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Der Kan-elsverlrag mit Frankreich. 12. August 1927 Die deutsch-französischen Wirtschaftsverhandlungen, die seit acht Wochen ununterbrochen vom frühen Mor gen bis zum späten Abend andauern, haben an die Ar- beits- und Nervenkraft der Delegierten hohe Anforde rungen gestellt. Der vielfach vorausgesagte Abschluß eines Abkommens hat sich immer wieder als allzu opti mistische Hoffnung erwiesen. Im heutigen Stadium der Verhandlungen etwas über die Bedeutung des be vorstehenden Abkommens für die deutsche Wirtschaft zu sagen, wäre verfrüht, doch darf man die Hoffnung aus sprechen, daß es dem deutschen Export immerhin gelin gen werde, aus dem Abkommen Vorteile zu ziehen. Der Stand der Verhandlungen ist, wie die Telegraphen union erfährt, ewa folgender: Die Verhandlungen über Metall- und Fertig waren in der Garn-, Wirkwaren-, Strümpfe- usw., Spielwaren- usw. und Glasindustrie sind noch nicht be endet. Dagegen sind die gleichzeitig geführten Ver handlungen über chemische und elektrotechnische Waren und Maschinen so gut als beendet zu betrachten. Völlig abgeschlossen ist das Gebiet der Textilwaren bis auf die oben erwähnten Wirkwaren. Es bestehen neben den Differenzen auf den vier genannten Gebieten noch eine Reihe von Differenzen allgemeiner Art, unter denen insbesondere die Frage bezüglich des Termins für den Eintritt der Meistbegllnstigungsklausel zu nennen wäre, ebenso wie die Frage der Aufhebung des französischen Weinkontingentes, beziehungsweise seiner Bemessung. Die Verhandlungen hierüber dauern noch an, gleich zeitig auch die Besprechungen über die Sicherung des. Vertrages für die vereinbarte Laufzeit. Bisher ist man sich allerdings dahin einig geworden, daß der Vertrag bis zum 1. April 1929 laufen soll. Eine weitere Schwierigkeit ist in dem von den Franzosen verlangten einseitigen Kündigungsrecht zu erblicken. Die von den Franzosen bei den Verhand lungen in den Vordergrund geschobenen Forderungen erstreckten sich, wie bekannt, auf die Frage der Einfuhr von Weinen, Früchten und Frühgemüse nach Deutsch land. Die Frage der Konsularvertretung Deutschlands in Elsaß-Lothringen und die Frage des freien Handels in Marokko ist gleichzeitig als nicht erledigt zu be trachten. Bei den hier skizzierten noch vorhandenen Schwierigkeiten und nach der in Betracht zu ziehenden Zeitspanne, die für die Fixierung des Vertragstextes beansprucht werden muß, erscheint es kaum denkbar, daß die Verhandlungen noch im Laufe dieses Jahres zu Ende gehen werden. Wenn man sich nach den Haupt gründen der noch bestehenden Schwierigkeiten fragt, so wird man zusammenfassend folgende zwei Punkte her vorheben können: 1. Die einseitigen Kündigungsmöglichkeiten des Vertrages durch die Franzosen und die damit ver bundene gewisse Unsicherheit hinsichtlich seiner Lauf dauer. 2. Die Möglichkeiten der Veränderungen der Zoll positionen auf gewissen Gebieten durch die Franzosen während der Laufzeit des Vertrages, den man am besten als Jnterinisvertrag bezeichnet. Vor -em Abschluß -es Wirtschaftsabkommens. Wie der offiziöse „Petit Parisien" zu den deutsch- französischen Wirtschaftsverhandlungen mitteilen zu können glaubt, ist zum Schluß der gestrigen Sitzung eine Verständigung über eine Reihe von Punk ten erzielt morden, die am Tage vorher noch strittig waren. Wenn Berlin keine neuen Einwände erhebe, könne im Laufe des Sonnabends die prinzipielle Eini gung erfolgen. Nach dem „Exzelsior" soll der neue Vertrag bis zum 1. April Geltung haben. Für die noch strittigen Tariffragen werde jedenfalls eine Lösung gefunden werden. Die letzten Meinungsverschiedenheiten hätten nur Spiel-, Strumpf- und Vaumwollwaren betroffen. Im Laufe des Tages werde ein Sekretär der deutschen Wirtschaftsdelgation aus Berlin mit den entscheiden den Instruktionen zurückerwartet. Falls diese keine neuen Ueberraschungen brächten, stehe die Unterzeich nung des Abkommens bevor. Morgen Slarl in Dessau. Dessau, 