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England in Ägypten. 29. Februar 1928 Die ägyptischen Zeitungen veröffentlichen heute Einzelheiten über den Entwurf für den neuen englisch ägyptischen Vertrag, über den seit der Anwesenheit Sarvat Paschas in London im vergangenen Jahre zwischen der englischen und der ägyptischen Re gierung verhandelt wurde. Diese Publikationen wer den halboffiziös als ungenau bezeichnet. Reuter be richtet jedoch, das; die Ergebnisse der Verhandlungen nicht nur dem Kabinett, sondern auch einem weiteren Kreise nationalistischer Politiker bekannt sind, so daß diesen Inhaltsangaben trotz des halboffiziösen Demen tis große Wahrscheinlichkeit zukommt. An den Ver öffentlichungen scheint in jedem Fall richtig zu sein, daß Sir Austen Chamberlain in seiner in der vori gen Woche an den britischen Oberkommissar abge gangenen endgültigen Antwort der britischen Regie rung darauf besteht, daß Großbritannien sich die Ober hoheit in ägyptischen auswärtigen Fragen vorbehält. Aegypten soll zur Unterzeichnung eines ausländischen Vertrages nur mit Kenntnis und Zustimmung Groß ¬ britanniens berechtigt sein. In ägyptischen nationalen Kreisen wird nach wie vor an der Forderung völliger Unabhängigkeit festgehalten, so daß die Situation gegenwärtig außerordentlich kritisch ist. Wie weiter verlautet, hat die englische Regierung in ihrer letzten Note folgende Forderungen aufgestellt: Die briti schen Truppen behalten die Kontrolle des Suezkanals und der Flughäfen. Aegypten ist be rechtigt, auf die britischen Ratgeber für die ägyptische Armee zu verzichten. Die Kontrolle der ägypti schen Armee verbleibt in ägyptischen Händen. Die englisch-ägyptische Gleichberechtigung im Sudan wird aufrechterhalten. Im Unterhaus teilte Sir Austen Chamberlain auf die Frage, ob irgendwelche Vorschläge für die Zu rückziehung britischer Truppenaus der Umgebung von Kairo zur Zeit geprüft würden, mit, daß er die Unterlagen über seine Verhandlungen mit dem ägyptischen Premierminister sobald wie mög lich dem Unterhaus vorlegen würde. Die Leiden -er Deutschen in Oberschlesien. 29. Februar 1928 In der Dienstagsitzung des schlesischen Sejms wurde nochmals auf Grund eines Gutachtens der Rechtskom mission gegen den letzten Brief des Wojwoden an den Sejmmarschall, in dem der Wojwode die Kompetenz des schlesischen Sejms in der Frage einer Kritik zu der Tätigkeit der Beamten in der Wahlzeit bestritt, die Be amten von jeder einseitigen Wahlpropaganda fern zu halten und die öffentlichen Mittel nicht zu Wahlzweckcn einseitig zu mißbrauchen. Bei der dann folgenden Beratung des neuen Bud gets sprach als Vertreter des Deutschen Klubs Abg. Chefredakteur D r. Pant der bei seiner Rede ein gehend die Leiden der Minderheiten unter der jetzigen Regierung des Wojwoden skizzierte. Unter keinem Woj woden sei der Kampf gegen das Deutschtum so geführt worden wie unter dem jetzigen. Der Wojwode habe mit Stolz darauf hingewiesen, daß unter seiner Regierung das deutsche Schulwesen zu rückgegangen sei. In seiner Etatsrede habe der Wojwode allerdings verschwiegen, mit welchen Gewalt- maßnahmen dieses Resultat erzielt worden sei. Der Redner führte dann Einzelheiten über die bestehenden Mißstände an, über die Knebelung der öffent lichen Meinung über die Verletzung des Brief geheimnisses, über die Kontrolle der Telephongespräche, über die B e s ch r ä n k u n g der Pressefreiheit. Das stärkste deutsche Organ der Wojwodschaft, der „Oberschlesische Kurier" sei z. B. innerhalb von zwei Monaten achtmal beschlagnahmt worden. Ein beson deres Kapitel bilde die Nebenregierung der Aufstän dischen, die eigene Verordnungen erlasse und unter dem Schutze der Behörden die Bevölkerung terrorisiere. Die Unsicherheit sei niemals größer gewesen als jetzt. Eine Tatsache, die auch von einem Redner der Korfanty- Partei anerkannt wurde. Bei der Behandlung des Schulwesens erwähnte der Redner des Deutschen Klubs die Verweigerung zur Errichtung von deutschen Kinder horten und Haushaltungsschulen sowie die unterschied liche Behandlung der deutschen Kinder bei der Schul speisung. Ueber 1000 Beschwerden