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Die Genfer Abrüslungslragö-ie. 21 März 1928 , Die Genfer Abrüstungskonferenz scheint auch dies mal wieder nichts anderes als eine Tragikomödie zu : werden. Alles, was den dort tätigen Regisseuren nicht in den Kram paßt, wird einfach totgeschwiegen und dann geht man friedlich auseinander und rüstet weiter. i Nachdem der Präsident Loudon zu Beginn der gestrigen Sitzung eine neue Serie von langatmigen Höf- : lichkeits- und Begrüßungsphrasen an den türkischen Außenminister gerichtet hatte, stellte er die Vertrags- projekte der Sicherheitsrommission erneut zur Debatte. Der türkische Außenminister Tewfik Ruschdi Bep machte nur einige Borbehalte gegenüber der allgemei nen Schiedsgerichtsbarkeit und empfahl den Abschluß von Nichtangriffspakten. Das bedeutendste Ereignis des Nachmittags war, die Rede Litwinows. Litwinow wies darauf hin, daß gegenüber den russischen Vorschlägen, die eine vollkommene Abrüstung in vier Etappen vorschen, keine ernsten Einwendungen erhoben worden seien. Dann ging er zum offenen Angriff über. Der radikalste Abrüstungsvorschlag sei im Vertrage von Trianon durchgeführt, der je einer Million Bevölkerung ganze 5000 Soldaten belassen wollte. Wenn man dieses System in Rußland durchführen wolle, so müsse Ruß land ein Anrecht auf 750 000 Mann Soldaten haben, China ein Anrecht auf einige Millionen. Nur durch die russischen Vorschläge auf völlige Abrüstung könne die Sicherheitsfrage gelöst werden. Dann fuhr Litwinow fort: „Ich habe mir gestattet, unter den Mitgliedern der Abrüstungskommission ein Aktenstück verteilen zu lassen, aus dem Sie ersehen, daß zumindestens vierzehn Kommissionen und Organe des Völkerbundes 120 Sitzungsperioden abgehalten haben, wohl bemerkt, nicht Sitzungen, sondern Sitzungsperioden. Bundesversammlung und Rat haben 111 Entschließun gen in der Abrüstungsfrage angenommen. Gegenüber dieser Unsumme von Dokumenten muß festgestellt wer den, daß nicht ein einziger ernster Fortschritt auf dem Gebiete der Rüstungsbeschränkung gemacht worden ist." Der zweite Teil von Litwinows Rede war aller dings Propaganda für die Wiederaufbauarbeit des bolschewistischen Systems. Rußland sei bereit sein Heer abzuschaffen, wenn die ande ren dies auch tun. Aber die Abrüstungskommis sion solle zwei Fragen klar beantworten: 1. Ist sie be reit, die allgemeine Abrüstung als End ziel ihrer Arbeiten anzuerkennen: 2. Ist sie bereit, schon in den ersten Jahren solche Abril st ungs maßnahmen zu treffen, daß ein Krieg un- möglichwird? Zum Schluß appellierte Litwinow an die Vereinigten Saaten. Er erwarte von Amerika, daß es seine Vorschläge auf völlige Abrüstung unter stütze. Schweigend wurden die Ausfüh rungen Litwinows von der Kommission a n g e h ö rt. Trotz dieser drei Anklagen hüllte sich die Kom mission weiter in tiefes, vielsagendes Schweigen. Der Präsident brach alle weiteren Erörterungsmöglichkeiten durch Vertagung derSitzung auf morgen nach mittag ab. Wie man hört, sollauchheutekeine Aussprache stattfinden. Vielmehr sollen die Vor schläge der „Begräbniskommission" zugeleitet werden. Es bestätigt sich, das für Donnerstag das Ende der Tragödie vorgesehen ist. Die Eröffnung ÄerTangerkonferenz 21. März 1928 Die Tangerkonferenz hat gestern nachmittag um 3 Uhr am Quai d'Orsai begonnen. Außenminister Briand erösfnete die Sitzung mit einer kurzen Aus sprache, in der er der Konferenz einen vollen Erfolg wünschte und ihre Aufgaben dahin zusammenfaßte, daß sie von den spanisch-französischen Ab machungen Kenntnis zu nehmen Hütte. Ueber die Forderungen Italiens verlor Briand nach den bisher vorliegenden Berichten kein Wort. In der ersten Sitzung wurde beschlossen, das französisch-spa nische Abkommen und im Zusammenhang damit die Frage zu prüfen, ob und inwieweit dieses Abkommen die Grundlage des internationalen Statuts verändere Weiterhin nahm die Konferenz von den