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Pfingstgeschtchte aus Deutschlands großer Vergangenheit /Hlhristian! Christian! Wo er nur Hs- wieder steckt? Hört er denn nicht, daß die Post gekommen ist?" Frau Babett Veitenschlager — oder die Frau Postmeisterin, wie der Volksmund sie kurzerhand nannte— riß die Hoftür auf, klopfte an die Kammertür, um auch sogleich wieder ans Fenster zu stürzen und durch die Mullgardinen auf die Straße zu spähen. Ein feiner Herr in grauem Have lock und hohem Zylinder entstieg der Postkutsche. Er hob die Stielbrille an die Augen und musterte die Häuserfront. Dann sprach er einige Worte zu dem diensteilig herunter gesprungenen Postillon und kam mit elastischen Schritten aus das „Gasthaus zur Post" zu. Die Frau Postmeisterin hatte ge rade noch Zeit, sich die in der Eile verschobene Haube zurechtzurücken, da trat sie auch schon tief knicksend dem neuen Ankömmling entgegen. „Ein Logement für den Herrn Baron? Das große Eckzimmer mit der Aussicht auf den Markt ist ge rade frei geworden. Wenn der Herr Baron mir folgen wollten . . Und eilfertig — hier ein Stäub- chen wischend, dort einen Stuhl zu rechtschiebend — eilte sie die Treppe hinauf und öffnete die messing- beschlagene Zimmertür. Mit einem kleinen Seufzer der Erleichterung trat der Fremde über die Schwelle. Voll und warm lag die Sonne im Zimmer, den Sand auf den weißgescheuerten Dielen in kleine Goldkörner verwan delnd. Ein Duft von Flieder und Rosen wehte durch den Raum, und hinter den sich leicht im Windhauch blähen den Gardinen blickte man in einen sommerlich prangenden Blumengarten. „Die Leut' sind grad be schäftigt, die Maibäum' anzu machen. Deshalb war der Hausknecht nicht zum Wagen parat", sagte die Frau Post meisterin, sich wieder knicksend vor dem seltenen Gast ver neigend. „Soll ich das Ge päck des Herrn Baron in das Zimmer schaffen lassen?" Der Fremde zog die langen Wild lederhandschuhe ab und warf sie lässig auf die Tischplatte. Es lag etwas Abwehrendes in dieser Be wegung und auch eine müde Hoff nungslosigkeit, die anzog und av- stieß zugleich. Auf den fein- geschnittenen Zügen, die einen süd lichen Typus zeigten, lag eine fast erstarrte Ruhe. Nur in den Augen blitzte es zuweilen auf, als glühten ungebändigte Flammen hinter einer absichtlich zur Schau getragenen Ge sellschaftsmiene. „Ich habe kein Gepäck", klang es endlich in etwas fremdem Akzent aus dem Munde des Ankömmlings. „Bin nur auf der Durchreise. Ich wollte... Eine Inspektionsreise..." Und plötzlich mit energischem Ent schluß die Situation des Zweifels zerreißend, drehte er sich mit liebens würdigem Lächeln ihr zu: „Ich habe Hunger, Frau Post meisterin. Kann ich etwas zu essen bekommen?" Diese un erwartete Wendung trieb Frau Babett das Blut in die Wangen. Daß ihre Gedanken sich auch gleich in Träumen verirrten, die ihrer Würde als Besitzerin des ersten Gast hauses der Stadt gar nicht zu standen! Aber Frau Babett war noch jung, kaum dreißig Jahre alt, und es konnte nicht wundernehmen, daß sie nach fünfjähriger Witwsn- schaft, die sie in stiller Zurückgezogenheit verbracht, wieder Ansprüche an das Leben stellte, wenn die Rosen dufteten und ein schöner Maimorgen in die Fenster lachte. Verwirrt strich' sie sich ein paar vorwitzige Löckchen aus der Stirn und ahnte es nicht, daß sie mit dieser mädchenhaften Schüchternheit