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tten Die „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners, tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich t Mark. Durch die Post bezogen <,20 Mark. Druck und Lokalzeitung für die Ortschaften OttendorhOkrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Uferst«! bis vormittag zs Uhr. Inserate werden mit <o Pf. jfür die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Nr. 135. Mittwoch, den 11. November 1903. 2. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Duendorf-Okrilla, <o. November 190.3 "ss Am vorigen Sonntag fanden in unserem Orte zwei öffentliche Versammlungen statt, welche sich beide zum Ziele gesetzt hatten, auch hier die Bewegung gegen den Alkohol in Fluß zu bringen. Nachmittags 3 Uhr tagte der Gut templer-Verein im Gasthof zum schwarzen Roß zu Ottendorf, um 5 Uhr der Bezirksverein gegen Mißbrauch geistiger Getränke, beide aus Dresden. Nachdem bisher noch nichts seitens der Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine hier unternommen worden war, waren zwei Ver sammlungen an einem Nachmittag des Guten etwas zu viel und unpraktisch. Von den Ver sammlungen selbst aber dars man sagen, daß sie beide einen recht günstigen Verlauf genommen haben, sowohl die Ottendorfer, in welcher Herr Lehrer Heinicke aus Dresden sprach, als die Moritzdsrfer, in welcher Herr Doktor Flade den Vortrag, unter Vorzeigung vieler statistischer Tafeln, hielt. Der Erstere vertrat den Stand punkt des Guttewplerordens, welcher jedermann, ohne irgend welchen Unterschied in seinen Kreis ousnimmt, der nur, nach einer wohlbestandenen Probezeit, sich zur „völligen" Enthaltsamkeit von -Nen alkoholischen Getränken verpflichtet. Der Zweite bekannte sich zu dem Grundsatz der Mäßigkcilsvereine, welche allen „Mißbrauch" des Alkohols bekämpfen wollen, besonders unter Zuhilfenahme gesetzlicher Mittel. Die totale Abstinenz, also die völlige Enthaltsamkeit und die Mäßigkeit sind zwei zur Zeil noch mit einander ringende Anschauungen oder Forder ungen. Jedenfalls war man sich darüber klar, daß Personen, die völlig vom Alkohol loskommen wollen, sich einem Enthaltsamkeitsverein anzu schließen haben. Zeichnungen für einen neu zubildenden örtlichen Verein gingen nur wenige ein. Dagegen wurde der Vorschlag gemacht, daß der hiesige Naturheilverein sein Programm bczw. seine Satzungen erweitern und als ein „Verein für naturgemäße Lebensweise" sich auf tun möchte, welcher alsdann den Kampf gegen Alkoholmißbrauch als eine seiner wichtigsten Aufgaben mit ansehen könnte. Da der Ge meinderat von Ottendorf - Moritzdorf bereits Mitglied des Bezirksvereins gegen Mißbrauch geistiger Getränke ist, wird jedenfalls von dem- sclbcn die Sache nunmehr hierorts in weitere Wege geleuet werden. Auffallend ist uns ge wesen, daß in beiden Versammlungen, die doch orientierend auch über die gesamte Antiaikohol- bewegung wirken sollten und mußten, mit keinem Worte einer dritten großen Vereinigung gedacht worden ist, nämlich der „Vereine des blauen Kreuzes." Da man an einer so wichtigen Bewegung hier, wo eS sich um den Kampf gegen den Alkohol handelt, unmöglich achtlos vorübergehen kann, die bereits 800 Vereine mit 32000 Mitgliedern in Deutschland und der Schweiz gebildet hat, unter denen sich 12 000 gerettete Trinker befinden, so dürfte es angezeigt sein, hier nachlragsweise dieses Bundes Er wähnung zu tun. Da es gewiß ist, daß durch selische Beeinflussung, insbesondere durch Weckung und Schärfung des Gewissens, am ehesten ein Mensch aus den Banden einer Leidenschaft oder eines Lasters befreit werden kann, und eine solche Einwirkung am sichersten nur auf religiösem, geistlichem Wege erfolgen kann, stellen sich die Blaukreuzvereinler die Aufgabe, mit Hilfe des Christentums und des Wortes Gottes an der Rettung der Opfer der Trunksucht zu arbeiten. Sie fordern