Wünschen Ita liens Kenntnis. Den Vorsitz der Konferenz führt Berthelot. Die Aufgaben der Tanqerkonferenz. Die Ausgabe der Tangerkonferenz wird es sein, die französisch-spanischen Abkommen gutzu heißen und Italien nach Möglichkeit seine Wünsche zu erfüllen. Bisher besteht der Eindruck, daß weder von englischer noch von italienischer Seite die Spanien gemachten Zugeständnisse bestritten werden sollen, da es sich bei ihnen um Verwaltungsänderuugen rein admi nistrativer Natur handelt, ohne daß das Tangerstatut vom Jahre 1928 in Frage gestellt wird. Die ita lienischen Forderungen sind im einzelnen noch nicht formuliert, doch weiß man, daß sie sich gleich falls auf eine Beteiligung Italiens an der Verwaltung und seine Vertretung im gemischten Schiedsgerichtshof erstreckten. Frankreich selbst ist an der Regelung des Tangerproblems am wenigsten interessiert. Die Be mühungen der französischen Delegierten werden sich vielmehr auf die Wahrung der Interessen Frankreichs in Marokko erstrecken, doch wäre es falsch zu sagen, daß Frankreich kein direktes Interesse in Tanger hätte. Die Eisenbahnlinie Tanger--Fez gehört den Franzosen, ebenso ist die Hafengesellschaft von Tanger in französischen Händen, weiterhin die Verwaltung der Staatsschulden und das Tabakmonopoi. Auch vertritt Frankreich den Sultan in Tanger. Sobald ein neues Tangerabkommen zwischen den vier interessierten Staa ten abgeschlossen sein wird, wird es den anderen Sig natarm ächten von Algeciras mitge teilt werden, mit Ausnahme von Oesterreich-Ungarn, das nicht mehr besteht und von Deutschland, das auf Grund des Artikels 141 des Versailler Friedensver trages auf alle seine Rechte in Marokko verzichtete. Die nächsten Tage dürften bereits den Beweis erbringen, ob die französischen Hoffnungen auf das Entgegenkommen Mussolinis, den einzigen unsicheren Faktor bei den Ver handlungen, sich erfüllen werden. Der englische Kriegsminister über dis Nheinland- besetzunq. London, 21. März. Kriegsminister Worthington- Evans erklärte gestern im Unterhause, daß die britische Vesatzungsarmee einen Teil einer internationalen Streitkraft bilde, die sich auf Grund des Friedensver trages im Rheinland befände. Die Besatzungspolitik könne heute im Unterhause nicht erörtert werden. Evans lobte alsdann die Führung der englischen Be satzungstruppen. Zu ernsteren Reibereien mit der rhei nischen Bevölkerung sei es nicht gekommen. Die Ibsenseiern in Oslo. 21. März 19W Der hundertste Geburtstag Henrik Ibsens wurde gestern unter großen Feierlichkeiten in Oslo begangen. Die ganze Stadt hatte geflaggt und in allen Festungen Norwegens wurden 21 Salutschüsse abge geben. Kurz nach Mitternacht hielt Professor Ball im Rokokosaal des Grand Hotels die erste Gedächtnisrede des Tages in norwegischer und deutscher Sprache. Um 11 Uhr vormittags begann die Feier am Grabe des Dichters. Der erste Kranz wurde' im Namen Björn Björnsons und seiner greisen Mutter niedergelegt. Bald daraus war der Hügel mit Kränzen vollkommen bedeckt. Vertreter aller Nationen hielten kurze Gedächtnisreden. So Map Halbe für Deutschland. Am Nachmittag fand eine Feier in der Universität statt, bei der u. a. Pro fessor Roman Woerner-Würzburg zum Ehrendoktor er nannt wurde. Am Abend vereinigte eine Festauffüh rung von „Rosmersholm" die Gäste im National theater. Nach der Festvorstellung wurde auf der Bühne eine Huldigung Ibsens veranstaltet. Der Tag endete mit einem gewaltigen Fackelzug der norwegischen Stu dentenschaft. Gleichzeitig sand ein Souper statt, das die norwegische Regierung den ausländischen Güsten gab. Opfer -es Sturmes. 