Volltext Seite (XML)
Kurze Mitteilungen. 20. Februar 1928 In Hamburg wurde die erste Pfarramts- helserin in ihr Amt eingewiesen. Der jugoslawische König soll nach einer Pariser Meldung zu einem einwöchentlichen Besuch nach Paris kommen. Paul Boncour hat in Genf eine längere Be sprechung mit Dr. Benesch gehabt. Die französische Presse begrüßt die Ernennung Tyrells zum englischen Botschafter in Paris. Der e st ländische Gesandte in Berlin soll nach einer Meldung aus Reval von Berlin abberufen werden. . Campbell hat den Automobil-Schnelligkeitsrekord gebrochen. Schiedsspruch im Metattarbeiler- Konflikt. 20 Februar 1928 Berlin, 18. Februar. Die zur Beilegung des mittel deutschen Metallarbeiterkonflikts eingesetzte Schlich tungskammer fällte heute gegen ^2 Uhr unter Vorsitz des Schlichters, Ministerialrates Dr. Hauschild, einen Schiedsspruch, der vom Tage der Wiederaufnahme der Arbeit eine Lohnerhöhung von 5 Pfennig pro Stunde vorsieht, und zwar für alle drei mitttt- deutschen Tarifgebiete. Für Anhalt soll eine besondere Regelung wegen der Sicherung der Leistungszulage ge troffen werden. Der Streik bezw. die Aussperrung soll nicht als Arbeitsunterbrechung angesehen und außerdem dürfen keine Maßregelungen der am Streik beteiligten Metallarbeiter vorgenommen werden. Zu diesem Schiedsspruch, der gegenüber dem am 12. Jan. ergangenen Spruch des Magdeburger Schlichters eine Erhöhung der Löhne um weitere 2 Pf. vorsieht, müssen sich die Parteien bis Montag, den 20. Februar, 12 Uhr mittags, erklärt haben. Die mitteldeutchen Metallarbeiter haben bereits zu Montag vormittag eine erweiterte Konferenz der Funktionäre aus dem Streik- und Aussperrungsgebieten nach Halle einbcrusen, um zu dem Schiedsspruch Stellung zu nehmen. Auch die mitteldeutschen Metallindustriellen treten am Montag vormittag zusammen, um ihre Erklärung abzuqeben. Der Schiedsspruch kann unter Umständen vom Reichs- arbeitsminifter innerhalb 24 Stunden für verbindlich erklärt werden. Ablehnung durch die Arbeitgeber. Der Verband mitteldeutscher Metallindustriellcr hat dm Schiedsspruch bereits abgelehnt. In den Betrieben der sächsischen Metallin dustrie ist nunmehr die Aussperrung sämtlicher Arbeiter zum Mittwoch beschlossen worden. Von dieser Maßnahme werden im Freistaat Sachsen un gefähr 140 000 Arbeiter betroffen. Wie wir erfahren, wird in den Bezirken Aue—Schwarzenberg, Annaberg und Döbeln vorläufig keine Aussperrung vor- gcnommen werden. Der Krantz-Prozetz. 20. Februar l928 Am Sonnabendvormittag wurde der Krantzprozcß mit der weiteren Vernehmung von Sachverständigen fortgesetzt. Nachdem Rechtsanwalt Dr. Frey erklärt hatte, daß er die Verteidigung wieder übernehme, äußerte sich eine Reihe von Sachverständigen besonders über die psychologische Seite des Falles. Nach den Aussagen des Sachverständigen Dr. Hirschfeld erklärte der vom Verteidiger geladene Arzt D r. Kroener, Günther Scheller sei tatsächlich homosexuell veranlagt gewesen. Günther habe gar nicht die Familienehre rächen wollen, sondern habe in Hans Stephan einen Rivalen ge sehen. der ihm den Automobilbesitzer abspenstig ge macht Hütte. Während also für Günther Scheller ein Motiv zur Tat vorhanden gewesen wäre, habe dies ! : Paul Krantz vollständig gefehlt. Er habe mit seiner ! nachgiebigen Natur einfach im Rauschzustände mitgemacht und sei darum fürdieTatnichtver- i antwortlich. Med.