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Kurze Mitteilungen. 18. Januar 1928 Wie wir erfahren, wird Reichsaußenminister Dr. Stresemann in der ersten Februarhälste einen län geren Urlaub antreten, um seine Gesundheit zu kräf tigen. Der Reichsautzenminister ist bekanntlich seit Weih nachten erkrankt. Der Finanzausschutz des amerikanischen Se nats beginnt nächsten Montag mit der Beratung derFreigabebill. Der panamerikanische Kongreß in Havanna hat beschlossen, alle Plenar- und Ausschutzsitzungen in voller Oeffenilichkeit stattfinden zu lassen. Das Kochofenunglück im Saargebiet 18 Januar 1928 Aus Völklingen wird gemeldet: Der explodierte Hochofen Nr. 5 ist der modernste und neueste der Röch lingwerke. Er „hing" seit einigen Tagen, d. h. Füllung des Hochofens, Kots und Erz, war in der Mitte nicht mehr nachgerückl, sondern hat im Innern des Ofens eine natürliche Höhlung gebildet. Diese entstand zwi schen der flüssigen Eisenmasse auf dem Grunde des Ofens und der hängenden Schicht, so datz ein großer Zwischenraum entstand, der die Ofenproduktion ins Stocken bringen konnte und darum beseitigt werden mutzte. Seil etwa drei Tagen bemühte man sich, das Hängende des Ofens zum Einsturz zu bringen. Auch die Arbeiter der Unglücksschicht waren mit solchen Ver- suchen beschäftigt, deshalb war die Besetzung an diesem Tage 17 Mann stark, während normalerweise nur wenige Mann an dem Ofen beschäftigt sind. Gegen 5 Uhr mutz der Einsturz in unvorhergesehener Weise erfolgt sein. Mit furchtbarem Krachen brach eine vier Meter hohe Mauer ein. Gleich darauf wurde durch die ungeheure Gewalt die gesammelte Füllung des Ofens, sowie das schwere Mauerwerk fortgeschleudert, wodurch die entsetzliche Wirkung entstand. Sämtliche an der Unglücksstelle beschäftigten Hüttenarbeiter wur den schwer verletzt. Nur ein auf der Gichtbühne be schäftigter Arbeiter konnte sich in ein Häuschen flüchten und dadurch sein Leben retten. Die Trümmer sind bis zu 50 Meter weit geschleudert worden. Da durch die Gewalt der Explosion auch sämtliche Rohre durchge schlagen wurden, mutzte der gesamte Betrieb stillgelegt werden. Bereits 9 Todesopfer. Zwei bei dem Hochofenunglück schwer verletzte Ar beiter find ihren Verletzungen erlegen, so datz sich die Zahl der Todesopfer auf 9 erhöht hat. Die übrigen Schwerverletzten haben so schwere Brandwunden er litten, datz bei verschiedenen Amputationen vorgenom men werden mutzten. Einem Unglücklichen ist das Fleisch an Händen und Unterarmen bis auf die Knochen gänzlich verbrannt. Sämtliche Verunglückte standen bei Ausbruch der Explosion nach 16stündiger Sonntags schicht eine Stunde vor ihrer Ablösung. Wäre das Un glück um 6 Uhr früh erfolgt, so wäre bei dem um diese Zeit einsetzenden Schichtwechsel eine noch größere An- mh! Arbeiter in Mitleidenschaft gezogen worden. Aus aller Wett. 18. Januar 1928 * Eine achtjährige Schülerin spurlos verschwunden. Das Landeskriminalamt teilt mit: Noch nicht ermittelt ist die seit dem 12. Dezember 1927 nachmittags >P Uhr aus Berlin spurlos verschwundene achtjährige Schüleritt Elli Reinfeld. Das Kind hat zur genannten Zeit oie Wohnung seiner Mutter verlassen, um in einem Papier- geschäit Papiersterne zu kaufen. Von diesem Gang ist es nicht zurückgekehrt. Das Kind ist etwa 1,29 Meter groß, hat dunkelblonden, links gescheitelten glatten Bubikopf, bleiches Gesicht, dunkle Äugen, etwas breiten Mund mit wulstigen Lippen, schwarze, lückenhafte Zähne und spitzes Kinn. Bekleidet war es mit blauer Wollmütze, blauem Faltenrock, grünem, weiß gespren ¬ kelten Pullover, weißem gestrickten Mantel, gez. E. R., schwarzen Strümpfen, schwarzen Halbschuhen und Ga maschen. Es scheint nicht ausgeschlossen, datz das Kind verschleppt oder einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Angaben über seinen Aufenthalt