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Sachsen aus der Lün-er-Konserenz. 18 Januar 1928 Die gestrige Vormittagssitzung der Länderkonfe renz wurde, wie bereits gemeldet, durch Darlegungen des sächsischen Ministerpräsidenten Heldt eingeleitet, der folgendes ausführte: Die bisherige Aussprache scheint sich für den Gedanken des Einheits staates nicht übermäßig aussichtsreich gestaltet zu yaben. Die Gegensätze zwischen Süddeutschland und oem Nor den sind sehr groß. Wollte man daher die Frage mit allem Nachdruck betreiben, so wäre zu befürchten, daß das Reich in heftige Verfassungskämpfe gestürzt würde. Gleichwohl wäre es falsch, diese Konferenz etwa als wertlos zu erachten. Die Länder müssen dem Reich die Frage vorlegen, ob es so, wie bisher, weitergehe, daß das Reich den Ländern immer neue Aufgaben aus erlegt, ohne die erforderlichen Mitel bereitzustellen. Geht es so weiter, so must der Zeitpunkt kommen, wo ein Land nach dem anderen lebensunfähig wird, und schließlich würde das Reich nur lebensunfähige Gebilde zu übernehmen haben. Auch Sachsen ist im Laufe der letzten Fahre immer mehr vom Reich her eingeengt und geschädigt worden. Durch die Steuerschlüsselungen must Sachsen 15 Millionen seines Aufkommens abgeben, 4 Millionen allein an Bayern, während das Reich auf Grund des Art. 35 des Finanzausgleichsgesetzes nur 13 Millionen an Länder abgibt. Die Lage der Lander must immer schwieriger werden, wenn z. B. das Reich durch die letzte Lex Brüning einem Lande wie Sachsen einen Einnahmeverlust von 17 Millionen verursacht. Das Kernproblem wird immer bleiben das Ver hältnis vom Reich zu Preußen. Würde Preußen aus der vom Ministerpräsidenten Braun ver kündeten Reserve heraustreten, so würden auch die an deren Länder, wenigstens in Norddeutschland, mitgehen können. Preußen scheint aber nicht in die Bresche springen zu wollen. Ministerpräsident Braun bringt Preußen in den Verdacht, daß es abwarten will, bis die übrigen Länder lebensunfähig und wie reife Aepfel ibm in den Schoß fallen und dann ganz Preußen sich als Reich auftut. Das würde der Weg des Zentralismus über ein Eroßpreußen sein: das würde bedeuten, die wertvollen Errungenschaften der Länder auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiete zugrunde zu richten Die Entwicklung zum Einheits staat auf diesem Wege muß ich ablehnen. Ich trete für die Entwicklung zum Einheitsstaat ein, aber unter der Voraussetzung, daß die wirtschaftlichen und kulturellen Errungenschaften der Lander erhalten und gekichert bleiben. Wenn Preußen sagt, daß es keinen Zwang aus üben wolle, so sprechen die Vorgänge bezüglich Ham burgs eine etwas andere Sprache, und die Vorgänge in Magdeburg und Halle bei dem Versuch, ein mitteldeut sches Wirtschaftsgebiet berbeizuführsn, wobei man auch vor Leipzig als einem Teil Sachsens nicht Halt machte, scheinen zwar utopistisch, zeigen aber, wie wenig Rücksicht Preußen auf andere Länder nimmt. So sehr ich mich also verwabre gegen eine zentralistische bürokratische Ent wicklung. so muß ich anderseits doch auch die Stel lungnahme der Länder Bayern und Württem berg als n i ch t d e n Z e i t v e rh ä l t n i s s c n ent sprechend ansehen. Ein Zurück im Sinne der ! Forderungen dieser Länder kann es nicht mehr geben. Man sollte doch nicht durch übermäßiges Ver harren auf Einrichtungen, die nicht mehr haltbar sind, das Berechtigte und Wünschenswerte an dem Länder gedanken gefährden. Sachsen hat schon früher beim Sperrgesetz einschneidende Ersparungsmaßnahmen ge troffen. Auf Grund des Gutachtens des Präsidenten des Staatsrechnungshofes, Schieck, ist