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Wetterwinkel Marokko. 10. April 1928 Zu den gefährlichsten Wetterwinkeln, die schon ost den Weltfrieden schwer bedroht haben, gehört zweifellos die marokkanische Hafen- und Handelsstadt Tanger. Hier erreichen mehrere Karawanenstraßen aus 'dem Innern Marokkos die Küste, so daß ein großer Warenhandel blüht und die Stadt naturgemäß eine besondere Bedeu tung hat. Wenn sie im Mittelalter nicht so heiß um stritten war wie in der Neuzeit und von England und Portugal sogar zeitweise als Seefestung aufgegeben war, so lag das lediglich an dem früher völlig versandeten Hasen, doch ist dieser in den letzten Jahrzehnten unter dem Aufwand großer Mittel geradezu vorbildlich ausge baut worden. Tanger ist daher heute das Ziel der Spanier wie der Franzosen, für deren marokkanischen Besitz es von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit ist, aber auch die Italiener sind in neuerer Zeit stark interessiert. Mehrfach war die Tangerfrage der Hauptverhand lungspunkt für Konferenzen. Noch heute denken wir Deutschen mit berechtigter Wehmut an die schwere Nieder lage zurück, die unsere Diplomatie im Jahre 1906 bei der Konferenz in Algeciras erlitten hat. Damals kam dem deutschen Volke die Einkreisung durch die Entente mächte wohl zum ersten Male so recht zum Bewußtsein. Der Weltkrieg hat die Lage im Mittelmeer mit einem Schlage verändert. Deutschland hat mit seiner Welt stellung auch seine Interessen in Marokko verloren, da gegen ist Italien Großmacht geworden und ist eifrig be müht, ein Wort im Mittelmeer mitzusprechen. Vorüber sind die Zeiten, wo Italien wie im Jahre 1902 die Vorzugsstellung Frankreichs in Marokko ohne weiteres anerkannt hat, aber auch die Oktobertage 1912, als Ita lien zugunsten Frankreichs auf alle Ansprüche in Marokko verzichtete! Mit Mussolini begann eine andere Marokko politik in Italien. Niemals hat es der Duce überwinden können, daß Italien zu der Tangerkonferenz im Jahre 1923 nicht herangezogen wurde, bei der England, Frank reich und Spanien das „Tangerstatut" abschlossen und das internationale Regime in Tanger einführten. Um sein Interesse in Marokko zu zeigen, entsandte Italien sofort eine stärkere Wache von Karabinieri nach Tanger, die bis heute in der italienischen Botschaft untergebracht sii; ein Widerspruch der übrigen Mächte erfolgte nicht. Dann begannen die Vorbereitungen zur Tangerkon ferenz. Italien war zu den Beratungen nicht hinzuge zogen worden, natürlich sehr zum Aerger Mussolinis. Dieser glaubte daher in einer drastischen Art und Weise die Aufmerksamkeit auf sich lenken zu müssen und ent sandte Ende September 1927 unter Leitung des Prinzen von Undine ein Geschwader nach Tanger, das dort mit der italienischen Kolonie den höchsten faschistischen Feier- ! tag, die Erinnerungsfeier an den Marsch auf Rom, mit großem Pomp beging. Gleichzeitig wurde in dem ehe maligen Palaste des Sultans eine italienische Schule und ein italienisches Krankenhaus eröffnet, bei den Feier lichkeiten trugen der Prinz sowie der Botschafter die Paradeuniform der Generale der faschistischen Miliz. Nach langen Verhandlungen erreichte Mussolini, wirksam unter stützt von dem spanischen Diktator, sein Ziel: an der Tanger-Konferenz, die am 15. März in Paris eröffnet wurde, nahm neben den drei bisherigen Vertragsmächten auch Italien teil. Die bisherigen Verhandlungen haben zur Genüge gezeigt, welch tiefe Kluft zwischen den drei übrigen Vertragsmächten einerseits und Italien andererseits be steht. Nach verschiedenen Aeußerungen ist an eine Eini gung über die Wünsche Italiens gar nicht zu denken. Auf der anderen Seite aber wird Musso lini nicht locker lassen. Er vertritt den Standpunkt, daß er hier erfolgreich in den Komplex der Mittelmeer fragen eine Bresche geschlagen hat, die er nach Kräften zu erweitern bestrebt ist. Wo der Duce aber einmal festen Fuß gefaßt hat, läßt er sich nicht so leicht ver treiben. Er wird daher von seiner Seite schon recht zeitig an die Fortsetzung der Konferenz erinnern... Neue Feind eliqkeiten -er Eingeborenen 