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Die „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Annahme von Inseraten bi» vormittag io Uhr. Inserate werben mit io Pf für die Spaltzrtl» berechnet Tabellarischer Satz nach bi- sonderen» Tarif. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdors und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Druck und Verlag von Hermann Rühl« in Groß-Gkrilla. Lür die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Nr. 162. Mittwoch, den 20. Dezember 1906 4. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Ottendorf-Okrilla, Dezember igas — Am 8. Februar 1906 vorm. 10 Uhr soll das in Ottendorf an der Radebergerstraße gelegenen Grundstücke des Herrn F. Wilhelm Conrad an Gerichtstelle versteigert werden. — Die für das Bereich der sächsischen Staatsbahnen bestehenden zehntägigem Rund reisekarten, die am 18. Dezember dieses Jahres und an den folgenden Tagen gelöst ,werden, gelten bis zum 8. Januar 1906; die Gültig keit erlischt um Mitternacht des letzten EeltungS- tageS. Eine gleiche Verlängerung der Geltungs- daner tritt für die außerdcutschen Strecken im Verkehr auf Rückfahrten zwischen sächsischen Stationen und solchen der Böhmischen Nord bahn, der Friedländer Bezirksbahnen und der Französischen Nordbahn (Paris über Aachen) ein. Die Rückfahrtkarten nach der Schweiz und Pa is über Hof behalten für die außer- deutschen Strecken ihre tarifmäßige Benutzungs frist, werden also von der Gültigkeitsverlängerung zu Weihnachten nicht berührt. — Trotzdem der Wasserstand der Elbe in den letzten Tagen eine weitere Aufbesserung er fahren, läßt der Schiffsverkehr auf der Elbe immer mehr nach; die Fahrzeuge suchen die Winterhäfen auf und nicht lange wird es dauern, daß völlige Winterruhe auf der großen Verkehrsstraße dem Elbstrome, herrscht. Ponikau. Hier brannten von dem Anwesen Gottlieb Schneiders Scheune und Stall und von demjenigeu Karl Nicklichs Wohnhaus Scheune und Stall nieder. Schneider trifft erheblicher Schaden, da er nicht versichert hat. Radeburg. Am Mittwoch früh in der fünften Stunde wurde in Ober-Rödern das Anwesen des Hausbesitzers Franz Seifert durch Feuer zerstört. Dresden. Vor einigen Tagen gelang es, einen Hochstapler hier festzunehmen, der obwohl erst 16 Jahre alt, Anfang November seinem Lehrherrn, einem Kaufmann. 5000 M. unter schlagen hatte und mit den verschiedensten Städten Frankreichs und Deutschlands, vielleicht auch der Schweiz, herumgercist war. Er hat sich von Berlin aus völlig mittellos hierher gewendet, hatte in einem der vornehmsten Hotels Wohnung genommen, sich für den Grafen Gricbenow aus Berlin, auch den PrivatuS v. Oelbermann aus Köln ausge geben und mit Automobilgeschäften Verhand lungen angeknüpft angeblich um sich ein Kraft fahrzeug zu kaufen. Ob er etwa während seiner Reisen Betrügereien verübt hat, steht noch dahin. Man fand bei ihm einen ge schliffenen Dolck und einen anscheinend türkischen Orden. Nach Verbüßung mehrerer Haftstrafen wird er dem hiesigen Gerichte zugeführt werden — Am Sonnabend abend fanden hier in verschiedenen Sälen sozialdemokratische Ver sammlungen statt, nach deren Schluß cS aber mals zu Demostrationen kam. Die Menge beabsichtigte Stells vor das Schloß teils vor das PalaiS des Gaatsminister v. Metzsch vor- zudringcn, was aber durch die Gendarmerie verhindert wurde. Hierbei fielen aus der Menge drei Schüsse gegen die berittene Gendarmerie, wobei einem Gendarm der Backen durchschossen wurde. Auch mit spitzen Eisenstücken und Steinen wurde gegen die Gendarmerie geworfen. Es gelang schließlich der Gendarmerie die zu tausenden angewachsene Menge zurück zu drängen und zu zerstreuen, wobei allerdings