Sachsen auch jetzt im Begriff, so einschneidende Reformen in die Wege zu leiten, wie wohl bisher kein anderes Land. Darüber hinaus kommen Verwaltungsverbesserungen in Be tracht, indem mehrere Länder sich auf dem Wege zu ge meinsamen Einrichtungen begegnen. Anderseits sollte aber auch das Reich selbst nicht zu sparen vergessen. Bisher hat sich noch fast immer gezeigt, daß die zen trale Verwaltung des Reiches teurer arbeitet, als die Verwaltung der Län- d e r. Ein deutliches Beispiel bieten dafür die Neichs- bauämter, die mit fünf Aemtern in Sachsen ein Sechstel Bauten vollführen, während Sachsen selbst mit seinen fünf Landesbauämtern fünf Sechstel Bauten, ausführt. Die Länderparlamente beschäftigen sich manchmal mit Dingen, für die das Reich zuständig ist. Sie sollten sich durchaus auf Landesaufgaben beschrän ken. Damit würde vielen Angriffen gegen die Länder parlamente die Spitze abgebrochen werden. Der thüringische Staatsminister Dr. Leuthäuser sprach die Hoffnung aus, daß die Konferenz namentlich für die kleineren und mittleren Länder insofern zu einem Erfolge führen werde, als ihre Vertreter das Gefühl mit nach Hause nehmen könnten, daß das Reich sich seiner Pflicht bemußt sei, auch seine schwächeren Glieder mit allen Kräften zu unterstützen. Der hessische Staatspräsident Ullrich übte Kritik an der nach seiner Auffassung lediglich negativen Ein stellung der Referate. Er unterstrich, daß es kein Zurück geben könne zu dem. was war. Eine solche rückwärts schauende Einstellung sei in den Referaten des bayri schen Ministerpräsidenten Dr. Held und des württem- bergischen Bazille vorhanden. Die Politik des Reiches und der Länder müsse nach vorwärts gehen. Staatspräsident Nemmeke (Baden) behandelte vor allem die Finanzfragen. Er warnte davor, einen ge fährlichen Zentralismus unorganisch betreiben zu lassen, ohne sich über die letzten Konsequenzen klar zu sein. Nachdem der preußische Ministerpräsident Brann sich noch mit einzelnen Diskussionsrednern zu seinem Referat auseinandergesetzt hatte, behandelte der olden burgische Ministerpräsident v. Finckh die aktuellen Probleme unter dem besonderen Gesichtspunkt der olden burgischen Bedürfnisse. Schließlich nahmen in der Vormittagssitzung noch Reichsarbeitsminister Brauns, der Vorsitzende des Mi nisteriums von Lippe, Präsident Drake, der Minister präsident von Anhalt, Deist, und der Vorsitzende des braunschweigischen Staatsministeriums, Minister Dr. Jasper, sowie der Staatsminister von Mecklenburg- Strelitz, Dr. Hustaedt, das Wort. Der anhaltische Staatspräsident Deist und der braunschweigische Mi nisterpräsident Jasper sprachen sich für den Einheits staat aus. Zur Reichskonferenz. Wir drinnen einige der hervorragendsten Teil nehmer der Konferenz im Bilde, und zwar von links nach rechts, oben beginnend- Bazille, württembergisch-r Staatspräsident; Held, bayerischer Ministerpräsident; Braun, pieußischer Ministerprändent; Stützet, bayerischer Minister des Innern; Höpker-Aschoff, preußischer Jinan,-Minister; Apelt, sächsischer Minister des Innern; Schmit, badischer Finanzminister; Peter en, Oberbürgermeister von Hamburg. Die Kriegsgefahr aus dem Balkan. teresse, das Mussolini schon seit längerer Zeit den Un- s garn entgegenbringt, zur Genüge bekannt ist. Die l Gründe für diese Einstelluna Italiens liegen klar auf 18 Januar 1928 Am Neujahrstage wurden von österreichischen Zoll beamten in der steirisch-ungarischnn Grenzstation St. Gotthard 5 Waggons beanstandet, die bereits auf ungarisches Gebiet hinübergerollt waren. Zu spät hatten die Oesterreicher gemerkt, daß die von