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Ottendorfer Zeitung : 05.01.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-01-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191601051
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19160105
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19160105
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-01
- Tag 1916-01-05
-
Monat
1916-01
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 05.01.1916
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Rußlands Urast und Hoffimng. Das Zarenreich kann der Wehrkraft, die es bei Kriegsausbruch unter der Fahne hatte, oder aus seinen gedienten Leuten während des Völker-, ringens einberief, jetzt nicht mehr viel hinzu- fügen. Zwar herrscht ja kein Mange! weder im stehenden .Heere noch an ausgebildeten Ne- lerven angehörenden kräftigen, im wehrpflichtigen Alter, stehenden Männern. Auch steckt, wie dieser Krieg aufs neue bewiesen, ein guter militärischer Kern im Russen. Denn Heere, die infolge man gelhafter Führung oder sonstigen von der Mann schaft unabhängigen Gründen fortgesetzt aufs Haupt geschlagen werden, und trotzdem immer wieder die Kraft finden, neuen zähen Widerstand zu leisten, sind keine schlechten Soldaten. Abeö'die Schale, die den militärischen Kern birgt, ist sehr dick, und das Anfknacken kostet viel Zeit. Ein Jahr, bescheiden gerechnet, Friedensarbeit erfordert es, den Rekruten zum jungen «Soldaten zu machen. Trotzdem die .Kerle das Hmg zum zähen Wehrmann in sich tragen, dabei durchaus nicht dumm sind, stellen sie "sich doch anfänglich wie die Tölpel an. So umß, um ihnen nur den Begriff rechts und links anzuzeigen, in die Tasche der einen Seite Heu und in die der andern Stroh gesteckt und nach den Namen dieser beiden Grasarten kommandiert werden. Auch mit der Beibringung aller an deren .für den Soldaten nötigen Kenntnisse ist es nicht bester bestellt. Einen mehr gegen den Begriff alles Militärischen Verstoßenden, als den zur Fahne einberufenen ungedienten Russen gibt es einfach nicht. So wickelt sich die Ausbildung der Rusten, aus begreiflichen Gründen, zum fünf Jahre währenden Soldatensein im Frieden ab. Nun sind aber jetzt alle, oder doch wenigstens fast alle noch vorhandenen Offiziere und Unteroffi ziere des stehenden Heeres an der Front. Die Heranbildung der eingezogenen Mannschaften muß also den Herren der Reserve überlassen werden. Und die leisten, weiß Gott, nicht schnellere Arbeit als die aktiven. Schon ein Blick auf den Werdegang der Reserveoffiziere zeigt das zur Genüge. In Rußland wird näm lich laut Vorschrift jeder Einjährige nach Beendi gung seiner Dienstzeit Träger des goldenen oder des silbernen Achselstücks. Das Stoßgebet sämtlicher Regimentskommandeure des Zaren reiches vor Besichtigungen durch die hohe Obrig keit lautet: „Ein, Glück, daß mein Regiment nicht aus lauter Einjährigen besteht!" Und der so Gekennzeichneten Ausgabe ist es, heute Ruß lands ungediente Leute auszubilden! Mit welchem Erfolg aber das geschieht, zeigen die Vorgänge auf dem Schlachtfelde bestens. Die Zahl der ungedienten, aber waffen fähigen Leute, über die Rußland verfügt, ist dank seinen bis noch vor ganz kurzem be stehenden Rekrutierungsbestimmungen, eine sehr große, beträgt ungefähr das Doppelte des stehenden Heeres und der gedienten Reserven. Und daß nun der Gedanke — diese Männer mangelhaft ausgebildet, in das Feld zu stellen, so eine Kraft, die nach ein paar Jahren Friedensarbeit