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Ottendorfer Zeitung : 04.11.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190411048
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19041104
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19041104
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-11
- Tag 1904-11-04
-
Monat
1904-11
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 04.11.1904
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Von I^ak unä fern. Vcrlobungsgerüchte über Mitglieder des bayrischen Königshauses laufen wieder einmal durch einen Teil der auswärtigen Presse. Mit einer bayrischen Prinzessin soll sich Prinz Johann Georg von Sachsen demnächst verloben. Weiter heißt es, Prinz Heinrich von Bayern sei im Begriffe, sich mit seiner Koufine, der Prinzessin Hildegard von Bayern, zu verloben. Von zu verlässiger Seite wird versichert, daß von solchen Verlobungsabfichten nichts bekannt ist. Vom Pferde gestürzt. Major Baron von Redwitz, Adjutant des Herzogs Siegfried von Bayern, ist bei einer Fuchsjagd der Reit anstalt gestürzt und sehr schwer verletzt, so daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird. Keine Prügel mehr. Nach einer Ver fügung des hesfischen Ministeriums haben die Bestimmungen bezüglich der Disziplinarmittel in den Schulen des Großherzogtums eine Änderung dahin erfahren, daß fortan alS Strafe nur noch „Verweis" und „Arrest" über unbotmäßige Schüler verhängt werden dürfen. Die körperliche Züchtigung kommt dagegen gänzlich in Fortfall. Der Arrest soll jedoch die Dauer von fünf Stunden nicht überschreiten. (Hoffentlich wird die hessische Jugend diesen Kuliurfortschritt zu würdigen verstehen.) Brennender Boden. Ein Moorbrand wütet jetzt schon seit drei Monaten im Kreise Osthavelland. Er entstand im Luch des Dorfes Grünefeld während der trockenen heißen Sommer zeit und hat auf das gleichfalls moorige Gebiet mehrerer Nachbardörfer hinübergegriffen. Selbst die letzten Regenfälle haben das Feuer, das bis 2 Meter tief in den stark torfhaltigen Erd boden eingedrungen ist, nicht löschen können. An verschiedenen Stellen lodern zeitweise meter hohe Flammen über die Erdoberfläche empor; die auf eigens geschütteten Dämmen durch die Luchländereien führenden Wege find wegen Feuersgefahr unpassierbar. Das Geldspind eines Konsumvereins in polizeilichem Gewahrsam. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Küstrin die Beschlagnahme des Geldspindes des Konsumvereins in Göritz a. O. beschlossen. Aus 'diesem Anlaß wurde das Geldspind in polizeilichen Gewahrsam gebracht. Der Winter im Riesengcbirge. Schon vor drei Wochen hat der Winter flüchtig einmal seine weiße Karte abgegeben, aber erst jetzt seinen end gültigen Einzug im Hochgebirge gehalten. Während «S unten im Tale nur hin und wieder regnet und trübes Wetter herrscht, schneit es auf dem Kamme tüchtig. Bereits bis auf die GebirgSaufgänge reicht der Schnee herab. Man hat auch alle Vorbereitungen für den Winter getroffen. Die Telearaphendrähte zur Koppe, die im Winter durch den Rauhfrost zer stört werden, find abgcnommen worden. Die Baudenwirte sind größtenteils zu Tale gezogen. In den Bauden sorgt aber im Winter ein Wächter für die Wanderer, die sich die Berge einmal in des Winters Pracht und Herrlichkeit ansehen wollen. Sind