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Amanullah 22 Februar 1928 Der Lehrter Vahnhos hat für den Empfang des afghanischen Königspaares ein festliches Gewand angelegt. Auf dem Vorplatz des Bahnhofs ist ein großes afghanisches Nationalwappen, umkränzt von Tannenguirlanden, Wischen Wei Flaggenmasten, die das afghanische Banner und das Banner des Reiches tragen, ausgestellt. Der Vorplatz und die Einzugsstraßen sind mit Flaggen und Grün schön geschmückt. Auf dem Platze hat sich die afghanische Kolonie aufgestellt. Daneben sind die Vildbericht- erstatter und die Kinooperateure postiert. Um 1411 Uhr rückt mit klingendem Spiel die Ehrenkompag- nie, bestehend aus einer Musikkapelle, Infanterie und Kavallerie, ein. Die Bahnhofshalle prangt im Schmuck von 22 langen Fahnen, die die afghanischen und Reichs farben zeigen und durch Tannengewinde untereinander verbunden sind. Der mittlere Bahnsteig, auf dem die Empfangsfeierlichkeiten stattfinden, ist völlig abge sperrt. Blattpflanzen und Lorbeerbäume zieren oen Bahnsteig. Allmählich finden sich die Mitglieder des Reichs- und des preußischen Kabinetts und die Ver treter der städtischen Behörden ein. Eine nach Tausenden zählende Menschenmenge um säumt den Platz vor dem Bahnhose und die Einfahrts straßen zum Palais in der Wilhelmstraße. Ein großes Aufgebot von Schutzleuten regelt den Verkehr. Gegen l1 Uhr verdichtet sich die Menschenkette, die sich auf dem Pariser Platz aufgestellt hat. Zwischen den mit Tannenreisig bekleideten aus der Mitte des Platzes zweireihig ausgestellten Pylonen hat eine Reichswehrkapelle Ausstellung genommen. Im An schluß daran links und rechts die Ehrenkompag- n i e. Die öffentlichen und privaten Gebäude haben umfangreichen Flaggenschmuck angelegt, die französische Botschaft hat die Trikolore gesetzt. In den umliegenden Häusern liegt eine Anzahl von Schutzpolizeibcamten in Vereitschast. Die Ankunft in Berlin. Der Sonderzug des Königs von Afghanistan lief fahrplanmäßig 11,15 Uhr in langsamer Fahri in der Bahnhofshalle des Lehrter Bahnhofes ein. Kurz nach 11 Uhr war der Reichspräsident in Be gleitung des Staatssekretärs Meißner und seines Sohnes Major von Hindenburg auf dem Bahnsteig er schienen, wobei die Neichswehrkapelle das Deutschland lied intonierte. Brausende Hochrufe empfingen den Reichspräsidenten. Bald aber wandte sich das Inter esse dem einfahrenden Sonderzug zu. Gleich nachdem Der Kamps um -as Nolprogramm Die Reichsregierung ist im Augenblick mit den Vorbereitungen für den afghanischen Königs besuch beschäftigt und wird in den nächsten Tagen durch das überaus umfangreiche Programm, das für diesen Besuch vorgesehen ist, so in Anspruch genommen sein, daß die definitive Festlegung des sogenannten Not programms darüber etwas in den Hintergrund ge drängt worden ist. Es geht jetzt zunächst an den Reichs rat, der es mit größter Beschleunigung dnrcharbeiten soll. Um die Beratungen noch zu vereinfachen, ist ge plant, das gesamte Programm in einem Mantelgesetz zusammenzusassen. Dem Reichsrat gehen die Gesetze aber einzeln zu, die Zusammenfassung kommt erst für die Verhandlungen des Reichstages in Frage. Diese Verhandlungen sollten mit einer Regierungs erklärung beginnen. Dem steht nun aber entgegen, daß Reichskanzler Dr. Marx durch seine Krankheit noch immer an das Zimmer gefesselt ist und es voraus sichtlich noch recht lange Zeit brauchen wird, bevor er gänzlich wieder hergestellt ist. Auf ärztliches Anraten wird er sich, sobald er das Bett verlassen kann, außer halb Berlins einer Kur unterziehen müssen, deren Dauer auf mehrere Wochen veranschlagt wtrd. Falls eine Regierungserklärung abgegeben werden soll, wird also Vizekanzler Hergt einspringen müssen. Im übrigen dürfte man sich über den Inhalt einer- derartigen Erklärung noch nicht ganz