Welten erschüttern kann, zu ver geuden — wenig Verlockendes hat, Rußland zur Fortsetzung des heutigen Krieges zu ver anlassen, liegt auf der Hand. Wenn nun auch rein militärische Gründe das Zarenreich locken, nicht mehr Kämpfer im jetzigen Völkerringen zu sein, so zwingt doch schon die wirtschaftliche Abhängigkeit von Eng land und Frankreich zum Ausharren. Stärker aber noch als durch diesen Strang, der viel leicht im Hinblick auf den unermeßlichen Reich tum des Landes an fruchtbaren Gebieten und Bodenschätzen dmchrissen werden könnte, wird Väterchen durch die Angst vor dem siegreichen Ausbruch innerer Unruhen an der Kandare ge hauen und zum Weiterkümpfen getrieben. Zwar ruft ja die Behauptung, daß in Ruß land dir Revolution unvermeidlich sei, im Aus lande und auch sogar bei uns, ein Lächeln auf allen Lippen hervor. Doch schließlich, die Herren vom geheimen Dienst der politischen Polizei deS Zarenreiches stehen zwar nicht vollständig auf der Höhe ihrer Aufgabe, besitzen aber immerhin ganz hübsche Kenntnisse auch von den sich im Verborgenen abspielenden Vorgängen der Heimat. Und die Ansicht dieser Leute ist: „Wir haben in Rußland bereits die Revolution, nur die Beile fehlen noch, aber die werden auch und bald kommen, und wenn die erst da sind, so wird das Blutvergießen der großen französischen Abrechnung nur ein harmloses Täubchenschlachten im Vergleich zu den Strömen edlen Menschen saftes sein, die bei uns fließen werden." Doch schließlich, mögen die Spötter oder die Leute vom Geheimdienst recht behalten, so be steht doch jedenfalls die Tatsache, daß in Ruß land an leitender Stelle mit dem Ausbruch der Unruhen gerechnet wird, und zwar bald nach Friedensschluß, da dann die aus der Gefangen schaft Heimkehrenden und die von der Fahne Entlassenen ihre Stimme erheben werden. Und da nun selbstverständlich niemand sein Haupt gerne vorzeitig unter das Beil legt, so führt der Zarismus, um das Unheil hinauszuschieben, diesen Krieg, obgleich er dessen Hoffnungslosig keit und Schädlichkeit für Rußland einsieht, bis zur äußersten Möglichkeit fort. (Zenstert: O. K. i. d. M.) verschiedene Uriegsnachrichten. lVon der mit. Zemurbehörde zugelassene Nachrichten.) Serbiens österreichische Gefangene. Wegen Übergabe der österreichischen Gefange nen Serbiens an die Italiener werden zwischen der serbischen und italienischen Negierung Ver handlungen geführt. Das Eintreffen der Ge fangenen in Valona ist jedenfalls bisher noch nicht gemeldet worden. * Der Feldzugsplan des Vierbervandes? Obwohl über die jüngsten Beratungen des gemeinsamen Kriegsrates in Paris das größte Stillschweigen beobachtet wird, soll doch durch ein Parlamentsmitglied bekannt geworden sein, daß der Kriegsrat im allgemeinen die folgenden Beschlüsse gefaßt hat: Die Vierverbands truppen in Saloniki sind auf 500000 Mann zu bringen, wie dies der General Sarrail, der dorlige französische Oberbefehlshaber, ge fordert hat. Gallipoli soll allmählich ge räumt werden. Es befinden sich noch etwa 100 000 Manu dort. Eine Landung der Ver bündeten in Kleinasien. An der Westfront soll bis zum Frühjahr die strikteste Defensive beobachtet werden. Italien verpflichtet sich, 50 000 Mann zur Verteidigung Ägyp tens zur Verfügung zu stellen. * Bevorstehende Entscheidungsschlacht? Das Budapester Blatt ,Az Esst will aus sicherer Quelle erfahren haben, daß die Truppen des Vierverbandes die deutsch-österreichischen Heere am Kilkitschberg zu einer Entscheidungs schlacht fordern wollen. An