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Ottendorfer Zeitung. Die „Mttcndorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen y20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Alit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bis vormittag zo Uhr. Inserate werden mit io Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. W Druck un- Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Nr. 14. Mittwoch, den t5. Oktober 1902. 1. Jahrgang. Bekanntmachung. Schöffen- und Gefchworenenurlifte betr. vom (3. Oktober d. I. ab liegt bei Unterzeichnetem die hiesige Schöffen- und Geschworenenurliste des laufenden Jahres eine Woche lang im Gemeindeamt während der Gxpeöitionszeit zu Jedermanns Einsicht aus. Vom Zeitpunkt der Auslegung an, können gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Liste schriftlich oder zu Protokoll Einsprachen erhoben werden. Die hierauf bezüglichen Bestimmungen der ßß 3s, 32, 33, 34, 84, 85 des D. Gerichtsverfassungsgesetzes und des ß 24 des A. 5. Gesetzes vom s. März f87y liegen im Gemeindeamt aus. Mttendorf-Moritzdorf, am (0. Oktober ^02. Der Gemeindevorstand. Lincke. Oertliches und Sächsisches. Vttendors-Vkrilla, z-z. Mktober 1902. G Dus am Sonntag Abend im Gasthof zum „schwarzen Rost" stattgefundene Gesangs- Konzert ausgeführt vom Mannergesangverein zu Ottendorf erfreute sich eines sehr zahlreichen Besuches und waren die gesanglichen Dar bietungen als sehr gute zu bezeichnen. Der hierauf stattfindende Ball hielt die Konzert besucher noch längere Zeit beisammen. — Bekanntlich dürfen Briefe das Meist gewicht von 250 ß nicht überschreiten. Die Post zeigte bisher in dieser Hinsicht dem Publikum einiges Entgegenkommen. Es war zunächst versuchsweise die Einrichtung getroffen worden, daß Sendungen mit Uebergewicht an den Adressaten bestellt wurden, daß dieser aller dings dann die Differenz zwischen dem Brief- und dem Packetporto nachzuzahlen hatte. Diese probeweise Einführung hat, wie die „Deutsche Volks-Zeitung" mitteilt, günstige Erfolge ge habt, und Unzuträglichkeiten sind nicht einge treten. Es ist infolgedessen nun endgiltig be stimmt worden, daß derartige Briefe in der geschilderten Weise behandelt werden sollen. Allerdings ist nur die Rede von Briefen „mit wertvollem oder für die Korrespondenten augen scheinlich wichtigem Inhalte", aber es ist nicht gesagt, wie die Postbeamten sich über die Qualität des Inhaltes irgendwie Aufklärung verschaffen können. In' Zweifelsfällen werden die Postbeamten wohl gut thun, anzunehmen, daß der Inhalt für die Korrespondenten wich tig ist. — D i e K a s e r n e n h ö f e, die nach der Entlastung der Reservisten in den letzten Wochen wie auSgestorbeu dalagen, belebten sich heute wieder, wenigstens soweit Kavallerie in Frage kommt. Tausende von jungen Leuten halten ihren Einzug in die Kasernen, um die stark gelichteten Reihen der Schwadronen wieder vollzählig zu machen. Nach schwerem Abschied von den Lieben daheim und geleitet von deren besten Wünschen, treffen sie, die nun ebenfalls berufen sind, den bunten Rock zu tragen, in den Garnisonorten ein. Vorerst sind die jüng sten Marssöhne noch etwas zaghaft, jedoch das Beklemmende legt sich bald — mit Freiübungen, Turnen und Reiten, die den Anfang des Dienstes bilden, kommt ein anderer Geist über sie. Amüsant pflegt gewöhnlich die Ein kleidung zu verlaufen, und die komischen Si tuationen, die sich dabei zumeist ergeben, zaubern ein Lächeln selbst auf dem Gesicht des Aengst- lichsten hervor. In den Stuben lernen die „Neuen" Vielerlei von den „Alten", die sich jetzt ziemlich