deshalb van ihren Mitgliedern und Anhängern „völlige Enthaltsamkeit" von allen berauschenden Getränken (Abendmahlsgenuß und ärztliche Vorschrift ausgenommen) und das Ver sprechen, dem Mißbrauch des Alkohols auch bei andern zu steuern. Als Abzeichen tragen die Mitglieder das blaue Kreuz in weißem Felde, oder das blaue Band. Vorsitzender des „deutschen Vereins des blauen Kreuzes" ist Oberstleutnant von Knob-lsdorff in Berlin. Der Dresdner Verein, dem sich jedermann, der in christlicher Gemeinschaft und auf religiös-christlichem Wege den Alkoholmißbrauch mit bekämpfen helfen will, anschließen kann, hält regelmäßige öffentliche Versammlungen ab jeden Sonnabend abend 8>/s Uhr in seinem Vereinslokal, Neugafse 15,1 in Dresden-Altstadt. Vorsitzender ist Stadt missionar Wujanz, Geschäftsstelle Zinzendorf- straße 23, parterre links, Sprechzeit täglich vormittags 11 — 12 Uhr. Dresden. Durch die Zeitungen ging kürz lich die Notiz, daß die tschechischen Brauereien von Progund Umgegend dem dortigen tschechischen Schulvereine eine freiwillige Abgabe von 1 bis 5 Heller für jeden Hektoliter verkauften Bieres zugesichert haben. Dadurch werden die reichen Mittel, über welche die tschechischen Schulvereine verfügen, noch verstärkt. Es sollen auch die deutschen Biere aus Prag verdrängt werden. Man will nun in deutschnationalen Kreisen für die deutschen Schulvcreine eine ähnliche Unter stützung ins Leben treten lassen. Die Anregung hierzu ist von der Unions - Brauerei - Aktien gesellschaft in Dresden ausgegangen, die sich bereit erklärt hat, in derselben Weise sich dem deutschen Schulvereine zu verpflichten, wie dies die obenerwähnten Brauereien für den tschechischen Schulverein in Prag getan haben. — Freitag nachmittag wurde auf der Annen straße ein Zimmermann, der beim Uebcrschreiten nicht auf das Herannahen eines Straßenbahn wagens achtete, von diesem seitwärts auf die Straße geschleudert. Der Mann war besinnungs los und wurde mittelst des Unfallwagens in das Friedrichstädter Krankenhaus gebracht, wo festgestellt wurde, daß er eine Gehirnerschütter ung erlitten hatte. — Der zwischen Falkenberg und Röderau verkehrende Personenzug hatte an einem der letzten Tage einen mit Rindern beladenen Wagen anzuhängen. Aus diesem stürzte eine Kuh, die sich von den Stricken losgerissen und durch die Schiebetür gedrängt hatte, heraus und blieb mit gebrochenen Gliedmaßen auf den Gleisen liegen. Bald darauf passierte der Schnellzug Dresden — Berlin die Strecke. Die auf den Gleisen liegende Kuh wurde von der Lokomotive des Schnellzuges erfaßt und etwa 30 Meter weit mit fortgeschleift, bevor der Zug zum Stehen gebracht werden konnte. Nach dem der Kadaver entfernt worden war, konnte der Schnellzug mit einer Verspätung von 30 Minuten seine Fahrt fortsetzen. Stetzsch. Im Anschluß an die Lehrer konferenz in Stetzsch fand am Donnerstag eine Besichtigung des neuen Schulgebäudes und der ausgestellten Lehrmittel statt. Diese umfassen Tiersammlung, Steinsammlung, Erzeugnisse der Industrie und künstlerischen Wandschmuck unserer Schulzimmer. Meißen. Durch Kohlenoxydgase betäubt wurden vergangenen Freitag nachts im benach barten Zehren im Köhlerschen Gasthofe zwei Knechte. Sie wurden früh 5 Uhr bewußtlos aufgefunden. Durch angestrengte Bemühungen des herbeigerufenen Arztes, Dr. Oesterwitz- Zehren, gelang es, den einen ins Leben zurück zurufen. Der andere war um 9 Uhr vormittags noch bewußtlos. Hirschstein. Montag früh sollen, so schreibt man dem „Ries. Tgbl.", auf hiesigem Ritter- gute beschäftigte Polen bez. Polinnen ihren Führer und Aufseher, sowie dessen Ehefrau durch in den Kaffee geschütteten Strychninweizen, der zum Vergiften der Feldmäuse bestimmt war, zu vergiften versucht, auch der Frau eine Uhr gestohlen haben. Schwarzenberg. Nachdem von den In dustriellen hiesiger Stadt und Umgebung die verlangten Mittel zur Errichtung