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Ottendorfer Zeitung : 04.05.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190405046
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040504
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040504
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-05
- Tag 1904-05-04
-
Monat
1904-05
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 04.05.1904
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In der Klinik zu Halle ließ sich ein junger Arbeiter, der wegen eines krummen Beines zum Militärdienst nicht zugelasssn wurde, das Bein zweimal brechen in der Hoff nung, daß nach erfolgter Heilung sein sehnlicher Wunsch, Soldat zu werden, in Erfüllung gehe. Der Einjährige Liermann vom Regi ment 113, der Sohn des Reichstagsabgeordneten Preiß-Kolmar, hat sich in Freiburg, seiner Garnison, erschossen, nachdem er nur drei Wochen im Dienst gewesen war. Eine Schwindlergesellschaft treibt in der Umgegend von Neu-Rvppin ihr Wesen. Sie suchen Hansirauen, von denen sie wissen, daß der Mann außerhalb beschäftigt ist, auf, überbringen angeblich in seinem Auftrage Kleidungsstücke oder Wäsche, die sie von der Frau bezahlt verlangen. Um die Frauen ge- sügig zu machen, geben sie denselben Schürzen oder Handtücher gratis zu. Ein Milchkühler in Metzenthin, dessen Frau in dieser Weise unbestellte Sachen gekauft hat, verfolgte die Gauner und traf sie auf dem Bahnhof in Kyritz. Er erhielt sein Geld zurück und die gekauften Sachen obenein, damit er nur schweige und keine Anzeige mache. Das flüchtige Direktionsmitglied der Borbecker Spar- und Kreditgesellschast, Karl . Hollmann, hatte, wie weitere Nachforschungen ergeben haben, von den gemachten Unter schlagungen persönlich keinen Vorteil, vielmehr bemühte er sich, die jahrelangen Unterschlagungen des früheren Direktors der genannten Bank, seines jetzt 70 Jahre alten Vaters, zu ver decken. Die Revision ist noch nicht zum Ab schluß gelangt. Sie hat jedoch ergeben, daß wenigstens zeitweilig bedeutende Summen, an geblich über 100 000 Mk., in der Kasse gefehlt haben. Der Vater des Flüchtigen wurde am Mittwoch in das Gerichtsgefängnis in Essen eingeliesert. Der amtliche Sachverständige. Von einem Automobil überfahren wurde am Hügel- schen Bad in derMergentheimerstraßezuWürzburg die Schlosserssrau Eliese Oberstes aus dem nahegelegenen Grombühl, als sie mit Leseholz aus dem Guttenbergwalde nach ihrer Behausung zurückkehren wollte. Die Ärmste erlitt am Kopfe und der Brust so schwere Verletzungen, daß sie bald darauf im Juliusspital, wohin man sie sofort nach dem Unfälle gebracht hatte, verstorben ist. Der Führer des Unglückswagens wurde in der Person des Oberbauinspektors Horn festgestellt. Dieser Herr ist der amtliche Sachverständige für Automobilwesen in Würzburg; wer also die Berechtigung zum Automobilfahlen haben will, muß sich erst von ihm eine Bescheinigung über seine Fähigkeit ausstellen lassen und diese der zuständigen Behörde vorlegen. Horn selbst hat nunmehr seinen Befähigungsnachweis auf so tragische Weise erbracht. Eine verwaiste Gegend. Der ,Gnesener Generalanz/ schreibt: „Momentan ist die Stadt Gnesen mit einem Waisenkinde zu vergleichen und hoffentlich wird dieser Fall den Ruhm der Stadt noch vermehren. Der Kreis Gnesen z. B. ist gegenwärtig ohne Landrat, die Stadt ohne Bürgermeister, das Land- und Amtsgericht ohne Präsidenten, die evangelische Gemeinde ohne Superintendenten. Schließlich ist auch die Spitze der Militärbehörde auf einige Wochen verreist, mithin zurzeit alles bei uns verwaist!" Ein braver Ritter der Ehrenlegion. Das in letzter Zeit so viel besprochene und selbst von feinen Trägern verlachte rote Bändchen hat in Paris eine würdige Anwendung gefunden. In der Sorbonne, bei der Zusammenkunft der Gesellschaft zur Rettung der Schiffbrüchigen, überreichte der Admiral Duperrö dem Matrosen Reno Autret das Krenz der Ehrenlegion. 