sich widersetzende Demostricrende verletzt wurden. Verhaftungen sind über 20 vorgenommon worden, außerdem wurden eine Anzahl Personen sistiert, die nach erfolgter Namensfeststellung wieder entlassen wurden. Bei einem Inhaftierten wurde eine geschliffener Dolch vorgesundcn. Gegen drei Uhr morgens war die Ruhe wieder herg stellt. Auch in Chemnitz fanden am Sonntag Straßen- demostrationen statt. — Zahlreiche russische Familien sind in Dresden ang kommen, um hier für die nächste Zeit ihr Domizil aufzuschlagcn- In der hiesigen russischen Kolonie finv in der letzten Woche einige aus Rußland geflüchtete vor nehme Familien ausgenommen worden, .auch Judenfamilien aus Odessa sind hier einge» troffen. Täglich kann man jetzt in Dresden junge Leute in russischer Militäruniform sehen Zöglinge russischer Offizierschulen, die mit den Angehörigen dem Vaterlands infolge der dort herrschenden Wirren auf Zeit den Rücken kehren. Am Sonnabend trafen mit dem Wiener Schnellzuge 6 Uhr 52 Min. abends abermals russisch- Flüchtlinge ein, Sie wurden von hier ansässischen Ruffen empfangen, wobei es. namentlich zwischen den Damen, zu er schütternden WiedcrsehenSszenen kam. So viel man hören konnte, hatten die Ankommenden die Reise auf Umwegen, bis Oesterreich zur See, zurückgelegt. — Am Sonnabend abend zwischen 6 und 7 Uhr hat ein etwa 14 bis 16 Jahre alter Unbekannter, anscheinend Arbeitsbursche, der von einer Arbeitersehefrau im Großen Garten nach dem Wege gefragt wurde, diese aus einem Seitenwege in der Nähe der Karcheralle plötzlich und unerwartet zu Boden geworfen und zu verwaltigen versucht. Auf die Hilfe rufe und infolge eines Bisses, den die über fallene Frau dem Täter in die rechte Wange versetzt hat, hat der Unbekannte die Flucht er griffen. Coswig. Herr SanitätSrat Dr. Pierson hat mit behördlichen Genehmigung die Leitung des ärztlichen Dienstes seiner Heilanstalt Lindenhof Herrn Dr. med. F. Lehmann über tragen, der bereits seit 1. August d. I. in der Anstalt tätig ist. Herr Dr. Pierson, der die Anstalt 21 Jahre geleitet, beschränkt sich in Zukunft auf eine ärztlich beratende Tätigkeit und die Ueberwachung des wirtschaftlichen Be triebes, Dr. Lehmann hat sich bereits 16 Jahre der Psiychiatrie und Nervenheilkunde in städtischen und staatlichen Anstalten (seit 1898 in leitender Stellung in Bamberg) gewidmet und ist als Sohn des Vorgängers von Dr. Pierson, des langjährigen, verdienstvollen Leiters der Privatanstalt in Pirna, Dr. Fr. O. Leh mann, auch mit dem Leben und den Verhält nissen einer Privatanstalt vertraut. Sebnitz. Der Hausbesitzer und Weber Eckolt schnitt sich, während seine Frau das Frühstück vom Bäcker holte, mit einem Rasier messer die Kehle durch, Er soll sich in großer Aufregung darüber befunden haben, daß er aus seiner Stellung, in der er über 40 Jahre tätig war, nach Differenzen mit seinem Chef entlasten worden war. Leipzig. Im Geschäftslokale des Bäcker meisters Lobig erfolgte am Sonnabend früh 4 Uhr eine heftige Gasexplosion, wobei der Monteur Hartmann sehr schwere Brandwunden erlitt, Der Lehrling Hammerbacher wurde infolge des gewaltigen Luftdrucks durch jdie große Schaufensterscheibe auf die Straße ge schleudert er trug glücklicherweise nur leichte Verletzungen davon. Die Ursache der Explosion ist noch nicht festgestellt. R.