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Die Türkei im Völkerbund? 23 März 1928 Es gibt Anzeichen dafür, daß der Eintritt des letz ten „besiegten Staates", der Eintritt der Tür kei in den Völkerbund eifrig vorberei tet wird. Hinter den Genfer Kulissen spricht es sich herum, das; die Vorbereitungen dazu soweit gediehen sind, das; nur noch einige „Kleinigkeiten" zu erledigen seien, wie etwa die Frage des Ratssitzes, die offizielle Horm der Einladung, usw. Im Prinzip hätte die Tür kei ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen, aktives Mit glied des Völkerbundes zu werden. Da musz man sich sagen, das; die Sache recht schnell vor sich ging. Erst vor wenigen Wochen war der türkische Staat nicht einmal in der vorbereitenden Abrüstungskommission vertreten, erst durch Intrigen und durch Kampf zwischen hoch politischen und persönlichen Ambitionen ist es gelungen, die Anwesenheit der Türkei bei der Abrüstungstagung herbei,zuführen — und schon soll die Völkerbundsmit gliedschaft der Türkei perfekt sein. Eilen hier die Ge rüchte den Tatsachen nicht etwas vorschnell voraus? Woher diese plötzliche Wendung in der Außenpolitik Angoras? In den ersten Nachkriegssahren standen dem Ein tritt der Türkei in den Völkerbund rechtlich Schwierig keiten im Wege, Schwierigkeiten, die sich infolge der Bestimmungen des Hriedensvertrages von Sevres er gaben. An diesen Vertrag war die Türkei vielleicht noch mehr gebunden, als es Deutschland heute an den Versailler Vertrag ist. Dann kam der große revolutio näre Befreiungskampf der Türkei. Und anschließend an ihn der türkisch-griechische Krieg, in dessen Hinter gründe der große Hemd des langen türkischen Staates, England, stand. Als die politische Lage, dank dem Genie Mustapha Kemal Paschas, sich endgültig stabili siert hatte und die Türkei aus einem besiegten, ohnmäch tigen Lande zu einer jungen und starken Großmacht emporstieg, war es nun nicht mehr der Völkerbund, der das Beisammensein mit der Türkei unter seiner Würde hielt, sondern die Türkei selbst. Die Erwägungen, die dafür entscheidend waren, lagen ungefähr ebenso, wie die Erwägungen Rußlands, trugen aber nicht einen solchen politisch intriganten, ja offenen demagogischen Charakter, wie bei den Moskauer Herrschern. Denn die Türkei war hier nicht ein Objekt, daß Sowjetrußland aus Gründen seiner prokolonialen und antienglischen Politik für sich gewinnen wollte, sondern ein Subjekt, ein aktiver Schöpfer der neuen Aera in der Geschichte unterdrückter Völker. Der Unterschied zwischen Sowjet rußland und der Türkei besteht zu dem noch darin, daß die Regierungsformcn in diesen beiden Ländern grund verschieden sind. Hreilich regieren Moskau wie Ängora rein diktatorisch. Aber, während Moskau eine soziali stische Gesellschaftsordnung zu bauen versucht, und die kapitalistischen Kräfte unterdrückt, baut Kemal seinen Staat gerade mit Hilfe von national-kapitalistischen Kräften auf. Daher die Unterdrückung jeder freiheit lichen und in noch höherem Maße jeder linksradikalen Bewegung in der Türkei. Außenpolitisch betrachtet will die türkische Regierung den Kon kurrenzkampf zwischen England und Rußland möglichst ausnutzen. Und in die sem Lichte muß man auch die Gerüchte von dem bevor stehenden Eintritt der Türkei in den Völkerbund, wo England eine hervorragende Rolle spielt, betrachten. Man weiß nicht, welchen Preis die Türkei für diesen Schritt sich ausbedingcn wird. Aber das wird man recht schnell erfahren, falls die Gerüchte sich zur Wirk lichkeit verdichten sollten. Das besorgte England. Der Londoner Korrespondent des „Echo de Paris" meldet, daß man in englischen Regierungskreisen mit einer gewissen Unruhe die Haltung der Türkei verfolge, da Angora die Kandidatur der Türkei zum Völker bundsrat aufzustellen beabsichtige. Da es schwierig sein werde, eine Vertretung der Muselmanen in dem Rate glatt abzulehnen, so werde die englische Regierung da für die Kandidatur Griechenlands unter stützen. Ablehnung -er russischen Ab- rüslungsvorschläge. 