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Ottendorfer Zeitung : 20.12.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-12-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190512203
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19051220
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19051220
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-12
- Tag 1905-12-20
-
Monat
1905-12
-
Jahr
1905
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 20.12.1905
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polinlcbe Armölckau. Die Wirre« i« Rußland. "Die Lage in Rußland ist ziemlich unverändert. Der Ausstand der Post- und Tölegraphenbeamten dauert noch größtenteils fort, nur an einigen Orten, darunter in Petersburg, ist er zum teil beigelegt oder durch Maßnahmen der Postverwaltung wirkungs los gemacht. Die ausständigen Beamten be ginnen gegen ihre arbeitswilligen Kollegen Gewalt anzuwenden und beschädigen und be schmutzen die Briefkästen und die Briefschaften. Die in Moskau versammelten Vertreter der Arbeiterdeputiertenräte und der radikalen Parteien haben beschlossen, mit allen Mitteln weitere Emzelausftände zu verhindern, weil diese den Generalausstand beein trächtigen, zu welchem die Arbeiter sich rüsten müßten. Für die nächsten Tage wird die Veröffentlichung eines neuen Streik gesetzes erwartet, ferner die Veröffent lichung zeitweiliger Bestimmungen betr. das Vereins- und BersammlungSrecht und zweier Regierungsverfügungen, die die Notwendigkeit dartun, beschränkende Maßnahmen zu ergreifen. Das neue Streikgesetz läßt an geblich wirtschaftliche, aber keine politischen Streiks zu und setzt Strafen für die Anstifter fest, sowie Vergünstigungen für diejenigen, die sich einem Streik nicht an- schlreßen. Den Staatsbeamten ist die Be teiligung an einem Streik unbedingt untersagt. "Das Blatt ,Now Wek stellt für den 19. d. das Eintreffen des Hofes inMoskau in Aussicht, wo ein Akt von höchster Wichtig keit sür den Staat bevorstehe. (Schwur auf die Verfassung.) "In Moskau werden die streikenden Post- und Telegraphenbeamten aus ihren Dienstwohnungen ausgewiesen. "Die russischen Gutsbesitzer wollen, da ihnen militärische Hilfe gegen die Bauernunruhen versagt wird, ihre Steuerzahlungen einstellen und zum Selbstschutz greifen. "Auf dem nach Rußland heimkehrenden Panzerschiff „Zesarewtsch" meuterte in dem Hasen von Colombo (aus der Insel Ceylon) die Besatzung. Da sich die Meutereien in erschreckender Weise häufen, beabsichtigt Ad miral Tschuchnin, der Kommandeur der Schwarz meer-Flotte die gesamte Schwarzmeer- Flotte auf sechs Monate zu beur lauben, bis wieder vollkommene Ruhe im Lande eingetreten ist. "Der Reichsrat hat bei Durchsicht deS Budgets der BergdepanementS einen Fehl betrag von 2Vr Millionen Rubel entdeckt, für den ein Ingenieur verantwortlich gemacht wird. Der Angeschuldigte ist jetzt Mitglied deS Ministerkonseils. Der Reichsrat hat den Finanzminister Schipow mit der Unter suchung der Angelegenheit beauftragt. * Deutschland. * Der Kaiser traf am 16. d. zu einem kurzen Besuch in Braunschweig ein. "Der Kaiser empfing den aus dem süd- weftasrikanischen Ausstandsgebiet zurückgekehrten General-Leutnant v. Trotha in längerer Audienz. * In der Sitzung des BundeSrats am Donnerstag wurde beschlossen, dem Ausschuß bericht über den Vertrag mit der Schweiz vom 16. August 1905 über die Errichtung deutscherZollabfertigungSst eilen auf den linksrheinischen Bahnhöfen in Basel die Zustimmung zu erteilen. Die Vorlage betreffend Ergänzung der Prüf» ngsvor- ! schriften