harrten noch beim Minderheitsamt der Erledigung. Bei der Darlegung der Stellungnahme des Deutschen Klubs zum Arrto- nomiestatut erklärte Dr. Pant, daß es eigentlich nicht möglich sein dürfte, daß ein Wojwode, dem der Sejm sein Mißtrauen ausgesprochen habe, noch weiter auf seinem Posten bleibe. Die deutsche Minderheit könne daher zu dem ersten Beamten der Wojwodschaft kein Vertrauen haben und werde dementsprechend auch bei der Beratung des Budgets ihre Stimme abgeben. Die Budgetberatungen werden am Mittwoch nachmittag sorgesetzt. Litauens Antwort an Polen 29. Februar >928 Ein Berliner Blatt meldet aus Kowno: Die litauische Note an Polen betont, daß Polen seinen Ver pflichtungen Litauen gegenüber nicht nachgckommen sei. Polen habe kein Wort davon erwähnt, in welcher Weise die Verhandlungen auf Grund des Völkerbunds- beschlusses beginnen sollten, was eine genaue Präzisie rung verlange. In der vorletzten Note habe Palen vier Punkte erwähnt, über die Polen mit Litauen verhan deln wolle, jetzt aber schlage Polen sofortige Verhand lungen zur Herstellung normaler und gutnachbarlicher Beziehungen vor. Woldemaras sei nicht sicher, ob dies Verhandlungprogramm identisch sei mit dem in der ersten Note vorgeschlagenem, er sei iin GeaenteU im Unklaren, über welche Fragen Polen auf der zukünf tigen Konferenz zu verhandeln wünsche. Dann aber zeige das vollständige Verschweigen der von Polen selbst vorgelegtcn Fragen, daß der Notenwechsel, der die mündlichen Verhandlungen vorbereiten sollte, die ge samte Angelegenheit nur noch weiter kompliziere. Unter solchen Umständen habe die Fortsetzung des Noten wechsels keinen Zweck. Im Namen der litauischen Re gierung schlage die polnische Regierung daher vor: 1. Den Völkerbund zu bitten, die versprochene Ver- handlungshilfc zu leisten, und falls Polen hiermit ein verstanden sei, mit dem Völkerbund gemeinsam Zeit und Ort für die Verhandlungen zu bestimmen. 2. Falls Polen aus irgend einem Grunde gegen die Verhandlungshilfe des Völkerbundes sei, so sei die litauische Regierung bereit, in mündliche Verhandlun gen mit Polen in Königsberg am 00. März d. I. zu treten. Kellogg besteht aus -em Anlikriegspakt. 29 Februar 1928 Die Antwortnote Kelloggs an die französische Re gierung über ein internationales Abkommen, das jeden Krieg in Acht erklären soll, ist in Paris noch nicht eingelaufsn, doch hat der französische Botschafter in Washington, Claudel, den wesentlichen Inhalt Briand telegraphisch übermittelt und ihn damit in die Lage versetzt, den heutigen Ministerrat in großen Umrissen zu unterrichten. Die Note, die im Tone sehr entgegenkommend ist, hält ohne jede Abänderung den Standpunkt der Vereinigten Staaten aufrecht. Staats sekretär Kellogg spricht sich erneut für ein Verbot einer jeden Art von Krieg aus, sowohl der Defensive wie der Offensive und verlangt, daß das Ab kommen gleichzeitig von den Mächten, die als Groß mächte bezeichnet werden, unterzeichnet werden soll, von denen aber nur Frankreich, England, Deutschland, Ita lien und Japan genannt werden, während weder von Spanien, noch von einem der südamerikanischen Staaten die Rede ist. Damit lehnt Kellogg erneut den französischen Vorschlag ab, der ein vorläufiges Abkommen zwischen Frankreich und der Re gierung von Washington vorsah, ein Abkommen, das erst nach Einigung dieser beiden Regierungen dann den anderen Mächten zur Unterzeichnung vorgelegt, werden soll. Die Regierung von Washington erklärt weiter in ihrer Note, daß man mit Optimimus dem Ideal nachstreben müsse, das sowohl Briand al , Kellogg an strebten. Sie gibt die Hoffnung nicht auf, betont aber mit allem Nachdruck, daß eine Lösung nur dann möglich sei. wenn alle Großmächte sich einem derarticwn Ab kommen anschlössen, da kein anderes Mitte' vorhanden sei, kriegerische Verwicklungen ein für allemal unmög lich zu machen. Der französische Standpunkt ist bekannt und dürfte sich ebensowenig wie der amerikanische ändern. Die Franzosen haben, wie erinnerlich, immer wieder hervorgehoben, daß sie durch die verschiedensten Abkommen und vor allem durch ihre Verpflichtungen dem Völkerbund