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Ottendorfer Zeitung : 14.09.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190409148
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040914
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040914
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-09
- Tag 1904-09-14
-
Monat
1904-09
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 14.09.1904
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politische Kunälckau. Ter russisch-japanische Krieg. *Die Nachrichten vom ostasiatischen Kriegsschauplatz geben kein klares Bild von dem Fortschritt der Bewegungen der beider seitigen Heere und den Stellungen, die sie augenblicklich einnehmen. Daß die russische Armee vorläufig nicht daran denkt, noch einmal mit nachhaltigem Widerstande den Japanern gegenüberzutreten, ist zweifellos, sie ist auch schwerlich in der Verfassung dazu. Nur Nach hutgefechte zum Zwecke der Fernhaltung des verfolgenden Feindes mögen noch zahlreich Vorkommen. * über den Rückzug der Russen wird gemeldet: General Kuropatkin erreichte am Mittwoch Mukden, das von der Zivilbevölke rung verlassen wird. NördlichvonLiau- jang wird noch gekämpft. Täglich kommen etwa 80 Eisenbahnwagen mit Verwundeten durch. Dort eingetroffene englische und ameri kanische Berichterstatter beschweren sich über die Behandlung durch die Japaner, die alle Nicht japaner als Spione betrachten. Aus Schanghai wird dem .Standard' gemeldet: Nach Aussagen von Chinesen ziehen die Russen Tausende von Chinesen zum Bau von Verteidigungswerken bei Tienling heran. Tienling liegt an der Eisenbahn ziemlich weit nördlich von Mukden. Danach scheint es sich in der Tat zu be stätigen, daß die Russen Mukden nicht zu halten gewillt oder vielmehr nicht imstande mehr dazu sind. *Bei Port Arthur wurden von den Russen Forts von neuester Konstruktion an gelegt. Das Fundament ist von Zement und die Kanonen find durch Panzerplatten beschützt. In anbetracht eines möglichen Angriffs von der Innenseite find viele leichtere Geschütze nach innen gerichtet. Die russischen Forts find mit Nummern bezeichnet, wurden aber, um die japanischen Spione irrezuführen, neu numeriert. Die Hauptlinie der Forts im Osten, Norden und Nordwesten ist im Durchschnitt 3200 Meter vom Bahnhof entfernt; sie find durch Draht geflechte und Trancheen miteinander verbunden. Die Stellung der Japaner bildet eine Linie von Schanzen vor der Hauptlinie der russischen Forts. Die einzigen eroberten Batterien find zwei in der Gegend von dem Fort von Tschik- wantschan und die Feldgeschütze nördlich von der Taubenbucht und dem Liantschan-Leuchtturm. Sachverständige halten Port Arthur für uneinnehmbar (mit einem Male!), falls es angemessen besetzt und verproviantiert ist. Der Dampfer, der die Blockade dieser Tage durch brach, hatte außer Mehl auch Munition an Bord. Die japanische Blockade wurde verschärft und zwei mit Vorräten versehene Dschunken find in den Grund gebohrt. *Jn Nordostkorea befinden sich noch immer einige Kosakenabteilungen, von denen man seit langer Zeit nichts mehr gehört hat. Jetzt wird es ihnen aber auch an den Kragen gehen, nachdem die japanischen Operationen in der Mandschurei vom Glück be günstigt worden find. Wie einem englischen Blatte aus Söul gemeldet wird, sollen die Russen in Nordostkorea durch in der Poßjetbai gelandete japanische Divisionen abgeschnitten sein. * Von amtlicher japanischer Seite wird mit geteilt, daß die Reisernte in diesem Jahre außergewöhnlich gut ausfällt. Dieses Ernteergebnis betrachtet man als besonders