35 Jahre lang hat dieser Diann, zuletzt als Leiter eines Rettungsbootes in Audierne, über 120 Fahrten unternommen, wobei er 348 Menschenleben rettete und 27 Schiffen als Helfer in höchster Not erschienen ist. Schiffsofftzier - Streik. Aus Marseille meldet der ,Temps', daß die durch den Aus stand der Offiziere der Handelsmarine ge schaffene Lage sich verschlimmert hat. Mehrere Fabriken find im Begriff, Len Betrieb einzu stellen, da es an Rohstoffen zu fehlen beginnt. Der Verein der Schiffsosfiziere hat die von dem sozialistischen Abgeordneten für Marseille, Carnaud, angebotene Vermittelung abgelehnt. Der Ausstand übt feine Rückwirkung auch auf Korsika aus. Die Hafenarbeiter von Bastia haben die Arbeit eingestellt, so daß die vor Anker gegangenen Schiffe ihre Ladung nicht löschen können. In Ajaccio werden die Lebens mittel knapp werden, wenn der Ausstand an dauern sollte. Der Postverkehr mit Algerien wird durch Kriegsschiffe aufrechterhalten. Die Tücke des Telephons. Folgende hübsche Telephongeschichte erzählt der ,GauloiS': Vor einigen Jahren war ein Herr in offizieller Stellung, der etwas reizbar ist, im Begriffe, auszugehen, als sein Telephon plötzlich heftig Leutnant v. Rosenberg ch. Der in dem Gefecht bei Oganjira am 9. April schwer verwundete Leutnant Richard v. Rosenberg ist im Lazarett von Okahandja seinen Verletzungen erlegen. Er hatte einen Schuß in den Oberkiefer er halten, als nach achtstündigem Gefecht die feindliche Stellung im Sturm genommen wurde. Leutnant v. Rosenberg gehörte früher dem Kaiser Franz Garde- Grenadierregiment an. Er war am 13. März 1897 Offizier geworden. klingelte. Er stellte also den Stock hin, nahm den Hörer ab und meldete sich, aber niemand antwortete. Vergebens nimmt er seine Zuflucht zu Ausrufen aller Art, er kann nicht verstehen, was der Anrufende ihm sagt. Schließlich ruft er wütend: „Zum Donnerwetter! Welcher Esel telephoniert denn mit mir?" Worauf es mit ruhiger Stimme zurücktönt: „Hier ist der Marineminister, Admiral Besnard in Per son ..." Bleich und zitternd nimmt darauf der Herr ehrerbietigst feinen Hut ab, verbeugt sich mehrmals und stammelt: „O, Herr Minister, Herr Minister, ich bitte tausendmal um Entschuldigung . . ." Von diesem Tage an war er am Telephon von unendlicher Geduld. Ei« schwerer Geschützunsall hat sich in Toulon bei den ersten Schießversuchen mit den neuen 95 Millimeter-Geschützen ereignet. Ein Geschütz explodierte. Ein französischer Artillerie- Offizier erklärte hierauf nach der Moss. Zig/ einem Berichterstatter: „Die Leute haben kein Vertrauen zum 95 Millimeter-Geschütz, das Schwanzstück bleibt unsicher. Bei einer Schieß übung im Vorgebirge Brunhaut am jüngsten Montag find Von vier Geschützen drei in Stücke gegangen. Durchbrenner. Vielleicht ein Beweis, daß auch Verbrechen ansteckend wirken können, ist darin zu sehen, daß sofort nach der Flucht des Bankdireklor Gueyraud ein Hotelsekrelär mit 40 000 Frank verschwand. Ein