach der offiziellen Statistik folgendermaßen verteilen: Konservative 3, Republikanisch-demokratische Union 76, Linksrepubli kaner 60, Radikalrepublikaner 40, Radikalsozialisten 102, Republikanische Sozialisten 41, Sozialisten sS. F. I. OZ 86, Kommunisten 14, Sozialistische Kommunisten 2, Elsässische Autonomisten 3. Dieses Ergebnis zusam men mit dem aus dem ersten Wahlgang von acht Tagen ergibt folgende Eesamtziffern: Konservative 15, Repu blikanisch-demokratische Union 145, Linksrepublikaner 106, Radikalrepublikancr 55, Radikalsozialisten 123, Sozialistische Republikaner 47, Sozialisten sS. F. I. O.) 10l, Kommunisten 14, Sozialistische Kommunisten 2, Elsässische Autonomisten 3. Die elsässischen Wahlen ein Erfolg -er Aulvnvmisien. Die Feinde eines lebendigen Elsaß-Lothringens haben trotz verzweifelter Gegenwehr in der gestrigen Stich wahl nicht verhindern können, daß die von ihnen be kämpfte Heimatbewegung in der neuen französischen Kammer in der verschiedensten Gestalt vertreten sein wird. Die Erfolge des Heimatgedankens verteilen sich gleichmäßig auf die drei elsässisch-lothringischen Bezirke. Im Oberelsaß sind nur noch der Sozialist Grumbach und der Katholik Dr. Pfleger Verteidiger der Verwel- schung. Dagegen sind die wiedergewählten Abgeord neten Brom und Bilger Anhänger der Heimatidee. Erst recht gilt dies natürlich für den in Altkirch gewählten Präsidenten des Heimatbundes Dr. Ricklin und für Professor Rosse, die sich beide in dem am Montag be ginnenden Kolmarer Autonomistenprozeß verantworten sollen. Im Unter-Elsaß wurden die Abgg. Peyroter und Dr. Oberkirch und der Demokrat Frey wieder gewühlt. Die wiedergewühlten Abgeordneten Deltz und Walter, der Präsident und der Parteisekretär des elsässischen Zentrums sind Anhänger einer Verwal- tungsautonomie. Trotz des gegen sie geführten Wahl krieges sind zwei entschiedene Heimatrechtler Meck und Dahlet, gewählt, denen man den Kommunisten Murer zurechnen darf, der in Straßburg den Sozialisten Weill zu Fall brachte. Unter den neuen Abgeordneten sind ferner verschiedene Gegner der bisherigen Pariser Poli tik, u. a. die beiden Kommunisten und der katholische Bürgermeister Labach von Spittel. Die unzweideutige Wahlkundgebung zugunsten des bodenständigen Volks tums erhält ihr besonderes Gewicht angesichts des am Montag beginnenden Hochoerratsprozesses gegen den Autonomismus in Frankreich, den man als künstliche Mache ansehen wollte. * Mulmatzungen über -as Zustandekommen -es neuen französischen Kabinetts. 30 April 1928 Nach den Wahlen der letzten Sonntage beschäftigt man sich in politischen Kreisen mit der Frage des künf tigen Kabinetts. Die kleine Kabinettskrise wurde be kanntlich durch die Wahlniederlage des Arbeits ministers Fallieres eröffnet. Es ist nun die Frage, ob Poincare sich mit der Ersetzung Fallieres begnügen oder eine vollständige Umbildung des Kabinetts vornehmen wird. Gewisse Gerüchte wollen aber wissen, daß die Regierungsumbildung sich nicht auf die Ersetzung Fallieres beschränken wird. Die Frage der Ersetzung des Gouverneurs von Indochina ist seit mehreren Mo naten in der Schwebe. Der Name des Innenministers Serraut wurde bereits mehrmals als der des zukünf tigen Gouverneurs genannt. Andererseits wird be hauptet, daß Unterrichtsminister Herriot bereits vor den Wahlen die Absicht geäußert habe, in Südamerika eine literarische Vortragsreise zu übernehmen. Schließlich ist nicht unbekannt, daß Kolonialminister Perret und Handesminister Bokanowski stark in Ungnade gefallen sind. * Wahlzwischenfälle. Am Vorabend der Stichwahlen kam es in Brest zu ziemlich lebhaften Zwischenfällen. In einer Wahlversammlung der nationalen Union sollte der bekannte Pariser Deputierte Taittinger sprechen. Die Kommunisten hatten den größten Teil des Saales bereits vor der Wahlversammlung belegt. Als Taittinger die Tribüne bestieg, wurde er mit Pfeifen und Schimpfworten empfangen. Drei Stunden mußte er dem Sturm standhalten, ohne zu Worte kommen zu können. Die Internationale und die Marseillaise suchten sich gegenseitig zu übertönen. Schließlich woll ten die Kummunisten