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Der Unsinn -es Dawes-Plans. 30. Dezember 1S27 Die Frage einer Revision des Dawesplanes wird in der französischen Presse weiter eifrigst erörtert. St. Brice erklärt im „Journal", daß eine Revision des alliierten Schuldenproblems und der Reparations zahlungen unvermeidlich sei. Poincare habe wohl juristisch recht, wenn er be haupte, daß die deutsche Reparationsschuld 132 Mil liarden betrage. Ebenso wie Staatssekretär Mellon, wenn er betone, daß eine Verbindung zwischen den alliierten Schulden und den Reparationszahlungen un möglich sei. Aber die Tatsachen wider sprechen dem juristischen Standpunkt, denn selbst wenn Deutschland andauernd 2Vs Mil liarden Goldmark jährlich leisten würde, könnte es nie mals eine Schuld von 132 Milliarden abzahlen, son dern im Gegenteil, seine Schuld würde ständig, trotz der Abzahlungen steigen. Andererseits hänge die Zahlungsfähig keit der Alliierten von den deutschen Repara tionsleistungen ab, so datz vom praktischen Standpunkt aus sowohl eine Reparationszahlung von 132 Mil liarden als auch die bisher vorgesehenen alliierten Zah lungen undurchführbar seien. Das von den Vereinigten Staaten angenommene System für die Schuldenzahlungen sei übrigens ein wirtschaftlicher Nonsens, da Amerika, das im Gelbe er sticke und für seine Waren Käufer benötige, von Europa Zahlungen in Goldwert verlange. Das alles könne auf die Dauer nicht anhalten. Führende amerikanische Persönlichkeiten hätten längst diesen Eindruck gewonnen und versuchten es auch, auf die Regierung der Vereinigten Staaten einen Druck auszuüben. Der offiziöse „Excelsior" bemerkt zu der Meldung des New Pork Herald, datz man auf keinen Fall mit der Revision des heiklen Schuldenproblems vor dem Abschlutz der Wahlen in Deutschland, England und Frankreich rechnen könne. 36. Dezember 1927 Die „Volonte" entwickelt die Auffassung, datz die Vereinigten Staaten sich gezwungen sehen werden, das Reparationsproblem mit dem interalliierten Schulden problem zu verbinden, denn nur durch eine allgemeine Schuldenregelung könnten die Vereinigten Staaten in den Besitz jener Summen gelangen, die sie den Alliier ten während des Krieges vorgeschossen haben. Griechisch - ilalienisches Bündnis? Die Romreise des griechischen Autzenministers. 30. Dezember 1927 Der Athener Korrespondent der „Times" berichtet, datz die im Zusammenhang mit dem Besuch des griechi schen Autzenministers in Rom in Umlauf gesetzten Be hauptungen, datz der Abschlutz eines Freund schafts- und Sicherheitspaktes zwischen Italien und Griechenland während des Aufenthaltes von Michalakopulos in Rom er örtert wurde, nicht zutreffen. Die Unterhaltung zwischen dem griechischen Aussenminister und Musso lini hätte sich auf die Erhaltung und Verstär - kung der gegenwärtigen kordialen Be ziehungen zwischen beiden Ländern beschränkt. Der Abschlutz eines Paktes durch Griechenland würde die Zustimmung von Erotzbritannien und Frank reich benötigen. Die griechische Politik sei vielleicht einer Modifikation fähig, wenn es sich als unmöglich erweisen sollte, in Jugoslawien zu einer Ueber einstimmung zu gelangen. Hierzu berichtet der römische Korrespondent des „Daily Telegraph", datz die Besprechungen zwar nur den allgemeinen Beziehungen zwischen Rom und Athen galten, tatsächlich auf eine Art Schema für eine griechisch-italienische Alliance hinauslaufen. Ein solches Bündnis würde allerdings keinerlei Spitzen gegen Bulgarien oder die Türkei ent halten, mit denen Italien in besten Beziehungen stehe. Ebensowenig würde ein italienisch-griechisches Abkommen gegen Jugoslawien gerichtet sein, mit dem Mussolini, trotz des kürzlichen diplomatischen Konflik tes, die Beziehungen zu verbessern, keinesfalls aber noch zu verschlechtern