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Ein Sturmvogel. Roman von Berni Lie. Einzig berechtigte Übersetzung aus dem Norwegischen von F. Gräfin zu Reventlow. (Nachdruck verboten.) Frau Bugge rückte näher. Sie wartete bekümmert und gespannt. Ja, nun war die Revolution allen Ernstes da. Kasper Bugge hatte ganz im stillen einen Riesenplan ausgeheckt. Er wollte sämtliche Segelschiffe verkaufen. Do wäre ja an und für sich nichts weiter dabei gewesen, denn sie brachten doch nur Verlust über Verlust, uns da > Geschäft sich so auSdehnie, war für den Schiffsbetrieb weder Zeit noch Platz mehr — aber er wollte statt dessen Dampfschiffe bauen lassen. Wenigstens erst einmal zwei als Ans, ig, die zuerst und vor allem für die Sägemühle und die Fabrik mit Fracht fahren sollten. Der Grubenbetrieb sollte erweitert, die Wasserfälle für neue Anlagen benutzt werden — und dann wollten sie ihre eigenen Produkte selbst nach allen möglichen Weltmärkten verschissen — nach Asien, Asrika und Gott weih wohin sonst noch. Man denke sich nur, was für eine Idee Vor allem das Risiko — das enorme Kapital, das dem Meere anvertraut werden sollte. Denn von kleinen Schissen war ja keine Rede, sondern von Weitsahrern mit 3W0—MM Tonnen — und das war alles so völlig neu, so fremd und übergroß für unsere Verhältnisse. Konsul Arentz saß förmlich leichen blaß da, während er all das auseinandersetzie. „Damit ist er also vorigen Freitag herausgerückt. Aber ich kann es nicht tun, liebe Frau Bugge. Jetzt heißt es biegen oder brechen. Denn diesmal gebe ich nicht nach, auf keinen Fall." Fran Bugge dachte eine Zeitlana nach Dann sagte sie: „Das glaube ich auch. Sie dürfen nicht nach geben lieber Konsul, außer wenn wir sonst irgend — irgendeine Katastrophe riskieren." Konsul Arentz blickte ans, Frau Bugge pflegte sonst niemals nein zu sagen, wenn es sich darum handelte, nach- Jugeben oder aufzuopfern. „Kasper wird bald einen festen Anker im Grund haben, der ihn festhält und seinen unbändigen Drang nach Neuen großen Ausgaben dämpfen wird." Konsul Arentz verstand nicht, was sie mit ihrem Lächeln sagen wollte. Er machte ein fragendes Gesicht. «Ein Kind, lieber Konsul." Neueste Nachrichten« Liebestragödie. Nürnberg, 16. Sept. Am Sonntagabend ereignete sich in dem Städtchen Roth eine furchtbare Liebestragödie. Gegen 8 Uhr abends fuhr ein Mietautobesitzer einen Herrn und eine Dame zum Bahnhof, wobei ihm der Fahrpreis im voraus bezahlt wurde. Kurz vor dem Bahnhof hörte der Führer im Innern des Wagens streitende Stimmen. Er drehte sich um und sah gerade im Scheine einer Slraßenlampe, wie der Mann ver suchte ,sich den Hals durchzuschneiden. Der Krastwagen- lenker bremste sofort und rief um Hilfe. Als er den Wagen öffnete, bot sich ihm ein furchtbarer Anblick. Das Auto war über und über mit Blut bespritzt. In der Ecke lag mit durchschossenem Kopf die Dame. Neben ihr lag der Herr mit einer klaffenden Wunde am Hals. Revolver und Rasiermesser lagen auf dem Polster. Die sofort herbeigerufene Eerichtskommission beschlagnahmte den Kraftwagen und die Leichen. Es handelt sich bei den Toten um einen 38jährigen Händler namens Karl Knorr aus Ingolstadt und um eine 30 Jahre alte Frau Käthe Baumann, ebenfalls aus Ingolstadt. Ein unglückliches Liebesverhältnis dürfte der Grund zur Tat gewesen sein. Großfeuer bei Koburg — 13 Gebäude eingeäschert. Koburg, 16. Sept. Am Sonntagnachmittag gegen 5 Uhr entstand in dem hart an der bayrischen Grenze gelegenen thüringischen Dorfe Nehlitz in der Scheune des Landwirts Vermin ein Großfeuer, das sich mit rasender Schnelligkeit ausdehnte und 13 Gebäude in Schutt und Asche legte. Da durch den Blitz die elek trischen und Tslephonleitungen gestört waren, wurden Hildburghausener Personenautos herbeiqerufen, die es übernahmen, die Feuerwehren der Umgegend zu ver ständigen. Die Löscharbeiten waren durch Wasserman gel arg beeinträchtigt, doch gelang es um 9 Uhr abends, den Brand zum Stillstand zu bringen. Das Vieh konnte gerettet werden, doch wurde der größte Teil des Inven tars, die gesamten Futter- und Erntevorräte sowie die landwirtschaftlichen Maschinen ein Raub der Flammen. Die Geschädigten sind nur gering versichert, so das; sie großen Schaden erleiden. In den Bergen verunglückt. Kufstein. 