die Tribüne stürmen, stießen aber bei ihrem Versuch auf den Widerstand der Rechtsparteien, die gleichfalls die kommunistischen Red ner daran hinderten, das Wort zu ergreifen. Es ent stand ein heftiges Handgemenge, so daß die Polizei sich gezwungen sah, den Saal zu räumen. Nach der miß glückten Wahlversammlung durchzogen zwei Züge die Stadt, von denen der eine die Nationalhymne und der andere die Internationale sang. Bei einer Wahlversammlung der Kom - munistenauf einem öffentlichen Platze in Paris kam es, als die Polizei eingreifen wollte, ebenfalls zu einem Zwischenfall, wobei vier Polizeibeamte verwundet wurden, darunter zwei so schwer, daß sie ins Krankenhaus überführt werden mußten. Die amerikanische Bremen-Fiieger-Begeislerung. 30. April 1928 Ganz Neuyork bereitete den deutschen Ozeanfliegern riesige Ovationen. Tausende von Menschen hatten sich vor dem Hotel aufgebaut und als die deutschen Flieger es verlassen mußten, erbrausten donnernde Hochrufe. Generalmajor Haskell überreichte heute im Namen des Gouverneurs Alfred Smith für den Staat Neuyork den Fliegern drei goldene Medaillen, die die Inschrift tra gen: „Ueberreicht von Gouverneur Alfred Smith im Namen des Sta.ates Neuyork zum Andenken an den ersten Flug über den Atlantischen Ozean von Osten nach dem Westen im Flugzeug „Bremen". Die Flieger besuchten den Kardinal-Erzbischof Hayes, der zum Ausdruck brachte, wie stolz ihn dieser Besuch mache. Köhl und Fitzmaurice wohnten dem katholischen und Hünefeld dem lutherischen Gottes dienste bei. Hünefeld besuchte dabei vorher eine Kinder sonntags-Schule und hielt dort selbst eine Ansprache, worin er sagte, daß, als sie sich während des Fluges Gott anvertrauten, das Leuchtturmlicht von Greenly Island erschienen sei. Abends besuchten die Flieger die Metropolitan-Oper, wo sie in der Loge Morgans Platz nahmen. Auch hier wurden ihnen riesige Ovationen dargebracht, u. a. mußten sie auf der Bühne erscheinen. — Fräulein Junkers erklärte, daß die „Bremen" wieder startbereit sei, so daß die drei Ozeanflieger nach den amtlichen Feierlichkeiten die „Bremen" persönlich von EreenlyJsland zurückholen können. Die Ankunft in Neuyvrk. Die Ankunft der Bremenflieger gestaltete sich zu eignem Triumphzug. Lange vor Eintreffen des Zuges sammelte sich trotz des Regenwetters eine riesige Menge i!n der Umgebung des Pennsylvania-Bahnhofs an, die vM einem gewaltigen Polizeiaufgebot in Schranken ge halten wurde. Aus dem Bahnsteig hatten sich Bürger meister Walker, als weitere Vertreter der Stadtverwal tung die Herren Groper und Whalen, der Vorsitzende des städtischen Empfangskomitees Viktor Ridder, Samuel Stoehr und andere Komiteemitglieder, die Flieger Cham berlin, Balchen und Schiller, sowie eine Abordnung der Staatsmiliz von Massachusetts mit einer Einladung des Gouverneurs Fuller zu einem Besuche in Boston einge sunden. Sobald der Bremenzug hielt, begab sich Bür germeister Walker in den Salonwagen und begrüßte die BremeNflieger, die sich sodann zahlreichen Vlitzlicht- aufnahmen zur Verfügung stellten. Walker begleitete die Meger ins Hotel. Im Hotel sprachen die Flieger, von Chamberlin dem Radiopublikum vorgestellt, durch ein dort ausgestelltes Mikrophon. Auch Bürgermeister Walker, Konsul Heuser und andere hielten Ansprachen. Es folgten weitere Vlitzlichtausnahmen, dann Interviews zahlreicher Reporter. Köhl erklärte n. a.: Wir senden Erperten nach Labrador, die den Motor der Bremen untersuchen. Falls der Flug sichtig ist, gedenken wir in etwa zehn Tagen mit der Bremen hierher zu fliege», um dann die Möglichkeit des Rückfluges nach Deutsch land zu erwägen. Die Er-bebenverwüstungen in Bulgarien. 