10. April 1928 Während der Karwoche machte sich, wie aus Rabat gemeldet wird, in verschiedenen Gegenden Marokkos eine Zunahme der Agitation gegen Frankreich bemerkbar. Auf der Front des mittleren Atlas wurde eine fran zösische Truppenabteilung überrascht, wo bei drei Soldaten getötet und einer verwundet wurden. Eine andere Abteilung verlor zwei Mann. An dem Ausgang der Sahara bei Bur Denib wurde eine Fern sprechlinie durchschnitten, drei Telephonisten, die man dar auf zur Wiederherstellung derselben ausgesandt hatte, wurden in einen Hinterhalt gelockt und getötet. Im äußersten Süden wurde eine Abteilung der Ait-Atta von dem Mgun-Stamm zurückgeworfen, der neun Tote aus dem Platze ließ. Ein Komplott gegen den Mika-o. Rußlands Hand im Spiele. 10. April .928 Die Entdeckung einer Verschwörung gegen den Mikado hat nach Nachrichten aus Tokio im ganzen Lande große Erregung hervorgerufen. Nach teilweiser Aufhebung der von der Polizei ausgeübten Zensur wird bekannt, daß die Polizei kürzlich 1013 kommunistische Agitatoren verhaftet hat, die sämtlich beschuldigt werden, an dem Komplott gegen den Kaiser, von Japan beteiligt zu sein. Auch Moskau soll dieHand hierbei imSpiele haben, da, wie nunmehr feststeht, die Radikalen bei den letzten Parla mentswahlen Wahlgelder von Rußland erhalten haben. Diese Einmischung in japanische Angelegenheiten hat einen Entrüstungssturm gegen die Kommunisten aus gelöst. Die Behörden messen der Angelegenheit, wie schon die Zahl der Verhaftungen zeigt, große Bedeutung bei. Die Polizeiaktion gegen die Kommunisten hat mehrere Wochen in Anspruch genommen. Die diplomatischen Besprechungen in Rom. l0. April 1928 Die Pariser Presse schenkt dem augenblicklich in Rom stattfindenden diplomatischen Besprechungen zwischen Mussolini und den ausländischen Außen ministern größte Beachtung. Bei allen Bestrebungen, Kommentare zu vermeiden, die die italienische Em pfindlichkeit verletzen könnten, läßt sich doch eine ge- w i ss e U n r u h e in Paris nicht verkennen. So besagt eine römische Meldung der Abendpresse, daß die ita lienisch- polnische Annäherung ein Druck mittel gegenüber Jugoslawien darstelle, zumal der polnisch-jugoslawische Vertrag praktisch bedeutungslos sei. Belgrad werde zwischen der Kündigung des Ver trages und der Wiederherstellung einer freundlichen Politik mit seinen Nachbarn wühlen müssen. Man ist ferner der Ansicht, daß eine italienisch-polnische Ver ständigung auch auf die Kleine Entente einen Druck ausüben werde, die mehr oder weniger mit der Rolle Italiens in Mittel- und Osteuropa rechnen müsse. Paris Soir wirft sogar die Frage auf, ob die Polen nicht ein doppeltes Spiel treiben. Die diplomatische Tätigkeit des Duce verursache allent halben Beunruhigung und müsse von Frankreich als direkt gegen seine Verbündeten, die Kleine Entente ge richtet, angesehen werden. Der sozialistische Soir deutet die Verhandlungen Mussolinis dahin, daß er entweder einen Bund des internationalen Faschismus bilden, oder aber die Staaten, die Jugoslawien umgeben, neutra lisieren wolle. Die rechts stehende Liberte sieht in den diplomatischen Osterbesprechungen in Rom einen Be weis dafür, daß das Regierungssystem Italiens nicht seinen internationalen Beziehungen schade: aus der anderen Seite erklärt aber das Blatt, man könne in diesen Besprechungen schwerlich ein System oder einen politischen Plan entdecken. Französische Beunruhigung. Paris, 10. August 1928. Die Beunruhi gung über die Besuche der ausländischen Minister in Rom spiegelt sich deutlich in der Pariser Linkspresse wieder. Auch die heutigen Morgenblätter nehmen ous- Befürchtung Ausdruck, daß Mussolini ein Kom plott gegen den europäischen Frieden schmiede. Obwohl Mussolini sich doch als Pazifist ausgegeben habe, so schreibt der Quotidien, habe er Entscheidungen getroffen, die nicht dem Frieden dienten. Auch seine Reden über den Brenner seien kriegerischer Natur gewesen. Das Blatt wirst die Frage auf, ob Mussolini die Mithilfe oder Neutralität gewisser Staaten suche, um das Belgrader Kabinett einzukreisen oder ob er