16. September. Beim Aufstieg auf das Totenkirchl verunglückten fünf Münchener Touristen, da von wurden zwei durch Steinschlag und drei durch Ab sturz schwer verletzt. Beginn der englisch-russischen Verhandlungen. Kowno, 16. September. Wie aus Moskau gemeldet wird, hat die Sowjetregierung eine Mitteilung des eng lischen Außenministers erhalten, nach der die englisch russischen Vorverhandlungen über die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern am 24. September in London beginnen sollen. Die Svw- jetregierung wird gebeten, zu diesem Tage den Botschaf ter Dowgalewski nach London zu entsenden. Neue Massenverhaftungen in Moskau. Kowno, 16. Sept. Wie aus Moskau gemeldet wird, hat dort die O. E. P. U. im Zusammenhang mit der Entdeckung der Eeheimorganisation „Wiedergeburt" 30 Personen verhaftet. Sie sind beschuldigt, Propaganda in der Roten Armee und Roten Marine getrieben zu haben. Bei den Verhafteten sollen Waffen und Sprengstoffe gefunden worden sein. Die Zahl der Verhaftungen in Leningrad und Moskau beläuft sich auf 100. Neue Verhaftungen. Ein weiteres Geständnis. Altona, 16. Sept. Wie das Polizeipräsidium mitteilt, wurde im Laufe des Sonntag der Landrat Franz Luhmann aus Clues bei Winsen a. d. Luhe und der Diplom-Landwirt Rittmeister a. D. Walter Bohm dem ver- der aus Altona festgenommen. Ferner wird bekannt, daß von den in Haft befindlichen Personen ein weiteres Ge ständnis über den am 9. Juni auf das Wohnhaus des Landrats in Niebüll erfolgten Anschlag eingestanden wurde. Wie wir weiter erfahren, finden am heutigen Mon tag im Justizministerium Besprechungen darüber statt, wohin die in der Vombenaffäre verhafteten und in Altona befindlichen 23 Personen geschafft werden sol len. Man nimmt an, daß sie möglicherweise nach einer Zentrale, höchstwahrscheinlich nach Berlin, geschafft werden. während die Fahrgäste der Straßenbahn mit Schreck davonkamen. * Der Eüerswalder Mörder bei Stettin haftet. In der Nähe von Stettin wurde in Freitagnacht der des Raubmordes an der Zigar renhändlerin Ellebrandt in Eberswalde verdächtige Landstreicher Hermann Bahls von Gendarmen festge nommen und der Mordkommission in Eberswalde zu geführt. Ein zweiter Landstreicher, dessen Festnahme vor einigen Tagen bis jetzt geheimgehalten worden ist, der 32jährige Johannes Damnitz, hat sich in der Frei tagnacht im Polizeigefängnis in Eberswalde die Puls ader geöffnet. ^SchweresUnglückaufZecheDeimels- berg. Auf der stillgelegten Zeche Deimelsberg in Steele werden zurzeit von einer Untenehmerfirma Abbrucharbeiten ausgeführt. bei denen auch Schweiß- apparats zur Verwendung kamen. Bei diesen Arbeiten ereignete sich aus bisher noch nicht bekannter Ursache eine Explosion an den Schweißapparaten. Zwei Ar beiter standen sofort in Flammen. Obwohl diese von Mitarbeitern schnell gelöscht werden konnten, erlitten die beiden Arbeiter doch schwere Brandwunden am gan zen Körper. Sic wurden ins Steeler Krankenhaus ein geliefert, wo einer von ihnen noch am Sonnabend starb, während der Zustand des anderen als äußerst bedenk lich gilt. * Von Räubern überfallen. Der 62jührige Rei sende Anton Maische wurde auf einem Feldwege bei Brück i. B. von drei Räubern überfallen und schwer ver letzt. Maische wurde seiner Barschaft beraubt und in einen Bach geworfen, aus dem er sich nur mit Mühe retten und in den nächsten Ort schleppen konnte, von wo er in das Krankenhaus gebracht wurde. * Paul Müllers zweites Ozeanboot zerschellt. Wie aus Elizabeth-Stadt in Northcarolina gemeldet wird, ist das zwei Boot des Deutschen Paul Müller, der be kanntlich in einem Segelboot den Ozean überquert hatte, an einer Felsenklippe zerschellt. Paul Müller konnte von einem Küstenwachtschiff an Bord genommen werden. * Schwere Flugzeugunfälle in Ame rika — 13 Todesopfer. In den Vereinigten