12. August. FunksprZ Wegen des schweren Sturmes, der heute in Dessau herrschte, konn ten die Probeflüge nicht programmgemäß ausgeführt werden. Nur die „Bremen" startete zu einem mehr stündigen Fluge, der hauptsächlich der Erprobung der Radio-Empfangsapparate diente. Angesichts der augen blicklichen Witterungsverhältnisse wird allgemein an genommen, daß der Start auf keinen Fall vor Sonn abend nachmittag erfolgen wird. Auch die „Europa" macht einen Probeflug. Dessau, 12. August. Funkspr.) Nachdem heute früh die „Bremen" zu einem Probeflug gestartet ist, ist ihr die „Europa" mit Risticz, Edzard und Knicke bocker gefolgt. Das Welter hat sich gebessert; die beiden Maschinen befinden sich augenblicklich in der Luft. Amerikas Programm für den Empfang der deutschen Ozeanfliegrr. Berlin, 12. August. Nach einer Meldung der „Voss. Ztg." aus Neuyork ist es die Steubengesellschaft, der Bürgermeister Walker die Vorbereitungen zum Emp fang der deutschen Flieger übertragen hat. Das Pro gramm, soweit es bereits festgelegt ist, ist bekannt. Es ist eine Begrüßung vorgesehen in Mitchelfield durch die Ver treter des Deutschen Reiches, der Vereinigten Staaten und des Staates und der Stadt Neuyork und der Steubengesellschaft. Am folgenden Tage soll ein Emp fang in der City Hall durch den stellvertretenden Bürger meister, ein offizielles Bankett im Asterhotel und ein Empfang durch die deutsche Bevölkerung Neuyorks statt finden. An diese bereits festgelegten Hauptpunkte des Festprogramms dürften sich zahlreiche weitere Be grüßungsakte anschließen. Sacco un- VanzeM werden noch einmal gehört. 12. August 1927 Wie aus Boston gemeldet wird, dürfen sich Sacco und Vanzetti vor dem Obersten Gerichtshof gegenüber dem Richter Sanderson noch einmal verantworten. Der Oberste Gerichtshof hat das Wort. Wie aus Boston berichtet wird, ist die Berufung der Rechtsanwälte Saccos und Vanzettis auf noch malige Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof stattgegeben worden. Der Oberste Gerichtshof wird voraussichtlich am Montag zusammentreten, und sich mit folgenden Beanstandungen der Verteidigung zu be fassen haben: 1. Die Ablehnung der Richter Thayer und Sanderson. 2. Einleitung eines neuen Verfahrens und 3. Aufhebung der Todesurteile und Hinausschie bung der Hinrichtung. Der Oberste Gerichtshof hat sich bisher zweimal mit juristischen Fragen im Zusam menhang mit dem Sacco-Vanzetti-Fall beschäftigt, doch hofft die Verteidigung, diesmal eine Entscheidung über die Fragen herbeifllhren zu können, die sich aus der Be weisführung des ersten Prozesses ergeben. Sacco ist am heutigen 26. Tage seines Hunger streikes außerordentlich schwach. Er ist nicht mehr in der Lage, ohne sremde Hilfe zu stehen und man be zweifelt bereits, ob er bis zum 22. dieses Monats bei Bewußtsein bleiben wird. Der Zustand Vanzettis ist dagegen besser, da er von Zeit zu Zeit Nahrung zu sich genommen hat. Sacco nahm die Nachricht von der Auf hebung der Exekution ruhig auf, Vanzetti dagegen lächelte und erklärte: „Ich bin froh, daß ich jetzt meine Schwester sehen kann". Das Sacco-Vanzetti-Verteidigungskomitee und der Druck vom Auslande haben wesentlich dazu beigetragen, die amerikanische Oeffentlichkeit zugunsten der Ver urteilten zu beeinflussen. Die Bostoner Polizei hat weitere Vorsichtsmaß nahmen getroffen, um die Kommunisten an einer Luft bombardierung des Staatsgefängnisses zu verhindern. Man befürchtet trotz der vom Gouverneur Fuller un geordneten Aufhebung der Exekution Gewalttätig keiten, um so mehr, als in der Stadt Princetown drei Flugzeugmotoren gestohlen worden sind, die, wie man vermutet, von Kommunisten benutzt werden sollen, um eine Befreiung der verurteilten Anarchisten zu ermög lichen. Gouverneur Fuller erklärt in einer amtlichen Verlautbarung über den Aufschub der Hinrichtung, daß der Staatsgerichtshof mit der Erwägung verschiedener Anträge und Bittgesuche beschäftigt sei. Der Gerichts hof hätte nicht die