-Rat Dr. Mahrenholz führte aus, daß der Paragraph 51 auf Paul Krantz keine Anwendung finden könne. Der Angeklagte sei kein Psychopath. Er sei zwar bei der Verabredung in der Nacht berauscht gewesen, aber morgens wieder nüchtern gewesen. Das ergebe sich aus der Aussage der Eleonore Ratti, die nur von Günther Scheller behauptet habe, daß dieser torkelte, während Krantz ganz vernünftig gesprochen habe. — Als darauf der Verteidiger den Sachverstän digen fragte, ob er bei dem Nachweis, daß auch Krantz morgens getorkelt habe, auch für diesen dieselben Zwei fel an der Zurechnungsfähigkeit äußern würde, die er bei Günther Scheller sehe, erwiderte der Sachveründige, daß die Tatsache des Torkelns allerdings für ihn mit Beweis gewesen sei für seine Zweifel an der Zurech nungsfähigkeit des Günther Scheller. Der Sachverständige Professor Cramer hielt daran fest, daß Krantzein Psychopath sei. Eine Beeinträchtigung der Entschlußfähigkeit habe höchst wahrscheinlich vorgelegen, sie habe aber nicht einen solchen Grad erreicht, daß dabei der Paragraph 51 an zuwenden wäre. Damit war die Beweisaufnahme geschlossen; heute beginnen die Plädoyers. Aus aller Welt. 20 Februar 1928 * Zum ersten Male seit dem Kriege Karneval umzug in München. Nach 15jähriger Pause wurde gestern in München zum ersten Male wieder ein großer öffentlicher Faschingszug veranstaltet. Der Zustrom von auswärts, der durch die Einlegung einer ganzen Reihe von Sonderzügen gefördert wurde, war sehr groß. Die Münchner Bevölkerung selbst war zu Hundert tausenden schon von den Vormittagsstunden an auf den Beinen. Der große Zug, der sich durch einen Teil der inneren Stadt bewegte, setzte sich um 1 Uhr mittags in Bewegung und wurde nach Zurllcklegung der ganzen Zugstrecke erst nach vier Uhr aufgelöst. Das karne valistische Schauspiel, in dessen Dienst sich die Münchner Künstlerschaft seit mehreren Wochen gestellt hatte, darf als wohlgelungen bezeichnet werden. ' Kohlenmangel in der Tschechoslowakei. Gestern hat eine Spinnerei mehrere hundert Arbeiter wegen Kohlenmangel infolge des Vergarbeiterstreiks entlassen müssen. " Ein Felsblock stürzt auf einen Eisenbahnzug. Gestern wütete in ganz Südmähren ein heftiger Sturm. In einigen Gemeinden wurden Dächer abgerissen, Bäume und Zäune niedergelegt. Vor dem Personenzug aus Jägerndorf stürzte infolge des Sturmes ein Fels block ab, der die Lokomotive mit voller Gewalt traf, so daß sie umstürzte. Die nachfolgenden drei Wagen ent gleisten. Von den Reisenden wurden sechs Personen leicht verletzt. Die Störung des Verkehrs wird etwa drei Tage dauern, da der Felsen noch immer nach rutscht. " Zusammenstöße zwischen Polizei und Kommu nisten in Warschau. An mehreren Stellen der Stadt kam es gestern nach Wahlversammlungen zu schweren Zusammenstößen zwischen demonstrierenden Versamm lungsteilnehmern und der Polizei, wobei insgesamt zehn Personen schwer verletzt und 19 verhaftet wurden. Im Norden der Stadt mußte berittene Polizei einen mehrere hundert Personen umfassenden Zug zerstreuen, wobei mehrere Personen verwundet wurden. - Dauernde Verschärfung der russischen Lebens mittelkrise. Aus Moskau wird gemeldet, daß die Lebens mittelkrise sich weiter verschärft. Partei und Regierung haben bisher noch keinen Ausweg aus der Lage gefun den, da die Großbauern die Direktiven der Partei und der Regierung sabotieren, sowie hinsichtlich der Ee- treidebereitstellungen als auch der Lebensmittelbeschaf fung. Das politische Büro vermerkt in der „Prawda", daß eine Aenderung des Kurses gegenüber der Bauern schaft nicht in Frage komme. Die seinerzeit in Aussicht genommenen Projekte eines Waffenstillstandes zwischen Partei und Bauern sind fallen gelassen worden. Gestern wurden in Moskau Gerüchte über bevorstehende Per- sonalveründerungen in den Kommissariaten verbreitet. Sie haben bisher jedoch keine Bestätigung gefunden. " Zerstörung der Schmuggelwaffen von Szent Gotthard. Nach einer Meldung der „Arbeiterzeitung" wurden gestern in