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Wirtschafts-Verhandlungen im Osten 27. Januar 1928 Im Zusammenhang mit dem Besuche des Minister präsidenten Woldemaras in Berlin kommt das „Echo de Paris" auf die Beziehungen zwischen Polen und Litauen zu sprechen .wobei es u. a. ausführt: Auf dem Papier seiderKriegszustandzwischen Polen und Litauen wohl aufgehoben, in Wirk lichkeit bestehe er jedoch weiter und es könne keine Rede von einer Wiederaufnahme des Waren- oder Per sonenverkehrs sein. Früher oder später werde sich Marschall Pilsudski erneut an den Völkerbundsrat wenden müssen, wenn er es nicht vorziehen sollte, sich selbst Recht zu verschaffen. Es frage sich nur, ob er noch lange damit warten werde. Auf jeden Fall werde Woldemaras gut tun, auf der Hut zu sein. Obwohl Litauen in gleichem Matze auf Deutschland rechnen könne, da beide Staaten in hohem Grade an der litau ischen Selbständigkeit interessiert seien, müsse sich Wolde maras doch mehr der Wilhelm st ratze zu wenden, weil es die litauische Armee, die ihn zur Macht gebracht habe, kaum zugeben werde, datz er engere Beziehungen zu Rußland anknllpfe. Strese - mann werde es daher nicht schwer sein, seine Be dingungen zu diktieren. Vorläufig sei allerdings Ab warten vorgeschrieben. Unter dem Deckmantel von Locarno bereite sich Stresemann im Stillen aufseinegroßediplomatischeKampagne vor, die man im Sommer und Herbst erwarte. Die litauische Opposition und die Handelsvertragsver handlungen mit Deutschland. Das Oppositionsblatt „Lietuvos Zinios" beschäftigt sich in auffallend pessimistischen Ausführungen mit den Aussichten der deutsch-litauischen Handelsvertrags verhandlungen. Das Blatt setzt voraus, datz es in Deutschland bekannt sei, welche Bedeutung der deutsche Markt für die Wirtschaft Litauens habe und glaubt daher, datz ohne besondere Kompensationen litauischer seits Deutschland das alte Handelsabkommen mit Litauen nicht werde vervollständigen wollen. Außer dem schwebten jetzt Verhandlungen mit Polen, und Polen habe bereits das erreicht, was Litauen für sich beanspruche, nämlich die freie Fleischeinfuhr. Unter solchen Umständen sei die Stellung Litauens sehr schwach. Das Blatt meint schließlich, datz nachdem Woldemaras den günstigen Augenblick verpaßt habe, es jetzt ratsam sei, den alten Vertrag ablaufen zu lassen und ihn zu annullieren. Die deutsch-polnischen Kandelsvertrags- Verhandlungen. Ernstliche Schwierigkeiten. Wie die Vossische Zeitung aus diplomatischen Kreisen erfährt, ist es bei den in Warschau geführten deutsch-polnischen Handelsvertrags-Verhandlungen zu ern st haften Schwierigkeiten gekommen. Tie Fragen der Niederlassung und der Valorisierung der polnischen Währung seien anscheinend so beträchtliche Differenzpunkte geworden, daß man in der Wilhelm straße äußerst pessimistisch sei. Wie das Blatt weiter aus Warschau berichtet, ist die Schädigung der deutsch-polnischen Verhandlungen durch die neue polnische Erenzschutzverhandlung jetzt auch von offizieller deutscher Seite dargelegt worden. Das Außenministerium sei über den Erlaß des neuen Grenzschutzrechtes nicht vorher informiert worden, sodaß auf die deutsche Beschwerde auch nicht sofort eine Gegen erklärung habe gegeben werden können. Die polnisch-russischen Handelsvertrags-Verhandlungen — Rußland als Exportland. Wie aus Moskau gemeldet wird, sieht sich die pol nische Delegation für die Handelsvertrags-Verhand lungen jetzt vor die Aufgabe gestellt, die langwierigen Verhandlungen mit Rußland, die wiederholt unter brochen wurden, einen Abschluß entgegenzuführen. Die Lage Polens als