Vollmacht, einen Aufschub zu ge währen. Um dem Gericht aber Gelegenheit zu geben, noch einmal das gesamte Verfahren zu überprüfen, habe er dem Erekutivrat empfohlen, die Ausführung des Urteiles bis auf den 22. August hinauszuschieben. Der Rat habe diese Empfehlung einmütig angenom men und auch der Generalstaatsanwalt habe sie ge billigt. Durch Opfer zur Freiheit Deutschlands Forderung zum Verfassungstage. Bei der Berliner Verfassungsfeier, über deren Anfang wir bereits gestern berichteten, führte Abgeordneter von Kardorff in seiner Fest rede unter anderem noch folgendes aus: Deutschland mit seinen offenen Grenzen ist das Herz von Europa. Die Staaten Europas sind heute aufeinander angewiesen und hängen in ihrem wirt schaftlichen Gedeihen voneinander ab. Dieses Europa wird nur dann gesunden, wenn in seiner Mitte ein gesundes Herz schlägt. Darum fordern wir von der Welt im eigenen Interesse und im Interesse von Europa unser Recht auf Freiheit. Wir wollen den Frieden mit allen Mächten, wir sind immer ein friedliebendes Volk gewesen, wir wollen den Frieden schon darum, weil wir wehrlos und entwaffnet sind. Wir haben unseren Friedenswillen bewiesen da durch, daß wir in den Völkerbund eingetreten sind, daß wir den Friedensvertrag nochmals anerkannt haben, und wenn wir dann berücksichtigen, daß wir entwaffnet sind, daß unsere Entwaffnung anerkannt ist, und unsere Reparationslasten im Dawes-Plan geregelt sind, weit über die Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit hinaus, dann haben wir ein Recht, bitterste Beschwerde vor der Welt darüber zu führen, daß noch heute fremde Vesatzungstruppen in der 2. und 3. Zone stehen. Mat hat seit dem Frieden von Versailles Schmach über Schmach über uns gehäuft, zahlreiche Versprechun gen sind uns gegeben worden, zahlreiche Versprechun gen sind nicht gehalten worden. Aber wenn wir mit Liefer Bitternis an die Schmach denken, die man uns angetan hat, dann lassen Sie mich folgendes in voller Offenheit sagen: Nach meinem Dafürhalten ist vor der Welt und der Geschichte die Schmach derer, die einem ent waffneten Volke fortgesetzt und dauernd diese Schmach antun, größer als unsere Schmach, die wir über uns ergehen lassen müssen, weil wir wehrlos und entwaffnet sind. Frankreich fordert Sicherheiten. Ich glaube, wenn irgendein Land der Welt das Recht hat, Sicherheiten zu fordern, dann ist es das entwaffnete Deutschland mit seinen offenen Grenzen, umgeben von einer feind lichen Welt, die in Waffen starrt. Wenn ich mir ver gegenwärtige, mit welcher Emsigkeit und welchem Fleißs von einzelnen französischen Staatsmännern immer und immer wieder die Leidenschaften gegen Deutschland aufgepeitscht werden, so rann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß aus diesen Reden und aus dieser Politik nichts anderes spricht als die Stimme des schlechten Gewissens. Unwahre Behauptungen wer den dadurch nicht wahr, daß man sie immer und immer wiederholt. Und diese Behauptungen, die fortgesetzt und dauernd dem französischen Volke über deutsche Ereueltatcn erzählt werden, gehören ruhig alle zu den jenigen Dingen, von denen der Deutsche zu sagen pflegt, daß sie kurze Beine haben. Die deutsche Außenpolitik ist ihren Leidensweg gegangen und wird und sie mutz ihn weitergehen, weil kein anderer Weg uns die Aus sicht auf die Freiheit des Rheins gibt. Man hat ge sagt: durch Opfer zur Freiheit! — Die Opfer haben wir erbracht, die Freiheit ist uns zum großen Teil ver sagt geblieben. Wohl ist manches erreicht worden, aber das große Ziel, die Befreiung des Rheins, es ist nicht erreicht. Leidenschaftlich ist dieses außenpolitisch um kämpft gewesen. — Mit Neid und mit Bewunderung sieht die Well, wie trotz allem, was man uns angetan hat, Deutschland auf dem Wege der Gesundung weiter fortgeschritten ist, und letzten Endes doch wieder ein Faktor der Welt politik geworden ist. Die Schwungkraft des deutschen Geistes ist ungebrochen. Deutscher Erfindungsgeist, deutsches Organi