Verona in Italien über Tschechisch-Neustadt nach Polen be stimmte Sendung, nicht wie auf dein Frachtbriefe stand, Maschinen, sondern Maschinengewehrteile enthielt. Die Maschinengewehre waren, wie die Regierung in War schau ausdrücklich erklärt hat, nicht für Polen bestimmt, da dieses seine Waffen entweder selbst herstellt, oder sie aus Frankreich, nicht aber aus Jta licn bezieht. Es hat sich mithin um eine Deckadresse gehandelt, man nimmt wohl mit Recht an, daß die Maschinengewehre in Ungarn selbst bleiben und hier nur be schlagnahmt werden sollten, um nicht wieder heraus gegeben zu werden. Es liegt somit aller Wahrschein lichkeit nach ein Täuschungsmanöver vor: man wollte den Vertrag von Trianon umgehen, der Ungarn aus drücklich die Einfuhr von Waffen verbietet. Diese Lö sung ist umso wahrscheinlicher, als die Waffen ge rade aus Italien komm.cn und dns große In der Hand und hängen mit M u f f o l i n i s Balkan politik zusammen. Die einst guten Beziehungen Roms zu Jugoslawien sind dahin, Mussolini arbeitet mit allen Kräften darauf hin, Jugoslawien von allen Seiten a b z u s ch l i e ß e n: er hat daher bereits mit Albanien einen Vertrag geschlossen und bereitet weitere Abmachungen mit Griechenland und Bulgarien vor. Angriffe gegen Mussolini im österreichischen Nationalrat. Italien als Friedensstörer. Der Waffentransport von St. Gotthard wurde gestern im österreichischen Nationalrat im Rahmen der Debatte über das Kriegsgerätegesetz, das vor der Auf hebung der interalliierten Militärkontrolle verabschie det wird, von den Sozialisten zur Sprache gebracht. Der sozialistische Redner Dr. Ellenbogen machte darauf aufmerksam, daß zwar Oesterreich dem Friedensvertrag entsprechend völlig wehrlos gemacht worden sei, daß aber die Siegerstaaten die von ihnen übernommen- Verpflichtung, abzurüsten, nicht erfüllt hätten. Das be weise u. a. der Vorfall von St. Gotthard. Dasselbe Italien, daß bei Oesterreich die Abrüstung auf das eifrigste betrieb, sei einer der Staaten, die in leiden schaftlicher Weise aufrüste. Italien sei sogar ein Staat, von dem ganz Europa und die ganze Welt wisse, daß es einen Krieg mit vollem Bewußtsein vorbereite. Dis italienischen Feindseligkeiten richteten sich einmal gegen Frankreich und zum anderen gegen Jugoslawien. Die Rüstungen, die von Italien gegen Jugoslawien getrie ben würden, fänden u. a. ihren Ausdruck in dem Ver such, einer Maffcnsendung über österreichisches Gebiet nach Ungarn. Was sich hier abspiele, könne man nur als eine Verschwörung Italiens mit Ungarn gegen den europäischen Frieden bezeichnen. Gegen Jugoslawien seien die Kriegsvorbe reit u n g e n bereits so weit gediehen, daß im ver gangenen Halbjahr der Kriegsausbruch unmittelbar bevorzustehen schien. Der Redner erklärte dann im Gegensatz -m der Rede des Bundeskanzlers Dr. Seipel, daß auch Oe st erreich durch die ungarischen Rüstungen bedroht werde. Es unterliege keinem Zweifel, daß die gegenwärtigen Leiter der italienischen Politik Oesterreich in einem Krieg gegen Jugoslawien als Aufmarschgebiet benützen würden. Aus der faschi stischen Presse «ehe hervor, daß Italien den Anlaß eines Kriegsausbruchs dazu benutzen wolle, um zu Südtirol auch Nordtirol zu bekommen. Auf die Rede Ellenbogens wurde weder von feiten der Regierung, noch von feiten der bürgerlichen Par teien etwas erwidert. Für Sie paneuropäische Anion. 