wichtig mit Hinsicht auf den gegenwärtigen Krieg. » * * Deutschland. * Der Aufenthalt des Kaiserpaares in der mecklenburgischen Residenz ist bis zum 15. d. in Aussicht genommen. * Dem starken Mangel an Gold- und Silbermünzen suchte das Reichsschatzamt dadurch abzuhelfen, daß die Ausprägung von Zehn- und Fünfmarkstücken im Rechnungs jahr 1903 beträchtlich verstärkt wurde. So er freulich dieses Entgegenkommen gegenüber den fortgesetzten Klagen der industriereichen Bezirke ist, wo an den Löhnungstagen oft große Ver ¬ legenheiten entstanden, so bedauerlich ist es, daß im laufenden Rechnungsjahr die verstärkte Prägung schon wieder eingestellt wurde. Durch die einmalige Mehrprägung in einem einzigen Rechnungsjahre wird der Mangel an Gold- und Silbermünzen für Löhnungszwecke keines wegs beseitigt. Bei dem immer stärkeren Ver schwinden der Taler reicht der Vorrat an Fünfmarkstücken für die Lohnzahlungen noch immer nicht aus. Zwei- und Einmarkstücke bilden keinen Ersatz für das Fehlen von Fünf markstücken und Kronen. *Noch weitere neue Truppen transporte nach Deutsch-Südwest afrika sind, dem ,Leipz. Tagebl.' zufolge, geplant. In erster Linie handle es sich um eine Vermehrung der Eisenbahntruppeu. Sodann soll ein Feldvermessungstrupp nach Südwest- asrika gehen, Photographen, Mechaniker, Stein drucker und Zinkdrucker find hierzu benötigt. Freiwillige dieser Berufsarten aus der Reserve und Landwehr 1. Aufgebots werden von den Bezirkskommandos für den Feldvermessungs trupp gesucht. Die Eisenbahntruppen sollen nur aus dem Beurlaubtenstande genommen werden. * Großes Interesse bietet ein Privatblies des Distriktschefs von Grootfontein, Ober leutnants Volkmann, aus dem sich u. a. die bisher unbekannte Tatsache ergibt, daß doch ein Teil der Hereros treu geblieben ist. Volkmann schreibt: „. . . Die Eingeborenen sind ein wahrer Segen in jetziger Zeit, und es ist mir eine Genugtuung, daß mit ganz wenig Ausnahmen alle Eingeborenen (nämlich des Bezirks Grootfontein) — weit über die Hälfte Hereros (aber ohne Kapitäne) — unbedingt treu und zuverlässig geblieben sind." Österreich-Ungar«. * Ein neues Wehrgesetz, dessen end gültiger Entwurf in der letzten Zeit den Gegen- siand von Verhandlungen zwischen den Regie rungen von Österreich und Ungarn gebildet hat, ist fertiggestellt. Der Gesetzentwurf, in dem der Grundsatz derzweijährigenDienstzeit zur Anwendung gelangt, soll den Parlamenten beider Reichshälften bald nach dem Zusammen tritt unterbreitet werden. Matte«. "Das italienische Kriegsministerium hat plötzlich beschlossen, die alten Befesti gungen in Verona, rechts und links von der Etsch, wiederherzustellen, und zwar handelt es sich um alte österreichische Forts, von denen mehrere bereits in Privatbefitz über gegangen find. Diese Forts waren bisher, als verhältnismäßig wertlos, verlassen geblieben; jetzt scheint es indessen, daß die Regierung ihre Ansicht geändert hat, denn sie hat plötzlich zur Wiederherstellung jener Werke 150000 Frank ausgesetzt. Ruhland. "Wie man aus Petersburg berichtet, ist die Ernennung des Fürsten Swiato Polk- Mir sk zum Nachfolger des Ministers des Innern Plehwe amtlich bekannt gegeben worden. Außerdem wird gemeldet, daß General Trepow, der Großmeister der Moskauer Polizei und frühere Polizeichef in Petersburg, zum Generalpräfekten von Petersburg an Stelle des Generals Poellon ernannt werden wird. Balkanstaate«. * Dergriechische Ministerpräsident Theo- tokis hat sich geweigert, den kretischen Oppositionsführer Veniselos und die übrigen Mitglieder der kretischen Opposition, die bei ihm die