23. März 1928 Die Stellungnahme Graf Bernstorffs. Die Aussprache über die sowjetrussischen Vorschläge konnte in der gestrigen Sitzung der vorbereitenden Ab rüstungskommission noch nicht zum Abschluß gesühn werden. Der französische Delegierte GrafClaudel schlug vor, den sowjetrussischen Konventionsentwurf zu nächst sämtlichen Regierungen zur Prüfung zu über reichen und ihn sodann während der zweiten Lesung des englisch französischen Konventionsentwurfs in einer spätei vom Präsidenten noch einzuberufenden Tagung sachlich zu erörtern. Bisher hätten 19 Regierungen in der Abrüstungskommission die russischen Vorschläge abgelehnt, die Stellung eines Delegierten, des Grafen Bernstorff, wäre zweifelhaft. Eine Lösung des Abrüstungsproblems könne nur im Nahmen des Völkerbundes erfolgen. Graf Bernstorff gab hierzu eine kurze Erklärung ab. Er habe zu den sowjetrussi schen Vorschlägen nichts mehr zu sagen, dagegen behalte er sich n c u e V o r s ch l ä g e für den dritten Punkt der Tagesordnung über die Hortsetzung der Abrüstunqs- arbeiten der Kommission vor. Man habe im Laufe von drei Tagen jetzt die sowjetrussischen Vorschläge erörtert, während man ein Jahr benötigt habe, um den englisch französischen Konventionsentwurf zu behandeln Der Präsident der Kommission schloß sodann die Aussprache mit der Mitteilung, daß das Böro der Kommission am Hreitag vormittag einen Entschließungsentwurf zum Abschluß der Aussprache über die sowjetrussischen Vor schläge vorlegen werde. Von französischer Seite will man die zweite Lesung des französisch-englischen Konventionsentwurfes auf eine weitere Tagung verschieben und dem Präsidenten die Einberufung überlassen, was zunächst eine Verschie bung der Abrüstungsarbeiten aus unbestimmte Zeit be deuten würde. Von deutscherSeite verlangt man demgegenüber nachdrücklich entweder eine sofortige Vornahme der zweiten Lesungdes eng lisch-französischen Konvention s - Ent wurfes. oder bereits Erörterung über die Einbe rufung der Weltabrüstungskonferenz. Die Auffassung Amerikas zu den sowjetrussischen Abrüstungsoorschlägen. Einer Washingtoner Meldung zufolge erklärt man in Kreisen des Staatsdepartements, daß die Ver einigten Staaten sich immer einem Plan völli ger Abrüstung, wie er durch die Sowjetdelegation in Genf vertreten wird, widersetzt haben. Der Plan Litwinows sei eine Legierung von Utopien, von Männern aufgestellt, die Visionen hätten. Pressever tretern gegenüber erklärte der Wortführer des Staats departements. daß die Regierung zu einer allgemeinen praktischen Abmachung kommen müsse, die die Zahl der Marineeinheiten jährlich beschränke. Bezüglich der Ab rüstung zu Lande sei die amerikanische Regierung der Auffassung, daß man durch Regionalabkommen zum ge wünschten Ziel gelangen könne. Die Zukunft -er Reichsfinanzen 23 März 1928 Im Laufe der Beratungen des Ergänzungsetats 1928, die der Haushaltausschuß des Reichstags gestern abend beim Haushalt der allgemeinen Finanzverwaltung fortsetzte, ergriff Reichsfinanzminister Dr. Köhler das Wort zu längeren Ausführungen über die Zukunft der Reichsfinanzen und lehnte die ihm unterschobene Behaup tung ab, daß er für die Zukunft der Reichsfinanzen sorgenlos sei. Deutschland müsse die beschwerlichen Lasten weiter tragen und versuchen, ihrer auf natürlichem Wege Herr zu werden. Mit Erstaunen habe er in einer Zei tung gelesen, daß er eine Erhöhung der Tabaksteuer in Aussicht genommen habe. Dies treffe in keiner Weise zu. Er habe lediglich daraus hingewiesen, daß durch die Zusammenziehung der Zahlungsfristen für die Ziga- i rcttensteuer 1928 bis 1929 erhöhte Einnahmen aus Ider ! Zigarettensteuer einkommen würden. Bezüglich des Spiri- tusmonopols betonte der Minister, daß es am nächsten Reichstag liegen werde, ob die von ihm angenommenen Mehreinnahmen „imaginär" blieben. Er sei der Mei nung, daß man aus diesem Gesetz 100 Millionen Mark mehr heran ,,, .en könne. Im Verwaltungsrat der Reichs post habe er vor dem Braünkohlenprojekt warnen lassen. Die Gelderkonzentration im Reiche sei in vollem Gange. Die besondere Arbeitskasse werde 1929 zur Reichshaupt kasse kommen, so daß dann nur eine Zentralkasse