oder Verbleib er bittet die Kriminalpolizei Dresden, Zimmer 88. * Der Kauf des Zeitzplanetariums durch die italienische Negierung perfekt. In Anwesenheit des Finanzministers Volpi und des Ministers Fedele wur den im Palazzo Chiai in Rom die Verhandlungen über den Kauf des Zeitz-Planetariums abgeschlossen und 1er Kaufakt unterzeichnet. Das Planetarium soll sobald wie möglich aufgestellt und anläßlich der nächsten Jahresfeier des Marsches auf Rom eingeweiht werden. - Mutter und zwei Kinder mit Gas vergiftet. Wie ein Berliner Morgenblatt meldet, wurden die 30 Jahre alte Frau Olga des Lokomotivführers Bartel und ihre beiden Kinder im Alter non 13 und 7 Jahren in ihrer Wohnung in Berlin durch Gas vergiftet tot aumefun- den. Wie die Ermittelungen ergaben, hat die Mutter Selbstmord verübt und die beiden Kinder mit in den Tod qenomen. * Geheimrat v. Glassnayp schwer verunglückt. Wie Berliner Blätter melden, ist gestern nachmittag der srühere Neichsbankvnepräsident. Geheimrat v. Glase- napv. beim Ueberschreiten der Straße Unter den Linden in Berlin von einem Lastkraftwagen gestreift, zu Boden aeworsen und am Kopfe schwer verletzt worden. * Steckbrief gegen einen Schweizer Bankier. Die schweizerischen Behörden haben aegen den flüchtigen Bankier Dr. Felir Zinkus weaen leichtsinnigen und be trügerischen Konkurses einen internationalen Steckbrief erlassen. Den Gläubiaerforderungen von 1ZX> Millio nen Franken stehen kaum irgendwelche Aktiven gegen über. * Die tschechischen Flumeuaränber gefakt. Dem Telunion-Sachsendicnst wird aus Wien gemeldet: Die beiden tschechoslowakischen Militärflieger Eduard Mika und Franz Marek, die von Proßnitz auf einem gestohle nen Fluazeua das Weite suchten, mutzten in der Nähe von Lublin notlanden. Das Fluareug wurde beschlag nahmt und die beiden Flieger interniert. * Ein Niesenproreß in Orleans Vor dem Appe- lationsgerichtshof in Orleans kommt heute ein Riesen prozeß zur Verhandlung, in dem sich die klagende Par tei aus nicht weniger als 17 Prinzen und Prinzessinnen zusammensetzt. Es sind dies die von den 21 des im Jahre 1907 verstorbenen Herzogs von Parma noch lebenden Kinder. Die Klage richtet sich gegen den Prin zen Elias, dem durch den Wiener Teilungsvertrag aus der Erbschaft von rund 4 Millionen Goldfranken das Schloß Chambord und der dazu gehörige Grund und Boden, der der Größe von Paris gleichkommt, zuge sprochen wurde. Die Prinzen und Prinzessinnen hatten im April 1915 bei den Gerichten von Blois die Nichtig keitserklärung des Wiener Abkommens durchgesetzt. Sie stützen ihre Klage auf Aufhebung der Sequester aus die Tatsache, daß Prinz Elias österreichischer Staats angehöriger ist. Die Klage, die seit 1920 vor französi schen Gerichten anhängig ist, erstrebt die Zuteilung des Schlosses und des dazugehörigen Gebietes für einen der klagenden Prinzen oder die Aufteilung unter sämtliche Kinder des Herzogs von Parma. Aus dem Gerichtssaal. 18. Januar 1928 K. Astrologie im Gerichtssaal. Ein größerer, bis in die Abendstunden währender Strafprozeß wegen täuschender Reklame auf dem Gebiete der Astrologie kam am Dienstag vor dem Gemeinsamen Schöffengericht Dresden zur Verhandlung. Die Anklage richtete sich gegen den 1888 zu Annaberg geborenen, in Dresden wohnhaften Graphologen Hans Georg Schiefer, der sich wegen eines Verstoßes nach K 4 des Reichsgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb zu verantworten hatte. Nach dem Eröffnungsbeschluß wurde er beschuldigt, durch Werbeschreiben und ein Heft, mithin in öffentlichen An kündigungen, sich strafbar gemacht zu haben, indem er für geringe Geldbeträge Leistungen versprach, die er gar nicht in der Lage war, zu bieten. Im jetzigen Ver fahren drehte es sich nicht darum, ob der Astrologie ein besonderer Wert beizumessen ist oder nicht, sondern es galt