30. April 1928 Eine Million Menschen in Not. Die durch das Erdbeben angerichteten Verwüstungen lassen sich nunmehr annähernd übersehen. Eine Million Menschen, d. h. eine Fünftel der gesamten Bevölkerung, ist von dem Unglück betroffen. Als nächste Folgen der Katastrophe wird man Geschäftsstillstand, Arbeitslosig keit in Handel, Industrie und Ackerbau und einen erheb lichen Steuerausfall für den Staat annehmen müssen, denn das betroffene Gebiet gehörte zu den reichsten des Landes. Nach den Angaben des Ministerpräsidenten in der Sobranjesitzung ist der Schaden mit zweiundeinhalb Milliarden Lewa berechnet, wobei annähernd zwei Mil liarden auf Philippopel entfallen. Die jetzt ausgewor fenen Staatskredite und Geldspenden von allen Seiten werden vielleicht 50 Millionen Lewa betragen. Sie dienen in der Hauptsache zur Beschaffung von Zelten, Holz- material und Lebensmitteln. Bis heute hat nur ein ganz geringer Bruchteil der obdachlosen Bevölkerung ein Not dach über dem Kopse. Der anhaltende Regen macht sich unheilvoll bemerkbar, die Kindersterblichkeit ist groß- Von besonderer Tragweite ist der Umstand, daß die großen Tabakdepots in Philippopel und Tschirpan stark gelitten haben und teilweise eingestürzt sind und unge heure Vorräte an Tabak verdarben. Eine nach Tau senden zählende Arbeiterschaft ist auf Monate hinaus brotlos. Hierin liegt eine große Gefahr, denn man weiß, daß die bolschewistische Propaganda Bulgarien niemals aus dem Auge gelassen hat. Um 200 000 Flüchtlinge aus Mazedonien und Thrazien unter bringen zu können, müßte Bulgarien eine Völkerbunds anleihe über 2 500 000 Milliarden Lewa abschließen. Jetzt, wo das Flüchtlings-Siedlungswerk noch immer in den Anfängen steckt, werden 500 000 eigene Lan deslinder siedlungsbedürstig. Die Kata strophe in Südbulgarien wirst somit auch alle Berech nungen des Landeshaushalts über den Haufen. Es bleibt nur die Hoffnung aus eine Erhöhung der jetzt abge schlossenen Stabilisierungsanleihe, deren Höhe rund drei Milliarden Lewa beträgt, um eineinhalb bis zwei Mil lionen englische Pfund. Von der Regierungspresse wie auch von der Opposition wird heute einstimmig ver langt, daß jetzt wenigstens die Regierung auf alle Fälle verlangen soll, daß die Frage der Reparationen erneut geprüft werden und daß Bulgarien wesentliche Erleichterungen zugestanden werden. Neue Er-stötze. I« Bulgarien. Am Sonnabend zwischen 19 und 2Ü Uhr wurden in Philippopel und Umgebung wiederum drei Erdstöße verspürt. Der letzte Erdstoß um 20 Uhr war der hef tigste und wurde auch in Stara Zagora, Sofia und anderen Orten bemerkt. In Griechenland. Am Sonntag um 11.45 Uhr wurde in Athen ein ziemlich starkes Erdbeben verspürt. Der griechische Mim- sterrat beschloß am Sonnabend, 1000 Soldaten nach Korinth und 400 nach Lutraki und den anderen heimge suchten Dörfern zu entsenden. Weiter stimmte der Mini sterrat der Bildung eines Ausschusses von Wissenschaft lern und Technikern zu, der die Wiederausbaumöglich keiten in Korinth seststellen soll. Der Wiederaufbau der Stadt soll mit einer Anleihe, die unter griechischer Staats garantie ausgenommen wird, durchgeführt werden. In Rom. Das meteorologische Institut teilt mit: Am Sonn abend um 14.18 Uhr wurde in Rom ein leichtes Erd-^ beben verzeichnet, das auch von der Bevölkerung ver spürt wurde. Es wurde kein Sachschaden verursacht. In Kairo. Die Erdbebenwarte in Heluan verzeichnete am Frei tag nachmittag leichte Erdstöße, deren Herd in 500 Kilo meter Entfernung lag. Die Erdstöße wurden in K>airo wahrgenommen. Der unruhige Krakatau. Obgleich im amtlichen Wahlergebnis nur drei elsässische Autonomisten als Abgeordnete der neuen Kammer angegeben sind, dürfte nicht übersehen werden, daß noch vier andere gewählte Kandidaten, obgleich sie Mitglieder der elsässischen Volkspartei sind, rein auto- nomistische Ziele verfolgen. Nicht zu unterschätzen ist ferner, daß auch die elsässischen Kommunisten heimats rechtlich eingestellt sind bezw. für eine Volksabstimmung eintreten. Der Verteidiger. Zum bevorstehenden Prozeß gegen die verhafteten deut schen Ingenieure in Moskau Rechtsanwalt Munte (Braunschweig) wird die in Rußland verhafteten deutschen Ingenieure verteidigen. Der Verteidiger ist bereits nach Moskau abgereist. Wie aus Java gemeldet wird, ist der Krakatau weiterhin in lebhafter Tätigkeit. Das Feuer steigt inviermächtigen Säulen ständig aus dem Krater empor, die Feuersäulen erreichen zeitweilig eine Höhe vou 250 Meter. Die neue Tätigkeit des Vulkans war bis her von 64 heftigen Erdstößen begleitet.