die Schneeverhältnisse gut, dann wird eS nicht lange dauern, und Schlitten» und Schnecschuhfahrer beleben wieder baS Gebirge. Überhaupt haben die Winterfahrten in den letzten Jahren bedeutend zu genommen. In den Schacht gestürzt. Auf der Zeche „Wolfsdank" bei Essen hat sich ein tieföedauer- liches Unglück ereignet. Zwei Bergleute stürzten dort in den Schacht und wurden zer schmettert. Sich selbst verraten. In das Duisburger Gerichtsgefängnis ist ein gewisser Louis Biek- mann unter dem dringenden Verdacht eingeliefert worden, den Stellmachergesellen Obermann im August d. im dortigen Stadtwalde ermordet und beraubt zu haben. Der Täter hat sich im Verlaufe eines Gesprächs selbst-verraten. Schreckenstat eines Vaters. In dem Dorfe Sierße (Braunschweig) durchschnitt ein Arbeiter seinem Kinde die Zunge. Das Kind starb an der Verletzung; der Täter ist verhaftet. Rost und Reiter im Moor versunken. Bei einer vom Offizierskorps in Riesenburg ver anstalteten Fuchsjagd wurde der Oberleutnant Würtz von einem eigenartigen Unfälle betroffen. Auf dem Wege zum Stelldichein geriet der Offizier in der Nähe von Riesenwalde in die Moorwiesen des Flüßchens Liebe und versank samt seinem Pferde im Augenblick bis an den Hals. Der Geftütsdirektor v. Auerswald, der dem verunglückten Offizier folgte, rettete ihn unter vieler Mühe aus seiner gefährlichen Lage; auch das Pferd konnte in Sicherheit ge bracht werden. Gin aufregendes Vorkommnis ereignete sich dieser Tage im Gerichtsgefängnis zu Dort mund. Ein wegen Totschlags inhaftierter Italiener wurde plötzlich tobsüchtig. Als man die Zelle aufschloß, stürzte sich der rasende Mensch auf den Gefängnisinspektor und ver suchte, ihn über das Treppengeländer zu werfen. Schnell hinzuspringende Aufseher ver hinderten ihn an der Tat. Erst den vereinten der Kiellinie; es erlitt bedeutende Havarie, eine Katastrophe trat jedoch nicht ein, da die Versuchs torpille nicht geladen war. Die Havarie wurde lediglich durch die Schwere der Torpille ver ursacht. Es hatte sich sofort das Gerücht ver breitet, „Le Grenadier" sei durch eine japanische Mine beschädigt worden; infolgedessen entstand eine große Panik unter den französischen Fischern, obgleich dieser Sensationsmeldung sofort wider sprochen wurde. Eine freche Diebin. Eine gewerbsmäßige Ladendiebin stand jüngst in Paris vor den Auslagen eines Antiquitätenhändlers, die auf dem Rathausplatz ausgebreitet waren, und es gelang ihr, sich un bemerkt in den Besitz einer goldenen Stutzuhr aus der Kaiserzeit zu bringen. Als sie ein Stück 6rak Kasseler als Jugenäerrieker. Graf Haeseler, einer unserer bedeutendsten Heer führer, will auch im Ruhestande nicht müßig sein, er Widmet seine noch ungebrochenen Kräfte immer noch dem Dienste des Vaterlandes und zwar hat er sich auf seinem Gute Harnekop bei Wriezen einen Jnstruktions- kursuS für die eingefegnete Jugend eingerichtet, der aus unterrichtlichen Besprechungen in deutscher Sprache, Rechnen, Geschichte, Geographie, Natur- und Geländekunde bestehen und in der Hauptsache dazu dienen soll, die jungen Leute für den Militär dienst vorzubereiten. In den meisten Fällen hat der konfirmierte Jüngling, besonders auf dem Lande, keine Gelegenheit, seine Schulkenntnifse aufzusrischen und zu erweitern. Die einseitige körperliche Arbeit stumpft den Geist