die Frage zu klären, ob Schiefer in seinen öffent lichen Ankündigungen das, was er angepriesen, auch halten kann und zu leisten vermag. Es waren hierzu der Direktor des Dresdner Planetariums, Kißhauer und Studienrat Professor Dr. Krause aus Leipzig, als Sach verständige geladen. Die Gutachten der Sachverständigen gingen dahin, der Angeklagte sei ein Mann, der in der Astrologie noch keinen gründlichen Bescheid wisse. Was er zu liefern vermag, sei gewöhnliche schematische Arbeit. In seiner Allgemeinbildung hapere es. Und in seiner fachlichen Ausbildung trete dieser Mangel erst recht in Erscheinung. Der Angeklagte habe die Sachverstän digen nicht davon überzeugen können, daß er in der Lage sei, besondere Leistungen zu vollbringen, etwa in der Richtung, wie man nach seinen Ankündigungen erwarten könnte. Er stehe auf recht unvorbereiteten Boden, dies mußte er auch erkannt haben. In den Nachmittagsstun den wurde dann noch das Planetarium hinter dem Aus stellungspalast aufgesucht, wo alle Prozeßbeteiligten wei tere wertvolle Ausschlüsse erlangten. Nach dem Ergebnis der umfangreichen Beweiserhebung beantragte Staats anwalt Dr. Pfützner die Bestrafung wegen täuschender Reklame mit 100 Mark Geldstrafe. Die Ankündigungen seien nicht nur unrichtig und täuschend, sondern auch wissentlich unwahr. Der Anschein eines günstigen An gebots sei erweckt worden. Rechtsanwalt Dr. Heyne plädierte für Freisprechung. Das Urteil lautete im Sinne der erhobenen Anklage aus 100 Mark Geldstrafe und Einziehung aller beschlagnahmten Prospekte der von Schiefer herausgegebenen Schrift und Vernichtung der zum Drucke benutzten Platten usw. Amtsgerichtsdirektor Dr. Ackermann betonte in der Urteilsbegründung, es sei kein Urteil über den Wert oder Unwert der Astrologie gefällt worden, sondern nur wegen täuschender Reklame, die Schiefer vorgenommen habe. Eine historische Stätte. Der Kongretz-Saal der Reichskanzlei. Die Reichskonjeienz der deuUchen Länder und der Reirl, regierunq finöct im Konmeß-Saa! der Reichskanäci statt, der ichon zweimal distmiiche Uonserenzen dederdcmt hm, und zwar 1878 den bekannten Beniner Koncmß, 1918 die weniger be kannt gewordene Reooiutionskonferenz, wenn man sie w ne»»n will. Für die ßßige Tagung der 18 Ministerpiändenten und Io Innenminister, wwie die txgleucnden Relerenun und Rrssortchess der Reichsremernng mußte der Saal vcionoers her» gerichtet weiden, da Raum sm über 1 0 Tett- i ehmer ge chassen werden mußte. ZeöUMuäNck! vom St". t-SMems. 8. Fortsetzung. Nachdruck verboten. „Nein, das ist mir alles zu klassisch, ich spiele lieber was anderes " und gleich darauf erklang der Eeisha- walzer: „O tanz, du kleine Geisha du " Gerda besaß wohl eine sehr sorgfältig geschulte, aber keine besondere Stimme, die in der Höhe sehr scharf klang — es war die reine Sou brettenstimme: aber ihr Vortrag, der ungemein lebendig und anschaulich war, ließ darüber hinwegsehen „Bravo, bravo, siehst du, Kathrin, so was gestillt mir, das liebe ich — noch mehr von der Sorte!" „Wirklich, Herr von Buchwaldt?" Mit blitzenden Angen drehte sich Gerda auf dem Klaviersessel um. „Aber bitte, da liegt wenigstens „Musike" darin, das ist eher was für unsereinen — „Mama, dann darf ich wohl aus „Carmen" vortragen?" And ohne eine Antwort abzuwarten, begann sie in sehr temperamentvoller Weise die „Seguidilla" — „Draußen am Walle von Sevilla " Mit diesem Vortrag hatte sie immer Hellmut ganz be geistert, den dann ihre feurigen Augen so anblitzten, daß er denren konnte, er sei wirklich gemeint Zufällig hatte sie dies ihrer Mutter erzählt: doch die hatte gejagt: „Mein Kind, es gibt für junge Damen andere Lieder, die besser zum Vortrag geeignet sind, als gerade dies Es gehört sich nicht für dich. Lasse mich das nicht Horen, es wirkt so wenig fein!" Gestern abend erst hatte sie