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Die „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen t,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mn Aloritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterbaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bis vormittag w Uhr. Inserate werden mit w Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Nr. 42. Freitag, den l9. Dezember 1902. I. Jahrgang. O ertlich es und 'Sächsisches. Gttendorf.Okrilla, st. Dezember " 902. Ans nie kommenden Sonnabend fiatt- findenden GemcinderatSwahlen in der Ge meinde Ottendorf-Moritzdorf seien noch alle Interessenten hierdurch aufmerksam gemacht und sollte cs Niemand versäumen, am genannten Tage seine Stimme abzugeben. — Die Leute, welche behaupteten, daß der Mondwechsel andere Witterung bringe, haben wieder einmal Recht behalten. Fast in ganz Deutschland ist ein Wettcrumschlag cin- getreten. Nur muß man sich fragen, wie lange die laueren Winde wehen werden und ob nicht etwa der Frost gar bald wieder cinsetzen wird. Verzweifelt klingen die Weiternachrichten noch aus Ungarn. Wer lassen eine Meldung aus Budapest folgen: Im ganzen Lande herrscht ungeheuere Kälte, im Norden und Nordoslen sieht das Thermometer andauernd auf 30 Grad Celsius unter Null. Aus allen Gegenden werden zahlreiche Erfrierungsfälle und die Ver mehrung der Wölfe mitgete It. — Es dürfte von Interesse sein, über den harten Winter von 1802/03, also gerade vor 100 Jahren, nach einer in Hohnstein be findlichen Chronik zu berichten, nach welcher den 6. Januar 1803, nachdem eS schon vorher wochenlang ziemlich kalt gewesen, alles begann zu zugefrieren. Alle Röhrwasser waren gänz lich auSgefroren, und in Stolpen mußte in folge dieser Kalamität damals ein Gebräude Wasser mit 6 Thale.u bezahlt Iverden. Außer dem wird berichtet, daß viele Menschen er froren sind und man kaum imstande war, dis Stuben trotz starten Feuerns warm zu bringen. — Der ständige Ausschuß des der Gcneral- direktion der sächsischen Staatseisenbahnen zu- geordneten Eisen bahnrales ist für Donners tag den 8. Januar zu einer Sitzung in Dresden eingeladen wordm. Dabei werden Beratungen über die Reform des Pcrsonentarifcs der säch sischen Staatsbahnen staltfinden. Der gc- sammle Elscubahnrat wird erst am 5. Februar zu einer Sitzung zusammentretcn, in welcher der gleiche Gegenstand wohl mit zur Erörter ung kommen dürfte. -- Bei. den Po st fr acht stücken nach den in Afrika außerhalb der deutschen Schutz gebiete gelegenen Anlegeplätzen der Dampfer der deutlichen Ostasnka-Lune, der Wörmann- Linie und der Oldenburg-portugiesischen Dampf schiffs-Reederei ist das Meistgewicht von 10 Kilogramm auf 20 Kilogramm erhöht worden. — Reorganisation oer Kummer- Werke. Vorgestern fand auf Einladung des Komitees zur Reorganisation der Kummer- Werke eine Konferenz der Interessenten der Kummer-Gesellschaft statt, an welcher neben Inhabern erster Bantfiimcn auch Vertreter der Obligationäre ersten und zweiten Ranges leilnahmen. Die Rcorganisatwn wurde im Interesse aller Beteiligten als höchst wünschens wert anerkannt. Es wurde der vorläufige Entwurf eines Reorgamsationsplanes vorgclegt, welcher unter Mitwirkung eines ersten Bank hauses aufgestellt worden ist. Derselbe soll zu nächst noch einer Prüfung durch die Obli gationäre unterzogen werden, alsdann ist eine abermalige gemeinsame Besprechung der Dcle- girten der beiden Obligationäcgruppen mit dem Reorganif tionskomilce in Aussicht genommen. Jin Interesse aller Beteiligten ist zu hoffen und zu wünschen, daß recht