einen Strom der Wärme in das Herz des einsamen Fremden sandte. „Sofort, Herr Baron, sofort", stammelte sie. „Es gibt Kapaunen mit Trüffelfüllung, gebackene Aal schnitte, Erdbeergelee. . ." „Halt, Frau Postmeisterin I Laß sie den Festbraten ruhig zu morgen bleiben, und gebe sie mir am Pfingstsonnabend nur einen Teller Suppe. Er genügt für einen armen Reisenden." Damit klopfte er ihr freundschaftlich auf die glühenden Wangen und winkte gönnerhaft der sich eilig Entfernenden nach. Aber im Klappern von Teller und Tiegel, im Brutzeln des Bra tens, im Kommandieren der eil fertigen Mädchenschar eilten ihre Gedanken immer wieder zu der hohen Männergestalt, die jetzt oben am Fenster saß und spähend in die Ferne sah. Wer er wohl sein mag? Ein reisender Kaufmann? Aber nein, der führte doch sicher Gepäck mit sich, und an Feiertagen sind auch keine Geschäfte zu erledigen. Ein Graf, der eine Sommerreise macht? Doch der hätte sicher Diener schaft bei sich gehabt oder wäre gar mit Extrapost gekommen. Und wer dächte in dieser traurigen Zeit auch W Vergnügen und Sommerreijen. MV Fs« Schwer lastete das Unglück auf Deutschlands Gauen. Fremde Ma rodeure durchzogen das Land. Bis an die Elbe war die Franzosenherr schaft vorgedrungen, und welsche und deutsche Laute schwirrten durch einander, als habe der Teufel sich eine Bettelsuppe daraus gebraut. Kaum daß man über seine eigenen Gefühle noch Klarheit hatte. Doch plötzlich brach es wie eine Lichtflut in Frau Babettes Erkennen. Was hatte sie doch vor kur zem gelesen? Der König hatte einen Aufruf erlaßen. Seine Beamten durchzogen das Land, und deutsche Einigkeit wollte wieder die Schmach der Sklavenfesseln abwerfen. Und eine In spektionsreise hatte der Fremde gesagt. Sollte es ein Abgesandter des Königs sein? Vielleicht gar der Baron von Stein, der hier inkognito in ihrer bescheide nen Häuslichkeit einkehrte? Bald mußte sie es wissen. Und ein schelmisches Lächeln umspielte ihren Mund, als sie die lecker zubereitetenSpeisen demhohen Gast in die Gartenlaube sandte. Frau Babett konnte ihre Unge duld gar nicht mehr meistern. Nur die Schürze leicht zur Seite ge schlagen, lief sie hinüber zum Bier brauer Wunderling und rief dem in der Schankstube Schaffenden schon durch das Fenster zu: „Anton, hast g'seh'n? Hab' hohen Besuch bekommen. Ein Logement gast für die Festtage." Sie hatte es ganz vergessen, daß sie dem dicken Anton erst gestern einen schnippischen Korb gegeben hatte und bei dem in seiner Liebes sehnsucht zu der schönen Witwe tief Gekränkten wohl nicht so leicht Ver ständnis finden würde. „So, so, 'nen Pfingstgast. Na, wird ein rechtes Bürschchen sein, dieweil recht viele dieser Art im Lande herumlaufen", erwiderte mürrisch der Bierbrauer. „Nein, ein richt'ger, feiner Herr. Kannst mir's glauben. Ein Abge sandter des Königs von Preußen." „Waag . . .?" „Jawohl! Und der Schützen josepH könnt' sich morgen zur Pa- rad' bereitmachen. Und wenn dem Kantor sagen wollt'st, er soll beim Psingstsingen auch die Vaterlands lieder nicht außer acht lassen." Da mit war sie schon wieder über die Straße gehuscht, den Bierbrauer in Zweifel zurücklassend. Es war schon spät am Abend, als der Fremde müde und erschöpft in den Gasthof zurückkehrte. Er hatte anscheinend einen weiten Weg hinter sich, denn die hohen Stiefe letten waren dick mit Staub bedeckt, und