Vereinigung der Insel mit Griechenland betreiben wollten, zu empfangen. Er be- begründete die Ablehnung damit, daß er als griechischer Ministerpräsident nur einen einzigen gesetzlichen Vertreter und berufenen Anwalt der Angelegenheiten Kretas kenne, nämlich den Oberkommissar Prinzen Georg. Das Verhalten des Herrn Theotokis findet in der griechischen Presse allgemeinen Beifall. Amerika. *185 europäische Parlamentarier, worunter zwei deutsche, sind zu einer Friedenskonferenz in New Jork eingetroffen. Sie hoffen den Präsidenten Roosevelt zu bestimmen, einen neuen Friedenskongreß nach dem Haager Muster für 1906 einzuberufen. Afrika. *Jn der Moschee von Tanger wurde am Donnerstag ein Brief des Sultans von Marokko verlesen, in dem es heißt, daß die Truppen des Sultans einen bedeutsamen Sieg bei Ujda über den Prätendenten davongetragen haben. 6me Verteiäigung. Im Pariser ,Journal' erhebt Henri de Noussanne, der den Fluchtplan der Prinzessin Luise von Koburg durch gute Ratschläge und durch die Hergabe von Geldmitteln gefördert haben soll, Anklage gegen den Prinzen von Koburg und gegen die Arzte der Prinzessin. „Der Prinz von Koburg," so schreibt er, „wird, von seinem Advokaten Dr. Bachrach gedrängt, vor nichts zurückschrecken, damit die Prinzessin für verrückt erklärt und mehr als je eingefperrt werde. Der Flüchtling ist nicht eine unver nünftige Liebende, die wieder zur Vernunft gebracht werden muß: es ist ein Vermögen, das sich in Sicherheit bringt und das man wieder erhaschen muß. Die Mitgift der Prin zessin war verhältnismäßig klein": zwei Millionen Frank. Der Prinz von Koburg, der selbst ein Jahreseinkommen von zwei Millionen Kronen hat, hätte ein so kleines Vermögen, selbst das einer Königstochter, nicht geheiratet, wenn er nicht darauf gerechnet hätte, daß die Prinzessin beim Tode ihrer Mutter eine Anzahl Millionen erhalten würde; daß ihm beim Tode ihrer Tante, der Kaiserin Charlotte, weitere 30 bis 40 Millionen gefallen würden, und daß sie beim Tode ihres Vaters vielleicht noch mehr als das alles erben würde. Nun stelle man sich vor, daß die Prinzessin für geistig gesund erklärt wird und daß sie die Scheidung erlangt! Die ganze Geschichte enthält mindestens so viel Komisches wie Tragisches. Aber es ist noch zu früh, um zu lächeln; noch find wir mitten im Drama." Der Pariser Journalist erzählt dann, wie die „Vertreter der offiziellen medizinischen Wissenschaft Österreichs und Deutschlands" den „Wahnsinn" der Prinzessin konstatiert haben. „Die Prinzessin," schreibt er, „ist nicht rasend, sie hat keine fixen Ideen, ihre Haltung ist stets die einer vernünftigen Person, aber sie hat die Zerstörungsmanie. Wenn eine Robe ihr nicht mehr gefällt, zerreißt oder zerschneidet sie das Kleid. Weiter: sie gefällt sich nur in einem wahnsinnigen Luxus: Sie hatte 120 Paar Schuhe, als man sie einsperrte! Außerdem scheint sie für ihre Angehörigen keine Liebe zu empfinden — waS ja ans Gegenseitigkeit be ruht! Ferner ist sie offenbar schwach und willenlos und hat keine Ahnung vom Wert des Geldes. Punktum, das ist alles! Und darauf hin hat man die Prinzessin eingesperrt, in der Überzeugung, daß sie degeneriert sei und un fähig, frei zu leben. Es ist wahr, daß die Prinzessin eine Verschwenderin ist. Im Jahre 1896 fuhr sie mit einem Marstall von sechzehn Pferden kreuz und quer durch Europa, und sie hatte — auch das ist wahr — zahllose Schuhe und Sonnenschirme. Aber Dr. Bachrach hütet sich wohl, zu erzählen, daß die in vollständiger Unkenntnis des Wertes der Dinge erzogene Prinzessin, die überdies gut wußte, daß sie bei