21. März 1928 Wie aus Odessa gemeldet wird, haben die in den letzten Tagen über dem Schwarzen und Asvwschen Meere herrschenden Stürme die südrussische Schiffahrt stillgelegt. Der griechische Dampfer „Dorothea" geriet im Asowschen Meere auf eine Klippe. Aus Helsingör wird gemeldet, daß das eng lische Motorschiff „Mathilde" auf dem Wege von Ko penhagen nach Lemvig mit dem Motorschiff „Odens- holm" aus Stockholm zusammengestoßen ist. Die „Mathilde" kehrte in den Hafen von Helsingör zurück, wo sie kurz daraus sank. Die Mannschaft konnte sich retten. Aus Malmö wird gemeldet: Vor der Einfahrt in den Hafen von Malmö stieß gestern der Dampfer „Lar! Röder" aus Hamburg mit dem Fährschiff „Malmö" zusammen. Beide Fahrzeuge wurden stark beschädigt. Die „Malmö", die an der Backbordseite ein großes Leck aufwies, konnte nur mit Mühe den Hasen erreichen, wohin auch der deutsche Dampfer zurückkehren mußte. Bedauerliche Zusammenflötze in Langenöls. 21 März 1928 Anläßlich der gestern nachmittag in Langenöls (Kreis Nimptsch. Schlesiens veranstalteten Zwangsver steigerungen aus landwirtschaftlichen Betrieben hatten sich etwa tausend Bauern aus den Kreisen Reichenbach und Nimptsch angesammelt, die durch Singen von Lie dern auf den Versteigerungsplätzen die Abgabe von Ge boten zu verhindern suchten. Der Landrat des Kreises Nimptsch hatte ein Breslauer Schutzpolizeikommando und zwanzig Mann aus Langenöls beordert, die mit Gummiknüppeln gegen die Bauern vorgehen mußten: es gab mehrere Leichtverletzte. Als sich der Tumult immer mehr steigerte, weil ein bekannter Führer der Landwirte verhaftet werden sollte, ließ der befehls habende Offizier die Maschinengewehre anfahren und die Karabiner laden. Angesichts dieser ernsten Lage wurden die Zwangsversteigerungen abgebrochen. Nur dem besonnenen Verhalten der befehlshabenden Offi ziere und dem Eingreifen der anwesenden Landbund führer ist es zu verdanken, daß noch jm letzten Moment ein Blutvergießen verhindert wurde. Eine amtliche Erklärung. Nach amtlicher Feststellung sind die Meldungen von Teilnehmern an den Vorgängen in Langenöls nicht richtig. Die Schutzpolizei hat zwar von Gummiknüppeln Gebrauch machen müssen, aber Verletzte hat es nicht ge geben Es ist ferner unrichtig, daß Maschinengewehre aufgefahren wurden. Die Schutzpolizei hat überhaupt keine Maschinengewehre mitgeführt, sondern es sind vielmehr lediglich die Karabiner geladen worden und die Maschinenpistolen. Regierungspräsident Reinacker hat sich gleich nach Vekanntwerden der Ereignisse an Ort und Stelle begeben, um mit den maßgebenden Per sönlichkeiten des Landbundes die Situation zu bespre chen und dafür Sorge zu tragen, daß es heute bei einem in Langenöls anberaumten Versteigerungstermin nicht abermals zu Unruhen kommt. Der Regierungspräsi dent hat den Landrat des Kreises Nimptsch, Seybold, der zur Zeit an den Beratungen des Staatsrates in Berlin teilnimmt, telephonisch zurückgerufen. Morgen früh wird der Landrat an Ort und Stelle sein. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 20. März 1928. Der Haushalt des Reichstages wird in zweiter Be ratung in der Ausschußfassung angenommen. Der An satz für die Herstellung von Reichstagsdrucksachen wird im Interesse der Fortführung der Arbeiten des Kriegsschuld untersuchungsausschusses auf 650 000 Mark erhöht. Als Beitrag für die Berliner Tagung der interparlamen tarischen Union werden 10 000 Mark eingesetzt. Statt des ersten Teilbetrages von 1,2 Millionen für den Reichs tagsneubau werden nur 200 000 Mark für Vorarbeiten bewilligt. Ueber einen kommunistischen Antrag, die Ange hörigen des Reichstags-Wirtschaftsbetriebes auch in der Sommerpause teilweise zu entschädigen, muß Auszählung erfolgen. Für den Antrag stimmen 108, dagegen 124 Abgeordnete. Das Haus ist also beschlußunfähig. Der Präsident beraumt die nächste Sitzung für zehn Minuten später an. - Nach Eröffnung der neuen Sitzung wird der kommunistische Antrag dem Vorstand des Reichs tages zur Vorberatung überwiesen. Es folgt die zweite Beratung des Kriegsschädenschlußgesetzes. Abg. Buchwitz (Soz.) weist darauf hin, daß 400 000 Geschädigte auf die Verabschiedung dieses Ge setzes warten. — Abg. Dr. Schneider-Thüringen (Dnat.) erklärt, die Verzögerung dieses Schlußgesetzes sei zu bedauern. — Abg. Dr. Schetter (Ztr.) be dauert, daß man sich bisher der Not der 400 000 Ge schädigten seitens des Reiches nicht genügend angenom men habe. Abg. Dauch-Hamburg (D. Vp.) er klärt, mit diesem Gesetz werde ein Schlußstrich unter eins der traurigsten und beschämendsten Kapitel des Welt krieges gesetzt. - Abg. Dr. Heuß (Dem.) bezeichnet die Verhandlungen über dieses Gesetz als eine Folge von Grabreden vor eingesargten Hoffnungen und Zu sagen. Abg. Iadasch (Komm.) wirft den Parteien vor, daß sie die Kleingeschädigten entrechten wollten, während für die wenigen Eroßgeschädigten bis zu je 18 Millionen hinausgeworsen werden sollten. .Daraus werden die Beratungen abgebrochen. Das Haus vertagt sich; Mittwoch 14 Uhr Weiterberatung, ferner Gefrierfleischvorlage. Lohnbewegungen und Streiks. 21 März 1928 Vor einem Eisenbahnerstreik? Jm Zusammen hang mit den gestern stattgefundenen Schlichtungsver handlungen im Lohiftonflikt mit den Reichsbahn arbeitern berichtet die „Tägliche Rundschau" über ein Rundschreiben des sozialistischen Einheitsverbandes der Eisenbahner, in dem es wörtlich heißt: „Die Stellung nähme der Verwaltung (gemeint ist die Eisenbahnver- waltung) wird und muß einen Sturm der Entrüstung im ganzen Lande auslösen und wir lehnen es ab, die entsprechende Erbitterung und Streikstimmung in irgendeiner Art einzudämmen . . . Am 1. April muß die gesamte Mitgliedschaft zur Aktion bereit stehen. Welche Teile in den wahrscheinlich nicht zu vermeiden den Kampf geworfen werden, hat der Beirat zu ent scheiden, der voraussichtlich gegen Ende März dieses Jahres einberufen wird." Die „Tägliche Rundschau" bemerkt hierzu: „Aus diesen Ausführungen ergiebt sich, daß die sozialistischen Eisenbahnergewerkschaften trotz des Schlichtungswesens auf einen Streik hinarbeiten. Es scheint notwendig, die Oeffentlichkei! von diesen Ab sichten rechtzeitig, in Kenntnis zu setzen." Aus dem GerichtsfarU. 21. März ! 928 K. Drei Mona e Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung. In der Nacht zum 15. Oktober vorigen Jahres ereignete sich in Meißen auf der für Kraftfahrzeuge ver botenen Neulandgasse ein tödlicher Unfall. Als der 1883 zu Großschirma geborene, in Meißen wohnhafte Kaufmann Martin Wilhelm Heidrich mit seinem Kraft wagen ein Stück Weg abkürzen wollte, geriet er zu nahe an die stelle Böschung, wodurch das schwere Fahrzeug hinabstürzte und jein Duzfreund, der Landwirt Adolf Abbel dabei erdrückt wurde. Heidrich, der ohne Schaden davongekommen war, wurde wegen fahrlässiger Tötung und auch wegen Uebertretung der Kraftverkehrsbestim mungen zur Verantwortung gezogen. Am 11. Januar dieses Jahres verhandelte das Gemeinsame Schöffen gericht Dresden im Rathause zu Meißen in dieser An gelegenheit. Nach umfangreicher Beweiserhebung — über das Unglück und die Gerichtsverhandlung ist berichtet worden — erkannte das Gericht im Sinne der erhobenen Anklage auf fünf Monate Gefängnis. Hiergegen hatte der Verurteilte erfolgreich vom Rechtsmittel der Be rufung Gebrauch gemacht. Die dritte Strafkammer des Landgerichts Dresden verhandelte am Dienstag unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Dr. Lehmann als zu ständige Berufungsinstanz erneut in dieser Unfallsache. Die Anklage vertrat wiederum Assessor Dr. Rottka, die Behelligung hatte Justizrat Dr. Knoll übernommen. Nach ander-weiter Zeugen- und Sachverständigenverneh mung wurde die erstinstanzliche Strafe auf drei Monate Monate Gefängnis herabgesetzt. In der Urte'lsbegrün- dung wurde u. a. betont, der tödlich verunglückte Guts besitzer Abbel trage eine gewisse Mitschuld, deshalb er schien dem Berufungsgericht die Strafe etwas zu hoch, und erschien eine Herabminderung geboten. Die weiter beantragte Zubilligung einer Bewährungsfrist war aber als eine zu weitgehende Milde anzusehen, deshalb habe sie das Gericht abgelehnt.