für Tierärzte wurde ange nommen, ebenso der Entwurf eines Gesetzes betr. die Hand vlsb ezi eh un g en zu England. ; "Die Verleihung deS Exzellenz- Titels an die Gouverneure der deutschen Schutzgebiete ist mit Rücksicht auf England erfolgt. (Die Gouverneure der englischen Kolonien führten nämlich sämtlich den Titel Exzellenz, und man hat sich in englischen Kreisen stets darüber gewundert, daß dieser Titel den deutschen Gouverneuren bisher ver sagt geblieben ist). * Der weimarischr Landtag nahm den Lotterievertrag mit Preußen ohne Debatte an. („Das ganze Deutschland soll es sein!") Frankreich. "Der Deputate Romeo interpellierte in der Kammer die Regierung betreffs Marokko über die internationale Lage, die er nach dem Lesen französischer und deutscher Blätter als Hochernst bezeichnete, und verlangte, daß die Balearen und die KanarischenJnseln sofort in Verteidigungszustand ver- Genecattcutnant v. Trotha. Generalleutnant v. Trotha weilt nunmehr wieder in Deutschland, nachdem er anderthalb Jahre lang in Deutsch-Südwistafnka die Operationen gegen die aufständischen Eingeborenen geleitet hatte. General leutnant v. Trotha hat unter den denkbar schwie rigsten Verhältnissen das geleistet, was überhaupt nur von ihm zu erwarten war. Der Kaiser hat die Verdienste Generalleutnants v. Trotha dadurch an erkannt, daß er ihm mit seinem Dank den Orden „kour Is mvrits" verlieh. setzt würden. (EL ist doch auch in Spanien gegenwärtig nicht so heiß!) "Gegen die Antipatrioten-Ver- einigung in Frankreich wenden sich auch die Sozialisten. Der sozialistische Deputierte Ferrero veröffentlichte eine Erklärung, daß er die Bestrebungen der antipatriotischen Vereinigung der Arbeiter entschieden mißbillige. Schweiz. "Die Bundesversammlung be stätigte die bisherigen Mitglieder des Bundes rates für eine neue dreijährige Amtsperiode und wählte zum Bundespräsidenten für 1906 den bisherigen Vizepräsidenten Forrer, zum Vizepräsidenten Müller. Holland. "Auf Celebes haben sich zwei Söhne und drei Enkel des Radscha von Boni den Holländern unterworfen. (Es hat den Anschein, als ob die Empörung der Einge borenen NUN endlich im Abnehmen begriffen sei.) Amerika. "In dep brasilianischen Abgeord netenkammer ließ der Minister des Außem durch die Führer der Mehrheit die Meldung als falsch bezeichnen, daß der Botschafter in Washington dem Staatsdepartement Mitteilung über die „Panther". Angelegenheit gemacht hat. Der Führer erklärte der Kammer im Namen der Regierung weiter, daß das Auslaufen des brasilianischen Geschwaders lediglich zum Zweck der jährlichen Übungen, nicht zum Zweck einer Drohkundgebung gegen Deutschland erfolgt sei. Aus äem Keickstage. Der Reichstag nrh^ am Don.Eslag in dritter Lesung das Hanke'spcowsonum mir England und den bulgarischen Handelsvertrag an. In Forsetzung der EtatSberaiung erhob Graf Stolberg (kons.) Ein spruch gegen die Behauptung des Grafen PosadowSky, daß die wohlhabenden Kreise in Deutschland eS an Fürsorge für die Arbeiter fehlen ließen. Abg. Bebel (soz.) hielt in längerer Rede seine Kritik der auswärtigen Politik Deutschlands aufrecht und verwahrte seine Partei gegen den Vorwurf deS Landesverrats. In seiner Erwiderung suchte Reichskanzler Fürst Bülow den Nachweis zu führen, daß die Sozialdemokratie Deutschlands seit langen Jahren die auswärtige Politik der ReichSregicrung zu diskreditieren suche, um Deutschland in einen Krieg zu treiben, bei dem sie im Trüben fischen könnte. Die Bahnen Englands und Deutschlands liefen nicht gegeneinander. Deutsch land wolle nichts mehr als gleiche