unter seiner Vormund schaft einen Bund der Weltrevolution schließen will. Ein neues Balkanbündnis? Budapest, 10. April 1928. Das Blatt „A. Neggel" erführt aus Mailand, daß Minister präsident Beth len trotz aller amtlich. Dementis mit Mussolini wichtige politische Beratungen ge pflogen hat. Mussolini sei am 31. März in Begleitung zweier Sekretäre und des Staatssekretärs des Aeußeren Grandi in Mailand eingetroffen und habe schon am nächsten Tage den ungarischen Ministerpräsidenten em pfangen. Än den folgenden Tagen fanden zwischen Mussolini, dem griechischen und dem türkischen Außenminister Besprechungen statt. „A. Reggel" will wissen, daß in Mailand als Gegengewicht gegen die Kleine Entente und gegen den Einfluß Frankreichs im Donaubecken unter italienischer Führung der Grund stein zu einem Bündnis zwischen der Türkei, Griechen land, Bulgarien und Ungarn gelegt worden ist. Krestinskis Bruch mit der Opposition. Berlin, 10. April. Wie die Morgenblütter aus Moskau melden, ist in der Sowjetpresse ein Teil eines Briefes des Berliner Sowjetbotschafters Krestinski an Trotzki erschienen, in dem Krestinski mit der „Ideologie der Opposition" spricht, ungeachtet der persönlichen Be ziehungen zu den Oppositionsführern, mit denen er „organisatorisch" niemals verbunden gewesen sein will. Sturzwellenverwüstungen auf der Leviathan. London, 10. April. Der größte Ozeandampfer der Welt „Leviathan", die frühere „Vaterland" traf ein. Am Donnerstag zerstörte eine riesige Welle die Scheinwerfer des Vorderdecks etwa 30- Meter über der Wasserlinie und brach mit ungeheurer Gewalt nach dem Vorderdeck des Schiffes durch Rettungsboote wurden zerstört und Ventilatore verbogen. Das Wasser drang in die Wohnräume der Besatzung und der Passa giere der 3. Klasse ein. Bombenattentat aus Rache. KaItowitz, 10. April 1928. Wie erst jetzt bekannt wird, wurde in der Nacht zum zweiten Osterfeiertag in Schwientochlowitz eine Bombe nach dem Schlafzimmer des Vergverwalters Christ ge schleudert, die jedoch glücklicherweise das Fensterbrett traf, in den Garten fiel und dort mit fürchterlichem Ge töse explodierte. Sämtliche Fensterscheiben der Villa wurden zertrümmert. Der Polizeibericht bezeichnet dieses Attentat als einen Racheakt von Ar beitern. Christ war Mitglied der katholisch-deut schen Organisation. Zehn Personen ertrunken. Como, 10. April 1928. Aus dem Comer See kenterte ein mit 20 Ausflüglern besetztes Motor boot infolge Steuerschadens. 10 Personen er löste sich das Steuer. Zwei erschreckte Frauen stürzten in den See. Bei dem Versuch einiger Passagiere sie zu retten und durch die Panik der anderen Insassen schlug das Boot um und sank. Ein anderes Boot eilte sofort von Como herbei und nahm die Schiffbrüchigen aus Die beiden Frauen und acht junge Leute werden ver mißt. 10. Aprl 1928 Brockwitz. Hier waren einige kleine Kinder unbe merkt auf die Deichsel eines Anhängers geklettert, her sich an einem Zugmotorwagen befand. Beim Abspringen blieb die sechsjährige Tochter des Arbeiters Andraczek mit den Haaren am linken Vorderrad des zweiten Wagens hängen, wurde überfahren und so schwer verletzt, daß der Tod des Kindes auf der Stelle eintrat. Böhlen. In der Kohlenmahlanlage des Großkraft werkes Böhlen sand heute früh bei Aufnahme des Be triebes eine Explosion statt, wodurch leichter Eebäude- schaden angerichtet wurde. Ein Mann wurde verletzt. Der Betrieb erleidet keine Unterbrechung. Leipzig. Gestern abend gegen 6 Uhr ist in der Nähe von Zwenkau ein Motorrad mit Beiwagen verunglückt. Führer war ein Polizeioberkommissar aus Leipzig, der getötet wurde. Aus dem Soziussitz befand sich seine Tochter, die schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden ist, und im Beiwagen saß die Frau des Kom missars, die, leichter verletzt, sich ebenfalls im Kranken haus befindet. — Gestern abend um l/?9 Uhr ist in der Nähe des Germania-Bades eine Windhose beobachtet worden, die einen Südfrüchtestand ein paar hundert Meter fortgeführt hat. Sonstiger Schaden ist nicht angerichtet worden. Chemnitz. Am Donnerstag stürzte der sechs Jahre