klar sein, da innerhalb der Negierung ein heftiger Kampf um die einzelnen Punkte des Notprogramms eingesetzt hat. Vor allem bestehen zwischen Reichsernährungsminister Schiele und Neichsfinanzminister Dr. Köhler starke Gegensätze. Da der Reichsfinanzminister für die Landwirtschaft nicht diejenigen Summen be willigen zu können glaubt, die Schiele für nötig erklärt hat. Auch über die Höhe der Summe, die für die Rentner zur Verfügung gestellt werden kann, gehen die Ansichten zunächst noch weit auseinander. Vor allem wird man sich die Frage vorzulegen haben, wie diese Ausgaben im Etat, der doch sowieso nur mit Mühe und Not hat ausgeglichen werden können, ausbalan- eiert werden sollen. Es ist richtig, daß die Zollein nahmen höher gewesen sind, als bisher veranschlagt wurde, so daß ein kleiner Ueberschuß vorhanden ist. der aber doch keineswegs ausreicht, die in Anschlag gebrach ten Summen zu decken. Wie wir erfahren, beabsichtigen die Mittelparteien, vom Reichsfinanzminister volle Aufklärung darüber zu verlangen, wie er sich die Deckungsfrage denkt. Sollte er sich nicht bereit erklären, die Verantwortung für die Bewilligung von Sondcrkrediten in dem geforderten Umfang zu über nehmen. so ist bas Notprogramm der Regierung ernst lich gefährdet, da die Deutschnationalen die Kredit aktion für die Landwirtschaft als conditio sine gua non bezeichnet haben und im Falle ihrer Ablehnung die Konseaucnzen ziehen dürften. Auf der anderen Seite drohen von den bisherigen Oppositionsparteien eben falls die größten Schwierigkeiten, wenn der jetzige Reichstag den kommenden durch Bewilligung größerer in Berlin. der Zug zum Stehen gekommen war, entstiegen ihm der afghanische König Aman Ullah Khan, die Königin, die Schwester des Königs und das übrige Gefolge, sowie der afghanische Außenminister. Die hohen Gäste wurden sofort von dem Reichs präsidenten sowie von der Reichsregierung und den Vertretern der Behörden begrüßt. An Stelle des erkrankten Reichskanzlers war Exz. Hergt anwesend. Nach der feierlichen Begrüßung begaben sich die Gäste zusammen mit den zum Empfange Erschienenen, der König und der Reichspräsident an der Spitze, durch das sonst nicht benutzte Portal auf den Platz. Mit dem königlichen Gaste schritt daraus der Reichspräsi dent die Front der Ehre nkompagnie ab. die die afghanische und die deutsche Nationalhymne zu spielen begonnen hatten. Um 11,30 Uhr begann die Militärkapelle mit dem Parademarsch. 11,35 Uhr fuhr als erster Wagen ein Wagen der Berliner Polizei durch das Brandenburger Tor. Ihm folgte unmittelbar die Hälfte der beritleren Reichswehr-Eskorte. Dann kam, von Hochrufen lebhaft begrüßt, der Wagen des Reichspräsidenten mit dem afghanischen König und dem stellvertretenden afghani schen Außenminister, der auch im Auto des Reichsprä sidenten seine Pflicht als Dolmetscher ausübte. Im zweiten Wagen sah man zusammen mit dem Vizeka az- s ler Erz. Hergt die afghanische Königin sitzen. ! In den folgenden Wagen hatten fast alle Mitglieder des Reichskabinetts, der Chef der Heeresleitung und Admiral Zenker, der preußische Ministerpräsident und die übrigen Herren Platz genommen. Den Schluß bildete die zweite Hälfte der berittenen Ehren- Eskorte. Daran schlossen sich eine Reihe weiterer Wagen. Während der ganzen Dauer der Vorbeifayrt auf dem Pariser Platz spielte die Militärkapelle die afghanische Nationalhymne und die Ehrenkopagnie präsentierte das Gewehr. Vor dem Palais Prinz Albrechls. Vor dem Palais Prinz Albrechts, das in einem > festlichen Schmuck zur Wohnstätte für die königlichen j Gäste eingerichtet ist, tritt die Reichswehr ins Gewehr. Die Autos fahren an, die afghanische Königsstandarle geht hoch, die Reichswehr präsentiert das Gewehr, die Wagen halten. Die hohen Gäste, begleitet vom Reichs präsidenten und von Vizekanzler Hergt, begeben sich ; unter den Klängen der Reichswehrkapelle in das Pa- ! lais, wo sie vom Chef des Protokolls, dem Gesandten Köster, feierlich empfangen werden. Geldsummen festzulegen versuchen würde. Man wird also gut tun, sich schon bei den Vorbesprechungen über das Notprogramm auf Ueberraschungen gefaßt zu machen. Deutschland und Ne Sicherheitskonferenz. 