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Der alte Brandherd Balkan. 28. März 1928 Die heutige politische Lage ist durch aktive Vorbe reitung zu einem kommenden Krieg charakterisiert. Das ist eine elementare Wahrheit, nur in Genf will man nichts davon wissen. Jeder Tag aber liefert neue Be weise dafür, daß es leider nicht anders ist. Es ist, als ob die Welt seit dem Jahre 1914 nichts gelernt hat. Die politischen Konstellationen sind anders geworden — sonst nichts. Auch der Kriegsherd ist der alte geblieben, der Balkan. Zwei Großmächte wetteifern, diese ge fährlichste Ecke auf dem Kontinent in einen in Waffen starrenden Explosionskessel umzuwandeln: Italien und Frankreich. Das Land Mussolinis beliefert sämtliche Balkanländer mit Ausnahme Südslawiens mit Waffen, und Frankreich füllt seinerseits diese Lücke. Ein Waffen transport folgt dem anderen. Italiens Politik ist zweifelsohne auf einen neuen Krieg gerichtet. Die Heimat des Faschismus leidet an Landhunger und an Erößenwahnsinn. Die zäsaristische Idee, von Mussolini gezüchtet, gewinnt in Rom immer mehr an Boden. Ueberall tritt Italien aggressiv her vor. Bei der Tangerkonferenz in Paris hat Mussolini Weitgehende Forderungen gestellt, die auf die Sicherung des italienischen Einflusses in Nordafrika hinauslaufen. An der ägyptischen Grenze erobern die italienischen Ko lonialtruppen, mangels anderer Objekte, große Wüsten streifen. Weiter in Asien, und zwar in Vorderasien, kämpft Italien um Mandatargebiete. Aber die haupt sächlichsten Bemühungen Italiens gelten seinem öst lichen Nachbar, dem verhaßten Iugosla - w i e n. Es genügt Italien nicht, daß es vom großen, aber bevölkerungsarmen albanischen Reiche Besitz er griffen hat. Italien sieht auf manche Gebiete, die jetzt in den Händen der Südslawen sich befinden, aber vor allen Dingen auf die dalmatinische Küste. Und da dieses Ziel auf friedlichem Wege kaum zu erreichen ist, sucht Italien einen Krieg mit Südslawien. Gibt es eine Macht in der Welt, die imstande wäre, den kriegerischen Geist des Faschismus zu be schwichtigen und im Zaume zu halten? Solche Macht gibt es nicht. Der Völkerbund? Nach dem Fiasko der Abrüstungskommission und nach den widerlichen und peinlichen Auseinandersetzungen in Genf, die die ganze geistige Armut und die ganze Heuchelei dieses Friedens- Hüters bloßgelegt haben, gibt es keinen ehrlichen Men schen, der daran glaubt, daß der Völkerbund heute im stande sei, eine ernste Kriegsgefahr zu beseitigen. Es liegt nur an Italien, einen Krieg zu entfachen.' Allein die Rücksicht auf das südslawienfreundliche Frankreich hält Mussolini von einem kriegerischen Auftritt zurück. Daher die krampfhaften Versuche Mussolinis, Frankreich zu isolieren. In dem Augenblick, wo diese Politik von Erfolg gekrönt sein wird, kann die Welt etwas Schönes erleben. Vorderhand aber wird der Konfliktstoff im europäischen Südosten eifrig vermehrt. Krankhafter Pessimismus? Politische Scharfmacherei? Man ver lasse sich nur auf Mussolini: er wirb es schon schaffen .. Mussolini -er Napoleon -es 20. Iahrhun-erls. 28. März 1928 Die „Daily Mail" veröffentlicht eine Besprechung ihres Besitzers Lord Rothermere mit Musso lini. Lord Rothermere bezeichnet als größtes Ver dienst Mussolinis seinen Kampf gegen den Bolschewis mus, durch den er diesen von Westeuropa ferngehalten habe. (?) Mussolini werde vielleicht einmal in der Geschichte des 20. Jahrhunderts einen Namen haben wie Napoleon in der des 19. Jahrhunderts. Im Verlaufe der Besprechung hätte Mussolini erklärt, daß er den Frieden wünsche. Italien hätte noch einen schweren Kampf für seine Wirtschaftsentwicklung vor sich. Verwicklungen mit dem Auslande seien für Italien untragbar. Er Hütte Beweise für seine pazi fistischen Absichten gegeben, indem er mit Jugosla wien, dem früheren Rivalen Italiens, einen Freund schaftsvertrag abgeschlossen Hütte. Selbst wenn Jugo slawien den Vertrag nicht ratifiziere, würden, da beide Länder Mitglieder des Völkerbundes seien, aus reichende Mittel für die Behinderung