Szent Gotthard die geschmuggelten Waffen vernichtet 20 Arbeiter luden die Waffen aus den Wagen aus, zerschlugen sie auf zwei bereitgestellten Ambossen und machten die Eewehrläufe mit sechs auto genen Schweißapparaten unbrauchbar. Die Arbeiten standen unter Aufsicht einer Kommission von jugosla wischen, tschechoslowakischen, rumänischen und österrei chischen Offizieren, sowie eines Vertreters des Völker bundes. Die Zerstörungsarbeiten wurden von einem Kinooperateur ausgenommen. " König Aman Ullah plant eine Unterseebootfahrt. Der König von Afghanistan, Aman Ullah, beabsichtigt, nicht nur die in Portsmuth liegenden modernen eng lischen Unterseeboote zu besichtigen, sondern hat auch den Wunsch ausgesprochen, auf einem der modernsten Boote eine kurze Seereise zu machen. Es würde dies das erstemal sein, daß ein Monarch eine Fahrt auf einem Unterseeboot macht Lohnbewegungen und Streiks. Streik in der Oberlausitzer Granitschleiferei-Jndustrie. Nachdem in der vergangenen Woche die Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Ober lausitzer Granitschleiferei-Jndustrie gescheitert sind und am Freitag die Kündigungsfristen abliefen, ist am Sonn abend in fast sämtlichen Betrieben der Oberlausitzer Granitschleiferei-Jndustrie der Streik ausgebrochen, der am Iltontag wohl sämtliche Betriebe dieses Industrie zweiges stillegen wird. Luftdroschke Nr 1 Die Westfälische Luftverkehrsgesellschaft hat auf dem Flugplatz in Dortmund eine Flugmaschine in den Betrieb eingestellt, die die Aufschrift «Lust- droschke Nr. 1" (unser Bild) führe und die Jeder mann jederzeit nach Kilometertoxe mieten kann. VOM S?». b-Sixis. 22. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Gerda konnte berückend sein in ihrer Liebenswürdig keit; wie ein warmer Strom ging es da von ihr aus Wenn sie mit den Kindern des Kutschers zuweilen spielte, bot sie ein reizendes Bild. Sie ließ sich von ihnen zausen ohne Rücksicht aus Frisur und Anzug — sie war dann ganz Kind mit ihnen. Einmal, als sie das Jüngste des Kutschers, ein pausbackiges, hübsches Kerlchen von unge fähr einem Jahr, im Hemdchen, auf dem Arm hielt und mit ihm tändelte, kam Krafft dazu Ueberrascht blieb er stehen. Das hatte er nicht in Gerda gesucht, die er für kühl und herzlos hielt. Was für ein liebliches Bild bot sie seinen Augen — er wagte nicht, sich zu rühren, um sie nicht zu stören. Aber sie bemerkte ihn doch, und heiß errötend legte sie das Kind nieder, das aber schrie und wieder ausgenom men werden wollte. „Mir scheint, ich habe wieder einmal das Unglück, Sie zu stören, Baronesse," begann er, „ich suchte Franz; seine Frau wies mich hierher." „Soeben ist er fortgegangen," entgegnete Gerda. Sie ärgerte sich, daß Krafft sie hier fand; sie wollte sich wirklich nicht als Kindermädchen aufspielen, das hätte noch gefehlt Wenn er doch gehen wollte! Er tat es aber nicht, sondern blieb stehen, als ob er noch etwas erwarte. „Wie das Kind schreit," sagte er da. „Ich kann auch nichts dafür," entgegnete sie kurz, „ich weiß es nicht zu oeruhigen." Da beugte er sich nieder und streichelte das Gesichtchen des Kleinen. „Sei doch still, Bubi!" Bubi sah ihn erst mit großen Augen an, dann faßte er nach seinem Schnurr bart und zauste ihn mit größtem Wohlgefallen. „Junge, du tust mir ja weh!" Aber der Junge hörte nicht. Gerda mußte lachen, als sie die fruchtlosen Versuche Kraffts, sich aus den kleinen Fäustchen zu befreien, sah, er wollte ja auch dem Kinde nicht weh tun Wie unge schickt er war! Da trat Gerda hinzu. „Komm, mein Klei ner, komm! Komm her zur Tante!" Und als das Kind die ihm wohlbekannte Stimme hörte, ließ es den mißhan delten Bart und streckte krähend die Arme nach