Dr. Blumenthal, geboren in Wien, aber nunmehr nach Amerika zuständig, lebte mehrere Monate in Nizza als Grandseigneur. Wein, Weiber und Spiel nötigten ihn, eine Stelle in Monte Carlo anzu nehmen, wo er in Vertretung des kranken Hoteliers mehrere große Rechnungen einkafsierte. Das heißt, er lieferte fie nicht an die Kasse ab, sondern verschwand mit dem Gelde, Frau und zwei Kinder zurücklassend. Neuschnee. In der Ostschweiz ist bis auf 800 Meter herab Neuschnee gefallen. Auf den Vogesenhöhen in der Umgegend von Markirch ist gleichfalls Schneefall eingetreten. Die Zustände in Aalesuud werden immer unerquicklicher. Die Streitigkeiten, die infolge der nach dem Brande überreichlich eingelaufenen Liebesgaben ausgebrochen find, haben fich so verschärft, daß die norwegische Regierung be schloß, den Staatsrat Voigt dorthin zu senden, um wieder Ordnung zu schaffen. Grostfeuer brach Mittwoch nachmittag in Witebsk aus und konnte erst in der Nacht ein gedämmt werden. 177 Häuser des meist von der ärmeren Klasse der Bevölkerung bewohnten Stadtvieriels brannte nieder. Der Verlust be trägt über eine halbe Million Rubel. Viele Abgebrannte kampieren unter freiem Himmel. Wereschtschagin, der immer für reich ge halten wurde, hat nichts weiter hinterlassen, als ein Landhaus bei Petersburg und eine kleine Villa im Kaukasus. Seine langen Reisen und seine Ausstellungen kosteten ihm viel Geld und überdies war er sehr freigebig. In seinem künstlerischen Nachlaß befindet sich neben einer Reihe von Studien ein einziges großes Ge mälde „Der Begräbnisplatz der Könige", das Wereschtschagin selbst auf 24 000 Mk. geschätzt hatte. Der Sohn des Künstlers, der große Anlagen zeigt, zeichnet und malt mit viel Ta lent, und hat vor zwei Jahren eine vorzügliche Büste von Napoleon modelliert. Durch einen Tornado verwüstet. Ein Wirbelsturm, der am Montag in Texas ent stand, hat nach einem Telegramm des ,Daily Chronicte' große Verwüstungen angerichtet. Er segte durch das indianische Gebiet und durch Arkansas, und aus dem letzten Staate wird gemeldet, daß ganze Distrikte verwüstet sind, und daß viele Städte schweren Schaden erlitten. Der Verlust an Menschenleben beträgt, soweit man bis jetzt weiß, mehr als 20, aber viele Leute sind obdachlos geworden und die Zahl der Verletzten ist groß. Der Wirbelwind riß weite Lücken in die Städte, über die er sich bewegte. Von feiten der Staatsbehörden sind Hilfskolonnen abgesandt worden. Eine Hochzeit in akler Stille. Selten wohl ist ein Wort so wenig am Platze gewesen, wie dieses, das die ,Nov. Wremja' einem Privatbriefe aus Porl Arthur entnimmt, worin eine Trauung während der Beschießung vom 22. März geschildert wird. Die Briefschreiberin berichtet: „Wir machten in einem Magazin Ein käufe für die Braut. Plötzlich hören wir schießen; der Kutscher der Damen drängt zur Heimfahrt. Auf der Straße hört man Schreckens rufe ; die Leute rennen; Frauen weinen. Kaum hatten wir in der Equipage Platz genommen, als das Pferd, durch eine in der Nähe ein schlagende Granate erschreckt, wie toll dahin raste. Die eingeladenen Gäste fuhren fast alle von dannen, und die Trauung fand in aller Stille statt . . ." Gericktskalle. Berlin. In dem Mordprozeß Walther, der drei Tage lang das Schwurgericht beschäftigte, wurde der Angeklagte Walther trotz seines Leugnens auf In dizienbeweis hin wegen Mordes an seiner Ehefrau zum Tode verurteilt. Walther erklärte, sich bei diesem Urteil nicht