der Befestigung Salonikis und Umgebung arbeiten die Eng länder fieberhaft weiter. Große Truppenmassen sind auf den Anhöhen des Kitlitsch bei Langada und Hortias zusammengezogen. Die aus Saloniki in Sofia eingewosfenen Reisenden be richten, daß General Sarrail sich in Saloniki als wahrer Herrscher fühle. In Saloniki ist die Not unter der Bevölkerung groß. Einzelne serbische Truppenabteilungen wurden englischen und französischen Regimentern zugeteilt. Die Untertanen der Miltelinächte und Bulgariens werden als Spione betrachtet und verfolgt. Bisher sind, 230 000 englische und französische Soldaten in Saloniki eingetroffen. Man erfährt die Wahrheit. Nach und nach wird es immer klarer, welche schwere Niederlage die Vierver- handstruppen durch die Bulgaren erlitten haben/ Erst jetzt wird bekannt, daß große Verwundelentransporte in Saloniki eingetroffen sind und noch eintreffen. Die Zahl der für die Aufnahme von Verwundeten be stimmten Baracken hat sich infolge des Umfangs der neuen Transporte als unzulänglich er wiesen, so daß fchleunig an die Herstellung vieler neuer Baracken geschritten werden müsse. Auf die Bevölkerung in Neugriechenland machen diese Vorgänge als sichtbare Zeichen des Scheitems des BalkanfeldzugeS der Engländer und Franzosen tiefen Eindruck. * Nikitas Friedenswünsche. In Montenegro machen sich, wie aus Sofia gemeldet wird, starke Friedens wünsche geltend. Man will aber, daß sich auch der Frieden auf Serbien erstrecke. Der Vierverband versucht jedoch alles, um einen solchen Frieden unmöglich zu machen. Türkische Erfolge. Nach Berichten aus Konstantinopel sieht man dort vertrauensvoll der Zukunft entgegen. Die Kriegshandlung in Mesopotamien fchreite sehr befriedigend fort. In Ägypten, -wie in anderen mohammedanischen Ländern werde jetzt die iWirkung der Ausrufung des Hei- ! ligen Krieges beobachtet, namentlich in i Indien, wo die englischen Behörden das Be kanntwerden der Ankündigung nicht verhindern « konnten. Neue Berichte über den Stand der > türkisch-griechischen Verhandlungen lauten weiter i günstig; Griechenland wolle in allen Punkten i mit der Türkei, einig gehen, namentlich auch in j der Jnselsrage. * Kitchener für Indien? Nach italienischen Blättern ist Lord Kit che- ner zum Bizekönig von Indien aus ersehen. Wenngleich eine englische Bestätigung dieser Nachricht fehlt, klingt sie nicht unwahr scheinlich. Kitchener war feinerzeit als Oberst kommandierender in Indien in seiner eisernen Brutalität der Schreck der indischen Umsturz- Parteien. Er hat auch das ganze indische Ver- teidjgungssystem auf eine neue Grundlage ge stellt und die Truppen gegen einen möglichen Angriff aus dem Norden. Geht Kitchener nun wirklich nach Indien, dann wäre die Tatsache an sich für uns nur hocherfreulich. Denn sie zeigte nicht nur, wie sehr die englische Herrschaft dort bereits zu Wanken begonnen hat, sondern auch die offenbar begründete Angst der Engländer vor einem Angriff von außen her auf ihr indisches Reichs . Politische Kunälcbau. Deutschland. * Unter dem Titel „Fri e de n sgedanken" veröffentlicht die .Neue Zürcher Zeitung' einen Artikel, der sich mit den angeblich deutschen Friedenszielen befaßt. Danach stellt Deutsch land folgende Forderungen auf: 1. Belgien bleibt unabhängig und selbständig, zahlt aber eine jährliche Knegskontribution. 