ihrem Vermögen nicht zu rechnen brauchte, sich absichtlich das Vergnügen machte, so viel als möglich zu verschwenden, um den ungeliebten Gatten zur Verzweiflung zu bringen." Der Franzose entwirft dann ein grau in grau ge maltes Seusattonsbild von dem häuslichen Leben der Prinzessin. Der Prinz sei derart, daß es nicht zu verwundern sei, wenn die Prin zessin sich einen Liebhaber gesucht habe. „Ich kann es bezeugen, daß Graf Mattafitsch von der Prinzessin wie von einer Göttin spricht," erzählt de Noussanne weiter. „Ich sah ihn zittern und weinen, als er in Dresden auf eine Nachricht, auf eine zufällige Begegnung wartete, und als die sächsischen Gendarmen alle seine Bemühungen zunichte machten. Die Prinzessin hat, besonders jetzt, für ihn durchaus nicht die Zuneigung einer leidenschaftlich liebenden Frau. Sie war ihm stets mehr eine Freundin als eine Geliebte. Und deshalb ist sie auch jetztnoch, wo ihre Haare weiß werden, dem Ritter, dem ihr bis zum Tod ergebenen Anbetex, den ihr der Zu fall eines Tages entgegensührte, treu. Sie dachte stets an ihn, aber sie sagte es nicht. Sie wartete, und um Ruhe zu haben, fügte sie sich den Anordnungen der Hofdame ..." Von uncl fern. Das Dörfchen Gelbensande, von dessen Existenz man bis in die letzten Tage hinein in den von der mecklenburgischen und pommerschen Ostseeküste weiter abgelegenen Gegenden wohl kaum eine Ahnung hatte, ist heute in aller Munde, nachdem sich dort der deutsche Kron prinz mit der Herzogin Cecilie zu Mecklenburg verlobt hat. Das Dörfchen, das etwa 200 Ein wohner zählen mag, liegt ungefähr 20 Kilo meter nordöstlich von Rostock an der Eisenbahn nach Ribnitz und Stralsund in der Ribnitzer Heide, dem östlichen Teile der Rostocker Heide, deren Laub- und Nadelholzwaldungen das Ziel vonAusflügen oerBadegäste vonWarne- münde und Müritz bilden. Dort in Gelbensande hat der Großherzog Friedrich Franz III., der Vater der Braut, oft geweilt. In früheren Jahren wohnte er da im Dorfe in einem be scheidenen Landedelmannsitz; dieser wurde später zur Oberförsterei eingerichtet und der Groß herzog erbaute sich in dem Forst ein stattliches Jagdschloß, einen einstöckigen Ziegelbau mit nordländischen Veranden und Holzschnitzereien. Schöne Erinnerungen aus der Zeit der Kindheit werden sich für die Braut des deutschen Kron prinzen an diesen stillen Erdenwinkel knüpfen. Das Gerücht vom Ableben des Königs Otto durcheilte wieder einmal am Dienstag abend die Stadt München. Das Gerücht be stätigte sich nicht. Anlaß gab das allerdings auffallende Läuten sämtlicher Glocken der katho lischen Kirchen am Dienstag abend, das infolge eines vom Papsts verfügten Ablasses zum Marientag, 8. September, ertönte. König Otto selbst befindet sich, wie man aus München fchreibt, noch in derselben trostlosen Verfassung, wie bisher. Ein Ende ist, nach dem Wenigen zu urteilen, was in die Öffentlichkeit durchsickert, noch lange nicht abzusehen. Verunglückte Retterin. In Böllberg bei Halle war ein Arbeiter mit dem Reinigen eines Kanals beschäftigt. Plötzlich rief er um Hilfe, worauf eine vorübsrkommende Frau uner- fchrocken in den Kanal stieg und den Arbeiter auch glücklich herausbrachte. Leider stürzte die Frau, ehe sie die Leiter verlassen konnte, in den Kanal und blieb mit bem Kopfe in dem Schlamme stecken. Obwohl sie bald darauf herausgeholt wurde, so war fie doch bereits leblos, und den ärztlichen Bemühungen gelang es nicht, fie wieder zum Bewußtsein zu bringen, so haß die brave Frau, die Mutter von acht Kindern ist, ihre mutige Tat mit dem Leben büßen mußte. Ein durch seine