beruhigen zu wollen. Hannover. Wegen schwerer Urkundenfälschung wurde der Oberleutnant v. M. von der Schutz truppe in Deulsch-Ostasrika vom Kriegsgericht der 1. Gardedivifion zu einem Jahr Gefängnis und zur Dienstentlassung verurteilt. Gegen dieses Urteil hatte der Angeklagte Berufung eingelegt, die vor dem Oberkriegsgericht des 10. Armeekorps verhandelt wurde. Das Oberkriegsgericht erkannte auf Ver werfung der Berufung, weil das Gericht der Über zeugung war, daß die Fälschung des Bürgschafts scheines von dem Angeklagten begangen worden war. Straubing. Der 25 jährige Bauerssohn Kap- leder, der seine Geliebte erwürgt hatte, weil sie nichts mehr von ihm wissen wollte, wurde vom Schwur gericht zu zehn Jahr Zuchthaus verurteilt. Cm bemoostes ^aupt. Christian Busch, der weit bekannte älteste Student Gießens und Wohl überhaupt Deutsch lands — er war seit 1871 in der philosophischen Fakultät in Gießen immatrikuliert — ist, 51 Jahre alt, vor einigen Tagen an einer Lungenerkrankung gestorben. Christian Busch war, so schreibt der .Gießener Anzeigers un streitig die originellste Persönlichkeit Gießens unserer Tage. Als er in seiner studentischen Jugend, vor vielen, vielen Semestern, bei einer Mensur am Kopfe verletzt wurde, verfiel er in die eigentümliche Lebensweise, die ihn bekannt gemacht hat. Seine Studien — er studierte bis auf seine letzten Tage Chemie — betrieb er nicht mehr ernsthaft, sondern er war, als einsamer Junggeselle, regelmäßiger Gast an zahlreichen Stammtischen und in vielen Kneipen, wo er wegen seiner guten Unterhaltungsgabe gern gelitten war. Man erzählt, daß er nachts, wenn alle Wirtshäuser polizeilich geschlossen wurden, stets noch den Drang empfand, am Bahnhof sich zum Schlußschoppen niederzulassen oder gar, wenn er bei einem guten Freunde um so späte Stunde noch Licht bemerkte, fich dort als Gast einzustellen. Christian Busch wußte viele alte Erinnerungen aus Gießen und seiner Vergangenheit vorzubringen. Seine Vermögens verhältnisse gestatteten ihm durchaus die Lebens weise, die er führte. Er war Besitzer vom „Kaisergarten" im Seltersweg, wo er wohnte, und von dessen Gartengelände, sür das ihm viel Geld geboten wurde, das er aber nicht aus der Hand gab. Man erzählt sich, daß Busch noch wenige Tage vor seinem Tode geneigt war, seinen gesamten Besitz der Stadt Gießen zu hinterlassen zur Errichtung eines städtischen Konzerthauses. Das Testament soll in vollem Wortlaut vorliegen, doch trat sein Tod leider während der von ihm ausbedungenen 24stündigen Bedenkzeit ein. So hat denn die Stadt durch das plötzliche Hinscheiden dieses sicher treuesten Sohnes einen besonders schweren Verlust er litten. Wer die Stunde seines Todes weiß man nichts Genaues, da niemand ihm in seinen letzten Augenblicken zur Seite stand. Das Rektorat der Ludwigs-Universität hat die gesamte Studentenschaft aufgefordert, an der Begräbnis feierlichkeit teilzunehmen. Christian Busch war A. H. des Korps Hasfig. GememnütLiges. Schirme wasserdicht zu machen. 