ab, und aller Ideale bar tritt der Jüngling in die Armee ein. Diesem großen Übel stande will Graf Haeseler, soweit es an ihm liegt, abhelfen und deshalb hat er den JnstruktionSkursus, der sich auch auf die umliegenden Ortschaften des Gutes Harnekop erstreckt, eingerichtet. Bei günstiger Witterung findet der Unterricht auf der Feldmark statt, bef ungünstiger und im Winter in den Schul lokalen, und es sollen zur Erteilung desselben auch Lehrer und Pastoren herangezogen werden. Kräften aller verfügbaren Gefangenenaufseher gelang es, den Tobsüchtigen zu überwältigen und in seine Zelle zurückzubringen. Kurze Zeit darauf versuchte der Mann, Selbstmord zu be gehen, indem er sich mit irgend einem Gegen stände den Unterleib aufschlitzte, so daß die Eingeweide hervortraten. Man schaffte ihn sofort ins Krankenhaus. Familiendrama. In einem heftigen Streit mit seiner Ehefrau schlug der Landwirt Kießling in Soisdorf bei Rudolstadt mit einem Beil seiner Frau auf den Kopf und zertrümmerte ihr den Schädel. Die Frau liegt im Sterben. Kießling durchschnitt sich mit einem Rasiermesser beide Halsschlagadern und verblutete. Den Leutnant erstochen. In Mörchingen hat der 25 jährige Schlosser Battenberg, der dort seiner Militärpflicht genügte, den Leutnant Doujours erstochen und sich dann selbst den Hals durchschnitten. Battenberg war zuerst auf Reklamation vom Militärdienst freigekommen, dann aber, als er den Verpflichtungen gegen seine alte Mutter nicht nachkam, wieder einge zogen worden. Japanfurcht au der franzöfischeu Küste. Wie aus Dünkirchen berichtet wird, wurde bei einem Versuchsschießen mit Torpillrn unglück licherweise von einem Torpedoboot eine Torpille gegen das Torpedoboot „Le Grenadier" ab gegeben. Das Geschoß traf das Boot unter Weges mit ihrer Beute gegangen war, wurde ihr die "Tat leid, sie fürchtete, den kostbaren Gegenstand nicht „verschärfen" zu können, ohne selbst ergriffen zu werden, und beschloß, die Uhr wieder auf ihren Platz zurückzustellen. Als sie aber vor dem Ge schäfte stand, befand sich der Ladeninhaber vor der Tür, so daß sie ihr Vorhaben nicht auSsühren konnte. Kurz entschlossen trat die raffinierte Diebin an den Händler heran und bot ihm die Uhr zum Kauf an. Der Ladeninhaber betrachtete zwar zu nächst argwöhnisch die Käuferin, war aber dann so entzückt von dem zum Kauf angebotenen Gegen stand, daß er der Frau für die Uhr 1l>0 Frank gab, mit denen die Diebin schnell das Weite suchte. Kaum war sie seinen Augen entschwunden, da ent deckte der Kaufmann zu seinem Schrecken, daß er seine eigene Uhr gekauft hatte. Ein falscher „Kaiser" verhaftet. In Bari (Italien) wurde am Sonntag ein offen bar witziger Hochstapler verhaftet, der sich für Lebaudy, den ungekrönten „Kaiser der Sahara" ausgab. — Der echte Lebaudy sitzt derweil in Petersburg, wohin er sich von Berlin aus begeben hatte. Der Schatz im Schreibtisch. Ein alter kost barer eichener Schreibtisch aus dem achtzehnten Jahr hundert befindet sich im Besitze einer Familie in Brest-LitewSk. Dieser hat sich durch viele Genera tionen vererbt und gehörte ursprünglich dem polni schen Offizier Stanislaus MiSzczynSki, der erst in der polnischen Armee und dann unter Napoleon I. diente. Als der jetzige Besitzer diesen alten Tisch zur Reparatur einem Warschauer Tischler übergab, fand dieser