2. Frankreich erhält alle besetzten Departements zurück, tritt an Deutschland seine Forderung an Rußland — etwa 18Milliarden — ab. 3. Russisch-Polen wird selbständiges Königreich unter einem deutschen Fürsten. Russland zahst Kriegsentschädigung an Deutschland. Erhält dagegen Ausgang nach dem Persischen Golf. 4. Italien erhält nichts, verzichtet dagegen auf die besetzten türkischen Inseln. 5. Bulgarien erhält Mazedonien und einen Korridor an die Donau. Altserbien bleibt selbständig. 6. Albanien wird selb ständiges Fürstentum. Das amtliche ,W. T. Bst bemerkt dazu, daß die Auffassung, der ganze Artikel sei ein von deutscher Seile ausgestreckter Friedensfühler, selbstverständlich unbegründet ist. — Wenn dennoch verschiedene ausländische Blätter an den Artikel Erörterungen knüpfen, so muß man ihnen die Verantwortung über lassen. * Von maßgebender Seite wird erneut daraus hingewiesen, daß es geboten ist, inBriefen oder auf Postkarten an kriegs- gefangeneDeutiche im feindlichen Auslande keine Mitteilungen militärischer, politischer und wirtschaftlicher Art — auch nicht in Geheimschrift — zu machen. Unsere Gegner können aus derartigen unbedachten Mitteilungen wichtiges Material für ihre Entschließungen ge winnen. Die Angehörigen kriegsgefangener Deutscher stellen die schnelle und sichere Be förderung von Päckchen und Postpaketen an diese in Frage, wenn sie solchen Sendungen schriftliche Mitteilungen beifügen. Die Annahme, daß die Zensur Mitteilungen in'Päckchen und Paketen leichter übersieht, als wenn sie in be sonderen Briefen oder auf Postkarten versandt werden, ist durchaus unzutreffend. * Die Gesamtverluste Ostpreu ßens betragen nach amtlicher Zusammenstellung an Vieh und Pferden durch den Russeneinfall 135 000 Pferde, 250 000 Stück Vieh und 200 000 Schweine. An Schafen gingen 50 000, Ziegen 10 000, Hühnern 600000 und Gänse» 50000 verloren. Frankreich. *Die Mißstände im Transport wesen find in ganz Frankreich der Gegenstand ernster Sorge. So schreibt das .Journal': „Wir stehen am Vorabend schrecklicher Kata strophen, nämlich der Schließung Tausender von Handelshäusern aus Mangel an Transport mitteln, die Hunderttausenden Arbeit uiro Unter- >halt gaben. Der Kriegsminister muß unverzüg lich allen Bezirkskommandanten Befehl geben, die gesamten Arbeitsmannschaften sofort . zur Verfügung der Bahnhofsvorsteher zu stellen, um die Bahnhöfe frei zu machen, wobei Ge fangene und Depotmannschaften zum Hilfsdienst, kurz jeder Entbehrliche brauchbar ist. Das mutz sofort geschehen, sonst verlieren wir die größte Schlacht des Krieges, die Schlacht gegen uns selbst." England. * Die Zeitschrift ,Nation' kritisier* v!M Kabinett, dessen Unentschlossenheit die Ursache von so vielen Fehlern militärischer, politischer und finanzieller Natur sei. Für den Augenblick bestehe die Gefahr, daß das Kabinett die allge meine Wehrpflicht einführe. Die G eg n er der allgemeinen Wehrpflicht seien noch sehr stark, und um ihnen entgegen zu kommen, wäre es möglich, daß die Negierung zu halben Maßnahmen greife. Die ,Nation' warnt vor halben Maßnahmen und fordert, daß die Wehrpflicht voll und ganz oder über haupt nicht eingeführt werde. * Reuter meldet, aus Schiffahrtsstatistikeu gehe hervor, daß die Verluste der eng lischen Handelsflotte, die man auf 10 Millionen Pfund Sterling eingeschätzt hätte, während der letzten 16 Monate nur 2 732004 Pfund Sterling oder 6 °/o des Wertes der eng lischen Handelsflotte betragen hätten. Holland. *In der holländischen Presse kommt eine immer steigendere Erbitterung gegen England zum Ausdruck, nachdem bekan.tt- geworden ist, daß ein holländischer Dampfdr, der aus Amerika