wünsche. worden sind, sind noch immer nicht behoben. Der Kanaldien st zwischen Dover und Calais konnte noch nicht wieder ausgenommen werden. Da gegen wurde zwischen Folkestone und Voulogne ein Notverkehrsdienst eingerichtet, der außerordentlich stark in Anspruch genommen wird. Unter den wegen der Verkehrsstörung auf französischer Seite aufgehaltenen Reisenden befindet sich auch der französische Botschafter in London de Fleuriau. Im Telephonverkehr zwischen England und Deutschland sind nur geringe Störungen zu verzeichnen. Nach Meldungen des englischen Post ministeriums war gestern nur die Linie nach Bremen unterbrochen. Dagegen sind alle fünfzehn Telephon linien nach Paris gestört, ebenso die Verbindung mit Zürich, Basel, Lille und Calais. Schneestürme in der Bukowina. 30. Dezember l927 Der Verkehr zwischen Rumänien und Polen ist wegen heftiger Schneestürme in der Bukowina seil gestern eingestellt worden. Vereisung -er Meere. Infolge zunehmender Vereisung sind die Leucht schiffe und Leuchtbojen im Kattegat eingezogen mor den. Die Schifafhrt ist noch nicht ernstlich behindert. Es werden alle Anstrengungen gemacht, um die däni schen Fahrwasser eisfrei zu halten. Der Fernverkehr stützt bereits auf Schwierigkeiten. Zwischen der Insel Röm und dem Festlande ist die Eisdecke so stark, datz sie bereits mit Autos befahren werden kann. Ein slywedischer Dampfer gestrandet. Bei Horn Back ist der große schwedische Dampfer Ludwig Bayern gestrandet. Vorläufig ist es wegen des Eises unmöglich gewesen, mit dem Fahrzeug in Ver bindung zu kommen. Nolmahnahmen im englischen Bergbau. 30 Dezember 1927 Ein Ausschuß der Grubenbesitzer von Südwales und Monmouthshire hat einen Vorschlag für die Ein führung von Minde st kohlenpreisen aus gearbeitet, der am nächsten Donnerstag einer Vollver sammlung der beteiligten Gesellschaften unterbreitet werden soll. Die Mindestpreise sollen einer Absatz steigerung dienen und zugleich ein befriedigendes Ar beiten der Gruben erlauben. Die Werke, die zum großen Teil auf Auslandsabsatz angewiesen sind, dürfen nach dem Vorschlag nicht unter den Mindestpreisen ver kaufen. Ein Bruch dieses Abkommens soll durch Zah lung einer Abgabe von 2 Schilling je Tonne geahndet werden. Ist ein Schacht nicht in der Lage, zu den fest gesetzten Preisen zu fördern und mutz deshalb den Be trieb einstellen, so wird während der Stillegungszeit eine Vergütung von 2 Schilling je Tonne auf Grund lage der normalen Förderung gezahlt. Eine allgemeine Abgabe soll die dafür benötigten Gelder aufbrinqen. Die Annahme dieses Vorschlages wird allerdings nur eine Erleichterung für die am schwersten betroffe nen Erubenbezirke bringen. Die Schwierig keiten für den gesamten Bergbau wer den dadurch nicht gelöst. Der Kreis der Befür worter eines großen Kohlentrusts mit grundlegenden organisatorischen Veränderungen wird immer größer. Schwere Stürme und Feuersbrünste in Japan. 30. Dezember 1927 Nach Meldungen aus Tokio haben schwere Stürme in Japan großen Schaden angerichtet. Fünf hundert Häuser find von dem Sturm vernichtet wor den. Aus vielen Orten kommen ferner Meldungen über große Feuersbrünste, die etwa dreihun dert Häuser in Schutt und Asche legten. Die Zahl der Obdachlosen wird mit 16VV angegeben. Sechs Personen find in den Flammeri umgekommen. Noch immer arohe Verkehrsstörungen in England. 30. Dezember 1927 Die Störungen im englischen Eisenbahnverkehr, die durch die außergewöhnlich heftigen Schneestürme und die strenge Kälte der letzten Tage hervorgerufen Die neue Kältewelle. 