eines Konfliktes bestehen, wenn ein solcher vorhanden sein sollte. Mussolini wies mit Genugtuung auf den Freund schaftsvertrag Italiens mit Ungarn hin und erklärte, die Durchführung der Friedensverträge müsse gesichert werden, aber dieses Prinzip schließe eine Modifizierung der Einzelheiten nicht aus, wenn eine sorgfältige Prüfung sie erwünscht er scheinen ließen. Noch nie hätte sich ein Vertrag als unabänderlich erwiesen. Mussolini unterschied jedoch zwischen den ungarischen Grenzen, wie sie durch den Trianon-Vertrag festgelegt wurden, und den Grenzen, die Oesterreich von Italien trennen. Die Brennergrenze. Der Brennerpaß, so fuhr Mussolini fort, der die Grenze des neuen Italiens bildet, wäre die natürliche geographische Grenze und als solche eine Garantie für den internationalen Frieden. Der italienische Patriot Mazzini, ein entschiedener Vertreter des Prinzips der Rasseneinheit, Hütte stets erklürt, daß der Brenner die natürliche Grenze für die italienische Ausdehnung dar stelle. Die Tatsache, daß etwa 2000 Anaebörige der österreichischen Rasse auf der italienischen Seite der Grenze lebten, könnte nicht die Sicherheit und die Ein heit einer Nation von 40 Millionen beeinträchtigen. Die wegen der Jtalienisierung zahlreicher Bewohner vorgebrachten Beschuldigungen wären unbegründet, die österreichischen Bewohner Südtirols wären italienische Untertanen mit denselben Rechten wie die gesamte ita lienische Bevölkerung. Mussolini wies zum Schluß auf das außergewöhnlich starke Anwachsen der italienischen Bevölkerung hin und erklärte, Italien wäre gezwungen, in seinen nordafrikanischen Kolonien Trivolis und der Cyrenaika ein großzügiges Kolonisierungswerk durchzu- führen. Der Start -er Ozeanslieger verschoben. 28. März 1928 Ueber den Start der deutschen Ozeanflieger besteht heute noch keine Gewißheit. Die Wetterberichte lauten nicht sehr günstig, so daß wahrscheinlich der Start nicht vor den nächsten 48 Stunden erfolgen tann. Es wird aber erklärt, daß jede günstige Wendung in den Wetterverhältnissen für einen so? fortigen Start ausgenutzt werden wird. Kapitän Köhl erklärte, daß er und seine Begleiter in etwa drei Tagen aufzusteigen hoffen. Der Start soll möglichst gegen 5 Uhr früh erfolgen, um, wenn möglich, Neuyork bei Tageslicht zu erreichen. Der Brennstoffvorrat der „Bremen" ist für etwa 40 Stunden Flugdauer berechnet. Als Flugroute soll die etwas nach Süden abgebogene Trans-Atlantik- Schifsahrtsroute benutzt werden. Die „Bremen" ist gestern auf dem Flugplatz in Baldonel unter persön licher Ueberwachung von Hauptmann Köhl eingehend überprüft worden. Die Brennstoffbehälter sind mit einem völlig neuen Brennstoff gefüllt worden, der eigens für den Transatlantikflug nach Dublin gebracht wird. Vor dem Start wird die ganze Maschine m i t einer P a r a f f i n s ch i ch t überzogen werden, um Eisbildung zu verhindern, die Haupt mann Köhl als eine der schlimmsten Gefahren be trachtet. Nach seiner Ansicht sind die früheren Unter nehmungen gescheitert, weil die Piloten entweder keine Erfahrungen in Nachtflügen hatten oder daß sich an deren Maschinen so große Mengen von Eis bildeten, daß diese nicht mehr manövrierfähig waren. Hauptmann Köhl hofft zuversichtlich, daß einigermaßen günstige Wetterbedingungen vorausgesetzt, die „Bremen" den Flug ohne Schwierigkeiten zurücklegen wird. Hauptmann Köhl ist ein Kerl aus Eisen. Er geht, was die sachlichen Vorbereitungen anlangt, mit aller Voraussicht an die Aufgabe. Er hat zum Bei spiel in der vollkommen lichtdicht aügedunkelten Ma schine Dunkelflug trainiert und ist so stun denlang nach Instrumenten verlogen. Nebel wird ihn also wenig stören. Die „Daily Chronicle" berichtet, dieser Flieger machte kein Hehl aus dem desperaten Charak - t e r seines Unternehmens, für welches er und seine bei den Begleiter keine Vorsichtsmaßnahmen für den Fall einer Notlandung getroffen Hütten. Die „Bremen" habe keinen Apparat für Fun kentelegraphie, keine eisernen Rationen, keine Ret tungsgürtel, wohl aber einen scharf geladenen RevolveranBord. Köhl hatte, nach dem Korre spondenten, erklürt, es mache ihm wenig Sorge, daß der Flug seine Entlassung aus der Lufthansa nach sich ziehe, denn wenn er Amerika erreiche, werde er auch ohne die Lufthansa auskommen. Der Mensch habe nur ein Leben zu verlieren und er habe immer gewünscht, daß der Tag komme, in seiner Maschine zu sterben. Ukrainer-Tumult im Warschauer Parlament. 