1 Teil Paraffin zu 10 bis 15 Teilen Benzon oder ein zollanges Stückchen Paraffinkerze wird geschabt und in ein Glas mit 120 Gramm Benzon ge bracht. Das Paraffin löst fich beim Schütteln sofort. Nun spannt man den Schirm auf, ver sichert fich, daß kein brennendes Licht in der Nähe, und übergießt rasch, in Spirallinien anfangend, den ganzen Schirm. Schutz gegen Fäulnis. Um Zaunpfähle, Eckpfeiler von Mistbeeten und andere der Feuchtigkeit ausgesetzte Holzteile sicher vor Fäulnis zu schützen, tauche man fie zuerst in eine etwa 500 Teile enthaltende Lösung von Eisenvitriol und nach dem Trocknen in eine heiße Lösung von Wasserglas. Es entsteht eine unlösliche Verbindung, die in der inneren Schicht des Holzes alle Poren ausfüllt und das Ein dringen der Feuchtigkeit verhindert. Kuntes Allerlei. Schulkuriosum. In der Religionsstunde einer Volksschule in Westrich, in der die Geschichte Josephs in Ägypten behandelt wurde, fragte bei der Stelle: „und Pharao setzte ihn über sein ganzes Haus" der Lehrer, was dieses wohl zu bedeuten habe und wie es zu verstehn: sei? Nach einigem Zögern meldete sich ein schlagfertiger Junge mit der Antwort: „Ei, er hot'n uf's Dach gesetzt." (,Germ.q Ein guter Ehemann. „Sie haben Ihre jetzige Gattin aus dem Wasser gezogen und dann geheiratet?" — „Freilich — umgekehrt hätt' ich's nimmer getan I" (Mg. W-u/) Gute Empfehlung. Die Frau Oberst suchte ein Kindermädchen. „Verstehen Sie mit Kindern umzugehen?" wurde das Mädchen ge fragt, das sich eben gemeldet hatte. — „O gewiß, gnädige Frau... ich ... ich war ja sogar selber mal eins." „Lassen Sie uns nicht zu tragisch werden, alter Freund. Ich habe Ihnen übrigens noch auf zwei Vorwürfe zu antworten. Was die Männerwelt betrifft, der ich voran leuchten soll, wie Sie zu verlangen so freundlich sind, so würde ich kein schlechteres Beispiel geben, als die meisten andern, ja immer noch ein besseres. Denn ich suche das Geld nicht zu materiellen Ge nüssen, sondern lediglich als Grundlage meines Lebens, dem die Ideale niemals fern bleiben bleiben." „Sehr gut als Theorie," sagte Balder kopf schüttelnd, „aber weiter." „Und Gabriele," fuhr der Hauptmänn ernster fort, und seine blassen Wangen röteten fich ein wenig. „Gabriele darf keine Stunde länger den Gerüchten ausgesetzt bleiben, die fich an ihren Namen zu köpfen scheinen. Noch heute werde ich meine Pflicht gegen fie erfüllen. Ich treffe sie auf dem Ball beim Präsidenten." Damit nahm er eilig Degen und Mütze, schüttelte dem Freunde die Hand und ging. — Es war das erstemal, daß die Freunde fich unbefriedigt trennten. Sie kannten fich noch nicht lange, erst seit fie vor Jahresfrist zu gleicher Zeit in die Provinzialstadt versetzt worden waren. Aber ihre damals durch einen Zufall vermittelte Bekanntschaft war schnell zu herz licher Freundschaft gereift, wie es bei Menschen geht, die sich innerlich gleichwertig gefunden haben. Dabei ergänzten fie fich auf die glücklichste Weise. Der Assessor, obwohl der Jüngere, war, ruhiger und besonnerer und dem Leben gegen über gefestigt durch eine voll befriedigte Ehe. Das Charakteristische seines Wesens war ein Streben nach Harmonie und infolgedessen ein Sichbescheiden auch bei gescheiterten Hoff nungen uno Lieblingsplänen. Er hätte nie ganz unglücklich werden können, da er stets in sich das Gleichgewicht gegen widrige Schicksale fand und dann nicht ruhte, bis er jeden Zwiespalt mit sich oder seinem Geschick beseitigt hatte. Die genialere Natur des Hauptmanns war weniger abgerundet, und es fanden sich in ihr Widersprüche, die ihn manchem unverständlich erscheinen ließen, und die den Freund ernstlich um ihn besorgt gemacht hatten. Neben der tiefen Sehnsucht nach den idealsten Lebens gütern empfand er unbezwingliche Sorge vor materieller Verlegenheit; neben dem reinsten Ehrgeiz in seinem Berufe zeigte er einen ge wissen Trotz der eigenen