erhaben dünken und den Neu- eingetretencn das vormachcn, was ihnen selbst vor einem Jahre gezeigt wurde. So manche treue Kameradschaft wird geschlossen, die sich gewöhnlich später auch noch im bürgerlichen Lebe» bewährt. Möge jeder von den zu den Fahnen Berufenen danach streben, ein brauch barer, tüchtiger Soldat zu werden, der sein Ganzes einsetzt, wen» das Vaterland einmal seiner bedürfen sollte. Radeburg, >1. Oktober. Morgen Mittwoch halten die beiden hiesigen Turn vereine eine Gedächtnisfeier des 50jährigen Todestages des Turnvaters Jahn ab, Der Turnverein Radeburg ladet seine Mitglieder nach „Stadt Dresden", der Turnverein „Jahn" nach dem Hotel zum „Hirsch". Beide Feiern bestehen in Gesängen und Ansprachen. Radeburg, 13. Oktober. Gestern wurde hierselbst die Erhebung der Nebenstelle Radeburg des Wohlthätigkeitsvereins „Säch sische Fechtschule" zum selbstständigen Verband vollzogen. Nachmittags 3 Uhr fand im „Hirsch" die Gründungsversammlung statt, in der nach Begrüßungsworten des Nebenstellen leiters und Berichten des Verbandsvorsitzenden und Verbandskassirers die Erhebung zum Ver bände ausgesprochen wurde. Es folgten noch Wahlen des Verbands-Vorstandes und -Aus schusses. Abends von 6 Uhr ab fand Konzert statt und ein von einer Warenverloosungun ter- brochener Ball beschloß den Tag. Langebrück. Am vorigen Frertag, den io. dieses Monats, beging Herr Kaufmann Zocher hier in aller Sülle sein 25jähriges Ortsjubiläum. Herr Zocher hat besonders auch in seiner Eigenschaft als Gemeindeältester stets im Interesse unseres Ortes gewirkt. Dresden, 13. Oktober. An der Marienbrücke wurde am Sonntag früh der Leichnam einer unbekannten Frauensperson aus der Elbe gezogen. Die Ertrunkene ist un gefähr 20 bis 23 Jahre alt, hat dunkelblonde Haare, rundes Gesicht, vollständige Zähne und trägt blauwollene weißgestreifte Blouse, blau grauen weißpunktirten Rock, graues gelb- und blaugestreiftes Barchentbeinkleid, blaues rot- u. weißgestreifteö Barchenthemd, roten schwarz gestreiften Unterrock, schwarze Strümpfe, Halb schuhe, braune Lederstrumpfbänder, schwarzen Ledergürtel und hatte weißes rot- und blau- gestreiftes, „L. O. 3." gezeichnetes Taschen tuch bei sich. Löbtau. Seit vergangenen Freitag wird die hier Friedrich-August-Straße 2g wohnhafte Bohrersehefrau Gläsel vermißt. Da die Frau in letzterer Zeit an Schwermut litt und gleich zeitig in einem an ihre Kinder gerichteten Briefe mitteilt, daß sie die Absicht habe, sich in gewaltsamer Weise das Leben zu nehmen, wird angenommen, daß die Bedauernswerte sich ein Leid angethan hat. / Schönfeld, 12. Oktober. Einen lang gesuchten Schwindler zu verhaften, glückte hier der Gendarmerie am letzten Freitag. Der Mann hatte sich als Kartoffelleser verdingt. Er wurde vom Felde weg arretirt und dem Amtsgerichtsgefängnis in Großenhain zuge führt. Großenhain, 13. Oktober. Nicht unbedenklich verletzt hat sich heute früh auf dem Cottbuser Bahnhof eiue Frau R. von hier, welche den nach Cottbus abgehenden Zug be nutzen wollte. Die Frau war in den falschen Zug, den nach PUestewitz gehenden, eingestiegen; als der Zug abfuhr, wurde sie den Irrtum g wahr und sprang heraus. Dabei zog sie sich solche Verletzungen zu, daß sie nach ihrer Wohnung getragen werden mußte. Mühlberg an der Elbe, 12. Oktober. Ein thalabwärts fahrender beladener Kahn, Herrn Schiffseigner Schulze in Merschwitz ge hörig, erlitt unterhalb Mühlbergs, am Kütt- litzer Heger, schwere Havarie. Der Kahn ge riet aus der Fahrtrinne und fuhr mit großer Gewalt an eine Buhne, wobei er ein starkes Leck bekam. Drei Tage lang (auch nachts) waren