einer Reichs banknebenstelle in Schwarzenberg aufgebracht beziehentlich sichergestellt worden sind, wird nunmehr die Stadtvertretung die Errichtung der in Aussicht gestellten Nebenstelle zuständigen Orts beantragen. Dem Gesuche wird voraus sichtlich entsprochen werden. Oberlichtenau. Nicht wenig erstaunt und erschreckt waren zwei auf der Straße stehende Frauen, als plötzlich von dem Dache eines zweistöckigen Hauses ihnen ein lebender Hase zu Füßen fiel und tot dort liegen blieb. Der Hase war offenbar vom Felde retirierend, auf das Dach des an der Berglehne «»gebauten Hauses geraten und dann herabgestürzt. Crimmitschau. Trotz aller Versammlungs- beschlüfse der streikenden Weber, im Ausstande auszuharren, wächst doch die Besorgnis der Streikführer vor massenhaften Ueberläufen zu den Arbeitswilligen. Die organisierten Textil arbeiter haben einen Verpflichtungsschein unter schreiben muffen, worin jeder sich verpflichtet, dem Deutschen Textilarbeiterverbande alle bisher empfangenen Unterstützungsgelder zurückzuzahlen, falls er ohne Einwilligung des Verbandes die Arbeit wieder aufvimmt. Nach § 152 der Gewerbeordnung steh? indessen der Rücktritt von solchen Verpflichtungen, die zur Erlangung von günstigeren Lohn- und Arbeitsbedingungen ge bildet sind, jedem Teilnehmer frei. Nach einer reichsgerichtlichen Erkenntnis sind also auch diese Verpflichtungsscheine unverbindlich. Plauen i. V, „Alleweil fidel!" scheint der Möbelfabrikant Hildner hier zu sein; die An kunft seines neunten Jungen gibt er in den beiden Lokalblättern der vogtländischen Kreis stadt mit folgenden Zusätzen bekannt (in der „Neuen Vogtländischen Zeitung"): „Gesund heitsbericht: Söhnchen guten Appetit, Mutter etwas matt, Vater ziemlichen Durst", und im „Vogtländischen Anzeiger und Tageblatt": „Wochensuppen können nur während den Ge- schäftsstunden, früh 7 Uhr bis abends 8 Uhr, angenommen werden." Nus der Woche. Wieder hat eine Monarchenzusammenkunft stattgefunden. Der Zar hat den deutschen Kaiser in Wiesbaden besucht und dieser hat in WolsSgarten seinen Gegenbesuch gemacht. Beide Besuche haben nur wenige Stunden gedauert; in Wolfsgarten sind die Vorsichtsmaßregeln zum Schutze des Zaren dauernd — in Wiesbaden wurden sie für die paar Stunden des Aufent halts erst hergestellt; sie waren so auffällig, so umfassend, wie nie zuvor. Das nahm dem Be suche das Warme und Herzliche. Der Zar scheint ein gar ängstlicher Herr zu sein, der viel auf „Roß und Reisige" hält, die die steile Höh' sichern, auf der Fürsten stehen. Bei uns ist schon der Gedanke an eine Kaiserinsel eine Majestätsbeleidigung. Indessen kann man es den maßgebenden Stellen in Deutschland nicht verdenken, wenn sie das Aeußerste Lun, um den Zaren zu sichern und diesen zufrieden zu stellen. Die Verantwortung ist groß, wenn auch nicht größer wie die Italiens im gleichen Falle und doch ist der Zar nicht nach Rom gegangen. Daß Bülow und Lambsdorff sich bei Gelegen heit der Kaiserbesuche auch miteinander besprochen haben, ist selbstverständlich. Ostasien und der Balkan sind zweifellos der Gegenstand der Be sprechungen gewesen und in beiden Punkten wird sich Uebereinstimmung herausgestellt haben. Deutschland hat in der Türkei und in der Mandschurei nur wenig Interessen; nur daß die Entwicklung hier wie dort in Ruhe vor sich geht, darum sind wir interessiert. Bemerkens wert ist übrigens, daß sich Nordamerika neuer dings ganz von den ostasiatijchen Dingen zurück hält, obwohl ihnen diese wegen der Nachbarschaft ihrer Philippinen nicht ganz gleichgiltig sein können. Vielleicht trägt auch der Umstand dazu bei, daß ihnen eine andere Aufgabe jetzt näher liegt: die Erbauung des Mittelamerika-Kanals. Die letzten Tage haben uns da merkwürdige Ueberraschungen gebracht. Panama hat sich von Kolumbien losgerissen und für unabhängig er klärt. Daß die Drahtzieher dieses Vorganges in