Transitland gibt diesen Verhandlungen eine über die Grenzen Polens und die Sowjetunion hinausgehende wirtschaftliche und politische Bedeutung. Die Polen verlangen u. a. die Sicherstellung eines be stimmten von der Sowjetunion in Polen zu tätigenden Warenkaufs und eines bestimmten Warenkontingents für den Absatz in Polen. Polen beabsichtigt hiermit, die Ausbreitung des russischen Exports zu unterbinden, ein Bestreben, das übrigens auch in anderen Ländern von der Sowjetregierung bemerkt werden konnte. Dar über hinaus möchte Polen die Sowjetunion als Tran sitland für die polnische Ausfuhr nach der Mandschurei benutzen. Ein Kapitel für sich ist die russische Erdöl einfuhr nach Polen. Titulescu über seine Unterredung mit Mussolini. 27. Januar 1928 Der rumänische Außenminister Titulescu em pfing am Donnerstag nachmittag in seinem Hotel zu erst die Vertreter der ausländischen und dann die der italienischen Presse, um ihnen Erklärungen über seine Unterredung vom Mittwoch mit Mussolini abzugeben Titulescu erklärte, datz hierbei Probleme behandelt worden seien, die die Interessen der beiden Länder so wohl vom Gesichtspunkt der gegenseitigen Beziehungen als auch der großen Politik betrafen. Titulescu gab seiner Freude darüber Ausdruck feststellen zu können, datz zwischen den italienischen und rumänischen Inter essen keinEegensatz bestehe und daß die italienisch rumänische Frundschast sich zum Wohle Europas aus wirken werde. Ebenso bestünden keine Gegensätze mehr zwischen einer loyalen und aktiven Zusammen arbeit und den Interessen der Kleinen Entente. Aus der zwingenden Notwendigkeit der Nachkriegszeit, die eine sofortige Organisation erfordert habe, sei die Kleine Entente heroorgegangen, eine Defensivstellung mit dem Ziele den Frieden im Nahmen der Friedens verträge aufrecht zu erhalten. Die italienisch-rumänische Freund-! schäft gründe sich darauf, den status quo aufrecht zu erhalten, und sie sei daher bestrebt das gleiche Ziel zu erreichen, wie es die Kleine Entente im Rahmen einer Spezialpolitik verfolge. Alles was den Frieden auf dem Balkan erschüttern könnte, interssire Rumänien im höchsten Grade und er, Titulescu, zögere nicht, zu versichern, daß das Bestehen eines freien und unab hängigen Albaniens das erste Pfand für den Frieder, auf dem Balkan darstelle. Italien stelle einen Faktor dar, mit dem man in der großen Politik rechnen müsse. Besonders glücklich, so schloß Titulescu seine Ausfüh rungen, sei er über seinen Besuch in Rom, weil er die gefestigte Ueberzeugung mitnehme, datz die auf dem Wunsche nach Frieden beruhende Politik Rumäniens in Italien Unterstützung finde. Deutsche Wassenlieserungen nach China. 2i. Januar 1928 ' Die Angelegenheit deutscher Waffenlieferungen nach China scheint für Deutschland noch ein unlieb sames Nachspiel haben zu sollen. Reuter schlachtet den sensationellen Artikel des „Berliner Tageblattes" aus, in dem behauptet wird, das Reichswehrministerium stehe hinter den Waffenlieferungen an China Die englische Presse sucht daraus eine Parteinahme der deutschen Regierung im chinesischen Bürgerkrieg gegen die nationalistische Regierung zu konstruieren. — Das Reichswehrministerium hat bekanntlich jede Teil nahme an den Waffenlieferungen für China in Ab rede gestellt und gegen das Berliner Tageblatt wegen des betr. Artikels Strafantrag gestellt. Bisher kein Vorgehen gegen die deutschen Firmen in China. Wie aus Kanton gemeldet wird, ist ein Vorgehen seitens der örtlichen chinesischen Behörden gegen die beiden deutschen China-Firmen Carlowitz L Co. bisher Deutsch-litauische Verhandlungen in Berlin. Der