eine Anzahl Pumpen ununterbrochen in Thätigkeit, um das stark eindringende Wasser aus dem Fahrzeuge zu entfernen. Nach vielen Bemühungen gelang es, das Leck notdürftig zu verstopfen, sodaß der Kahn alsdann seine Fahrt fortsetzen konnte. Tharandt, 13/ Oktober. Am Frei tag Nachmittag wurde der Forststudent Buiwidt in Tharandt unweit des WernerdenkmalS im Breitengcund erschaffen aufgefunden. Der 22 Jahre alte Ausländer hatte sich eine Kugel in den Mund und, als diese den Tod nicht h.r- beigeführt, drei Kugeln in die Herzgegend ge schaffen. Neben dem im Blute liegenden Leich nam fand man einen Zettel vor, auf dem zu lesen stand : „Lebt alle wohl. 2,30 Uhr nach mittags." Der Unglückliche hatte nur eine goldene Uhr bei sich. Bemerkt sei, daß Buinndt den Selbstmord an derselben Stelle beging, wo seiner Zeil der Student Werner im Duell erschossen wurde. Chemnitz, 13. Oktober. In Sachen der gemeldeten Briefmarken-Fälschung können wir weiter mitteilen, daß der im k. k. Bezirks gerichte zu Weipert i. B. bis zu seiner Aus lieferung an die sächsischen Gerichtsbehörden in Haft befindliche Kolporteur Hofmann den Vertrieb der gefälschten Marken im großen be trieben hat. Er „reiste" in ganz Deutschland und setzte für über 50000 Mk. Falsifikate ab. — Ein Privatmann in H 0 hnd 0 rf bei Llchtenstein-Callnberg hat sich schon auf län gere Zeit auf die Weise „billige" elektrische Beleuchtung verschafft, daß er insgeheim einen Draht von seiner Wohnung nach der elek trischen Leitung führte und dergestalt Elektri zität zur Speisung seiner Lampen gestohlen hat. Unlängst wurde die Sache aber bemerkt und Klage gegen den Mann erhoben. Werdau, 13. Oktober. Beim Aus schneiden eines Hühnerauges an der kleinen Zehe zog sich der Steuereinnehmer Mutze eine geringfügige Verletzung zu. Diese ver schlimmerte sich aber derart, daß man zur Ueberführung des Mannes nach dem Kreis krankenstift in Zwickau schreiten mußte, wo selbst ihm ein Bein amputirt wurde. Aue, 12. Oktober. Ein Eisenhobler aus Auerhammer und ein Waldarbeiter aus Bockau, des ersteren Schwager, sind schon längere Zeit als harmlose Alchymisten bekannt, die aus metallischen Bestandteilen Gold oder eine dem ähnliche 'Masse herzustellen suchten, aber mit einem für sie sehr unerfreulicher Erfolge. Sie wurden als Falschmünzer verdächtigt und ver haftet. Eine durch die Gendarmerie bei Ihnen ausgeführte peinliche Hausuntersuchung führte zu keiner Belastung, und so wurden die beiden Sucher des Steins der Weisen wieder auf freien Fuß gesetzt. — Das in Zwickau von einem Straßen bahnwagen überfahrene Kind, der sechsjährige Knabe Emil Weinbrecht, ist an den erlittenen schrecklichen Verletzungen verstorben. Mus der Woche. Die Audienz der Burengeneräle beim Kaiser unterbleibt — und das ist gut. In der Tagespresie wimmelt es von Artikeln über diesen Gegenstand. Die offiziöse Auslastung der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" ist wie eine Stakete in die Preßerörterungen ge fahren und wenn auch zur Stunde, da wir dies niederschreiben, die in Aussicht gestellte Entgegnung der Buren noch noch bekannt ist, so steht doch so viel fest, daß die Audienz der Burenführer beim Kaiser nicht stattfindet. Ein Kaiser hat andere Rücksichten zu nehmen, wie ein Primatmann. Ob nun der Monarch aus familiären oder aus politischen Rücksichten den von ihm anfänglich gewünschten Besuch der Burengenerale jetzt abgelehnt hat, ist noch nicht ganz klar. Diese Seile der Angelegenheit, die in den Blättern so ungeheuer viel Staub auf- wirbelt, braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Die Thatsache