Washington sitzen, läßt sich kaum bezweifeln. Zwei Nordamerikaner befinden sich unter den drei Konsuln, die die neue Regierung von Panama bilden und mit unheimlicher Ge schwindigkeit ist an der Küste der Landenge eine ganze nordamerikanische Flotte aufgetaucht, an geblich um den Verkehr daselbst, in Wirklichkeit aber wohl um die neue Regierung zu schützen, die sich natürlich für die nordamerikanifchen Konzessionswünsche weit zugänglicher zeigt, als die hellbraunen Senatoren in Bogota. Die neue Republik dürfte sich allgemach als ein Washingtoner Aktien - Unternehmen entpuppen und das Geschäft wird auch glatt vonstatten gehen, wenn nicht Peru, Chile und Bolivia eingreifen, die sich neuerdings zum Schutze von Spanisch - Amerika und Gewährleistung ihres Besitzstandes verbunden haben. — Aus Marokko ist die sonderbar klingende Meldung zu uns gekommen, daß der Aufstand wohl als beendet anzusehen ist. Das ist gegenüber der Tatsache, daß sich Bu Hamara in unbestrittenem Besitze des ganzen Nordens von Marokko befindet, «e- wiffermaßen als ein Verzicht des Sultans auf den Norden, der ihm immer viel Sorge ge macht hat, zu verstehen. Die Beendigung des Feldzuges hat auch ihre Erklärung in der gänz lichen Erschöpfung der Finanzen des Sultans. Steuern gehen nicht oder doch nur wenig ein und die Münzen, die der Sultan in England hat schlagen lassen, werden von der englischen Zollbehörde deswegen nicht ausgeliefert, weil der Sultan seinen Silderlieferungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist. Es ist aber in Marokko wie bei uns zulande: Das bestgemünzte Geld nützt nichts, wenn man es nicht hat. — Die erste Novemberwoche brachte uns Deutschen den Verlust eines Geistesfürsten, der in den letzten Jahrzehnten neben dem nun ebenfalls dahin- gegangenen Virchow den Ruhm deutscher Wissenschaft über die ganze Erde trug: Theodor Mommsen ist einem Schlaganfall, der ihn in vorvergangener Woche traf, im Alter von 86 Jahren erlegen; ein unerschütterlicher Ver treter les von ihm als wahr Erkannten auf den verschiedensten Gebieten, ein Mann, den auch der Kaiser hochverehrte, obwohl zwischen den Weltanschauungen beiger eine unüberbrück bare Kluft gähnte. — Wenn man auf die Woche auch nur flüchtig zurückblickt, so muß doch das Auge für einen Moment auf dem großen forensischen Drama haften bleiben, das sich gegenwärtig in Moabit abspielt: der Prozeß wegen Kindesunterschiebung gegen die Gräfin Kwilecka und Genoffen. Es mußte den Leuten auffallen, daß eine 51jährige Frau sechzehn Jahre nach ihrer letzten Entbindung nochmals niederkommt und zwar mit einem von Anfang der Ehe an erwünschten Majoratserben. Es begreift sich ferner, daß die Mitglieder der Nebenlinie, denen das schöne Erbteil zufallen mußte, wenn Graf Kwilecki-Wroblewon ohne männlichen Leibeserben stirbt, mißtrauisch werden, als die alte Gräfin plötzlich dem Majoratserben das Leben schenkt. AVer nun bedenke man auch den Tiefstand der Intelligenz, der bei den meisten Zeugen in die Erscheinung tritt, den Klatsch und Tratsch, der sich an das auffällige Ereignis der späten Geburt knüpft, die darauü resultierenden widerspruchsvollen Zeugenaus sagen, die Summen, die sich die Seitenlinie für die Ermittelung des Tatbestandes hat kosten lassen und die natürlich auf Belastung der An geklagten abzielten, und man wird selbst bei eingehendem Studium cher bisherigen Verhand lungen den Kopf schütteln und sich sagen: Wenn hier nicht viele Meineide geschworen sind, dann ist die Angelegenheit nicht geklärt- Der Ge richtshof greift nun auch nach dem Zeugnis namhafter Porträtmaler, die sich über Familien ähnlichkeit und die Aehnlichkeit des kleinen „Grafen" mit seinem angeblichen älteren Bruder auslasien sollen. Man hat mit Schreibsachver ständigen schon manche trübe Erfahrung gemacht — und nun gar mit Physiognomie-Sachver ständigen!! Was wird dabei herauskommen?