Begleitumstände selt sames schweres Verbrechen scheint jetzt in Ost friesland ans Licht gebracht zu werden. Um Mitte Juli wurde bei Lathen aus der Ems die Leiche eines jungen Mannes gelandet, die ganz in Frauenkleider gehüllt war. Man glaubte an die Tat eines Irrsinnigen. In einem Köffer chen, das an andrer Stelle antrieb, fand man einige Papiere, aber alle Namen waren heraus- geriffen. Jetzt wurden aber auch diese festge stellt. Danach entstammt der Verstorbene einer achtbaren Familie aus dem Kreise Lyck-Ost- preußen, die er mit 1500 Mk. im März ver lassen hat, um nach Amerika auszuwandern. Den Angehörigen, die seither nichts wieder von ihm hörten, ist es unerklärlich, wie er nach Duisburg kam, wohin die Arbeitspapiere deuten, und dann nach der Ems. Sie bestreiten auch ganz entschieden, daß er geistesgestört gewesen seif ebenfo haben fie den in dem Koffer vorge fundenen Anzug nicht als den des Ver storbenen erkannt. Diese Tatsache und der Um stand, daß an der Leiche Verletzungen festgestellr wurden, lassen einen Raubmord als sicher er- fcheinen. Wahrscheinlich wollte der Betreffende mit einem Schiffe zur See hinab fahren und wurde dabei von den Schiffern ermordet, beraubt und in die Ems geworfen. Die Behörden sind jetzt in allen Orten, die für den Fall in Frage kommen, mit Nachforschungen beschäftigt. K bin Familien - 6ekeimms. 7j Kriminalroman von Eberhard Woldenberg. ^Fortsetzung.) „Wissen Sie," bemerkte Hedwig nach kurzer Pause, „daß ich bei unsrer ersten Begegnung der Meinung war, den berühmten Dichter Hartung vor mir zu haben?" „Er ist mein Vater," antwortete Willi. „O!" machte sie und zuckte zusammen, als habe fie einen Stich ins Herz erhalten. Nun ward sie sich auch eines Gefühles klar, das seit mehreren Tagen schon ihre Seele geängstigt, gleich einem dunklen Geheimnis: fie ward sich plötzlich bewußt, daß fie an diesen edlen, schönen Jüngling unrettbar ihr Herz verloren hatte; aber das wußte fie auch, daß ihre Liebe eine hoffnungslose sei, denn wie hätte fie, das Mädchen aus dem Volle, wagen dürfen, ihre Augen zu diesem Manne zu erheben, dessen gesellschaftliche Stellung ihm die Pflicht aufer legte, unter den Töchtern der Vornehmen und Reichen seine Gattin zu wählen. Bitteres Weh krampfte ihr das Herz zusammen, daß fie hätte laut aufschreien mögen unter der namenlosen Pein, aber fie preßte die Lippen fest auf einander und es gelang ihr, wenigstens äußer lich ihre Ruhe zu bewahren. Willi Hartung ahnte nichts von diesem heftigen inneren Kampfe, unbefangen plauderte er weiter. „Sie kennen also meinen Vater dem Namen nach und wissen wohl auch, daß morgen sein Drama aufgesührt wird?" und mit ausgesuchter Höflichkeit setzte er hinzu: „Es würde mir eine Ehre sein, einen Platz zu Ihrer Verfügung stellen zu dürfen, darf ich Sie bitten —" „Nein!" fiel fie ihm fast heftig ins Wort. Er hielt bettoffen inne und fragte: „Habe ich Sie gekränkt, Fräulein Hedwig?" Sie bereute bereits ihre ungerechtfertigte Heftigkeit und suchte verlegen nach einem Aus weg. „Sie würden mir eine sehr große Freude bereiten, wenn Sie meine Bitte erfüllen wollten," hörte fie da seine Stimme schmeichelnd und sanft an ihrem Ohr. „Und, nennen Sie es Eitelkeit, ich möchte gem ein Urteil über das Stück aus Ihrem Munde vernehmen." „Was kann Ihnen mein Urteil gelten?" entgegnete fie. „Abgesehen davon, daß ich wohl nicht imstande bin, ein solches abzugeben, Sie überschätzen mich. Doch ich danke Ihnen." „Nein, nein," rief er ungestüm, „so kommen Sie mir nicht los!" „Ich kann nicht," flehte fie, „suchen Sie mich nicht zu überreden." Es