bald eine end- giltige Verständigung und Entscheidung erzielt wird. — 7 Pfennige Goldwert! Die Zen tralstelle der „Deutschen Uhrmacher-Vereinigung zu Leipzig" hat festgestcllt, daß Vie von schweiz- erischcn und österreichischen Uh envcrfand- gcschäflen angepriesencn Goldinuhrcn einen Goldwert von sieben (!!) deutschen Ncichs- pjeuntgen besitzen. Trotzdem behaupten du Versandhäuser, baß diele „Wunder der Uhren- Jnrustric" se.bfl dureb Fachleute nicht von echten goldenen Uhren zu uu.etscheiden find, Ivas natürlich purer Schwindel ist. Wer des halb nicht betrogen se.n will, der wende sich beim Kauf einer Uhr an den ansässigen Uhr macher, der, weil stets erreichbar, für seine Ware jederzeit einstehen muß und darum mehr Gewähr bietet, als ein ausländischer Händler. Dresden. In selbstmörderischer Ab sicht schoß sich am Sonntag Vormittag ein ca. 21 Jahre alter Rekrut in der Wohnung seiner Angehörigen hier in die Brust und verletzte sich schwer. Er soll zum Militärdienst keine Lust gehabt haben. Meißen, 17. Dezember. Ein neues Omnibus-Unternehmen hat am Sonntag den Betrieb begonnen. Es vermittelt den Verkehr zwischen Zaschendorf und Meißen. Täglich werden in jeder Richtung 10 Fahrten aus- geführt. Großenhain. Aus der Ladenkaffe eines hiesigen Warenhauses wurde in vergangener Nacht ein Geldbetrag von ca. 100 Mark ge stohlen. Der Dieb, der noch unermütclt ist, muß mit den Oertlichkeiten genau verlraut ge wesen sein. Die polizeilichen Erörterungen sind im Gange. Großen Hain. In einem hiesigen größeren Manufaklurwarcngeschäste fand gestern, ver mutlich durn Herausfallcn glühender Kohlen aus dem Ofen, ein Brand statt, der glück licherweise rechtzeitig bemerkt wurde. Durch- den entstandenen Rauch ist einiger Schaden an Waren erwachsen. Bautzen, 17. Dezember. Seit Anfang Dezember läßt der hiesige Fabrikbesitzer Kom merzienrat und Sladtrat Eduard Weigang in der hiesigen Volksküche frühmorgens zwischen 7 und 8 Uhr vor Schulbeginn täglich etwa 135 armen Schulkindern warme Suppen verab reichen. Pirna, 17. Dezember. Ein blutiges Licbesdrama hat sich nach dem „Pirnaer Anzeiger" gestern früh in der Nähe des Nach barortes Pratzschwitz abgespielt. An einer Feime in der Nähe Ler Linden-Allee zwischen Copitz und Pratzschwitz fand man ein junges Mädchen, etwa 20 Jahre alt, und einen Mann nn Alter von etwa 28 Jahren in bewußt losem Zustande auf. Beide Personen, an scheinend ein Liebespaar, besaßen Schußwunden, die aber nicht löttich gewirkt hatten. In dem Mädchen wurde die Tochter eines Dresdner- Restaurateurs erkannt. Die jungen Leute wurden in das Johanniter-Krankenhaus in Heidenau gebracht. Döbeln. Hicr hat nun auch die letzte Tuchfabrik, Gebrüder Glausnitzer, ihren Be trieb eingestellt. Damit verschwindet dieTuch- machcrei gänzlich aus der Stadl. Tie früher dort in ziemlicher Anzahl vorhanden gewesenen Tuchfabriken sind nach und nach Angegangen, weil sie Ler auswärtigen Konkurrenz nicht ge wachsen waren. Durch den Stillstand der Glausnitzerschen Fabrik sind gegen 50 bis 60 männliche und weibliche Arbeiter brotlos ge worden, von denen der jüngere und namentlich der weibliche Teil bereits in anderen Fabriken Unterkommen gefunden hat. Wurzen, 16. Dezember. Ein größerer EinbruchSviebstahi ist hier gestern verübt worden. Gestohlen wurde eine eiserne Geldkassette, ent haltend 250 Mark baar, Wertpapiere im Be trage von 6400 Mark und verschiedene Schmuck sachen. — Heute früh entleibte sich durch Er hängen ein 13jährlger Schulknabe. Furcht vor Strafe infolge eines begangenen Diebstahls ist der Beweggrund der