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Wirlschastssrie-en in England? >3. Januar 1928 Aus London wird gemeldet: Nach der gestrigen ersten gemeinsamen Konferenz von Vertretern der eng lischen Industrie uno der Gewerkschaften über die Her stellung eines industriellen Friedens in England wurde ein sehr ausführlicher Bericht ausgegeben, in dem zu nächst darauf hingewiesen wird, daß die Arbeitgeber als Einflußpersonen und nicht als Vertreter von Vereinigungen, nicht einmal als Repräsentanten ihrer Konzerne erschienen seien. Dem Eeneralrat der Gewerkschaften wurde die gleiche Handlungsfreiheit zu gestanden. Sir Alfred Mond, schlug für die Arbeit geber vor, in eine Prüfung der Fragen einzutreten, in denen eine praktische Zusammenarbeit geeignet erscheint und eine bessere Organisation der Betriebe, u. a. durch Nationalisierung und Einführung neuer Arbeitsprozesse möglich sei. Als zunächst für eine gemeinsame Untersuchung geeignet bezeichnete Sir Alfred Mond folgende Fragen: Die Einwirkung der nationalen Steuern und Abgaben auf die Entwick lung der Industrie, die Ursachen für die industriellen Konflikte und der beste Weg ihrer Vermeidung, Be teiligung der Arbeiter an den Fortschritten der Indu strie auf der Basis, daß der Arbeiter an der allgemeinen Prosperität der Industrie teilhaben soll und schliesslich Errichtung eines stän digen Komitees, das von Zeit zu Zeit zusammentritt, und sich mit den die Industrie im Augenblick am meisten interessierenden Fragen befassen soll. Der Vorsitzende des Generalrates der Gewerkschaf ten Turner erwiderte, daß der Eeneralrat der Gewerkschaften eine Untersuchung auf der Grundlage der gemachten Vorschläge begrüße. Ferner kündigte Turner die Einsetzung einer Kommission des Eewerkschaftsrats zur Prüfung der Vorschläge an. Am Schluß der dreistündigen Aussprache regte Mond die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission an, die weiteres vereinbaren soll. Auf feiten der Arbeitgeber haben an der Konferenz 27, von den Gewerkschaften 29 Vertreter teilgenommen. Der Verlauf der ersten Besprechung wird allge mein als durchaus befriedigend angesehen und hat bei beiden Seiten offensichtlich die Hoffnung auf ein gün stiges Resultat gestärkt. Am die Nationalisierung des englischen Bergbaues. Aus London wird gemeldet: Während in führen den Kreisen der Arbeiterpartei und der Gewerkschaften als Vorbereitung für die am 20. Januar zusammen tretende Konferenz der Exekutive beider Organisa tionen ein weitgehender Nationalisierungsplan im eng lischen Bergbau erörtert wird, aber wie es scheint heftig umstritten ist, haben am Bergbau interessierte Abge ordnete einen Plan ausgearbeitet, der die Nationali sierung der Gruben durch Staatsmittel bis zur Höhe von üVo Milliarden Mark vorsieht. Hierbei scheint es sich aber mehr um die Popularisierung der Idee der Nationalisierung des Bergbaues als um die Erörte rung praktischer Vorschläge zu handeln. Die wirtschaft lich denkenden führenden Persönlichkeiten der Arbeiter partei sind gegen die Nationalisierung in dieser allge meinen Form und warnen davor, für die Wahlkam pagne ein Wirtschaftsprogramm aufzustellen, das all zusehr von sozialistischen Doktrinen durchtränkt ist und breite Angriffsflächen bietet. Neuwahlen voraussichtlich Anfang 1929. Obgleich alle möglichen Kombinationen für die Durchführung von Neuwahlen noch in diesem Jahre austauchen, ist im Augenblick doch nur sicher, daß die Neuwahlen nicht später als Anfang 1929 stattfinden werden. Die politischen Parteien bereiten sich für die kommende Wahlkampagne eifrig vor und stellen sich dabei allerdings auf die Möglichkeit früherer Wahlen, etwa im Spätherbst, ein. Amerika besteht auf dem Wettfriedenspakt. 