be- , stünde. Auch sei er absolut dafür, die Oessentlichkeik ! der Reichsfinanzen herbeizuführen. Auf eine deutschvolks- - parteiliche Anfrage erklärte der Minister, das Land s Hessen habe auf Grund einer Vereinbarung mit der hes- > fischen Regierung ein gewisses Anrecht auf Vorschüsse durch das Reich für die Jahre 1926 und 1927. Vis- her seien die Vorschüsse in Höhe von 13,8 Mill, an Hessen abgegeben worden. Ende März müsse jedoch über i Bevorschussung nach erneuter Prüfung eine besondere Ent- ! scheivung getroffen werden, solange die Besetzung noch . fortdauere. Eine von deutschnationaler Seite gestellte Frage, ob mit noch weiteren Ländern derartige Vor- ' schußablommen beständen, verneinte die Regierung. Die Beratungen wurden auf heute vertagt. Ein neuer russischer Wirtschaftsplan. Kowno, 23. März. Wie aus Moskau gemeldet ! wird, hat sich die kürzlich gegenüber der Regierung sei- s tens bedeutender Volkswirtschaftler am Wirtschaftsplan der Regierung ausgesprochene Kritik dahingehend aus- gewirkt, daß eine Kommission von Wirtschaftsführern eingesetzt worden ist mit der Aufgabe, den aus 5 Jahre festgesetzten Plan zur Hebung der Industrie zu refor mieren. Zu dieser Reform sollen auch die bedutendsten Wirtschaftswissenschaftler der Sowjetunion herangezogen werden. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 22. März. Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 14 Uhr. der Gesetzentwurf über einen Eebietsaustausch zwischen Sachsen und Thüringen, der auf Grund eines Staatsvertrages zwischen diesen beiden Staaten die Beseitigung einiger Enklaven und eine Abrundung der Grenze vorsieht, wird in allen drei Lesungen angenommen. Auch das Luftverkehrsabkommen mit Spanien fin det in allen drei Lesungen die Zustimmung des Hauses. Es folgt die zweite Beratung der deutsch-franzö sischen Vereinbarung über den Warenaustausch zwischen dem Saarbeckengebict und dem deutschen Zollgebiet. Abg. Hofmann-Ludwigshafen sZtr.s beklagt gleichfalls das Schicksal der Saarbeoölkerung, die fran zösischer Mißwirtschaft ausgeliefert sei. Das Abkommen wird in zweiter und dritter Be ratung angenommen. Annahme findet weiter eine Entschließung des Auswärtigen Ausschusses, die die Reichsregierung ersucht, gegenüber dem von der Tschechoslowakei beschlossenen Abwertungsgesetz betref fend die alten Silber- und Goldmarkprioritäten sowie Sparkassenguthaben, die geeignet erscheinenden Maß- i nahmen zu ergreifen, um die Beeinträchtigung der ! Rechte der deutschen Gläubiger abzuwehren. Es folgt die zweite Beratung des d e u t s ch - p o l - Nischen Abkommens Uber polnische landwirt schaftliche Arbeiter. Der Vertrag wird gleichfalls in zweiter und dritter Beratung angenommen, ferner das Zusatzabkommen zum deutsch-litauischen Handelsvertrag. Es folgt die Beratung des Untersuchungs ausschusses über die Ürsachen des Zusam menbruchs. Abg. Dr. Philipp (Dntl.) berichtet über die Verhandlungen des vierten Unterausschusses, der sich in 94 Sitzungen mit der Hrage des inneren Zusammen bruchs eingehend beschäftigt habe. Den Kernpunkt der Verhandlungen habe immer wieder die Frage gebildet, ob die Revolution gemacht wurde, oder ob sie sozusagen von selbst gekommen sei. Die Ausschußmitglieder wichen in der Beantwortung dieser Hrage erheblich vonein ander ab. Der Berichterstatter wies darauf hin, daß viele Sätze der Ausschußentschließungen den Stempel des Kompromisses tragen. Bei der Besprechung der Hriedensresolution des Reichstages habe sich die Frage erhoben, ob die Regierung den Siebenerausschuß in die ganze mit dem Friedensschritt des Papstes zusammen hängende Politik loyal hatte Einblick nehmen lassen oder nicht Ein Teil der Ausschußmitglieder war in dieser Ansicht zu einer negativen, den früheren Reichs kanzler Dr. Michaelis mit dem Porwurf der Zweideu tigkeit belastenden Auffassung gelangt. Ueber die ent scheidende Frage, ob der Reichstag im Laufe des Krie ges zu viel oder zu wenig Einfluß auf die Führung der Politik genommen hat, konnte der Ausschuß zu einer Üebereinstimmung nicht gelangen. Abschließend hat der