That. Glaucha u, 17. Dezember. Nachdem er sich eines schnöden Vertrauensbruches schuldig gemacht Halle, ist seit Sonntag der Drechslerei- besitzcr G- von hier verschwunden. G. hatte die von den Mitgliedern eines hiesigen Militär vereins im Laufe des Jahres Ungezählten Spargelder in Verwahrung, die am Sonntag Nachmittag anügezahlt werden sollten. Wie verlautet, fehlen oavon über 1000 Mark. Meerane, 15. Dezember. Gegen das Ergebnis der am 11. Dezember hier erfolgten r tadlverordnenm - Ergänzungswahl wollen die Sozialdemokraten Protest erheben. Sie hatten den von dem Hausbesitzerverein aufgestellten Kandidaten Agenten Neuber ebenfalls mit zur Wahl empfohlen, dabei war ihnen abcr ein Versehen insofern unterlaufen, als sie auf ihren Stimmzetteln nicht Neuber, sondern Neubert stehen hatten. Die Wahlkommissare ließen die Stimmen dieser Beiden für sich aufzählen, wodurch Neuber zu wenig Stimmen erhielt, um als gewählt zu gelten. Hätten die Sozial demokraten den Namen deutlich acichriebcn, so wären auf Neuber die meisten der abgegebenen Stimmen (664) entfallen. Zwickau, 16. Dezember. Gestern zer störte ein größeres Schadenfeuer eine Woll- niedcrlage der Ullrichschen Digognespinnerei. Ter Schaden an verbrannter Wolle allein be trägt gegen 20000 Maik. Ein Brand im König-Albert-Hütlenwcrk bei Zwickau verursachte ebenfalls einige Tausend Mark Schaden. Oelsnitz i. E>, 16. Dezember. Durch hcreinbrcchende Gesteinmassen wurden am Sonn abend Abend arv der Grube „Konto.Lia" die Bergarbeiter Lindner und Wuidelmann aus Oclsnitz beziehentlich Gersdorf verschüttet und sofort getöier. Die Leiche des einen lomue an demselben Abend noch zu Tage gefördert werden, während Ler andere Verunglückte bis jetzt noch nicht gefunden wordcn ist. Dreihmrdertvierundfechzig und eine Nach!. von p. Rosegger. Ich sah wohl, daß ich auf neue Wege sinnen mußte, und war daher bemüht, das Lesen besser zu lernen, um aus manchen Ge- schichtcnbüchcrn, wie sie in den Waldhütten nutzlos auf den rußigen Wandsiellen herum lagen, Schätze zu ziehen. Nun hatte ich neue Quellen: die Geschichte von der Pfalzgräfin (Las Jakoberle sagte immer Schmalzgräfin) Genovefa; die vier Hcimonskinder: die schöne Melnsina; Wendelin von Höllenstein — ganz wunderbare Dinge zu Dutzeuden. Da sagle mein Bruder wohl oft aus seiner Klippe heraus: „Mein Kuchen reut mich gar nicht! das ist wohl so viel unmöglich schön. Gelt, Z-Pcrl?" Nun wurden die Abende zu kurz, und ich mußte eine solche Geschichte in Fortsetzungen geben, womit aoer klein Schwesterchen schier nicht einverstanden sein wollte, denn cs be hauptete, in jeücr Nicht eine ganze Geschichte! so sei es ausgemacht. So verging das Jahr. Ich erwarb mir nach und nach eine gewisse Fertigkeit im Er zählen und that es sogar hochdeutsch, wie es m den Büchern stand! Oft geschah es auch, daß sich während des Erzählens meine Zu hörer tief in die Kotzen vergruben und vor Schauer über die Räuber- und Geistergeschichten zu stöhnen anhubcn; aber aufhören durfte ich doch nicht. Es war schon wieder der Sonncnwendtag nahe, und mit ihm die Lösung meines Ver trages. Doch — ein eigen Geschick! — noch vor dem letzten Abend ging mir gänzlich der Faden aus. Alle mcine Erinnerungen, alle Bücher, deren ich habhaft werden konnte, alle Männlein und Weiblein, denen ich begegnete, waren erschöpft — alles auögcpumpl — alles hoffnungslose Dürre. Bat ich meine Ge schwister: „Morgen ist der letzte Abend — schenkt ihn mir!" War ein Geschrei: „Nein, nein, nichts schenken! Du hast Deinen Sonn wendkuchen kriegt!" Gar die Ziegen meckerten eine