13. Januar 1928 Wie verlautet, enthält die amerikanische Antwort note an Frankreich bezüglich des Antikriegspaktes die Forderung, daß auch England, Deutschland, Italien und Japan zum Abschluß von Antikriegsverträgen ein- gelnden werden, da ein solcher Vertrag zwischen Ame rika und Frankreich allein nutzlos bleiben müßte. Vor der Veröffentlichung der Kelloggnote an Frank reich. Wie zu der gestern am Quai d'Orsay überreichten amerikanischen Note verlautet, wird der Wortlaut der selben im Laufe des heutigen Tages veröffentlicht wer den. Die Antwort Kelloggs wird in freundschaftlichen Ausdrücken gehalten sein. Trotzdem wird versichert, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vereinig ten Staaten und Frankreich nach wie vor bestehen. An geblich soll die Antwort Kelloggs eine Anspiegelung auf die französische Forderung enthalten, den Kriegs verzichtpatt auf Angriffskriege zu beschränken. Man er wartet, daß die französische Regierung einen neuen Brief au Kellogg senden wird. Frankreichs Anlworlnole. 13 Januar l928 Wie der osfiziöse „Petit Parisien" mitzuteilen weiß, wird die Antwort der französischen Regierung auf die letzte Note Kelloggs in der Frage eines Kriegs verzichtes wahrscheinlich noch heute erfolgen, so daß dann die Veröffentlichen mit der Note Kelloggs gleich zeitig stattfinden könnte. Am Quai d' Orsay wird darauf hingewiesen, vaß die Note Kelloggs nicht mehr dem Stand der Verhand lungen entspreche, da seit der Ueberreichung derselben mündliche Verhandlungen stattgefunden haben, die die Diskussion bereits weiter entwickelten und es der fran zösischen Regierung ermögliche, ohne Verzug antworten zu können. Briand werde erneut die französische Auf fassung über die Notwendigkeit, den Verzicht auf den Angriffskrieg zu beschränken, betonen, jedoch be stehe der Eindruck, daß nichtsdestoweniger die Verhand lungen fortgeführt werden können. Ueber die Note Kelloggs erklärt man an französischer zuständiger Stelle, daß diese keineswegs einen Abbruch der Verhandlungen bedeute. Im Gegen teil spreche die Note den Wunsch aus, die Verhandlun gen zu einem Ergebnis zu führen. Die Meinungen gingen hauptsächlich noch immer über die Frage des Charakters des Vertrags — zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaren oder am allgemeinen zwischen den Großmächten — und über die Frage der Beschrän kung des Kriegsoerzichts auseinander, ohne daß dabei von der Abfassung eines Wortlautes des Vertrages die Rede gewesen wäre. Im Zusammenhang mit dem Verhalten der radi kalsozialistischen Partei bei der gestrigen Abstimmung in der Kammer, hatte der Unterrichtsmini st er Herriot die Absicht, zu demissionieren, ließ sich aber schließlich von seinen Parteigängern zur Aufgabe dieses Entschlusses bewegen. Wiederaufnahme -er -eutfch-polnifchen Kandelsveriragsverhan-lungen. l3. Januar 1928 Die deutsch-polnischen Handelsvertragsoerhand lungen sind gestern in Warschau wieder ausgenommen worden. Es handelt sich nunmehr um Verhandlungen von Delegation zu Delegation, die nur während der Weihnachtsfeiertage unterbrochen waren. Für die Ver handlungen ist zunächst wesentlich die Klärung der Frage, ob Polen seine Zölle, wie das angekündigt wor den war, valorisieren will oder nicht. Auch eine gestrige offiziöse polnische Auslassung hätte über diesen Punkt noch keine Klarheit verschaffen können. Die Auslassung sprach von einer Umrechnung der Zölle, die, wenn nicht noch Erläuterungen folgen, nur als eine Valorisierung verstanden werden kann. Von der Klärung dieser Frage hängt wesentlich der Fortgang der Verhandlungen über die einzelnen Zollpositionen ab. Im übrigen glaubt man an Berliner zuständiger Stelle die Verhandlungen mit einigem Optimismus verfolgen zu können, warnt jedoch vor übertriebenen Hoffnungen bezüglich des Zeitpunktes ihrer Beendi gung. Die Verhandlungen werden gewiß noch Monate dauern. Ihr Ziel ist bekanntlich ein sogenannter klei ner Handelsvertrag, der zwar nicht alle Punkte des deutsch-polnischen Handels- und Wirtschaftsverkehrs umfaßt, aber doch die wichtigsten Punkte des gegen seitigen Einsuhrinteresses, sowie die Niederlassungs- und Konzessionsfrage regeln soll. Zerstörung -er russischen Kunstausstellung in Brüssel -urch belgische Faschisten. 