28 März >928 Bei der Eröffnung des neuen Sejms kam es bei vollbesetztem Hause zu einem schweren Tumult, als ukrai nische Nadikalsozialisten und Kommunisten -der Regie rung Wahlfälschungen vorwarfen. Auf einen Wink Pil- sudskis wurden sieben ukrainische und kommunistische Ab geordnete von Polizisten mit dem Gewehrkolben aus dem Saal entfernt und verhaftet. Die sich wehrenden Ab geordneten erhielten erhebliche Verletzungen. Dem Ukrainer Baczinski, der bereits in Wien die galizischen Ukrainer vertreten hatte, wurden von dem Polizisten die Kleider buchstäblich vom Leibe gerissen. Später wur den die Verhafteten wieder frei gelassen. Den Tumult hatten inzwischen die Angehörigen der ukrainischen Undo- Partei benutzt, noch vor der Vereidigung, der sie fern bleiben wollten, mit den Gesang der ukrainischen Volks hymne ins Parlament zu ziehen. Der Tumult steigerte sich. Als es endlich zur Vereidigung kam, gaben alle ukrai nischen Parteiführer die Erklärung ab, daß sie nur unter dem Zwange der Verhältnisse den Eid leisten würden. Pilsudski forderte in einer Erklärung den Sejm zur Zu sammenarbeit mit der Regierung auf. Der Abgeordnete Vojkow wurde zum Alterspräsidenten gewählt. Sodann wurde zur Wahl des Sejmmarschalls geschritten. Nach dem Pilsudski auch im Senat eine ähnliche Erklärung abgegeben hatte, wurde der Regierungsparteiler Scyman- ski zum Senatsmarschall gewählt. Die Nahmngsmitielkrise in Sowjetrußland. — Der Ruf nach einem Ernährungskommissar. Kowno, 28. März. Wie aus Moskau gemeldet wird, werden im Zusammenhang mit der Lebensmittel knappheit von den Belegschaften verschiedener Fabriken Forderungen an die Regierung gerichtet, über die Be seitigung der gegenwärtigen Krise. Der „Manchester Guardian" gegen die letzte Poincare-Rede- London, 28. März. Der „Manchester Guardian" wendet sich gegen die Behauptung Poincares in Bor deaux, die Ruhrbesetzung sei durchaus lohnend gewesen und habe erst Deutschland zum Dawesabkommen ge zwungen. Das Blatt weist darauf hin, daß Frankreich nach Abzug der Besatzungskosten von 1923 bis 1925 etwa 800 000 Mark aus der Ruhrbesetzung herausge zogen habe. Frankreich hätte den Gegenwert dieser Summe an Kohlen aus Grund der deutschen Angebote von 1922 ohne das Ruhrabenteuer erhalten können. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 27. März Die Reichshaushaltsrechnung für 1926 wird ge nehmigt. In einer Entschließung wird festgestellt, daß Vorgriffe und Reste über planmäßige und außerplan mäßige Ausgaben in den verschiedenen Etats noch in solchem Ausmaße erfolgt bezw. vorhanden seien, daß sie mit dem Gesichtspunkt äußerster Sparsamkeit und strengst geführter Finanzgebarung nicht vereinbar er scheinen. Deshalb sei es notwendig, daß der Rechnungs hof nicht nur seine Rechnungsprüfung nach Möglichkeit beschleunigt, sondern daß er auch ständig mehr als Wahrer des Haushaltsrechtes wird. Das Haus wendet sich dann der zweiten Beratung desHaushaltsderMarinein Verbindung mit dem Bericht über die Lohmann-Unternehmungen zu. Es wird beschlossen, zunächst die Angelegenheiten der Marine zu besprechen und den Lohmann-Bericht dann in einer besonderen Aussprache zu erörtern. Abg. Kuhnt sSoz.) wendet sich gegen die Marine politik der Regierung. Abg. Treviranus (Dntl.) stimmt für seine Fraktion dem Panzerschiff und dem Marineetat zu. Abg. Wegmann (Ztr.) erklürt, man müsse ernstlich bezweifeln, ob es richtig war, die Flotten politik der Vorkriegszeit jetzt hier rechtfertigen zu wollen. Abg. Brüninghaus (DVP.) erklürt, -der Weltkrieg sei zur See gegen Deutschland entschieden worden, weil die deutsche Flotte zur Abwehr gegen England und Amerika zu