ihr das vorgchalten, und so bandelte nun Gerda nach ihren Worten! Die Nöte des Bergers stieg ihr ins Gesicht. — „Gerda!" „Mama -?" „Kind, du weißt doch, daß ich „Carmen" nicht liebe —." „Und mir ist sie Lie liebste Oper — so flott und tempe ramentvoll — jede Woche könnte ich sie hören! Magst du sie nicht ebenfalls gern, Katharine?" „Ich hatte noch nicht Gelegenheit, sie zu hören. Die Musik kenne ich größtenteils und muß gestehen, daß sie mir sehr gut gefällt!" „So, Kathrin, jetzt bist du an der Reihe!" — mit diesen Worten sprang Gerda auf. „Für heute dispensiere mich, bitte," bat die Angeredete, „ein andermal hole ich das Versäumte nach." Wenn sie auch ihren Musikstudien wenig Zeit widmen konnte, so war sie doch Gerda in Gesang und Spiel weit überlegen, wovon sie eben den Beweis erhalten hatte. Sie wollte vermeiden, daß Gerda sich übertrumpft fühlen sollte, deshalb verzichtete sie lieber, was der andern wiederum den Glauben gab, sie geniere sich vor ihr. „Weißt du, Gerda, wir gehen mal einen Augenblick in den Garten, wenn du Lust hast." und ob!" Gern folgte sie der Aufforderung, die sie dem langweiligen Kaffeetisch entrückte, rmd die jungen Mädchen gingen ins Freie. „Wollen wir über den Hof gehen? Oder nein, wir gehen von der Dorfstratze aus, das ist einfacher." Es dauerte nicht lange, so hatte Kathrine eine ganze Schar weißblonder, rotbäckiger Kinder hinter sich, die sich ohne Scheu an ihr Kleid hängten. Lachend wvhrte sie sie ab. „Ist dir das nicht lästig?" fragt« Gerda, indem sie das feine Näschen rümpfte, „die schmutzigen Bätze." Sie raffte ihr Kleid zusammen als fürchte sie, datz dies durch die Berührung der Kinder verdorben werden könnte. „And trotzdem hab' ich sie lieb! Siehst du das kleine, blasse Mädel hier? Manche Nacht habe ich im vorigen Monat an ihrem Bett gesessen und für das junge Leben gezittert. Sie hatte eine schwere Diphtheritis. Aber wir haben sie durchgebracht: «ns« Doktor ReH« P,ei« sehr, sehr tüchtiger Arzt! — — Die Kinder sind heute außer Rand und Band, weil sie wissen, daß der Osterhase von Tante Katharine ihnen bald schöne bunte Eier legen wird." Gerda sah sie von der Seite an. „Ich weiß nicht, Käthe, ob ich dich bewundern oder bemitleiden soll! Du bist doch nun immer hier auf dem Dorfe gewesen, außer der Pension, das rechne ich nicht. Wird es dir nun gar nicht langweilig? Ich denke es mir schrecklich, mein Leben hier auf dem Lande zu vertrauern: ich käme um vor Langeweile." Die Angeredete lachte hell auf. „Langeweile? Dazu hab' ich keine Zeit! Jede Stunde am Tage hat ihre Bestimmung: für mich könnte der Tag wirklich achtundvierzig Stunden haben: ich füllte sie schon aus, da käme ich nicht in Verlegenheit! Frühmorgens be aufsichtige ich die Mägde beim Melken, damit die Milch zur Zeit nach der Bahn kommt. Denke mal an, wenn die armen Städter ohne ihre gewohnte Morgenmilch sein müßten! —" „Mein Mütterchen ist sehr hinfällig: ich hab' manchmal Angst um sie: das Herz ist gar so schwach; da darf sie sich nichts zumuten, und ich erleichtere ihr jede Arbeit! — Und ich muß sehr hinterher sein; mein Bruder Werner braucht eine Menge Geld — 's ist ein leichtsinniger Junge!" „Ich weiß es, Käthe! — Weißt du, ich werde immer Käthe zu dir sagen; ich finde die Abkürzung, die dein und mein Vater gebrauchen, gräßlich — wie sich das anhört, Kathrin, Kathrinchen usw. — Sag' mal, macht es dir jo viel Vergnügen, dafür zu arbeiten, datz andere sich amüsie ren können?" „O, mir ist die Arbeit ein Lebensbedürfnis! Ich würde mich unglücklich fühlen, wenn mir die Arbeit genommen würde; zu den Drohnen kann ich mich nicht rechnen." „Aber mich rechnest du dann dazu, nicht wahr? Denn ich arbeite nicht. Ich weiß gar nicht, wie ich das machen sollte — ich glaube, ich würde eine sehr lächerliche Figur spielen!" (Fortsetzung folgt.)