gegenüber gebunden seien und deshalb aus ihrer Forderung beharren mußten, freie Hand für eine defensive Kriegsfiibrung zu beanspruchen. Falls Frankreich sich binden würde auf jede Art von Krieg zu verzichten, so wäre nach französischer Auffassung Frankreich nicht in- der Lage, einem angegriffenen Staate die Hilfe zu erweisen, zu der es durch Verträge verpflichtet sei. Erst bei Vorliegen des Wortlautes der amerikani schen Note, der morgen veröffentlicht werden soll, wird man urteilen können, ob noch Aussichten für weiteres Verbandeln bestehen. Man hält es für nicht ausge schlossen, daß die französische Regierung während der Genfer Ratstagung die dem Völkerbund angehörenden Großmächte um eine Stellungnahme ersuchen wird, da der amerikanische Vorschlag sich indirekt auch an die anderen Großmächte richtet. Zusammenkunft Marinkowitjchs mit Briand, Benesch, Titulescn und Stresemann in Genf. Belgrad, 29. Febr. Manukowitsch wird seine schon angekündigte Reise nach Südsrankreich in Genf unter brechen und sich dort vier Tage aufhalten. Der jugo slawische Außenminister wird in Genf mit Briand, Benesch, Titulescu und Stresemann konferieren. Er wird u. a. mit dem rumänischen und dem deutschen Mi nister des Auswärtigen über die aktuellen internatio nalen Fragen und über das Programm der Märztagung des Völkerbundsrates sprechen. Zu diesem Programm gehört bekanntlich auch die Frage der Investigation Ungarns. Das Ergebnis der Hagenauer Wahlen in der französischen Presse. Paris, 29. Febr. Das Ergebnis der Hagenauer .Wahlen gibt der Presse erneut Gelegenheit, sich mit der elsässiichen Frage'zu beschäftigen. Beunruhigend wirkt es, daß der Eemeinderat zum großen Teil mit Hilfe der Kommunisten wiederqewählt wurde. Die Freude der kommunistischen Organe über den Erfolg des Kan didaten Weiß kommt unverhohlen zum Ausdruck und wird als eine neue Kampfansage gegen den „französi schen Imperialismus" im Elsaß bewertet. An Stelle des offiziellen Optimismus ist eine gewisse Zurückhal tung getreten, die sich besonders durch den Umstand ver ständlich macht, daß die klerikalen „Negionalisten" mit den Kommunisten zusammenspielten und an der Kund gebung, die den Sieg der Weiß-Gruppe feierte, die Kommunisten mitwirkten. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 29. Februar 1928. Die zweite Beratung des Hau sh alt Plans für 1928 wird fortgesetzt, und zwar beim Haushalt für Ver sorgung und Ruhegehälter. Der Ausschuß ersucht die Reichsregierung, unverzüglich einen Gesetzentwurf über die Festsetzung einer Höchstpension und Regelung der Pen sionskürzung bei hohen Arbeitseinkommen vorzulegen, ferner ein Pensionsgesetz für politische Beamte. Abg. Roßmann (Soz.) weist darauf hin, daß trotz erheblicher Sterblichkeit unter den Kriegsopfern all jährlich noch Zehntausende von neuen Rentenempfängern hinzukämen. Die Versorgung der Kriegsopfer solle und müsse Geld kosten, damit das Volk sich mit Abscheu von den intellektuellen Urhebern des Krieges abwende. — Abg. Laverrenz (Dnat.) betont, daß sich seine Fraktion einer zweckmäßigen Pensionshöchstgrenze durch aus nicht verschließe. Sie sei aber entschieden gegen die Kürzung der Pensionsansprüche beim Vorliegen anderer Einkünfte. Mit dem Erlaß eines Pensionsgesetzes für die politischen Beamten erklärt sich der Redner einver standen. — Abg. Lucke (Wirtsch. Vgg.) erklärt, die Wartestandsbeamten würden bei der Anrechnung ihrer Dienstzeit ungerecht behandelt. Die schädlichen Folgen der Personalabbauverordnung zeigten sich in der hohen Zahl der Wartestandsbeamten. Der Redner fordert Kür zung der Pensionen über 12 000 M. Die Höhe der Pen sionen rufe auch bei den Angehörigen des Kleingewerbes wachsende Erregung hervor. — Abg. Er sing (Ztr.) weist darauf hin, daß der Pensionsetat auch nach Ab zug der Kriegsrenten außerordentlich hoch sei. Daran sei die Aufblähung des Behördenapparates durch Krieg und Inflation schuld. Auswüchse des Pensionswesens müß ten beseitigt werden. Die Regierung müsse schleunigst ein Gesetz zur Pensionsneuregelung vorlegen. Die wohl erworbenen Pensionsrechte müßten aber erhalten bleiben. — Abg. Brodaus (Dem.) begründet eine Ent schließung, im Etat 1929 die Zioilversorgung besonders aufzuführen und aus dem Versorgungsetat herauszu nehmen. Der Redner bezeichnet es als unerträglich, hohe Staatspensionen zu nehmen und gleichzeitig ein neues Ein kommen zu beziehen. Einem deutschnationalen Minister habe man eine Pension von 17 000 M. errechnet, indem das Reichsfinanzministerium die zehn Leutnantsjahre dieses Herrn bei der Berechnung zu Hilfe nahm. Andere bekannte Rechtspartciler bekämen hohe Staatsbezüge nur, weil sie sechs bis sieben Wochen Staatssekretäre in der Reichskanzlei waren . (Hört! Hört! links.). Abg. Weber-Düsseldorf (Komm.) verlangt Erhöhung der Bezüge der Kriegsopfer und beantragt weiter Streichung der Admirals-, Generals- und Ministerpensionen. —Abg. Dr Frick (Natsoz.) nennt die Pensionierung parlamen tarischer Minister einen ungeheuren Skandal. Neuerdings spreche man auch schon von einer Pension für Reichstags abgeordnete. Als der Redner heftige Angriffe gegen Eisner, Erzberger und Rathenau richtet, kommen von der Linken und aus dem Zentrum stürmische Entrüstungs rufe. Präsident Löbe stellt fest, daß im Aeltestenrat niemals ein Plan über Pensionierung von Neichstags- abgeordneten erörtert worden sei. Abg. Knoll (Ztr.) erklärt, das Niveau des Ab geordneten Dr. Frick sei gekennzeichnet durch seine ge schmacklosen Angriffe gegen ermordete Politiker, die dem Vaterlande große Dienste geleistet haben. — Abg. von Ramin (Völk.) fordert ausreichende Versorgung der früheren Angehörigen der aufgelösten Berliner Schloß garde. — Abg. Loibl (B. Vp.) nimmt die Regie rungsparteien gegen den Vorwurf in Schutz, daß sie für die Kriegsopfer nicht genug übrig gehabt hätten. Während der Rede kommt es zu einem Zwischen fall. Auf der Publikumstribüne erhebt sich ein Mann, um mit drohend erhobener Faust in den Saal zu rufen: „Wann werden Sie mir meine Kriegsentschädigung geben. Ich werde euch verfluchen und meine Kameraden mit mir, wenn ihr mir nicht meine Rente ehrlich bewilligt!" Der Rufer wurde von einem Diener von der Tribüne geführt. Damit schließt die Aussprache. Der Etat wird in der Ausschußsassung in zweiter Beratung angenommen. Die Ausschußentschließung auf Vorlegung eines Höchst- pensions- und Pensionskürzungsgesetzes wird in nament licher Abstimmung mit 273 gegen 120 Stimmen bei acht Enthaltungen genehmigt. Das Haus vertagt sich auf Mittwoch 14 Uhr: Etat des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Lohnbewegungen unö Streiks. Drohender Konflikt in der Berliner Metallindustrie., Am Montag ist ein großer Teil der Werkzeugmacher in der Berliner Metallindustrie in den Streik getreten. Die Zahl der Streikenden beträgt freilich nur rund 1000, der Konflikt droht jedoch deshalb ernste Folgen nach sich zu ziehen, weil durch diesen Streik gerade die Abteilungen der betroffenen Firmen stillgelegt werden, von denen alle übrigen Abteilungen des Betriebes abhängig sind. Man wird hoffen dürfen, daß von den Parteien alles geschieht, um den bestehenden Streit zu schlichten, und eine Ausdehnung des Kampfes vermiedenlvird, die Zehn- tauscnde treffen würde. Der Ernst der Lage geht aus einer Mitteilung der Berliner Metallindustriellen hervor, in der es u. a. heißt: „Die Vertrauenskommission des Verbandes Berliner Metallindustriellen hat in einer Sitzung zu der durch den Streik der Werkzeugmacher ge schaffenen Lage Stellung genommen. Die Berichte der bestreikten Betriebe ergaben, daß ohne die Arbeit der Werkzeugmacher eine Aufrechterhaltung der Betriebe nur noch für wenige Tage möglich ist, und daß von den be streikten fünf Betrieben bereits vier spätestens am Sonn abend zum Erliegen kommen werden. Ein Betrieb wird in der Lage sein, noch ein oder zwei Tage länger arbeiten zu können. In allen Betrieben werden einzelne Abtei lungen bereits vorher an der Weiterarbeit verhindert sein- Wenn die Werkzeugmacher durch Verharren im Streik die Betriebe mit ihren über 60 000 Arbeitern und Ar beiterinnen lahmlegen, so wird der Verband Berliner MetalUndustrieller zum Anfang der kommenden Woche zu der hierdurch geschaffenen Lage Stellung nehmen,"