Persönlichkeit. Er ver achtete die Welt, weil fie nicht der Himmel ist, und beugte sich doch auch ihren sogenannten Gesetzen. Es galt für ihn nur ein aut-LM, Göttliches oder Menschliches, Glück oder Un glück. Jeden Versuch, die Gegensätze zu ver söhnen, nannte er eine Halbheit. Die Art, wie er diesen Versuch dennoch immer wieder gemacht und sich durch Bitternisse und Enttäuschungen charaktervoll hindurch gefunden, hatte etwas Rührendes. Aber es war durchaus nicht vor auszusehen, was bei ihm das Ende sein würde, ob jubelndes Glück, ob verzweifelndes Ver zichten. — Solche und ähnliche Gedanken beschäftigten Balder, nachdem der Freund ihn verlassen hatte. Erst als die Tür fich wieder öffnete und ein dunkler Frauenkopf hereinlugte, hellten sich seine Züge auf. „Komm zu mir, Anna, mein Lieb," rief er zärtlich, „und zeige mir, daß das Glück auch in der Mitte wohnen kann." „Du sprichst in Rätseln," sagte Anna und strich ihm leise über die Stirn. „Es war auch ein Rätsel, dem ich eben nachdachte," versetzte Balder gedankenvoll, „und ich bange vor der Lösung, die die Zukunft uns bringen wird." 2. Eine neugierige Menge umstand das Portal des stattlichen Hauses, das der Präsident be wohnte, und das er heute zu einem großen Feste geöffnet hatte. Es war der erste Ball der Saison, und darum gewährte es wirklich Freude, die Ankommenden zu mustern. Denn Toiletten wie Gesichter waren noch frisch. Fröhlich lachten die Hellen Mädchenaugen den heiteren Stunden entgegen, hoffnungsvoll glitten die Blicke der Mütter über die Schar der Tanz- und Heiratskandidaten in Uniform und Zivil, die in vertrauenerweckender Menge in das Vestibül strömten, und befriedigt musterten die Väter die elegante Erscheinung ihrer Damen, noch ohne au die Kosten der ephemeren Herrlichkeit zu denken. Eine ver hüllte Gestalt nach der andern hüpfte aus den langsam vorfahrenden Wagen, glitt an dem gaffenden Publikum vorüber, welches jeden Zipfel Tüll oder Seide, der unter den langen Mänteln sichtbar wurde, mit einem lauten „Ah!" der Bewunderung begrüßte, und huschte die breite, teppichbelegte Treppe hinauf. Gabriele Grain war nicht die schönste unter den jugendlichen Erscheinungen, welche sich in den glänzenden Räumen des Präsidenten zu- sammensanden. Man konnte sie nicht einmal ein hübsches Mädchen nennen. Dennoch hatte ihr unregelmäßiges Gesicht durch den Ausdruck von Klugheit und Güte etwas ungemein An ziehendes. Die schlanke Gestalt von tadellosem Wuchs wurde durch einen geschmackvollen Anzug aufs vorteilhafteste gehoben. Das blaßblaue Kleid, daß fie trug, war eben so elegant wie kleidsam, und die Hellen Rosen steckten graziös in dem gefällig geordneten, reichen Blondhaar. „Vornehm" und „sympathisch" konnte man mit gleichem Rechte von ihr sagen. Und fie schien überall beliebt zu sein. Als sie an der Seite ihrer Eltern, des würdigen Geheimrats und seiner stattlichen Frau, in den Saal trat, drängte fich die weibliche wie die männliche Jngend mit eifriger Begrüßung heran. Gabriele hatte alle Mühe, mit den Händedrücken von der einen, den Bitten um einen Tanz von der andern Seite fertig zu werden. — Dem aufmerksamen Beobachter jedoch hätte es scheinen können, als gewähre ihr das rasche Gesülltwerden ihrer Tanzkarte keine besondere Befriedigung, ja, als sehe sie mit einer gewissen Besorgnis jeden neuen Namen auf dem zierlichen Pergamentblatte. c (Fortsetzung folgt.)
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