in Rotterdam fällig war, in Falmouth von Engländern angehalten wurde. Sechshundert seiner gefüllten Postsäcke wurden von Engländern beschlagnahmt. Dem in Rotter dam eingelaufenen Dampfer „Christian Michelsen" wurden ebenfalls vierzig holländische Postsücke von Engländern abgenommen. Endlich wurde auch die ganze für Holland bestimmte Post aus Südamerika vom Dampfer „Tubantia" von Engländern an Bord geholt. Balkanstaate«. *Jn der rumänischen Nbgsord netenkammer, in der die Neutralitätsfrage behandelt wurde, führte ein Redner unter großem Beifall der Mehrheit aus: „Manche Leute sind der Meinung, daß die Schlacht an der Marne für Rumänien die Gelegenheit zum Eingreifen war. An und für sich war dis Schlach! an der Marne nichts anderes als eins Aufhaltung der deutschen Offensive in Frank reich, keineswegs aber eine Nieder werfung Deutschlands, das erst später seine mächtige Offensive gegen die Ruffen ent faltete. Sie sehen allo, daß man dieselbe Tat sache unter verschiedenen Gesichtspunkten aniehen kann. Eine andere Illusion war der Eintritt Italiens. Sie glaubten, daß die Italiener über Valona in Serbien einbrechen würden, um Österreich-Ungarn anzugreifen. Nichts davon ist aber geschehen. Der letzte Zeitpunkt, der An griff auf Serbien, war ebenso ungünstig. Wir hatten nicht die Sicherheit, daß Griechenland uns Helsen würde. Wenn wir zur nationalen Einheit gelangen wollen, müssen wir zuerst be halten, was wir haben." 6oläene Schranken. Noman von M. Diers. (Fortsetzung.) „Ja, Sie haben recht, es.ist albern, daß man sich durch die erdichteten Leiden von Noman- figuren so weit Hinreißen läßt." Auch sie war stolz auf ihre Antwort. Lang sam war sie aufgestanden und schüttelte das Gras von ihrem. Hellen Kleide. Die Tränen waren verschwunden, die Gewalt des Entsetzens hatte sie rasch getrocknet. So standen sie einander gegenüber. Der eine wie der andre: trotzig, finster, kampfbereit. Über ihnen rauschten die Bäume. „Es ist überhaupt bedenklich für eine Dame, sich so allein in den Wald zu legen," sagte er brüsk. Er ahnte selber nicht, warum er das eigentlich sagte, expreß nur, um sie noch mehr zu verstören. Seine Sache wäre einfach, höflich zu grüßen und fortzugehen. Ja, das wäre korrekt gewesen. Wer das war für ihn ein Unding. Bleiben mußte er schon und fortlaufen durste sie ihm auch nicht. Es wäre eine zu elende Sache ge- westn. Also hieß es, sie festhalten. Und da er nicht gut zu ihr reden konnte, redete er böse. Quälte sie lieber, als daß er sie sortlicß. Ja — tausendmal lieber sie quälen, als sie wieder von sich lasten. DaS konnte er nicht. Bei Gott, das konnte er nicht! Ihr Erschxecken kam auch, wie er erwartet batte. „Das dachte ich nicht," stammelte sie. Sei« Wesen brachte sie außer sich. Wozu nur zeigte er ihr diese Gereiztheit? War es das, daß er bereute, einst so vertrauend zu ihr gewesen zu sein? Heiße Schamröte brannte in ihren Wangen. „Ich danke Ihnen für den guten Nat," sagte sie stolz. „Ich werde diesen Fehler nie wieder be gehen!" Sie wandte sich zum gehen, aber das ließ er nicht zu. Die stolze Ruhe in ihrer Haltung brachte ihn in eine Art wilder Verzweiflung. „Sind Sie immer so einsichtsvoll?" fragte er höhnisch. Da flammte erbitterter Trotz in ihr auf. Möchte er über sie denken, was er wollte, das gab ihm doch weder Veranlassung noch Recht, sie mit diesem gehässigen Hohn zu behandeln. Sie antwortete nicht, stumm raffte sie ilF Kleid zusammen und wandte sich mit einer leich ten Kopfneigung von ihm