litauische Ministerpräsident Woldemaras ist in Berlin cingetroffen, um mit den führenden deutschen Persönlichkeiten die augenblickl ch zwischen Litauen und Leuychland schwebenüen po litischen Fragen zu besprechen. Unsere Ausnahme zei^t den litauischen Ministerpräsidenten nach ver Ankunft am Mittwoch vormittag in Berlin. noch nicht erfolgt, was offiziell mit dem chinesischen Neujahrsfest begründet wird. Es herrscht jedoch der Eindruck, daß der kürzliche antideutsche Erlaß der Nan kinger Regierung ein Schreckschuß bleiben wird. In zwischen setzen die interessierten Kreise ihre Hetze wegen der angeblichen Waffengeschäfte fort. Putsch in Kanton. 27. Januar 1928 Wie aus Kanton gemeldet wird, ist das chinesische Neujahrsfest dort ruhig verlaufen. Die Polizei hob das Büro der Buchdruckergewerkschaft aus. Kommuni stische Literatur, Rote Fahnen und Waffen wurden beschlagnahmt. Vier Führer der Buchdrucker wurden wegen eines geplanten kommunistischen Aufstandes er schossen. Der östereichische Vizekanzler in Berlin. Berlin, 27. Ian Mit dem fahrplanmäßigen D- Zug kamen am Donnerstag abend über Prag der österreichische Vizekanzler Hartleb in Begleitung des Landesrates Winkler-Graz in Berlin an. Am Bahn hof wurden sie von dem österreichischen Gesandten Exzel lenz Dr. Frank sowie von Herren des Neichslandbundes empfangen. Zweck des Besuches ist neben einer Reihe von Besprechungen über lausende landwirtschaftliche und politische Fragen der Besuch des Reichslandbund- tages und der Grünen Woche. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 26. Januar 1928. Die zweite Lesung des Haushaltsplans für das Reichsjustizministerium wird fortgesetzt. Abg. Dr. Bell (Ztr.) bedauert die Tatsache, daß zwischen Volk und Justiz die Entfremdung ständig zu nehme und daß sich dementsprechend auch die Organe der Justiz nicht mehr ihres früheren Ansehens erfreuten. Es sei daher dringend geboten, nicht nur die Reichsverbun denheit der Justizorgane zu festigen, sondern auch die Rechtsverbundenheit des deutschen Volkes wieder her zustellen. lieber die Ausgestaltung des internationalen Strafrechts bestehe bei den einzelnen Staaten heute leider noch ein buntscheckiges System und es werde eine loh nende Aufgabe sein, eine möglichst gleichmäßige Be handlung der Verbrechen im Auslande herbeizuführen. Das geltende Völkerrecht weise große Lücken auf, die im Wege der Vereinbarung zu schließen seien. Es müsse sich ein zeitgemäßes Völkerrecht auf der Grundlage der Humanität und der Gerechtigkeit herausbilden. Alle Bestrebungen auf wechselseitige Annäherung 'der Völker auf dem Gebiete der Rechtspflege verdienten nachdrück liche Unterstützung. Wenn aber das Völkerrecht dauern den Bestand haben und der Völkerbund seiner Aufgabe gerecht werden solle, so müsse dabei auch die sittliche Idee des Rechts zum Durchbruch kommen. Mit dem in der sittlichen Rechtsidee begründeten Kulturrecht sei aber die Aufrechterhaltung einer fremden Besatzung schlechter dings unverträglich. Mitten im Frieden sollen Mil lionen der deutschen Bevölkerung im Rheinlande fremdem Recht überliefert bleiben. Völkerrecht und Rechtsfrieden drängten gebieterisch auf Beseitigung dieses unerträg lichen Zustandes. Das deutsche Volk könne eine solche Kränkung weder mit seiner Würde noch mit seiner Gleich stellung im Rate der Völker als verträglich erachten. Der Redner wandte sich sodann den Fragen der Justiz reform zu, die einmal in der Rationierung der Gesetz gebung, im Abbau der Justiz und in der Sammlung und Sichtung der Gesetze bestehe. Abg. Kahl (D .Vp.) bespricht die Ausschußarbeiten über die