Freiheit und gleichen Ellsnbogenraum in der Welt wie andre Länder. ES lei vollständig unwahr, daß wir uns England gegenüber je mals mit aggressiven Plänen getragen hätten, unwahr, daß Deutschland jemals im Begriff gestanden habe, England den Krieg zu erklären, unwahr, daß im vergangenen Winter die Flotte gegen England mobil gemacht sei. Die .Borwärts'-Meldung von einem schweren Konflikt zwischen Kaiser Wilhelm II. und König Eduard sei eine blödsinnige Lüge. Mit größter Entschiedenheit trete er dem Versuch ent gegen, den deutschen Kaiser, der seit 18 Jahren Beweise seiner ehrlichen Friedensliebe gegeben habe, als Friedensstörer hinzustellen. Wenn die Sozial demokratie darauf hoffe, Deutschland in einen Krieg zu treiben, um dann einen neuen BaMrnsturm zu unternehmen, dann werde ihr das sehr übel be kommen. Die Sitzung zog sich infolge einer aus führlichen Rede deS Abg. Erzberger (Zentr.) über Kolonialpolitik und Erwiderungen deS Staats sekretärs Frh. v. Richthofen sowie des Geh. LegationS- ratS Helfferich sehr lange hin. Am 15. d. steht zunächst auf der Tagesordnung die zweite Lesung des Nachtragsetats betr. den Bahnbau-Lüderitzbucht—Kubub. Nach kurzen ZustimmungSerklärungen der Abgg. Müller -Sagan (frs. Bp.), Frh. v. Richthofen (kons.), Schweickhardt (süod. Vp.), Lattmann (wirtsch. Vgg.), Graf Arnim (freilons.) und Bassermann (nat.-lib.) wird der Entwurf gegen die Stimmen der Sozialdemokraten angenommen, ebenso zwei Resolutionen der Budgetkommission, von denen die eine kostenlose Übereignung des Bahngsländes an die Regierung, die andre Be schränkung des Polizeischutzes auf die wirtschaftlich wichtigen Bezirke Südwestasrikas fordert. Hierauf wird die Generaldebatte über denEtat fortgesetzt. Abg. Ablaß (fr. Vp.) erhebt gleich dem Abg. Erzberger zum Teil auf Grund amtlichen Materials schwere Vorwürfe gegen Beamte und Offiziere in den Kolonien, unter anderm gegen die Gouverneure von Togo, Horn, und von Kamerun, v. Puttkamer, wegen verübter Grausamkeiten und Mißbrauch ihrer Amtsgewalt. Die Kolonialverwaltung solle auf alle Geheimniskrämerei verzichten, sich über die offene Aufklärung ihrer Schaven freuen und rücksichtslos gegen alle Verfehlungen einschreiten. Kolonialdirektor Prinz zu Hohenlohe- Langenburg erklärt sich gern bereit, nach Kräften dahin zu wirken, bittet aber vorläufig, die vorkommenden Fehler nicht allzusehr zu verallge meinern. Geheimer LegationSrat König sucht in langen AuLführungendarzulegen, daß die Kolonialverwaltung an den einzelnen Fällen unschuldig sei. Überall hätten Untersuchungen stattgefunden und überall sei, sobald etwas Nachteiliges sestgestellt worden sei, energisch eingeschritten woroen. Wem einzelne Strafen im Gnadenwege erlassen worden seien, so könne über dieses allerhöchste Begnadigungsrecht der Reichstag nicht diskutieren. Abg. v. Gerlach (frs. Vgg.) wendet das Wort der Grafen v. PosadowSky vom „mangelnden Idealismus" auf die Großgrundbesitzer an, die große Besitzungen hätten und lmariöS lebten, aber keine Einkommensteuer zahlten. Redner greift die Re gierung wegen ihres Vorgehens gegen den Regie- rungSrat Martin und der Ausweisung von Jaurös und NieuvenhuiS an. Nur mit einer freiheitlichen Politik im Innern sei eine erfolgreiche Politik nach außen möglich. Staatssekretär Graf PosadowSky: Der Fall Martin, eine reine BerwaUungSangelegenheit, eine Frage der Disziplin, war unS deshalb so peinlich, weil das Ausland sich nicht denken konnte, daß ein preußischer Beamter ein solche» Buch ohne Ge nehmigung der Regierung schreiben könnte. Die