13 Januar 1928 Die in Brüssel eröffnete russische Kunstausstellung, die an Hand von Reklamen, Photographien, Büchern und anderen Kunstwerken den Aufschwung der sowjet russischen Regierung darstellen sollte, siel der Zerstö rungswut einer hundertköpfigen Menge junger faschi stischer Studenten zum Opfer. Die Ausstellung, die sich über sechs Säle ausdehnte und durch drei Angestellte bewacht war, wurde durch den sich in einer sehr leb haften Straße befindenden Eingang gestürmt. Ein Teil der Menge hielt die Wächter in Schach, während der Rest die Ausstellungsgegenstände vernichtete und den Ausgang bewachte. Die Bilder wurden von den Wän den gerissen und Kunstgegsnstünde vernichtet, unter denen sich auch die Büste Lenins befand. Selbst die elektrische Leitung wurde zerstört-. Nur die Büchersamm lung wurde einigermaßen verschont. Die Szene dauerte nur fünf Minuten, als sich auf einen Pfiff des An führers hin die ganze Bande zurückzog, ohne daß die Polizei eingeschritten war. Die Polizei wurde von dem Uebersall benachrichtigt und hielt einen Lokaltermin ab. Da die Angreifer jedoch nicht bekannt sind, konnte bisher zu keiner Verhaftung geschritten werden. Das amerikanische Flottenbauprogramm. Washington, 13. Jan. Marinesekretär Wilbur teilte im Marineausschuß des Repräsentantenhauses mit, das Marineamt habe ein umfassendes 20jähriges Bauprogramm entworfen, wovon das bereits gemeldete 725-Millionen-Programm nur einen Teil bilde. Das Gesamtprogramm koste 3 Milliarden Dollar. Dr. Brauns im HaushaUsausschlch -es Reichstages. 13. Januar 1928 Keine Steigerung der gesetzlichen Mieten in absehbarer Zeit. Der volksparteiliche Abgeordnete Dr. Kahl, der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses des Reichstages, warnte, nicht alle gesetzgeberisch wünschenswerten Maß nahmen im Reichstag aus einmal in Angriff zu neh men. Ein Trümmerfeld von Gesetzesvorlagen sei schon jetzt die Folge des Drängens durch Anträge im Plenum. Der Uebergang der Justizhoheit von den Ländern auf das Reich sei eine Frage, die nicht isoliert gelöst wer den könne. Unverantwortlich sei es, wenn noch heute von einer Vertrauenskrise in. der Justiz gesprochen werde. Das sei eine objektive Unwahrheit. Hierauf nahm Reichsjustizminister Hergt nochmals das Wort, um sich gegen eine Verallgemeinerung der Kritik an Gerichtsurteilen zu wenden. Im Falle Zeltin sei vor her nicht berichtet worden. Der Oberreichsanwalt habe nach Prüfung des Falles sofort die Aufhebung des Haft befehls veranlaßt. Der Justizhaushalt wurde ge nehmigt. Der Ausschuß wandte sich dann dem Etat des Reichsarbeitsministeriums zu, dessen Beratung Reichs arbeitsminister Dr. Brauns einleitete. Der Minister wies darauf hin, daß die gute Konjunktur wesentliche soziale Fortschritte erleichtert habe. Die Innehaltung der Arbeitsverträge werde mehr als früher gewähr leistet durch die Einführung der Arbeitsgerichte, die reibungslos vor sich geht. Der Arbciterschutz habe eben falls eine wesentliche Ausgestaltung erfahren. Der Gedanke der Verwaltungsreform werde auch auf dem Gebiete der Sozialversicherung Anwendung finden müssen. Die Arbeitsmarktentwicklung sei in letzter Zeit ungünstig. Das erkläre sich in der Hauptsache aus den winterlichen Wirtschaftsverhältnissen. Der Minister er örterte weiter die Bestrebungen zur Verbilligung des Bauens. Für eine Steigerung der gesetzlichen Miete halte die Reichsregierung den Zeitpunkt in absehbarer Zeit nicht für gegeben. Günstiger als das Wohnungs wesen habe sich das Siedlungswesen entwickelt. Die Kosten des Versorgungswesens würden in der Oeffent- lichkeit unverantwortlich übertrieben. Sie betrügen tat sächlich nur 3,5 bis 4 Prozent der Ausgaben für die gesamte Militärversorgung. Der Minister schloß mit der Feststellung, daß auf