in demselben ein Geheimfach, das dem jetzigen Besitzer gar nicht bekannt war. Der Tischler konnte zunächst dieses Schubfach nicht öffnen, da die Feder nicht mehr funktionierte. Er mußte also die Oberholsverkleidung abnehmen und fand in dem Geheimfach einen kostbaren Schatz. Abgesehen von den 60 holländischen und 35 portugiesischen Dukaten, lagen darin kostbare Ringe mit Brillanten, Perlen halsbänder und zahlreiche Edelsteine. Der Fund wird aus über 20 000 Rubel geschätzt. Der Tischler erhielt von der glücklichen Familie 1000 Rubel Belohnung. Hundert Bergleute verschüttet. Fast zu gleicher Zeit treffen zwei unheilvolle Nachrichten von furchtbaren Unglücksfällen ein, denen zahl reiche Bergleute zum Opfer gefallen sind. Wie aus Budapest gemeldet wird, stürzte ein Stollen im polnischen Goldbergwerke bei Nagy Banya ein und begrub 42 Bergleute. Eine Rettungs aktion wurde sofort eingeleitet, acht Leichen konnten bis jetzt geborgen werden. Die übrigen Bergleute sind schwer verletzt. — Weit entsetz licher ist das Massenunglück, das sich in Amerika zugetragen hat. Bei Tercio, 40 Meilen west lich von Trinidad, Kolorado, erfolgte in einer Kohlengrube im Felsengebirge eine heftige Ex plosion, bei der etwa 60 Personen ums Leben kamen. Die Rettungsmannschaften find außer stande, in die Grube, die noch in Flammen steht, einzudringen. Die Umgekommenen sind meist slawischer Nationalität. GericktskaUe. Braunschweig. Eine» etwas außergewöhn lichen Mittels im Interesse seiner Klienten bediente sich nach der,Franks. Ztg.' in einer Strafkammer sitzung der hiesige Rechtsanwalt Dr. Jasper. Sein Mandant, ein Tischler, war mit einem Strafmandat belegt worden, weil der Hund des Tischlers einen andern Hund gebissen hatte. Um den Gerichtshof von der Sanftmut der Dogge zu überzeugen, führte der Tischlermeister dem Gericht einen Köter vor, von dem die Zeugen übereinstimmend bekundeten, er sähe dem Tischlermeistershund ähnlich. Ob er eS aller dings sei, konnte niemand beschwören. Beim Schluß der Verhandlung stellte eS sich denn heraus, daß der vorgeführte Hund gar nicht der richtige war. Der Staatsanwalt beantragte deshalb, dm Tischler meister in eine Ordnungsstrafe von 50 Mk. zu nehmen. Jetzt erhob sich aber der Verteidiger Dr. Jasper und erklärte, daß der Angeklagte auf feinen Rat den falschen Hund vorgeführt habe. ES solle damit gezeigt werden, wie leicht Zeugen irren könnten. Nunmehr dehnte ber Staatsanwalt seinen Antrag dahin aus, den Verteidiger mit 50 Mk. Ordnungsstrafe zu belegen. Das Gericht lehnte indessen den Antrag ab mit der Begründung, eS wolle den Anwalt in der Verteidigung nicht be schränken. Hirschberg. Am Abend des 27. September befand sich der Oberjäger Persecke vom FSger- bataillon No. 5 mit dem Zahlmeisteraspiranten Schulz aus dem Heimwege von einer Abschiedsfeier, die die Einjährigen des Bataillons veranstaltet hatten. Beide gerieten in einen Wortwechsel, und da Persecke von Schulz geohrfeigt worden war, zog Persecke den Hirschfänger und versetzte dem Kameraden zwei Stiche in den Unterleib, infolgedessen Schulz starb. DaS Kriegsgericht verurteilte Persecke zu drei Jahr Gefängnis und Degradation. Kuntes Allerlei. Günstige Gelegenheit. A. (von seinem Absturz in den Alpen erzählend): „. . . Merk würdig, in den paar Minuten zieht das ganze vergangene