des Nichtempfanges an sich ist schon wichtig genug. Denn was hätte wohl der Kaiser milden Generalen besprechen können! Ueber das, davon ihnen das Herz so übervoll ist, konnte nicht gesprochen werden; das war schon von vornherein ausgemacht worden. Ueber Burentaktik und dergleichen kann sich der Monarch auf anderem Wege und weit gründlicher unterrichten, als dies in einer kurzen Audienz möglich ist. Vom Wetter kann doch wohl auch nicht gut gesprochen werden, wenn io starke Individualitäten zusammen- tteffen, wie es der Kaiser und die drei Buren sind, in deren Gedächtnis das Kaisertelegramm an Krüger und der Ausspruch Bismarcks lebt, daß Deutschlands Interesse die Aufrechterhalt ung der Unabhängigkeit der Burenstaaten for derte. Die Audienz hätte also eine gewisse Aehnlichkeit mit dem „Versöhnungsbesuch" ge habt, den Kaiser Wilhelm dem Alt-ReichS- kanzler in Friedrichsruh abstattete und bei dem auch nur von Dingen gesprochen wurde, die ziemlich weitab von dem lagen, was der junge Monarch und der alte Kanzler gegenseitig auf dem Herzen hatten. Solche Lasten drücken dauernd und schwer, wenn man die ofi einzige Gelegenheit versäumt oder Vorbeigehen lasten muß. sie sich vom Herzen zu reden. Die Lage dee Burengenerale ist oimebin übermäßig schwer. Ihre Loyalität gegen England, mit dem sie ihren Frieden geschloffen haben, schließt ihren Mund. Daß sie offenbar die Betrogenen sind, daß die» Versprechen Kitcheners und Milners jetzt nicht gehalten werden, daß die ihnen bluisverwandlen Kaprebellen entgegen diesen Versprechen nicht amnestiert worden sind, macht ihr Herz von neuem bluten; aber sie muffen sich darin fügen und sind jetzt offenbar nur daraus bedacht, das entsetzensvolle L00S ihrer Landsleute zu bessern. Darum unter nahmen sie den Bettelfeldzug durch Europa; denn ihr neues Regiment ist taub gegen ihre Bitten und mit Chamberlain sind sie nicht zum Einverständnis gelangt. -- Neben der Buren» audienz Hal in der Berichtswoche n.ch der vor einem Berliner Gericht wieder aufgerollte Kö nitzer Mordfall die Gemüter am meisten be schäftigt. Ein Redakteur und der Herausgeber der „Staatsbürger-Zeitung" waren angeklagt, verschiedene Beamte, denen die Untersuchung des Könitzer Falles anvertraut war, durch die Unterstellung beleidigt zu haben, sie hätten die Juden geschont. Nun haben aber die neuen Gerichtsverhandlungen die gesamte Untersuch ung wegen des Könitzer Mordes in eine so klare Beleuchtung gestellt, daß jene Vorwürfe absolut in nichts zerfallen, wenngleich anderseits dabei nicht alles so einwandsfrei hergegangen ist, wie es die Schwere des Falles erfordert hätte. Was aber für das Staatsiutereste die Hauptsache ivar, hat der Prozeß klar erwiesen: die in Verdacht geratenen Juden sind keines wegs parteilich in Schutz genommen, sondern es sind im Gegenteil alle Spuren gewissenhaft verfolgt worden, die auf den Verdacht der Thäterschaft oder Mitwisserschaft hinwiesen. Nur eine Spur konnte nicht weiter verfolgt werden: Ein liederliches Frauenzimmer, die sogenannte „schwarze Dominika", ist seit der Mordthat wie vom Erdboden verschwunden. Mit dieser soll der im Punkte der Sittlichkeit nicht eben strenge ermordete Gymnasiast Um gang gehabt haben. Sie gehörte, wie Bürger meister DeditiuS bekundete, zu den „Tippel schicksen", die l.ndstreichend umherziehen und dabei von arbeitsscheuen Subjekten begleitet werden. Welch' ein Sittenbild entrollt sich dabei vor unseren betroffenen Blicken. — Stoff für einen Emile Zola, wie die abbestellte Burenaudienz vielleicht noch Stoff zu einer politischen „Komödie der Irrungen" abgeben könnte.