30. Dezember t927 Die neue Kältewelle macht sich in Frankreich durch eine empfindliche Senkung der Temperatur be merkbar. So wurden heute morgen in Paris 5 und in der Umgebung von Paris 7 bis 8 Grad und in Le Havre 6 Grad Kälte gemessen. Dagegen wurden in Marseille 8 und in Nizza 9 Grad Wärme verzeichnet. Während der letzten 24 Stunden hatte Nordfrankreich weitere Schneefälle zu verzeichnen. Die Verbindungen zwischen Paris—Löwen—Brüssel und London sind noch immer teilweise gestört, dagegen hat der Sturm im Aermelkanal etwas nachgelassen, so datz gestern das erste Schiff von Voulogne abgehen konnte. Der strenge Frost in Holland dauert an. Die Schifahrt liegt infolge Zufrierens der Kanäle zum großen Teil still. Bei Hengelo ist ein Deich auf einer Länge von 50 Meter durchgebrochen. Ein großer Land strich ist überschwemmt, zahlreiche Gehöfte wurden durch Hochwasser abgeschnitten. Die Bauern mutzten zum Teil ihre Häuser verlassen. Verproviantierung südenglischer Dörfer durch Flug zeuge. Die englischen Behörden sandten Flugzeuge aus, um Westerham und die benachbarten Dörfer in der Grafschaft Kent, die durch die Sch nee - m assen von der Außenwelt abgeschnit- t e n sind, mit Lebensmitteln zu versehen. Da die Flug zeuge im Schnee nicht landen konnten, warf man die Lebensmittel in Säcken ab, die an Fallschirmen be festigt waren. Lawinensturz an der italienisch-französischen Grenze. Bei Skillbungcn auf der Hochebene von Claoieres, an der italienisch-französischen Grenze, wurde eine Gruppe italienischer Offiziere und Soldaten des l. Ke- birgsartillerieregiments von einer Lawine überrascht und ein Inspekteur sowie zwei Offiziere verschüttet. Ein Leutnant war tot, ein anderer hatte leichtere Ver letzungen, während der dritte unverletzt blieb. Heftiger Wirbelsturm über Civitavecchia. Ueber Civitavecchia Hal am Mittwoch ein heftiger Wirbelsturm gewütet, der in der ganzen Stadt und im Hafen großen Schaden angerichtet hat. Ein Segelschiff soll mit der ganzen Besatzung untergegangen sein. Gleichzeitig wütete ein heftiger Wirbelwind in den Lagunen von Venedig. Verkehrsstörungen durch Schneewetter in Ungarn. Infolge der neu eingesetzten Schneewehen leidet der Verkehr im ganzen Lande außerordentlich. Auf der Strecke Budapest—Szoblnok blieb der Zug auf Strecke stehen. Die Linie nach Keczkemet ist mit I V2 Meter hohen Schneeschicht bedeckt. 150 Arbc^ versuchen vergeblich, die einen Kilometer lange Stri bloszulegen, da der Sturm die Strecke immer v. neuem verweht. Wolfsplage. Nach Meldungen aus den östlichen Grenzgebieten Polens nimmt dort die W 0 lfsplage wieder über Hand. Die Wölfe dringen in manchen Ortschaften in großen Rudeln bis dicht an die menschlichen Behausun gen vor und überfallen Menschen und Vieh. In der Nähe von Wolkowysk wurde ein Bauer von Wölfen überfallen und zerrissen. Auf der Straße zwischen Nowojelnia und Nowogrodek wurden zwei Frauen von Wölfen angefallen. Durch vorllberfahrends Bauern konnten die beiden Frauen jedoch noch gerettet werden Im Grenzgebiete sind ferner eine große Reihe von Schmugglern von Wölfen überfallen und zerrissen wor den, ohne daß nähere Einzelheiten darüber festgesteNt werden konnten. Nach Meldungen aus Budapest wagen sich die durch Hunger und überaus große Kälte zum äußer sten gebrachten Wölfe bis in die trans sylva nischen Dörfer, wo sie unter den Schaf herden erheblichen Schaden anrichten. ' Die Erdbebenwarte Hohenheim registriert ein starkes Erdbeben. Der Seismograph der Erdbebenwarte Hohenheim verzeichnete vorgestern abend ein starkes Fern beben, dessen Herd sich in einer Entfernung von etwa 8100 Kilometer, wahrscheinlich im Golf von Alaska, be findet. Die ersten Erderschütterungswellen traten in Hohenheim um 19.32.1 Uhr, die Hauptwellen um 20.02 Uhr ein. Die Aufzeichnung der Wellenbewegung dauerte etwa 2 Vs Stunden. * Ein deutscher Dampfer an der schwedischen Küste gestrandet. Der Dampfer „Leda" aus Bremen ist an der schwedischen Küste bei Vinga gestrandet. Das Schiss befindet