ab. Er sah, er konnte sie nicht mehr halten. Wilde Angst trieb ihm das Blut zu Kopf, daß es in roten Punkten vor seinen Augen tanzte. Er rang nach Worten, denen sie standhalien mußte, nach bösen erst — daun, als sic wirklich ging, als die Entfernung zwischen ihnen sich erweiterte — nach anderen, nach guten, bitten den — In diesem Moment vergaß er alles, das ganze Gebäude einer schwer errungenen Über legung. Er hätte alles gesagt, alles getan, wenn sie nur bei ihm geblieben wäre Aber er konnte nichts. Nichts fiel ihm ein. Kein Wort, keine Tat. Gelähmt von der Ge walt seines Empfindens, stand er starr und I regungslos an demselben Baum und ließ sie gehen — ließ sie gehen. i Ihr Helles Kleid schimmerte hell noch durch die Stämme, noch konnte er ihre Gestalt er fassen. Dann schoben sich Büsche und Gesträuche dazwischen, die Erscheinung wurde kleiner und kleiner — immer noch blitzte das Weiße Kleid auf — zuletzt nur noch wie ein beweglicher, lichter Punkt — dann war es vorbei. Er sah sie nicht mehr. . . Drüben auf der Wiese, die in Hellem Son nenschein hinter den Waldesschatten lag, schritt ein junges Menschenkind. Der Sonnenschein tat ihr weh, und das ganze kommende Leben lag vor ihr wie ein schwarzer Abgrund, vor dem ihr graute bis ins innerste Herz. . 8. Als Hans Neuthner nach dieser Begegnung nach Hause kam, setzte er sich an seinen Schreib tisch, legte die.Arme auf die Platte und drückte sein Gesicht hinein. So saß er lange, ohne sich zu rühren. Wie ein Schreck hatte ihn die heutige Er kenntnis übermannt, daß seine Leidenschaft ihm über Kopf und. Willen hinaus zu wachsen drohte. Daß sie eine herrische Macht wurde in seinem Leben, die er nicht mehr sortzuleugnen und in seinen Entschlüssen einfach zu übergehen vermochte. In all seinem Verkehr mit Frauen hatte ihn nie eine solche Gewalt auch nur gestreift, und er hatte nicht gelernt, damit zu rechnen. Aber in der ersten Einsamkeit seines jetzigen Daseins, belastet von einem Kunuuer, der an seinem Denken und Empfinden fraß, hin- und hergerissen zwischen seinem Drange nach Wahr heit und Freiheit und einem zwingenden Ge fühl der Verpflichtung, war sein inneres Wesen, ohne daß er selbst dessen gewahr wurde, gereist. Und der Eindruck dieses Mädchens auf sem Herz, der unter früheren Verhältnissen auch nur einer Spielerei gleichgekommen wäre, wurde hi« zur lebenentscheidenden Macht. Es war kein Grübeln, unter dem er saß. Es war wie eine Betäubung, die sich aller Sinne bemächtigt hatte. Wie in starrendem Er staunen stand er vor der eigenen Entwicklung. Langsam verblich draußen der strahlende Sonnenschein. Durch die Bäume leuchtete rot gelbes Nbendlicht, und in das offene Fenster wehte es kühler. Der Tag ging zu Ende, an dem ihm so Bedeutungsvolles geschehen war. Er hatte den Kopf erhoben und starrt« hin aus. Mächtig wirkte der Sonnenuntergang auf sein Empfinden. Es war, als spräche daraus etwas zu ihm — etwas Wunderbares, LcbenS» starkes. Noch wußte er kaum, was er tat. Nür eln Gefühl überkani ihn, als hebe ihn etwas aus dem Staube bedrückender Alltäglichkeit heraus. Er stand auf, in seiner Brust klopfte daS junge, stürmische Herz. Nicht mehr in Betäu bung, nicht mehr in Schrecken empfand er, daß etwas Großes sein geworden war. Daß die Tore des Lebens sich ihm geöffnet hatten. Das Abendrot verglomm, und die Helle Sommerdämmerung zog über die Erde. Er lehnte sich ans offene Feilster, in seme Auge« kam ein Träume«.
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