Leben an einem vorüber!" — B.: „Sin Ihnen da auch die 20 Mk. eingefallen, die Sie mir noch schuldig find?" Geheilt. „Auf der letzten Automobil fahrt bekam ich entsetzliche Kopfschmerzen, ich steige ab, gehe in die Apotheke und kaufe mir ein Mittel. Ich war kaum auf der Straße, da war es weg." — „Das Kopfweh?" — „Nein, Mein Automobil." t^ach. Jahr».') Instruktion. Leutnant: Wenn jemand mit militärischen Ehren begraben wird, was muß der sein?" — Soldat: „Tot i" rM4. J-hrh.q Keine Eile. Schaffner: „Sie sitzen ja in einem Schnellzug, mein Herr, wozu Sie Ihr Billett nicht berechtigt." — Passagier: „Lassen Sie den Zug laugsamer fahren, ich hab' Zeit." seiner Mißlaune befragte, hatte er zur Erkürung nur das Wort „Geschäfte!" Und damit ent schuldigte er auch sein frühes Aufbrechen. Der etwas erkältende Eindruck, welchen das Gehaben des Familienoberhauptes hervorgebracht, schwand sehr bald wieder, bei den Liebenden vermochte ejne trübe Stimmung am heutigen Abend nicht aufzukommen. — Während über ihm in dem traulichen Familienzimmer die heitersten Zukunftspläne geschmiedet wurden, saß der Bankier blaß und verstört an seinem Schreibtisch. Den Kopf in die Hand gestützt, überflog sein Auge lange Zahlenreihen auf den vor ihm liegenden Papieren. Er stand zum zweiten Male vor einer Katastrophe, die abzuwenden er diesmal kein Mittel wußte, und die in wenigen Tagen schon hereinzubrechen drohte — ja vielleicht schon morgen. Sie würde auch vaS junge Glück der Liebenden mit einem Schlage ver nichten. Er hätte ihnen sagen sollen, daß Armut und Elend ihrer warte, daß er, der die Zukunft seines Kindes zu sichern verpflichtet war, alles vergeudet hatte in wahnsinnigen Spekulationen — daß er ein Bettler sei. Aber das hatte er nicht vermocht. Nicht einmal seiner Frau wollte er sich diesmal anvertrauen. Wozu auch? Sie konnte ihm ja doch nicht helfen, und Scham und Furcht hielten ihn zurück. Das Ende war nicht mehr zweifelhaft. Er hatte nur die Wahl zwischen dem — Gefängnis oder der Kugel. Gelang es seinen letzten verzweifelten An strengungen nicht, irgendwoher Hilfe zu schaffen, die unterschlagenen Depots und die fälligen Wechsel einzulösen, so brach das Verhängnis unaufhalisam über ihn herein. Wenn Bruno oder seine Blaut hätten ahnen können, welche Gedanken den einsamen Mann dort unten in dem großen düsteren Arbeitsraume bewegten, würden sie wohl nicht so hoffnungs- freudtg in die Zukunft geblickt haben. 16. Schon am nächsten Tage schlossen sich hinter der jugendlichen Diebin die Pforten des Ge fängnisses. Willi hatte seine Beweismittel dem Staatsanwalt übergeben, und derselbe hatte die sofortige Verhaftung der Semper angeordnet. Vor dem Untersuchungsrichter wiederholte die jetzt völlig Zerknirschte ihr Geständnis, und ohne Zweifel mußte nun Hedwigs Befreiung aus der Hast sehr bald, nach Erledigung einiger uner läßlicher Formalitäten erfolgen. Willi aber wollte der Erste sein, der die Geliebte von dieser erfreulichen Wendung der Dinge in Kenntnis setzte, und er begab sich sofort zu ihr. Wie Hedwig seine Mitteilung aufnahm? — Ihr war, als erstehe eine neue Welt vor ihren Augen, als beginne für sie ein neues Leben. Noch niemals halte ein Ereignis ihre Seele so bis in die tiefsten Tiefen bewegt und er schüttert, als diese Botschaft, die ihr der Geliebte