an dem neuen Havelock hatten sich ein paar Dornen und Blatt ranken verankert. „Darf ich dem Herrn Varon eine Kanne Wein in den Garten schicken? Es ist so schwül im Zimmer, und die Milde des Abends wird Euer Hochwohlgeboren gut tun", sagte Frau Babett, die den fremden Gast schon an der Haustür erwartet hatte. Fast schien es, als habe der Mann die Frau gar nicht bemerkt, die mit solchen forschenden Augen neben ihm stand. Dick geschwollen lagen die Adern an den Schläfen, und der Mund des geheimnisvollen Gastes war zusammengepreßt unter der Gewalt eines harten Muß. Doch wie die Stimme der Frau an sein Ohr klang, war es, als ziehe eine unsichtbare Hand einen Schleier weg. Leise . . . ganz leise. Die harten Züge wurden weich und gütig, und plötzlich trat in die ern sten Augen ein leuchtendes Licht: „Ja, Frau Wirtin, eine Kanne Wein und zwei Gläser. Denn sie soll mir Gesellschaft leisten am hei ligen Pfingstabend." Und bald saß man zu zweien in der Geißblattlaube. Schwer dufte ten die Syringen; von fern schluchzte eine Nachtigall, und der Mondstrahl, der sich durch das Laubgewinde stahl, ließ den Wein in den Kelchen aufleuchten wie das Wunder des heiligen Grals. „Prost, Frau Babett! Auf unser Glück und auf unsere Liebe", und lachend hieU der Gast ihr sein Glas entgegen. „. . . und auf unser Vaterland", setzte Frau Babett oiel- verheißend hinzu und ergriff das ihre, um ihm Bescheid zu tun. Da — plötzlich ein schluchzender Laut. Klir rend fiel ein Glas zu Boden. Ein Paar Männerlippen drückten einen heißen Kuß auf ihre Hände, dann wax der Fremdling aus der Laube verschwunden. Als Frau Babett am nächsten Morgen an die Tür klopfte, war das Zimmer leer. Auf dem Fußboden aber lag eine Zeichnung mitten durchgerissen, ver merkt mit den Buchstaben: Marquis de N. Und auf der anderen Seite in unge- lenkem Deutsch: „Ich konnte es nicht... Lebe wohl..." Jetzt war das Geheimnis des Fremden gelüftet. Ein Spion im Dienste des gro ßen Napoleon hatte hier unter derMaske eines deut schen Biedermanns dis Wallanlagen des Städt chens besichtigt. Doch in die Scham des Betruges mischte sich der Stolz der Erkenntnis, daß sie durch ihren unerschütterlichen Glau ben an dos Gute im Menschen zur Retterin des Heimatstädtchens ge worden war Schnell raffte sie dis zerrissene Zeichnung zusammen und warf sie ins Feuer. Frau Babett erkannte, welch großer Gefahr sie entgangen war. Sie, die deutsch fühlende, deutsch empfindende Frau, die ihr deut sches Vaterland gerade in seiner durch den rücksichtslosen franzö sischen Eroberer geschaffenen Not besonders lieben gelernt hatte, wäre beinahe in die Gewalt eines ge heimen Sendlings des „kleinen Kor- porals", wie Napoleon genannt wurde, gefallen! Sie, die sich in allen Lebenslagen als ruhig und selbstsicher bewährt hatte, hatte sich einen Augenblick lang betören lassen von dem eigenartigen Wesen eines fremden Menschen. Der Pfingstmorgen, den Frau Babett sich in ihren Träumen so ganz anders gedacht hatte, fand sie ein wenig traurig und bedrückt. Aber sie raffte sich bald wieder auf und wurde wieder die frische, freundliche „Postwirtin", als dis sie bekannt war. Noch an man chem späteren Pfingstmorgen, nach dem sie schon längst Anton Wun derlings Frau geworden war, ge dachte sie ihres Pfingstabenteuers, das sie beinahe ins Verderben ge stürzt hätte. LharloUe Liedtke.