Jahre schwerster Erschütterung der sozialen Verhältnisse eine schritweise, aber plan mäßige Aufwärtsbewegung erfolgt sei. Das Mieterschutzgesetz vor dem Reichstagsansschuß für Wohnungswesen. Der Reichstagsausschuß für Wohnungswesen setzte gestern die zweite Beratung des Gesetzentwurfes zur Äenderung des Mieterschutzgesetzes fort. Im allgemei nen wurden die Beschlüsse der ersten Lesung bestätigt und Anträge, die eine Äenderung bezweckten, mit den Stimmen der Regierungsmehrheit abgelehnt. Dagegen wurde 8 1 w, der in der ersten Lesung vom Ausschuß gestrichen worden war, in der Fassung der Regierungs vorlage in zweiter Lesung wieder hergestellt. Der 8 1 m entspricht dem für das Mahnverfahren geltenden 8 702 der Zivilprozeßordnung. Ein Hilferuf pommerfcher Landwirte. 13. Januar 1928 In fast allen Kreisen Vorpommerns finden Ver sammlungen von Landwirten statt, in denen man sich mit der Not der Landwirte Vorpommerns beschäftigte. Es wurden Entschließungen gefaßt, in denen eine besondere Pommernhilfe gefordert wird. In Versammlungen der Pächter auf der Insel Rügen und der Halbinsel Jas- mund wurde folgender Verzweiflungsbeschluß gefaßt: „Die Kreditverhältnisse haben sich infolge des kata strophalen Wirtschaftsergebnisses des Jahres 1927 der art zugespitzt, daß Kredite für Pächter überhaupt nicht mehr zu bekommen sind. Es ist selbst unmöglich für Korn handelsüblicher Qualität Geld zu erhalten. Die Pächter stehen vor der Tatsache, daß sie ihre Betriebe nicht mehr wciterführen können, da die Gelder für die notwendigsten Zahlungen, wie Löhne, Versicherungsbei träge, Zinsen usw. nicht mehr bezahlt werden können, ganz zu schweigen von Äbdeckungen irgendwelcher Wechsel. Falls nicht umgehend eine durchgreifende Äenderung dieser Verhältnisse eintritt, sehen sich die Pächter ge zwungen, zum 15. Januar 1928 ihre Arbeiter zu ent lassen und die Betriebe still zu legen. Jede Verant wortung für die sich hieraus ergebenden Folgen lehnen wir ab, da wir unverschuldet in diese katastrophale Lage gekommen sind." Zum Schulkompromitz. 13. Januar 1928 Die „Tägliche Rundschau" komm: in einem Artikel, der zu den Kritiken an den am Mittwoch im inter fraktionellen Ausschuß abgeschlossenen Kompromiß Stellung nimmt, noch einmal auf die Simultan- s ch u lfrage zu sprechen Es wird nochmals fest gestellt, daß in dieser Frage keine Annäherung erzielt worden sei und daß auch vorläufig keine interfraktionel len Verhandlungen in Aussicht genommen seien. Die Verhandlungen würden im Bildungsausschuß weiter gehen, und man werde abwarten müssen, ob im Ver laufe der Beratungen bei dem 8 -0, der die Bestim mungen über die Stmultanschule enthält, entweder eine Lücke entstehen oder die Anträge der Deutschen Volispartei auf Äufrechterhaltung der Simultanschule außerhalb der Koalition eine Mehrheit finden. Die „Germania", die ebenfalls die Frage behandelt schreibt, es sei für das Zentrum ganz untragbar auf eine Siche rung der Simultanschule unter dauerndem Ausschluß der konfessionellen Schule einzugehen. Sie verhehle sich gar nicht, daß gerade wegen dieses Punktes die Lage ernst sei und leicht z u p o ! i t i s ch e n V e r w i ck l u n - gen führen könne. Sie erwarten deshalb, daß eine befriedigende Klärung vor der zweiten Lesung ge sucht werde und auch zustande komme. Unerträglichen Beschlüssen durch eine unhomogene Mehrheit würde sich das Zentrum nicht aussetzen können. Das Zentrum wolle weder einen Druck ausüben noch das Gesetz durch Drohungen erzwingen. Es wolle nichts anderes, als das seine klare kulturpolitische Linie nicht abgebogen und durchbrochen werde. Die Verhandlungen, die dauernd gepflogen würden, bewiesen, daß das Zentrum stets zu Entgegenkommen bereit gewesen sei und weiter bereit sei, aber das eine dürfe ihm nicht verdacht werden, daß es an Forderungen festhalte, die grundsätzlich seien. Wenn es um Fragen der Weltanschauung gehe, müsse klare Bahn sein.