brachte. „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, gedemütigt und erhaben, erniedrigt und erhöht suhlte sich das junge Mädchen. Erniedrigt, daß es erst dieses Beweises be durfte, ihre Unschuld darzuiun, und erhöht in dem Bewußtsein, daß ihr gutes Recht gesiegt habe. Und in einen süßen Rausch hatten Willis glühende Liebesvorte sie versetzt —: „Ja, Geliebte, jetzt wollen wir glücklich werden I — Wie schwer hast du gelitten, und welche traurige Zeit haben wir beide durchlebt, aber nicht eine Stunde lang bist du aus meiner Erinnerung gewichen, immer schwebte meinem Auge dein Bild vor. Das Gefühl, dich so un glücklich zu wissen, war die bitterste Qual meines Lebens. Nun aber habe ich dich mir wieder erobert und nichts auf der Welt soll mich mehr von dir trennen. Du wirst meine Gatlin sein! Wir werden die vergangenen Tage des Glückes wieder auferwecken, meine Hedwig, und ich werde dich doppelt lieben, um die verlorene schöne Zeit wieder einzubringen!" So braust der Hauch Gottes im Lenzes sturm über die in tiefsten Werdeschauern er bebende Erde hin, tausend schlummernde Keime und ruhende Quellen erweckend —, wie qual volle Angst und dann wieder himmlische Selig keit durch ihr Innerstes fluteten. So lange er bei ihr war, hatte Hedwigs ganzes Fühlen und Denken sich um die Person des geliebten Mannes konzentriert. Jetzt, wo sie wieder allein war, standen die alten bösen Zweifel in ihr auf, und sie zitterte in banger Sorge, in grenzenloser Angst vor der nächsten Zukunft. Würde sie die Seine werden dürfen? Wurde auch diese schwere Zeit der Erniedrigung und der Schmach durch Entdeckung der Diebin von ihr genommen, so blieb doch immer das Verbrechen ihres Großvaters wie ein unver schuldeter Fluch an ihrer Sohle haften. Dieses Familiengeheimnis durfte sie ihm nicht ver schweigen ! Während Hedwig mit diesen peinigenden Vorstellungen rang, eilte Willi nach der Turm- straße voll Zuversicht und Freude, um ihre Mutier von dem Vorgefallenen zu benachrichtigen. Das war eine Glückseligkeit, die seine Bot schaft in dem Herzen der Mutter wachrief, die sich nicht schildern läßt. Frau Bordowich war so bewegt, daß sie, nachdem Willi alles erzählt, eine Zeitlang nicht zu sprechen vermochte. Man kann die dankbaren Gefühle ermessen, die Willis innige Liebe zu ihrem Kinde in Friederike er stehen ließ. Er hatte damit den Weg znm Herzen der Mutter Hedwigs gefunden. Und während der schwergeprüften Frau die Freuden tränen über die abgehärmten Wangen rannen, faß Willi vor ihr und wurde nicht müde, von einer schönen, heiteren Zukunft zu sprechen. In diese hochgespannte Stimmung herein schlug plötzlich wie ein erkältender Strahl ein unliebsamer Zwischenfall. Draußen auf dem Korridor wurde die rauhe Stimme eines Mannes laut, der eine andre in gedämpft klingendem Tone zu widersprechen schien. Willi verstummte und blickte unangenehm überrascht auf. Frau Bordowich hatte sich mit einem halb unterdrückten zornigen Ausruf er hoben und schritt nach der Tür. Noch ehe sie dieselbe erreichte, trat ihr Bmder Rudolf unge stüm herein, gefolgt von einer riesenhaften Gestalt, die niemand anders als Jasper war, der in sichtlicher Verlegenheit beim Anblick der bc(d<m Personen auf der Schwelle stehen blieb. 6Ä (Fortsetzung folgt.)
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