Ausschuß festgestellt, daß die Schuld am Zu sammenbruch nur im wechselseitigen Zusammenwirken zahlreicher Ursachen gefunden werden kann. Präsident Loebe teilt mit, daß nach einer Ver einbarung unter den Parteien eine Aussprache über den Bericht nicht stattfinden soll, sondern daß der Be richt nur zur Kenntnis genommen werden soll. Eine Eingabe betreffend Schadenersatz für die durch die Explosion eines Minendepots bei Cuxhaven entstan denen Schäden wird der Regierung zur Berücksichti gung überwiesen. Es folgt die zweite Beratung des Haushalts des Reichsinne nm inisteriums. Abg. Dr. Schreiber (Ztr.) berichtet über die Aus schußoerhandlungen. Der Ausschuß fordert in einer Entschließung, bei den Regierungen aller deutschen Län der darauf hinzuwirken, daß es den Beamten zur Pflicht gemacht wird, an Veranstaltungen, bei denen Flag gen schmuck verwendet wird, in ihrer amt lichen Eigenschaft nur dann teilzunehmen, wenn die Reichsfarben an hervorragender Stelle gezeigt werden. Ferner wird ein Gesetzentwurf gefordert, der für alle Deutschen an Stelle der Staatsangehörigkeiten eine deutsche Reichsangehörigkeit setzt. Weiter werden Maß nahmen fordert, daß nicht lebensfähige kleine Länder sich mit benachbarten größeren Ländern vereinigen. Schließlich soll darauf hingewirkt werden, daß die über flüssigen und kostspieligen Gesandtschaften der Länder untereinander aufgehoben werden. Der Religiöns- unterricht soll in den Schulen nach den Bestimmungen der Reichsverfassung erteilt werden und im gesamten Unterricht sollen die religiösen Gefühle der Kinder nicht verletzt werden. Abg. Sollmann (Soz.) erklärt, wenn man die Tätigkeit der deutschnationalen Reichsinnenminister auf Erfolge durchforsche, könne man auch mit dem stärk sten Mikroskop nicht den allerbescheidensten Fortschritt erkennen. Der Redner ruft die deutsche Jugend auf, über die Reste der Monarchien zur Einheitsrepublik norzudringen. Abg. Berndt sDntl.) erwidert dem Vorredner, die Vorlegung des Reichsschulgesetzes sei tatsächlich eine Großtat gewesen, für die dem Innen Minister Dank gebühre. Der Kampf um die christliche deutsche Volksschule werde im neuen Reichstag mit doppelter Zähigkeit fortgeführt werden. Darauf werden die Beratungen abgebrochen. Die Weiterberatung wird auf Freitag 14 Uhr vertagt. Lohnbewegungen un- Streiks. 23. März 1928 Protest der Eisenbahner gegen den Schiedsspruch Die drei vertragschließenden Organisationen der Reichs- bahnlohnempsänger, der Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands, die Gewerkschaft Deutscher Eisenbahner und der Allgemeine Eiscnbahnerverband haben in einer ge meinsamen Sitzung zu der durch den Schiedsspruch ge schaffenen Lage Stellung genommen. Sie kamen ein mütig zu dem Ergebnis, daß der Schiedsspruch unhaltbar sei. Auf keinem Gebiet sei den berechtigten Forderungen der Eisenbahnarbeiter Rechnung getragen worden. Aus diesem Grunde erheben die Gewerkschaften gemeinsam gegen den Schiedsspruch den schärfsten Protest. Kunst und Wisfenfchast. 23 März 1928 Von der Landesuniversität. Dem Regierungsrat Dr. jur Gottfried Langer aus Dresden ist die Lehrberechtigung für Kirchcnrecht, Deutsche Rechtsgeschichte und Staatsrecht und dein Assistenten am Institut für politische Auslandskunde Dr. jur Paul Ritterbusch die Lehrberechtigung für Allgemeine Staatslehre und Staatsrecht in der Juristenfakultät der Uni versität Leipzig erteilt worden. Der Privatdozent in der Iu- ristenfakultät der Universität Leipzig Dr. jur. Karl Heidrich ist vom 1- April 1928 ab zum planmäßigen außerordentlichen Professor des römischen und deutschen bürgerlichen Rechts in dieser Fakultät ernannt worden. Altertmilsfund. Auf einem Felde in Leutewitz bei Riese wurde ein aus der jüngeren Bronzezeit, etwa 1000 Jahre v. Chi stammendes Grab ausgegraben. Das Grab enthielt Knochenreste zwischen großen, pflasterartig nebeneinandergesetzten Bruchstei nen, mehrere kleinere Schalen und eine schmuckvolle außeror dentlich gut erhaltene Tasse. Die Funde wurden der nordsäch sischen Urgeschichtssammlung des Riesaer Heimatmuseums übel wiesen.