18. Januar 1928 Im „Matin" beschäftigt sich Sauerwein mit dem panamerikanischen Kongreß und weist in diesem Zu sammenhang darauf hin, daß auch ein pan euro päischer Zusammenschluß nötig sei. Europa, so meint er, drohen ungeheure Gefahren, eine soziale Revolution, -ein Krieg und der Sturz von seinem bis herigen Range eines Kontinents. Vor diesen drei Ge fahren könne allein die Vereinigung der euro päischen Nationen bewahren. Gegenüber Sow- jetrußland handle es sich nicht darum, eine Politik der Intervention zu betreiben, sondern nur eine Politik der Einheitsfront., Was den Krieg anlange, so bedeute er angesichts der Entwicklung der Technik die Vernich tung der zivilisierten Bevölkerung. Die dritte Gefahr bestehe darin, daß Europas Unabhängigkeit gefährdet und es von der Kolonisierung durch die anderen Kon tinente bedroht sei. Auf zwei panasiatischen Kongressen sei bereits eine moralische Einheit der Elitevölker dieses Kontinents geschaffen worden. Die Macht Amerikas wachse mit Riesenschritten. Zwecks Erhaltung des Frie dens und des Gleickigewichts in der Welt müsse E u - ropa erhalten bleiben. Voraussetzung hierfür sei. daß es seine Streitigkeiten beiseite lasse. Zum Schluß schlägt Sauerwein für die P a n europäische Union folgende Etavpen vor. 1. Ge währleistung der Sicherheit durch Ausdehnung des L o c a r n o - S y st e m s auf den ganzen Kontinent. 2. W i r t s ch a f t s e n t c n t e für Produktion und V e r b r a u ch mit progressivem Verschwinden d e r Z o l l g r e n z e n. 3. Zusam menschluß der europäischen Länder durch vorhergehende Staatengruppen wie beispielsweise Frankreich und sei ner Alliierten, nämlich Polen, die Kleine Entente und Belgien. Der Beitritt zu diesem Staatenblock müsse allen anderen Ländern offen bleiben. KriMchs ArLettslaE in Psien. 18 Januar >928 Wie verlautet, hat sich die Arbeitstage in letzter Zeit in Polen wesentlich verschärft. Die Zahl der Ar beitslosen. die am 31. Dezember 1927 insgesamt 206 617 betrug, ist innerhalb der letzten 14 Tage um 24 881, also mebr als 10 Prozent, gestiegen. Ferner beginnen iu allen Teilen die Lohnstreitigkeiten einen immer ernsteren Charakter anzunehmen und fast täglich brechen in den verschiedensten Unternehmungen größere und kleinere Streiks aus. In Posen streiten in der Haupteisenbahnwerkstütte 4000 Arbeiter. In Ostrow traten in einer großen Ziegelei 250 Arbeiter in den Ausstand. Des weiteren legten in der Hohenlohe-Hütte in Oberschlesien und in der Fabrik Wanta der größte Teil der Belegschaft die Arbeit nieder. In Oberschle sien siebt ein allgemeiner Bergarbeiterstreik bevor. Der Bergarbeiternrband hat eine Erhöhung der Löhne um 25 Prozent gefordert, deren Bewilligung sehr unwahr scheinlich ist, so daß man mit einem bevorstehenden Ausbruch eines großen Streiks rechnet. Die Krise auf dem Arbeitsmarkt wird auf die allgemeine Teuerung, besonders der Lebensmitel. in Polen zurückgeführt. Die Verfolgung -eutfcher Pazifisten 18 Januar 1928 Der ständige Nerwaltungsausschuß der französischen Friedensgesellschaften hat eine scharfe Protestentschließung Pgegen die gerichtliche Verfolgung deutscher Pazifisten wegen Hochverrats angenommen. In dieser Entschließung wird erklärt, daß die französischen Friedensgesellschaften sich in keiner Weise in die deutsche Politik einmischen oder Kritik an den Grundlagen des Verfahrens üben wollen. Immerhin müßten sie die Reichsregierung und das ge samte deutsche Volk darauf aufmerksam machen, welch un geheuer schlechten Eindruck diese gerichtlichen Verfol gungen im Auslande und besonders in Frankreich ge macht haben. Diese Verfolgungen scheinen dem Aus land vollkommen in Widerspruch zu stehen zur Friedens politik von Locarno, Thoiry und Genf und geben den französischen Nationalisten abermals Anlaß, den Friedens willen Deutschlands zu beargwöhnen.