22. Februar 1928 Der Staatssekretär Simson hat auf der Sicher heitskonferenz in. Prag Ausführungen gemacht, die von der ausländischen Presse überaus lebhaft kommentiert werden. Es ist deshalb nötig, zu vermerken, daß Simson nur dieselben Gedanken näher ausgesührt und begrün det hat, die auch in der von Deutschland eingereichten Denkschrift enthalten sind. Es wird darin die Notwendigkeit betont, für die Beilegung aller Konflikte ein für allemal ganz be stimmte Verfahren festzulegen. Ferner wird mit aller Entschiedenheit erneut der Standpunkt vertreten, daß sämtliche Allianzen, auch wenn es sich um reine Defen- sinbündnisse handelt, mit dem Statut des Völkerbundes nicht zu vereinbaren sind, und schließlich werden darin die Möglichkeiten erörtert, die der Völkerbund hat, um kriegführende Staaten zur Einstellung der Feindselig keiten zu zwingen. Es wird vorgeschlagen, daß die dem Völkerbund angehörenden Staaten sich verpflichten sollen, auf Befehl von Genf her unverzüglich einen Waffenstillstand abzuschließen, eventuell sogar bereits besetztes feindliches Gebiet zu räumen. Man glaubt jetzt in Kreisen der Reichsregierung, daß die Prager Konferenz doch zumindestens wichtiges Material für die allgemeine Abrüstungskonferenz schaffen wird. Was jetzt in Prag tagt, ist ja nur ein Unterausschuß, während die vorbereitende Abrüstungs konferenz am 15. Mürz zusammenkommt. Die Einigung über bas Saarabkommen. 22 Februar 1928 Von der deutschen Delegation wird offiziell mit geteilt: Die zwischen der deutschen und der französischen Delegation seit mehreren Monaten in Paris geführten Verhandlungen über die Regelung des Warenaustausches zwischen dem Saargebiet und dem deutschen Zollgebiet haben zu einer Einigung geführt, zu der die beiden Re gierungen ihre Zustimmung gegeben haben. Die Unter zeichnung des Vertrages ist im Laufe des Mittwoch oder des Donnerstag zu erwarten. Kein Reichstagsmandat für Wirth? Berlin, 22. Febr. Wie der „Abend", das Spät- organ des „Vorwärts", meldet, besteht im Vorstand der Badischen Zentrumspartei ernsthaft der Plan, auf die Reichstagskandidatur des früheren Reichskanzlers Dr. Wirth zu verzichten. Wirth olle dem gegenwärtigen bad. Landtagspräsidenten Baumgärtner Platz machen, dem auf der Kandidatenliste der gegenwärtige Reichs finanzminister Dr. Köhler folgen solle. Aus Zentrums kreisen verlautet hierzu, daß sich der badische Partei- Vorstand mit der Kandidatenfrage noch nicht beschäftigt habe. Genf bleibt Völkerbundssitz. London, 22. Febr. Der diplomatische Korrespon dent des „Daily Telegraph" kann mitteilen, daß nun auch Frankreich und Italien wie Großbritannien und Deutschland gegen eine Verlegung des Völkerbundes von Genf nach Wien seien. Auf der anderen Seite werde erneut von einer Verlegung nach Brüssel geredet, die eine Rückkehr Belgiens zu seinem früheren Status der Neutralität voraussetzen würde, was vielen Bel giern willkommen wäre. Man weist auch darauf hin, daß sie für Frankreich und andere Mächte nur nützlich sein könnte. Entgegen allen solchen Spekulationen bleibt die Tatsache aber bestehen, daß ein Weggehen des Völ kerbundes von Genf vorläufig undenkbar ist. Der Schiedsspruch in -er Melall- In-ustrie verbindlich. 