schwach war. Abg. Eisenberger (BVP.) bemängelt die hohe Zahl der höheren Beamten in der Marineleitung. Damit schließt die Aussprache über die Marine frage. Die Abstimmungen werden zurückgestellt. In der Aussprache verweist Abg. Heinig (Soz.) zunächst auf die zahlreichen Dementis, die von der Regierung seinerzeit verbreitet wurden. Abg. Tre viranus (Dntl.) weist darauf hin, daß diese Reichs regierung nur Untersuchungsrichter und Staatsanwalt sei, während die Angeklagten draußen sitzen. Abg. Schneller (Komm.) nennt die von der Regierung abgegebenen Erklärungen ein Täuschungsmanöver. Abg. Brüninghaus (DVP.) schließt sich der Ver urteilung der Vorgänge an, erklärt aber, daß Lohmann ein tüchtiger und zuverlässiger Offizier gewesen sei. Abg. v. Richthofen (Dem.) bringt dem Minister das Vertrauen seiner Partei zum Ausdruck, daß er sich bemühen werde, die Klagen über die mangelnde Er ziehung det Reichswehr im republikanischen Geiste ab zustellen. Abg. Neddermeyer (Komm.) lehnt gleichfalls das Panzerschiff ab und beantragt dar über hinaus erhebliche Abstriche beim Marineetal. Abg. Loi bl (BVP.) wendet sich gegen die von der Linken beantragten Abstriche, weil sie eine Gefährdung der Flotte bedeuten würden. Abg. Graf Revent- low (Nat.-Soz.) erklürt, die Phoebusangelegenheit entspreche dem ganzen System des Weimarer Geistes. Abg. von Richthofen (Dem.) erklärt, die ganze Ari der Militärpolitik, die mit diesen Mitteln betrieben worden ist, war national sicher nicht schlecht gemeint, hat aber Deutschland doch nur geschadet. Abg. W e g - m a n n (Ztr.) gibt namens seiner Fraktion eine Er klärung ab, die den Beschlüssen des Haushaltsausschusses zustimmt. Abg. Müller- Franken (Soz.) weist kommunistische Vorwürfe zurück, daß seine Partei zur Vertuschung und Verschleierung beigetragen habe. Bei der Beratung des Berichts des Untersuchungs ausschusses über die L o h m a n n u n t e r n e h m u n - gen gibt R e i ch s w e h r m i n i st e r Groener die Erklärung ab, daß auf Seiten der Regierung keine Be denken gegen die Anträge des Haushaltsausschusses be stehen. Hinsichtlich der weiteren Liquidierung der Loh- mann-Unternehmungen habe er den Wünschen des Reichstags bereits insofern Rechnung getragen, als die Abwicklung aus der Marine herausgenommen und ihm unmittelbar unterstellt worden sei. Im Reichsfinanz ministerium und dem Rechnungshof werde in kürzeren Zeiträumen von dem Fortgang der Abwicklung Mit teilung gemacht werden. Die in Aussicht gestellte Kon trollkommission werde in Kürze ihre Tätigkeit auf nehmen. Abg. Dr. Pfleger (BVP.) begrüßt es, daß die Feststellungen des Unterausschusses einmütig mit Aus nahme der Kommunisten zustande gekommen seien. In der Abstimmung werden die Anträge, die die Anforderungen für den Bau des Panzerschiffes streichen -vollen, gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. De mokraten, Kommunisten und eines Teiles der Wirt schaftlichen Vereinigung abgelehnl. Der Marineetal wurde in der Ausschußfassung an genommen. Zugestimmt wurde auch der Bewilligung von sieben Millionen Mart zur Abwicklung der Phoebusverpsiny langen in: Nachtragsetat für 1927. Unter Ablehnung der kommunistischen Anträge wird die Entschließung des Haushaltsausschusses über die Lohmann Unlerneb nnngen angenommen. Der Ergünzungsetat für 1928, der das landwir» schriftliche Notprogramm umfaßt, findet gleichfalls in der Ausschußfassung die Zustimmung des Halises. Ent sprechend einein Zentrumsantrage sollen die für die Hebung des Viehmarktes bereitgesteliten Mittel auch zur Organisation und Förderung des direkten Absätze- von Schlachtvieh undFleisch zwischen Genossenschaften der Erzeuger einerseits und den Genossenschaften der Ver braucher und Fleischer andererseits verwendet werden- Angenommen wird auch die Ausschußentschließung, wo nach der Betrag von 2ö Millionen für die Kleinrentner' fürsorge sofort und in einmaliger Zahlung den Klein rentnern gewährt werden soll. Das Haus vertagt sich auf Mittwoch 10 Uhr: Haus halt der allgemeinen Finanzverwaltung.