Strafrechtsreform und stellt fest, daß trotz mancher Gegensätze in diesem Ausschuß viele Anträge einstimmig angenommen worden seien ,heute beispiels weise ein kommunistischer Antrag. Die gedruckten Aus schußprotokolle sollte man der breitesten Oeffentlichkeit zugänglich machen. Die Verhandlungen mit Oesterreich hätten einen erfreulichen Anfang genommen und bereits zu einer Verständigung über den ganzen allgemeinen Teil geführt. Die Frage der Todesstrafe sei zunächst zurückgestellt worden. Der Redner betont, daß die Straf rechtseinheit nicht das einzige und letzte Ziel der deutsch- österreichischen Rechtsangleichung sein solle. Schon 1917 habe ein Plan für die Rechtsangleichung auf dem Ge biete des Wirtschafts- und Verkehrsrechls vorgelegen. Gegenwärtig werde an der Vereinheitlichung des Aktien rechts gearbeitet. Die Rechtsangleichung sei nur ein Ausdruck der historisch begründeten tatsächlich bestehenden und durch keinen Akt der Weltpolitik aufzuhaltenden Eeisteseinheit der beiden Länder. Die Deutsche Volks partei habe als ihr Ziel den Einheitsstaat aufgestellt. Gegen den Willen der Länder lasse sich der Einheits staat nicht schaffen. Bismarck habe zweifellos in seiner eigenen Verfassung nicht den letzten und höchsten Aus druck der deutschen Einheit gesehen. Auch er würde heute „Vorwärts!" sagen, dabei aber freilich festhalten an dem tausendjährigen Grundgesetz deutscher Entwick lung, der Respektierung der Stammeseinheiten und des Volkstümlichen innerhalb der Einheit. Unitarismus und Föderalismus sind und bleiben Schlagworte, wenn ihre rechtliche Ausgestaltung nicht unter dem Gesichtspunkt der Stärkung des Reiches und der Erhaltung der Neichs- freudigkeit erfolgt. Inzwischen ist von der kommunistischen Fraktion ein Mißtrauensantrag gegen den Reichsjustiz minister Hergt eingegangen. Darauf werden die Beratungen abgebrochen. Das Haus vertagt die Weiter beratung aus Freitag 14 Uhr. Der Kostenparagraph -es Reichsschulgesetzes. 27. Januar 1928 Im Bildungsausschuß des Reichstages erklärte Senator Krause (Hamburg), die hamburgische Schulver waltung habe ihre Kostenberechnung sorgfältig ausgestellt und sei damit auf einen Betrag von 150 000 Mark gekommen, und zwar als dauernde Ausgaben auf Grund der neuen Fassung des Schulgesetzes. Hamburg habe ein Defizit von 20 Millionen und wisse nicht, wie es dieses decken solle. Der hamburgischen Regierung sei ganz unerfindlich, woher sie auch noch die durch das Reichs schulgesetz entstehenden Kosten nehmen solle. In der dann folgenden Abstimmung wurden sämt liche Anträge der Sozialdemokraten, Demokraten und Kommunisten ab gelehnt. Angenommen wurde der Kom promißantrag der Regierungsparteien, der folgenden neuen § 21 einfügt: 1. Für Bestreitung von Mehrkosten, die infolge der Durchführung dieses Gesetzes den Ländern und Ge meinden erwachsen, stellt das Reich den Ländern eine einmalige Beihilfe zur Verfügung. 2. Ueber die Verwendung der Mittel und den Zeit punkt der Verteilung entscheidet die Reichsregierung im Einvernehmen mit dem Reichsrat. Im Anschluß an die Regelung der Kostensrage wurde auch ein Antrag Dr. Runkel (D. Vp.) angenommen, wo nach die landesrechtlichen Bestimmungen über das Schul vermögen durch das Rcichsschulgesetz unberührt bleiben sollen. 8 19 wurde in der Fassung der Regierungsvorlage genehmigt. Die Länder haben die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Vorschriften so rechtzeitig zu erlassen, daß spätestens zwei Jahre nach seiner Ver kündung mit der Durchführung begonnen werden kann. Der Ausschuß begann dann die Beratung der Frage ! der Hilfsschulen.