2- Februar 1928 In dem Lohnstreit der mitteldeutschen Metall industrie hat der Reichsarbeitsminister die Schieds- sprüchevom 18. Februar 1928 im öffentlichen Inter esse für verbindlich erklärt. Der Wortlaut -es Schie-sspruches Der Schiedsspruch für die mitteldeutschen Metall arbeiter hat folgenden Wortlaut: Der Spitzenlohn be trägt für Facharbeiter 80 Pf., für angelernte Arbeiter 74 Pf., für ungelernte Arbeiter 67 Pf. 1. Die übrigen Lohnsätze erhöhen sich im aleichen Verhältnis mit der Maßgabe, daß Beträge bis zu 0,5 Pf. nach unten, Beträge von mehr als 0,5 Pf. nach oben abgerundet werden. 2. Die Auslösungssätze für Monteure erhöhen sich um 8 Prozent. 3. Die Eießereizulage erhöht sich um 10 Prozent. 4. Die übrigen Zulagen erhöhen sich in demselben prozentualen Verhältnis wie der Stundenlohn. 5. Die am 14. Januar 1928 abgelaufenen Tarife werden wieder in Kraft gesetzt mit der Maßgabe, daß vom Tage der Wiederaufnahme der Arbeit ab die vor stehend vorgeschlagene Regelung in Kraft tritt. 6. Diese Regelung läuft bis auf weiteres. Sie ist erstmalig mit 14tägiger Frist zum 31. Dezember 1928 kündbar. 7. Die Arbeit ist baldmöglichst wieder aufzunehmen. 8. Bei der Wiederaufnahme der Arbeit sind die Arbeitnehmer, sobald und soweit die Betriebsmöglich keiten es gestatten, wieder einzustellen. 9. Maßregelungen aus Anlaß des Streiks oder der Aussperrung finden nicht statt. 10. Die Wiedereinstellung bewirkt, daß die Arbeit als nicht unterbrochen im Sinne des Tarifvertrages gilt. Verschwun-enes Material aus -en Barmat-Aklen. 22. Februar 1928 Im Varmat-Prozeß, in dem seit fast zwei Wochen die Staatsanwälte gegen die Angeklagten plä dieren, kam es gestern früh zu Beginn der Sitzung zu einem überraschenden Vorstoß der Verteidigung gegen die Staatsanwaltschaft, was um so interessanter ist, als die Verteidigung jetzt, nachdem die Beweisaufnahme bereits geschlossen ist, sich auf den Standpunkt stellt, daß man den Fall Varmat nicht als eine von allem Politischen gelöste Kriminalaffäre be trachten könne und daß man auch das Politische würdigen müsse. Rechtsanwalt Julius Verger meldete sich heute morgen, noch bevor die Plädoyers der Staatsanwälte vorgelegt wurden, und erbat das Wort zu einer ganzen Reihe von An trägen. Zunächst erklärte der Verteidiger, das Gericht müsse sich noch einmal mit der bisher nicht gewürdigten Tatsache beschäftigen, daß aus den Barmat-Akten Ma terial verschwunden sei, das man bisher nicht habe her beischaffen können. Ein Teil der Akten, der seinerzeit von dem Assessor Dr. Kußmann bearbeitet worden sei, ließe sich heute nicht mehr auf sind e n. Es handele sich in erster Reihe um die Er mittlungen im Falle des verstorbenen Reichspost ministers Höfle, und zwar hauptsächlich um Brief- wechselzwischenHöfleund Barmat. Dieses Material habe Dr. Kußmann als Staatsanwalt nicht pflichtgemäß sichergestellt und den Akten beigefügt, son dern es sei von ihm an einen bestimmten Personenkreis weitergegebcn worden. R.-Ä. Dr. Julius Verger beantragte sodann, die Akten des gegen den Assessor Kußmann noch schwebenden Disziplinarverfahrens, aus dem die erwähnten Tat sachen hervorgingen, heranzuziehen, oder den mit der Führung des Verfahrens beauftragten Referenten als Zeugen zu hören, der aussagen könne, daß Assessor Kuß mann und andere Beamte der Staatsanwaltschaft (ge meint sind Assessor Dr. Caspary und Staatsanwall schaftsrat Peltzer) einer propagandistischen Zentrale sehr nahegestanden und ihr Material zugeleitet hätten. Von der Verteidigung wurden hierauf eine Reihe weiterer Beweisanträge gestellt, d'-. sich auf Behaup tungen in den Plädoyers der Staatsanwälte beziehen. Ferner wurden noch mehrere ehemalige sächsische Mi nister. u. a. Minister a. D. Albert Schwarz und Mi nisterpräsident a. D. Buck, als Zeugen dafür namhaft gemacht, daß Barmat nach dem Kriege sich um die Lebensmitteltransporte nach Deutschland verdient ge macht habe. Die Staatsanwaltschaft nahm zu den Beweisantrügen vorläufig noch keine Stellung. Die Plädoyers wurden sodann fortgesetzt.