wäre ihr unmöglich gewesen, ihn dort inmitten der festlichen Menge zu sehen und ihm zugleich fremd bleiben zu müssen. Willi mochte dasselbe zu fühlen, denn er drang nicht Wetter in sie. Auch dachte er jetzt erst daran, daß er dort ja mit Hilda Zusammentreffen mußte, und das konnte Hedwig zu einer Mißdeutung ver anlassen. Solches durfte aber nicht geschehen, denn er war entschlossen, die Liebe dieses Mädchens zu erringen. Was galt ihm jetzt, wo sein Herz zum ersten Male in Leidenschaft erglühte, der Wunsch seiner Eltern, was war ihm die kalte stolze Schönheit, an die man ihn zu fesseln gedachte, er haßte fie, weil ihre Gestalt hindemd zwischen ihn und die Erwählte seines Herzens trat, ja, er haßte fie in diesem Augenblick mtt derselben Glut der Empfindung, mit der er Hedwig liebte. Er hatte aber bei diesen Erwägungen noch garnicht an die Frage gedacht, ob er auch wiedergeliebt werde, und seine Zuversicht sank er heblich, als er sich jetzt dieselbe vorlegte. Ab und zu rollte ein Straßenbahnwagen oder eine Droschke an ihnen vorüber, in der Nähe des Brandenburger Tores belebte sich jedoch die Straße immer mehr, uno nun suchten sie, einem beiderseitigen Impulse folgend, wieder die einsameren Wege des Tiergartens auf, und ließen sich endlich auf einer halb im Gebüsch versteckten Bank nieder. Eine Weile saßen fie stumm nebeneinander. Der Platz war einsam und nur schwach von einer in der Nähe befindlichen Laterne beleuchtet. Hedwig klopfte das Herz zum Zerspringen, fie ahnte, daß die nächsten Minuten bedeutungs volle sein würden, und Willi fand nicht die rechten Worte, das auszusprechen, was ihn be wegte; aber er fühlte, daß er etwas sagen müsse, gleichviel, was. „Waren Sie oft im Theater?" fragte er so harmlos und ruhig, als es ihm bei seiner inneren Erregung möglich war. „Nein," antwortete fie kaum hörbar, „aber ich liebe die Kunst." Willi begann jetzt von idealen Dingen zu sprechen, um ihre Seele zu ergründen, er ver suchte alle Satten erklingen zu machen, um die Harmonie dieses Herzens zu hören. Und er redete nicht umsonst, er sah das Licht des Ver ständnisses in ihren schönen Augen aufblitzen, fah die Begeisterung und das Entzücken, daS ihre Züge verklärte, und das schwärmerische Lächeln ihres Mundes. Ihr Auge schwamm in feuchtem Glanz und ein wonniges Beben durchzitterte ihre schlanke Gestalt. Er sah sich verstanden und fuhr, hin gerissen von seiner Bewegung, fort zu sprechen. Er, der Sohn des Poeien, verleugnete seine Abstammung nicht, er wurde unbewußt selbst zum Dichter. Das Reden reizte ihn, die Ideen strömten ihm zu, und alles, was die Seele enthielt, ließ er entfließen und schloß mit den Worten: „Einen Weg haben wir zum unbe dingten Glück, das ist die Liebe!" Er schwieg wie erschöpft und beugte sich tief über sie herab. „Die Liebe," flüsterte er dann noch einmal, seinen Arm um fie schlingend. Nun kam die Erkenntnis über fie, daß er fie liebe. Matt sank ihr Kopf an seine Brust, Glück und Wonne raumen ihr den Atem, Glück und Wonne ließen sie die Augen schließen, fie konnte ja den Anblick der Welt, die in so über irdischem Lichte schwamm, nicht ertragen. Und wie nun ihre Lippen sich begegneten zum ersten Kuß, und ihre Herzen das heilige Gelöbnis treuer, hingebender Liebe tauschten, da umschlangen sie sich fest und fester, als wollten sie nimmer voneinander lassen. Dann kehrte Hedwig zuerst der Gedanke an die Wirklichkeit zurück und fie mahnte zum Ausbruch. „Ich werde mit meinen Eltern sprechen," sagte Willi, während fie Arm in Arm dahin-
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