sationstalent, deutscher Fleiß und deutsche Tüchtigkeit werden uns den Weg zur Freiheit bahnen. In tiefer Dankbarkeit denken wir am Tage der Verfassungsseier heute an die Bevölkerung des besetzten Gebiets und der Saar. Und dann denken wir heute in tiefer Wehmut der deutschen Minderheiten. Und dann zuletzt lassen Sie uns unserer Toten gedenken. Lassen Sie uns derer gedenken, die in dem letzten großen Weltkriege ihr Leben haben lassen müssen für Volk und Vaterland- Jn diesen Gräbern, deren Steine, — verteilt über die ganze Erde —, für immer ewige Zeichen deutschen Hel dentums und deutscher Vaterlandsliebe sein werden, in diesen Gräbern da liegen die Männer aller Par teien, vergessen wir das doch nicht, seien wir ihrer würdig. — Die Verfassung hat uns zur freiesten Demokratie der Welt gemacht. Aber Freiheit ist nur ein Segen, wenn ihr als ernstestes Gegengewicht das Pflicht' bewußtsein gegenüber Volk und Staat gegenübersteht Auf dem Boden dieser Verfassung muß sich das deutsche Volk einigen. Politischer Kampf muß sein, ohne KaMpi kein Leben und kein Fortschritt. In diesem politischen Kampf muß die Liebe zum Vaterland unser Leitstern sein, in diesen Kämpfen dürfen wir nicht vergessen, datz der politische Gegner unser deutscher Volksgenosse iü darum fort mit dem Massen-, Klassen- und dem Rassen hass-, fort mit dem Kasten- und dem Cliquenwesen, das uP' Deutschen tief im Blute liegt. Noch sind wir kein freie-' Volk. Der Weg zur Freiheit ist lang, steil und steinig Wir waren vielleicht übermütig im Glücke, seien wN nicht kleinmütig im Unglück. Seien wir stark im Ela" ben an Deutschlands Zukunft, auch ein solcher Glaube ist Kraft. Ein neuer Bölkerfrühling wird uns nicht von heM auf morgen beschieden sein. Aber wenn wir stark sind im Glauben an das Deutschland von heute und in der Liebe zu unserem Volke, dann wird und muß der Tag kommen, wo ein freies und geachtetes Deutsches Reich seine» gleichberechtigten Platz einnimmt unter den Völ kern der Welt, aus den es als große Kuttnrnation einen berechtigten Anspruch hat. . * Der Versassungslag in Dresden. Am ges/rigen Verfassungstag hatten alle Reichs Staats- und städtischen Gebäude mit den Reichs- UP Landesfarben geflaggt. In der Domkirche fand P" Gottesdienst statt, bei dem Oberkirchenrat D. Dr. b del die Festpredigt hielt, die er mit einem Gebet »" Erleuchtung der Regierenden und um Stärkung am Volkskreise schloß. — Die Beamten der Ministerien bf gingen ihre gesonderte Verfassungsfeier, bei der Staats Minister Dr. Krug von Nidda und von Falkensteins Ansprache hielt: er wies darauf hin, daß es für die amten eine Selbstverständlichkeit sei, die Treue l" Neichsverfassung und zur Deutschen Republik heute" neut zu bekunden wenn auch die Wirklichkeit hinter du in der Reichsverfassung aufgestellten Idealen mancher Beziehung zurückbleibe, so müsse jeder EinZP" sich die innere Freiheit erringen, die durch Selbstbeh"' schung zur wahren Freiheit führe. Dadurch werde m reicht, daß die verschiedenen Ansichten sich angleum und ein in seinem Willen geschlossenes Volk in die scheinung trete. Die Ziele der Deutschen Reichs fassung möchten ein Weg zu dieser Einigkeit sein. Die Feier der Polizei war auf den Theaterm"? gelegt worden. Polizeipräsident Kühn führte aus, durch die Reichsverfassung die Bahn geöffnet sei für f Verwirklichung des Satzes: Alles für das Volk, a durch das Volk. Verbunden durch das gemeinsame tu und die Auswirkungen eines ungerechten Friedens, tragen von dem höchsten sittlichen Wollen, falle §eu', die deutsche Verfassungsfeier dem Gedanken Ausv geben: Erst unser Volk, erst unser Land! Der beamte stehe solidarisch an der Seite der großen -la'-,j gemeinschaft. Als dem Träger der Staatsautoritm^, dem Polizeibeamten der Schutz der Verfassung l" Hände gelegt. Der Redner schloß mit einem HE l die deutsche Republik und das deutsche Vaterland. U" die Verfassungsfeier der Behörden im AusstelU palast haben wir bereits gestern berichtet.