Sozialdemokratie will angeblich die Beseitigung der Klassenherrschaft und die Herbeiführung eines ewigen Friedens. In Wahrheit will sie die Stelle der jetzigen Klassenherrschaft nur eine anbre Klaffenherrschaft setzen, weil doch das Proletariat nie herrschen kann, sondern die Herrschaft immer in den Händel einer bürger lichen Gesellschaft bleiben muß. Jedenfalls beruht die große Ausbreitung der Sozialdemokratie, das habe ich in meiner neulichen Rede sagen wollen, nicht auf der hypnotischen Kraft ihrer Führer, son dern auf den inneren Krankheiten im deutschen Volkskörper. Die psychologischen Ursachen dieser Krankheit habe ich mich zu ermitteln bemüht, und ich glaube, wer den Mut hat, der Katze die Schelle umzuhängen, erwirbt sich unter Umständen ein großes Verdienst. Abg. Stöcker (wirtsch. Vgg.): In der Sozial demokratie ist jetzt eine revolutionäre Maul- und Klauenseuche auSgebrochen. Frau Rosa Luxemburg, die fetne Dame, predigt jetzt offen die Revolution, die mitzumachen fie zu feige ist. Das ist die Frucht der Entchristlichung und Verwilderung deS deutschen Volke» durch die Judenpreffe. Aber wenn wir mutig an die Arbeit gehen, werden wir diese Revolutionäre doch noch unterkriegen. Schatzfekretär Frh. v. Stengel sucht nachzu weisen, daß § 6 des Flottengesetzes sich nur auf die damaligen Flottenausgaben bezogen habe. Genuß- mittel wie Tabak und Bier könnten eine starke Be lastung wohl vertragen. Nur durch das Eingreifen der beteiligten Industrien würde draußen im Lande der Kampf um die neuen Steuern so unnütz verschärft Abg. Gamp (freikons.) polemisiert gegen die Angriffe des Abg. b. Gerlach gegen die Großgrund besitzer und gegen den Abg. Bebel wegen Erweite- run: des Wahlrecht» in Preußen, weil die Arbeiter dabei nicht zu ihrem Reckt kämen. Hierin gebe er ihm ja recht, aber Herr Bebel werde ihm doch zu geben, daß bei dem Reichstagswahlrecht die Arbeiter ein zu großes Recht haben, daß den besitzenden, intelligenten Klaffen ein größeres Wahlrecht zu komme. Der Vorwurf, daß die besitzenden Klaffen auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge rückständig find, sei unberechtigt. ES fehle aber den bürger lichen Parteien das Vertrauen, daß die Regierung die Sozialdemokratie energisch bekämpfen will. Diese» Vertrauen sollte man den bürgerlichen Parteien ver schaffen. Hierauf vertagt sich das Haus. Der Präsident beraumt die nächste Sitzung nach halbstündiger Pause an. Auf der Tagesordnung steht zunächst die dritte Beratung des zweiten Nachtragsetats (Bahn bau Lüderitzbucht—Kubub). Abg. Ledebour (soz.): Wir stehen dieser Vorlage nach wie vor ablehnend gegenüber und wissen nicht, wie die Vertreter andrer Parteien dazu gekommen sind, ihre, Ansichten zu ändern. Die Kapitäne der Woermann-Gesellschaft haben in der Kommission zwar auSgeführt, daß der Hafen von Lüderitzbucht nicht versanden würde. Das mag sein. Aber es ist doch auf der andern Seite auch festge stellt, daß die Bevölkerung nach Norden verzieht. WaS soll nun die Bahn, wenn keine Bevölkerung da ist? Redner kommt noch einmal ans den Aufruf des Generals v. Trotha an die Herero zurück, in dem Preise für die Häupter ihrer Führer ausgesetzt find. In schneidendem Gegensätze dazu stehe der Hendrik Witboi von Oberst Leutwein gewidmete Nachruf. Geheimrat Helfferich protestiert gegen die Behauptung des Vorredners, daß General von Trotha eine Rüge vom Reichskanzler erhalten habe. Der Reichskanzler habe seine volle Übereinstimmung mit der Tätigkeit des Generals von Trotha wieder holt zum Ausdruck gebracht. Nach weiteren Bemerkungen