Zeit lang. Am nächsten Tage ging ich herum, wie ein verlorenes Schaf. Da kam mir plötzlich der Gedanke: Betrüge Sic! Dichte was zu sammen! Aber allsoglcich schrie das Gewissen drein: Was du ^-zahlst, das muß wahrhafiig sein! Du hast den Kuchen wahrhaftig bc- louimcn! Doch geschah im Lause dieses Tages cin Ereignis, von dem ich hoffte, daß es im Drange der Aufregung mich meiner Pflicht entbinden würde. Mein Bruder Jakoberle verlor sein Zeitzerl. Er ging in Kreuz und Krumm über die Heide, er ging in den Wald und suchte weinend und rufend die Ziege. Aber endlich spät am Abend brachte er sie heim. Ruhig aßen wir unsere Suppe, gingen in unsere Krippen, und von mir wurde die Geschichte verlangt- Es wrr still. Die Zuhörer harrten in Erwartung. Die Ziegen scharrten im Wieder käuen mit den Zähnen. Nun denn, so sollen sie die Geschichte haben. Ich sann — — ich begann: „Es war einmal ein großer großer Wald gewesen. Und in dem Wald war es allwez finster gewesen. Keine Vöglein haben gesungen, nur der Totcnvogel hat geschrien. Wenn abcr doch Lie andern Vögel auch gesungen, da haben aus den Bäumen alle Aeste und alle Blätter vicltausenb Thränen gcweint. Mttlen in diesem Walde ist cu c Heide, wie der Totcn- ackcr so still, und wer über dieselbe hingeht und nickt umkchrt, der kommt nicht mehr zurück. Ucker diese Hw: si .o einmal zwei blutige K>üe geganncn." „Jcsses Ma—!" rief mein älteres Schwc- stsrlcin ane, und alle Drei krochen unter die Kotzen- „Ja, -wci blutige Knie," fuhr ick fort, „und Lie sind über die Heide dahin geschwebt gegen den finstern Wald, wie eine ver lorene Seele. Aber auf einmal sind die zwei blutigen Kw.e —" „Ich schenk' dir mein blaues Hosenband, wenn Du füll bist!" wimmerre mein Bcuder angstvoll und verbarg sich noch tiefer in die Decke. sind die zwei blutigen Knie still- gestanden", fuhr ich fort, „und auf dem Boden ist ein Stein gelegen, so weiß, wie ein Leichen tuch. Dann sind zwei funkelnde Lichtlein ge wesen zwischen den Bäumen, und darauf sind vier andere blutige Knie dahingcschwebt." — „Mein neues Paar Schuh' schenk' ich Dir, wenn Du aufhörsl!" Hauchle das Jakoberle in seinem Trog und zog aus lauter Furcht das Zcitzerl am Barte zu sich. „Und so sind alle st-chs zusammcngegangcn durch den finstern Wald und heraus auf die Heide und über das Haferfeld herab zu unserem Hause — und herein in den Zicgm- siall —". Jetzt kreischten alle Drei auf, und sie wim merten w d wußten ihrer Angst kein Ende, und klein Schwesterlem versprach mir mit Zagen seinen Teil von dem auch Heuer wieder zu er wartenden, morgigen Sonnwendkuchen, wenn ich aufhöre. Ich aber fuhr fort: »Jetzt — ua, jetzt hab' ich zum Anfang zu sagen vergessen, daß die zwei ersten blutigen Knie unserem Jakoberle und die vier letzteren seinem Zcitzerl gehört haben — wie sie heut im Wald herumgegangen sind." Brach auf einmal das Gelächter los. „Jeder Mensch hat zwei blutige Knie!" rief Schwesterlein, und die Ziegen meckerten, daß es ein Jubel war. Ich hatte mcine Rolle ausgespielt. Drei- hundertvierundsechzig Nächte lang halte ich ge glänzt als weiser, wahrhaftiger Geschichten mann; die dreihunderlfünfundscchzigste hatte mich enilarvt als argen Schwätzer. Das Versprechen in betreff des zweiten Sonnwendkuchens wurde rückgängig gemacht; Schwesterlein erklärte, die Zusage sei nichts als Notwehr gewesen. Und die Gläubigkeit meines Publikums hatte ich mir verdorben ganz und gar, und wenn er in Zukunft an irgend einem Er zählten seinen Zweifel ausdrücken wollte, so rief cs einslimnng: „Aha, das ist wieder ein blutiges Knie!"