ödlitz bei Lichtenstein, Der Bergarbeitet Gerber in Rödlitz bei Lichtenstein ist im Schachte des SteinkohlenwerkeS Bockwa- Hohndorf-Vereinigtfeld durch eine Quetschung mit Schädelbruch so schwer verletzt worden, daß er, ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben, gestorben ist. Der Verunglückte hinterläßt eine Frau mit drei unerwachsenen Kindern. Meerane. In das Zwickauer Unter suchungsgefängnis eingeliefert wurden die Kaufmannslehrlinge Lorenz und DLmmerich aus Meerane, die Mit:e Oktober von dort flüchtig geworden waren, nachdem ersterer einen Scheck über 1000 Mk. mit der Unterschrift seines Chefs, eines Meeraner Konfektions- geschäftsinhaberö, gefälscht und diesen Betrag bei einem Bankgeschäft abgehoben hatte. Di- Durchbrenner sind aus Pest, wo ihrer Fest nahme erfolgt war, ausgeliefert worden, Oderer initz. Nachdem bereits vor Wochen einmal hakenartige Instrumente in dem Briefkasten der Reichspost, die zweifellos zum Herausangeln von Briefschaften hatten dienen sollen, gefunden waren, beobachtete am Donners tag früh ein Bewohner des Hauses des Gemeindevorstandes, wo der Briefkasten neuer dings angebracht ist, daß sich ein Mann am Briefkasten zu schaffen machte. Er teilte die Wahrnehmung dem Gemetndevorstande und derzeitigen Postoerwalter mit und beide wollten den Unbekannten stellen, der zunächst die Flucht ergriff. Er wurde jedoch eingeholt und in Ge wahrsam gebracht, um am nächsten Tage an das Amtsgericht Kirchberg eingeliefcrt zu werden, Es ist ein älterer Fabrikarbeiter von Oberccinitz, Vater erwachsener Kinder, der -S auf .die noch nicht abgestempelten Freimarken der Briefe und auf etwaigen Wertinhalt der selben abgesehen hatte und um diesen geringen Gewinns halber seinen ehrlichen Namen auf das Spiel gesetzt hat. Grünstädtel bei Schwarzenberg. Hier stürzte die Schwiegermutter des PlättmeisterS Wendler mit ihren dreijährigen Enkelkinde durch die den Caßlerschen Betriedsgraben bedeckenden Zementplatten. Die zu Hitfe eilenden Ange hörigen fielen in der Dunkelheit ebenfalls durch die entstandene Oeffnung in das Master. Während sich die Erwachsenen retteten, ertrank das Kind. Eibenstock. Der hiesige Erzgebirgszweig, verein gedenkt hier Hörnerschlittenfahrten ein zurichten, zuvörderst auf den beiden Strecken Eibenstock — Muldenhammer und Hauptstraße Unteren Bahnhof, Zur Verfügung stehen be reits sechs Schlitten. Freilich fehlt noch das Wichtigste, der Schnee' Plauen i. V. In der Nähe des Bahn hofs Neudorf bei Plauen in Vogtl. wurde der Maurer Bauer aus Bobenneukirchen über fahren und gräßlich verstümmelt. Beide Beine wurden dem Verunglückten vom. Rumpfe getrennt. Er war sofort tot. Aus der Woche. Trennnng von Kirche und Staat in Frank reich ist nun zur vollendeten Tatsache ge worden. Die Kirche war die bedeutendste und entscheidende Mithelferin bei der Gründung des Frankenstaates unter Chlodwig vor 1400 Jahren Mit Ausnahme der Episode unter der großen Revolution, bei der eine Dirne öffentlich als „Göttin der Vernunft" gefeiert wurde, hatte die katholische Kirche mit ihrer „ältesten Tochter", wie die Päpste Frankreich benannt hatten, immer aus gutem Fuße gestanden und selbst der erste Napoleon hat vor 100 Jahren mit dem Papste ein Konkordat geschlossen, Die 14 hundertjährige Verbindung hört nun auf: die Kirche soll fortan in Frankreich nur eine private Vereinigung ihrer Gläubigen sein, die gleich allen anderen Vereinen unter dem Gesetze steht und wozu der Staat keinen Centime mehr zahlt. — Die Flottendemostration ist zu Ende gegangen, die Mächte haben ihren Willen durchgesetzt und damit ist die Macht des Sultans in Europa, ausschließlich auf das Gebiet um Konstantinopel herum beschränkt. Das ist allerdings gegen früher rin erheblicher Rückschlag, vor zweihundert Jahren beherrschten die Türken die ganze Balkanhalbinsel und Ungarn und waren daran, auch Wien zu be lagern. Dann sind sie allmählich zurückgegangen so daß man schon zu Zeiten Josephs des Zweiten von der Türkei als dem „Kranken Manne sprach; diesem sind im Laufe der Zeilen immer mehr Glieder abgeschnitten und abgebunden worden: Griechenland, Ru mänien, Serbien, Bulgarien, Bosnien, Rumelien und nun auch Mazedonien. Aber trotzdem zeigte der kranke Mann ein überaus zähe» Leben. 