dem jungen Mädchen aus, das es wieder aufnahm. „So, nun sehen Sie, Herr Inspektor, was für Tyrannen die Kinder sind!" Mit einem langen Blick sah er sie an — und es lag etwas darin, was sie noch nie bemerkt hatte und jetzt mit dem feinen Instinkt der Frau fühlte: Gefallen und In teresse an ihr. Mit einem Lächeln um den halb geöffneten Mund erwiderte sie seinen Blick, während sie das Kind an sich drückte. „Baronesse sind wirklich zu gütig," sagte er, „und wie das Kind Sie lieb hat; es ist auch ein niedliches Kindchen!" „O, wir kennen uns, nicht wahr, Bubi? Er macht mir Spaß; ich hab' den kleinen Kerl wirklich ganz gern." „Ist er nicht zu schwer für Sie, gnädiges Fräulein?" „Wo denken Sie hin, Herr Krafft! Sehe ich nur jo ge brechlich aus? — llebrigens, da kommt Franz schon wieder! Ich sehe ihn über den Hof kommen!" Mit einer Verbeugung verabschiedete sich Krafft und ging dann hinaus, langsam, zögernd, wie es Gerda schien Mit einem gefährlichen Lächeln sah sie seiner hohen Ge stalt nach. „Hans Detlev Krafft, gefalle ich dir jetzt?" flüsterte sie „Nimm dich in acht!" Von dieser Zeit fühlte sie, wie er sie beobachtete, wie seine Blicke oft sinnend auf ihr ruhten. Katharine kam jetzt sehr selten, sie hatte viel zu tun, da die Ernte in vollem Gange war Ünd an den wenigen Abenden, die sie aus Bressenhof war, war sie müde und abgespannt. Es schien auch, als ob sich ihres Wesens eine Ungleichheit bemächtigt hätte, die sonst niemals an ihr zu bemerken gewesen war, und ihre Augen rmhten oftmals « tWMr Frage auf Krafft. Sie liebte ihn, das war klar; Gerda hatte es längst gemerkt; denn Katharine konnte sich nicht verstellen; zu deutlich las man in ihren offenen Zügen. Wenn Gerda mal von ihrem Inspektor sprach, so geschah dies nur in der gleichgültigsten Weise, und doch lauschte das junge Mädchen auf jedes Wort, und der anderen machte es ein grausames Vergnüngen, sie zu quälen und geschickt auszu weichen, wenn Katharine das Gespräch glücklich auf ihn gebracht hatte und nun glaubte, etwas über ihn zu er fahren Mit verletzender Gleichgültigkeit warf dann Gerda irgendeine spöttische Bemerkung hin, daß Käthe verstummen mußte, um sich nicht zu verraten. — Seit der Zeit, daß Krafft in ihrem Hause weilte, war über die Baronin eine nervöse Unruhe gekommen. Immer und immer wieder mußte sie ihn ansehen; sie forschte in seinen Zügen nach einer Aehnlichkeit, die sie ängstigte und quälte. Nach und nach entlockte sie ihm seine Lebensgeschichte, der sie mit dem größten Interesse lauschte, trotzdem sie so alltäglich und einfach war, wie nur eine jein konnte. Sein Vater hatte ein Bauerngut in Schlesien gehabt, das er krankheits halber verkauft hatte, und wohnte jetzt in Breslau Dort hatte Hans Detlev auch das Realgymnasium besucht und sein Jahr abgedient Hieraus machte er landwirtschaftliche Studien, und dann arbeitete er praktisch Er hatte noch einen Bruder von achtzehn Jahren und eine Schwester von fünfzehn Jahren, die beide noch die Schule besuchten, ersterer wollte Philologie studieren. Hans Detlev ging ganz in der Landwirtschaft auf, und jein höchster Wunsch war, dermaleinst ein Gut jein eigen zu nennen Als er diesen Wunjch einmal gegen den Baron geäußert hatte, sagte dieser scherzend: „Sehen Sie doch zu, vielleicht können Sie irgendwo mal einheiraten! — Lisa Sorau erkundigt sich immer so teil nehmend nach Ihnen — Sie wissen doch, die kleine, dicke Schwarze, mit der Sie Pfingsten aus der Landpartie nach dem Kyffhäuser soviel tanzten! Sie ist 'ne sehr gute Partie, schwerreiches Mädel, 's wär' gar nicht jo übel! Der Alte ist auf der Suche nach einem Schwiegerjohn, der durchaus Landwirt jein soll!" (Fortsetzung fvlgt.)