der Abgg. Müller- Sagan (frs. Vp.) und Ledebour wird die Vor lage endgültig angenommen. Oberst v. Deimling: Im Namen meiner Kameraden draußen in Afrika dank: ich von ganzem Herzen dem Hohen Hsuse für die schnelle Be willigung der Bahn. Sie dürfen überzeugt sein, daß von allen Weihnachts-Geschenken keiner so die Truppen erfreuen wird wie Ihre Gabe, dis Eisen bahn. ES folgt die Fortsetzung der ersten Lesung de» ReichShauShaltSetat». Abg. Gothein (frs. Vgg.) polemisiert gegen den Abg. Stöcker und betont, daß gerade daS Judentum stets zur Linderung der Not bereit sei und als Muster gelten könne. Würde auch das übrige Bürgertum die Opferwilligkeit beweisen, so Würden wir der Ausbreitung der Soziaidemokralie am besten begegnen können. Abg. Blumenthal (südd. Vp.): Ein günstiges Verhältnis zu Frankreich zu unterhalten, muß die deutsche Diplomatie stet» als eine ihrer vornehmsten Aufgaben betrachten. Redner beleuchtet dann ein gehend die Marokkofrage und erklärt, e» gäbe kein unpopuläreres Unternehmen als einen Angriffskrieg gegen Frankreich. Nack einer kurzen Auseinandersetzung zwischen dem Abg. Erzberger und dem Geheim rat Helfferich wird die Debatte geschloffen. Der Präsident Graf Ballestrem wünscht den noch versammelten Abgeordneten ein fröhliches Weihnacht-fest und ein gesegnetes Neue» Jahr. Stächst« Sitzimg: Dienstag, den S. Januar 1906. K Vie Hauern-Krunkiläe. 13s Erzählung au» d. bayrischen Bergen v. M. Neal. «Fortsetzung.) Der Gunthererbauer zog sein Kind an sich und sagte .leise, als ob er ihr nicht allzu weh tun wollte: „Arm'S Deandl, ja, eS iS wahr, was da Lenzer g'sagt hat, er hat recht bericht't!" Traudl erschien zuerst alles wie ein Traum. Als der Sepp fie gestern verlassen hatte, da zweifelte fie, aber fie hoffte noch. Sie sagte fich, daß der Bursche nur diese Verleumdung vorgebracht habe, um Gottfried bei ihr anzu- schwärzen und dadurch eher seinen Zweck zu erreichen. Sie konnte und wollte nicht glau ben, daß ihr Friedl so schlecht sein sollte. Und jetzt — jetzt sagte ihr der eigene Vater, daß AlS Traudl nichts auf feine Mitteilung er widerte, sprach Guntherer ingrimmig weiter: „Der Lump, der miserablige, der Gauner, der g'wiffenlose, hat di' wirkli' Hinter ganga und mi' dabei betrog'» und belog'n!" DaS Mädchen konnte nicht sofort alles daS fragen, waS fich ihr auf die Lippen drängte, so fassungslos machten fie die Worte des Vaters. „D' Bärenwirtin hat 'n in ihr Netz g'lockt, und da drinn is a hänga blieb'n," erzählte Guntherer weiter. „Der nixnutzige Loder hat di' sitzen lassen und mit da Vroni a G'spufi an?,'sang!. Und desz'weg'n kan mir zwoa gestern hart ananands g'lllien." Traudl starrte den Bauern mit weit aus- gerissenen Augen an. „DbS mit dir sei net de richtige Liab g'wen, hat a g'sagt, er war mit dir nia glückli' war'», hat a g'sagt, und d'rum hat a st' d' Bären wirtin g'numma, hat a g'sagt, der auSg'schamte Spitzbua der, weil er moant, mit der is a beffa «'stellt." Guntherer tat es wohl, fich die Wut so von der Leber herunter zu reden, es wurde ihm leichter, je mehr er schimpfte und wetterte. DaS Mädchen aber sagte kein Wort, fie hatte fich von ihrem Vater fortgemacht und fetzte fich auf die Ofenbank, ihr bleiches Antlitz in den Händen bergend. So hatte es kommen müssen. Seine Schwüre, seine Küsse, seine Liebkosungen, alles war Lüge, alles war Ver stellung. Er hätte mit ihr nicht glücklich werden können, und doch versicherte er ihr stets, wie glücklich er sei. Ja, ist eS denn möglich, so schlecht zu sein! Hat fie das verdient, war fie nicht ganz in ihm