alte Knabe der Familie Förster aus dem im dritten Stock werk eines Hauses in der Rudolfstraße gelegenen Woh nung ab und war sofort tot. Die Mutter hatte die Wohnung nur für einen Augenblick verlassen. — Der kommunistische Jugendverband Deutschlands veranstaltete an den Ostertagen in Chemnitz ein Reichstrefsen. Am Ostersonnabend gegen 8 Uhr abends haben Teilnehmer eines Demonstrationszuges einem auf der Straßen kreuzung Aeußere Johannis- und Zschopauer Straße stehenden Polizeiverkehrsposten nach vorheriger Anpöbe lung mit einem Fahnenschaft die Mütze vom Kopfe ge worsen und mit der Faust in das Gesicht geschlagen. Dem hart bedrängten Beamten blieb weiter nichts übrig, als sich mit dem Seitengewehr die Angreifer vom Halse zu halten. Ein in der Nähe stehender Polizeibeamter, der in demselben Augenblick gegen die Zugteilnehmer einschreiten wollte, die auf dem Fußsteig auf die Zu schauer einschlugen, wurde von hinten erfaßt, zu Boden geworfen und mit Fäusten geschlagen. Er konnte sich aber wieder aufraffen und mit dem Gummiknüppel vor weiteren Angriffen schützen. Ein bald darauf eintresfen des Polizeikommando befreite die Beamten aus ihrer be drängten Lage. Hierbei mußten die Beamten in aus giebiger Weise vom Gummiknüppel Gebrauch machen. In' Zusammenhang mit diesem Vorfall sind eine Anzahl Verhaftungen erfolgt. Während der Tagung sind meh reren Teilnehmern Dolche bzw. feststehende Messer, die sie am Koppel oder sonst sichtbar trugen, abgenommen worden. Am Ostermontagabend kam es gelegentlich der Abfahrt auswärtiger Teilnehmer zu kleineren Zusammen stößen mit der Polizei, wobei abermals Festnahmen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt erfolgen mußten. Limbach. Als ein Steinbrucharbeiter am Donners tag mittag in dem Eräfeschen Steinbruck) in KreuzeW sich mit dem Bohren von Sprenglöchern beschäftigte, löst" sich eine Steinschicht über dem Arbeitsplatz und verschüt tete ihn. Sein Mitarbeiter entging der Gefahr durch schnelles Zurseitespringen. Der Verschüttete, der auß^ mehreren Brüchen wahrscheinlich auch schwere innere Ver letzungen davontrug, konnte nur als Leiche geborgt werden. Thum i. Erzgeb. Gestern mittag tötete der 29 Jahrs alte Färbereiarbeiter Rud. Lindl aus Ehrenfriedersdorl die hier von ihrem Manne getrennt lebende 42jährig^ Frau Weisbach, verwitwet gewesene Roßbach, geboren" Förster, in ihrer Wohnung durch Kopf- und Brustschüsst Der Täter richtete daraus die Waffe gegen sich selbst und zog sich einige nicht lebensgefährliche Verletzungen an Kopf und Brust zu. Er wurde in die Kranken anstalt überführt. Nach tuen bisherigen Ermittlungen sth Lindl die Tat aus Rache für eine von Frau Weisbach gegen ihn erstattete Strafanzeige wegen Notzucht N gangen haben. Aus Sern ParleileÄsn. lu. Ap'il >928 Ein „Lenin-Bund" von den linken Kommniiße" gegründet. Wie Berliner Blätter berichten, gründe-^ die aus der Kommunistischen Partei Deutschlands an- geschlossenen linken Kommunisten auf einem während N Ostertage abgehaltenen Kongreß den Lenin-Bund Kommunisten") und beschlossen, bei den Reichstags- Landtags- und Kommunalwahlen eigene Kandidaten N zustellen. 7. Parteitag der Kommunistischen Ardkiterpal' Deutschlands. In den Ostertagen von, 6. -8. AP"'' sand in Berlin der 7. Parteitag der Kommunistisch-' Arbeiterpartei Deutschlands statt, der von Delegiert aus allen Teilen des Reiches beschickt war. In einen' Hauptreferat über die gegenwärtige weltwirtschaftlich' und politische Lage und die Krise der alten Arbeite' bewegung, wurde die grundsätzliche Auffassung von tf Krise des Kapitals und der daraus entspringenden am' parlamentarischen und antigewerkschaftlichen Haltung b' Partei und der mit ihr verbundenen allgemeinen beiterunion erneut begründet und damit ihre ablehneE Stellung zu den Kampfmethoden der gewerkschaftlich^ (sozialdemokratischen) Arbeiterbewegung bestätigt. diesem Sinne waren auch die entsprechenden Resolution gehalten, die gegen die Stimmen einer schweren Mind^ heit zur Annahme gelangten. Es waren Sympathie-^ klärungen aus Holland, aus der Tschechoslowakei und N