sich in gefährlicher Lage. Der Bergungsdampfer „Harald" ist zur Unterstützung an die Strandungsstelle beordert worden. Zur Verwaltungsresorm in Sachsen Von Dr. Külz, Reichsminister a. D. 30. Dezember 1927 Mit einer gründlichen und ausgezeichneten Denk schrift ist der Präsident des sächsischen Staatsrechnungs Hofes, Schiek, dem Problem der Verwaltungsreform, soweit sie eine Ländersache ist, auf den Leib gerückt. Wenn seine konkreten Vorschläge naturgemäß sich aus speziell sächsische Verhältnisse beziehen müssen, so sind doch seine grundsätzlichen Erörterungen der allgemeinen Beachtung auch in anderen Ländern wert. Ziel jeder Verwaltungsreform ist, wie Schiek zu treffend ausführt, eine nach innen und außen möglichst einfache und übersichtliche Behördenorganisation, die mit den geringsten Mitteln den größten Nutzen erreicht. Zur Erreichung dieses Zustandes fordert Schiek die Er füllung folgender sehr richtiger Grundsätze: Die Ver waltung gehört grundsätzlich in die unteren Instanzen Die Ober- und Mittelbehörden sind durch weitgehende Dezentralisierung möglichst von Verwaltungsgeschästen zu befreien. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit der zahlenmäßigen Verringerung dieser Behörden. Eine Verringerung der Zahl der unteren Verwaltungsbehör den ist möglich, wenn man zu einer Neueinteilung der Bezirke schreitet, deren Abgrenzung aus einer längst überholten Zeit stammt. Richtig ist auch der weitere Grundsatz, daß dort, wo für Aufgaben, die jetzt das Land durch eigene Behörden auf seine Kosten erledigen läßt, Reichseinrichtungen zur Verfügung stehen, das Land sich ihrer in möglichst weitem Umfange zu be dienen hat. Ferner können Vereinbarungen mit dem Reiche und auch den größeren Städten getroffen wer den, durch die das gegenwärtige Nebeneinanderbestehen völlig gleich gearteter Dienststellen vermieden wird. Von sonstigen Einzelheiten abgesehen ergeben sich gegenüber zwei Vorschlägen grundsätzliche und praktische Bedenken. Schiek will das allgemeine Veamtenwesen vom Ministerium des Innern abtrennen und, wie dies beim Reich der Fall ist, auf das Finanzministerium übertragen. Die umgekehrte Tendenz ist richtig. Wir müssen auch beim Reich dahin gelangen, das Beamten wesen ganz beim Ministerium des Innern zu zentrali sieren. Bisher waren allerdings die Probleme des Beamtenwesens solche finanzieller Natur, aber für die Zukunft und für normale Verhältnisse hat die Be amtenpolitik des Reichs und der Länder primär andere Aufgaben zu erfüllen, sie liegen auf dem Gebiete der Schaffung und Handhabung eines modernen Beamten rechts, einschließlich Dienststrafverfahren und Beamten Vertretung. Alles das gehört aber naturgemäß an die Zentralstelle, die für den Aufbau und das reibungslose Funktionieren des Staatsorganismus verantworrltth ist, das ist das Ministerium des Innern. Schiet sucht berechtigterweise noch Sicherungen gegen zu große Ausgabefreüdigkeit des Parlamems und verlangt, daß gegen einen neue Ausgaben erfordernden Beschluß des Landtags der Einspruch der Regierung möglich ist und über diesen Einspruch nur mit quali fizierter Mehrheit hinweggegangen werden darf. Das klingt an sich sehr wirkungsvoll scheitert aber daran, daß der Landtag ja jede ihm du-ch einen solchen Einspruch unbequem werdende Regierung mit ein facher Mehrheit stürzen kann Die nächste Zukunft wird scheu zeigen, ob Regie rung und Landtag tatsächlich den entschiedenen Wisse» zu einer wirklichen Reform aufbringen. Die Denk schrift von Schiek hat eine vorbehaltlich der kritische» Prüfung von Einzelheiten doch im allgemeinen außer ordentlich wertvolle Grundlage zu einem entsprechen den gesetzgeberischen Vorgehen geschaffen; nunmehr ist die Lösung des Problems in erster Linie eine Fraje des politischen Wollen».