aufgegangen l Und jetzt? Ihr schlanker Leib schüttelte fich in heftigem Schluchzen. DaS kann fie nicht ertragen. DaS ist zu viel des Leidens. „Tröst' di', Traudl," begann Guntherer wieder, dem gleichfalls daS Weinen näher stand; „über an solchen wortbrüchigen Lumpen sollt' ma' st' gar net aufreg'n. Aba i wer'n scho' zwinga, sei' Versprech'n elnz'lösn, so geht ma' mil'm oanzig'n Kind vom Gunthererbauer net um, dös soll a st' mirka." „Na, Vata, wann a net selba limmt, wenn an d' Liob net hertreibt, na' lass'» laus'», i hali'n net ans," erwiderte Traudl, feuchten Auges zu ihrem Vater aufblickend, der wohl weislich verschwieg, daß ihn die Sache ebenso anging, wie daS Mädchen. „Wann a meint, mit da Vroni glücklicher z' wer'n wie mit mir, na' will i eahm net im Weg steh'n. A zwun- gane Liab is nix, da fehlt a'S Glück." „Nix da, so leichten Kaufs kimmt a ma' net loS, entweder er halt sei' Wort oder — —" sagte Guntherer, der seine alte Beweglich keit wieder gesunden hatte, und, vor Traudl Kintretend, mit den Armen herumfuchtelte, als hätte er Gottfried vor fich. „I laß mi' net von dem herg'laufana Windhund blamir'nl So wahr i Guntherer hoaß, i bring da 'n Wieda, tot oda lebendi', ins HauS!" Traudl schüttelte den Kopf, dann erhob fie fich von der Bank, band ein Tuch um und verließ das Zimmer. Guntherer schaute ihr schmerzbewegt nach, dann ballte er die Hand und stieß zwischen den zasammengepreßten Zähnen einige Verwünschun gen hervor. Die Glocken läuteten gar feierlich zum sonn täglichen Gottesdienst. Die Töne klangen vom Winde getragen, weithin durch daS Tal und riefen die Menschen in die Kirche, um Gott zu danken für all daS Herrliche, daS er zu ihrer Freude vor ihnen auSgebreitet hatte. Don allen Seiten strömten die Bauern und Bäuerinnen im Sonntagsstaat herbei; selbst von den Berg hösen waren fie herabgekommen, um wieder einmal gemeinsam mit andern Leuten GotteS Wort zu hören. Vor dem eisernen Tor des kleinen Friedhofes, der di« Kirche umgab, standen die jungen Burschen, ihre Pfeife rauchend. Jeder Vorübergehende wurde genau gemustert, besonders die Mädchen mußten fich einer scharfen Prüfung unterwerfen, und da flog so manches Scherzwort hinüber und her über, so manche Neckerei ließ die, Welchs fie anging, erröten. Dort im SLatten, hart an der weißgetünchten Mauer deS Kirchhofes, hatte fich eine Gruppe älterer Bauern gebildet, die eifrig von den Aussichten der Ernte, von der Politik und von den schlechten Zeiten sprachen. DaS haben schon ihre Voreltern so gemacht, fie machen es ebenso und die nächste Generation wird von dieser Gepflogenheit nicht abweichen. Im Bauern steckt ein gutes Stück Konser vativismus, der gleichzeitig sein bester Schutz gegen di« destruktiven Tendenzen der städtischen Kultur ist. Frauen mit schwarzseidenen Kopf- tüchern, den farbigen Fürder vorgebunden und am Mieder silbernes Geschnür, eilten in die Kirche, dem einen oder andern der Männer einen Gruß zuwerfend. Langsam, als ob er sehr müde sei, kam jetzt der Gunthererbauer auf die Kirche zugeschritten. Sein Erscheinen erregte allgemeines Aussehen. Die Burschen nahmen schweigend die Hüte ab, während die älteren ihm ein aufrichtiges „Grüaß Gott" zuriefen. „Na, aa Wieda auf die Füaß?" — „Schaua, da Guntherer, schlecht fiehchst auS l" — „Bist denn Wieda her'gestellt?" so gingen die Fragen durcheinander. Guntherer aber wehrte ab und trat mit den übrigen in die Kirche, denn man begann bereits zum zweiten Male zu läuten. AuS dem „Grauen Bären" traten jetzt die
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