1853 hatte Zar Nikolana I, die Türkei als einen Kranken, der im Sterben liegt, bezeichnet. Aber dieser Todkranke hat 1876 den Rusten noch gewaltig zu schaffen gemacht, war Sieger im letzten Kriege gegen Griechenland und wird auch die neue Am putation ohne Schaden überstehen, — In Rußland wollen sich die Dinge noch immer nicht entwirren. In Livland und Esthland sind die lettischen Bauern im vollen Aufstande, gegen die deutschen Grundbesitzer und haben sogar die lettiscbe Republik ausgerufen. Es geht damit eine Schreckensfaat auf, die von der früheren russischen Regierung auSgestreut wurde, aber ein andres Gewächs als das er wartete zu Tage förderte. Gegen die baltischen Grundbesitzer war's gemünzt, jetzt richtet es ich nicht nur gegen diese, sondern gleich gründlicher gegen die heillose Regierung des Zaren. Nicht nur Polen und Finnland fordern jetzt Selbstverwaltung, sondern alle andern Fremdvölter, die auf russischen Boden sitzen, so die Letten, Grusinier, Klein- und Schwarzrusten so daß die Zentral-Regierung nur die Ober aufsicht über alle und die Leitung des zarischen Völkerbundes hätte. Vielleicht ist dieses Pro gramm heilsam, wer hätte Kraft genug zu seiner Durchführung. Witte allein zeigt sich einstweilen noch als Herr der Lage, aber er wird ebenso heftig von den Reaktionären wie von den Radikalen bekämpft und sein Anhang die „Jntilligenzen", die etwa in der Mitte zwischen den beiden erwähnten Bestrebungen stehen, sind nicht zahlreich, kräftig und einig genug, um zu gleicher Zeit mit Erfolg gegen zwei Fronten kämpfen zu können. Die Radi kalen wollen den völligen, gewaltsamen blutigen Umsturz de» Zarentums und die rote Republik die Reaktionäre dagegen möchten mit Bomben und Kartätschen das aufsässige Volk zur Ordnung zurüäführen. — Alice Roosevelt hat sich mit dem Kongreßmitglied Nicolas Longworth verlobt. Alt genug dazu mag sie ja sein und es wäre an dem Vorgänge nichts Auffälliges, wenn es nicht im Weißen Haust offiziell verkündigt worden wäre. Roosevelt wächst immer mehr in die Cäsarenrolle hinein und ^ein Wunder wäre es nicht zu nennen, wenn er seinen Brutus und das Ende Lincolns Garfields und Mac Kinley» fände. Man schrieb seinerzeit bekanntlich auch dem Präsidenten Grant die Absicht, sich zum Kaiser zu machen, zu, und weite Volkskreise bekämpften deshalb seine Wiederwahl. Merkwürdigerweise fällt bei Roosevelt, besten Absichten gewollt oder un gewollt weit deutlicher zutage treten, keine nennenswerte Opposition auf, so daß man fast zu dem Glauben gelangt das amerikanische Volk habe sich inzwischen mit dem monarchischen Gedanken schon mehr vertraut gemacht. — Der Kaiser von Korea hat gegen den Vertrag mit Japan protestiert, der ihm abgezwungen worden sei. Das wird ihm bitter aufstoßen, sein bißchen Kaisertum wird ihm noch mehr beschnitten und ihm aller Wahrscheinlichkeit nach seine auswärtigen Vertretungen genommen werden. Daß er eine reine Null ist und fals solche von allen Seiten angeschen wird, ergibt sich .schon aus dem Umstande, daß Rußland mit ihm keinen Frieden geschloffen hat, er auch zu den Friedensverhandlungen nicht zu gezogen wurde, obgleich er im vergangenem Jahre gleich nach dem Einrücken der Japaner in sein Land gleichfalls den Rusten den Krieg erklärt hatte. Allerdings hat er auch den Rusten nichts getan, als diese Streifzüge in sein Reich unternahmen. Dieses Unterlasten aber mußte als Zeichen von Schwäche aus gelegt werden und einem Schwachen steht man in der Politik nicht bei, selbst wenn eS ihm an den Kragen geht.