Staaten haben sich drei schwere Flugzeugunfälle ereig net, die insgesamt 13 Todesopfer forderten. Bei Mary- town in Wisconsin stürzte ein großes Passagierflugzeug aus ziemlicher Höhs ab und geriet in Brand. Die sechs Insassen, darunter die beiden Führer, wurden getötet. — In der Nähe von Oakland (Kalifornien) stürzte ein Flugzeug ab und durchbrach das Dach eines Hauses. Das Flugzeug und das Haus gerieten in Brand. Bei diesem Unglück gab es drei Todesopfer. Augenzeugen berichten, daß der Absturz infolge Flügelbruches er folgte. — Bei Chikago stießen außerdem zwei Flug zeuge in ziemlicher Höhe zusammen und stürzten ab. Aus den Trümmern wurden vier Todesopfer geborgen. * Die Bekämpfung des Kommunismus in Para guay. Wie aus Buenos Aires gemeldet wird, hat der Präsident der Republik Paraguay mit Genehmigung des Parlaments nunmehr in Paraguay den Belage rungszustand für die Dauer von neunzig Tagen ver hängt. Der Schritt dient zur Unterdrückung der kom munistischen Tätigkeit im Lande, die von russischen Bol schewisten geführt wird. M MdmitW siir die Msmz der öMW. London, 16. Sept. Wie aus Washington gemeldet wird, werden dort alle Vorbereitungen für einen glän zenden Empfang des Ministerpräsidenten Macdo nald getroffen. Ohne nähere Angaben zu machen, spricht Staatssekretär Stimson in diesem Zusammen hänge von einer großen Ueberraschung, die er plane. Im übrigen werden auch die Vorbereitungen für die Konferenz der Seemächte in London getroffen. Es verlautet jedoch, daß Frankreich, Italien und Japan bereits Vorbehalte geäußert haben. Frankreich wünsche hinsichtlich des Baues von U-Booten freie Hand zu haben, während Italien Gleich heit mit Frankreich in dieser Waffengattung wünsche. Japan wünsche ein Verhältnis von 10 zu 10 zu 7 mit England und Amerika für Kreuzer und kleinere Kriegs schiffe. Die amerikanische Abordnung für die Konferenz der Seemächte. Paris, 16. Sept. Einer Washingtoner Meldung zufolge soll die amerikanische Abordnung für die Flot tenkonferenz der Seemächte aus Staatssekretär Stim son, dem Londoner Botschafter Dawes, dem Brüsseler Botschafter Gibson und den beiden Admiralen Hilaray- Jones und Andrew Long bestehen. Große Befriedigung in England wegen der Marine- verhandlungen. London, 16. Sept. Die Londoner Sonntagspresse nimmt in ausführlichen Darlegungen zu den Fortschrit ten in den englisch-amerikanischen Flottenverhandlun gen Stellung. Allgemein wird große Befriedigung über den bisherigen Verlauf des Meinungsaustausches zum Ausdruck gebracht. Ministerpräsident Macdonald soll beabsichtigen, auf Drängen verschiedener Kreise hin am Montag eine Erklärung über die Verhandlungen der Oeffentlichkeit zu übergeben. Ein Fehlschlägen wird praktisch kaum noch erwartet. Aus aller Welt. * Schwerer Autobus Unfall in Berlin. Am Sonntagabend ereignete sich an der Friedrichstraße Ecke Dorotheenstraße ein schwerer Verkehrsunfall. Ein Autobus fuhr gegen eine Straßenbahn, wobei der Auto bus umfrel. 3V Personen wurden mit Verletzungen in die Klinik in der Ziegelstraße gebracht. Es handelt sich dabei in der Hauptsache um Insassen des Omnibusses, WMjgWSbmWst MliW. London, 16. Sept. Aus Schanghai wird gemeldet, daß nach Berichten aus Nanking Dr. Wangchunghu, der zurzeit in Genf weile, die Anweisung erhalten habe, nach Beendigung der Genfer Tagung nach Berlin zu fahren und den Versuch zu machen, mit Rußland zu einer Einigung zu kommen. Es wird ferner nochmals darauf hingewiesen, daß die letzte chinesische Note er neut die russischen Forderungen zurückweise und an die Anweisung für Dr. Wangchunghu die Vermutung ge knüpft, daß dieser Auftrag nur zur Verschleierung der Verhandlungen hinter den Kulissen diene, die durch deutsche Vermittlung in Nanking und Moskau geführt wurden. Es herrsche die Auffassung, daß China be müht sei. eine Formel zu finden, die die russischen For derungen befriedigen und zugleich das chinesische An sehen von außen wahre. Und dann kam eine Morgenstunde, wo Kaspei Bugge sich über ein kleines rosenrotes Menschenhaupi beugte, öas tief in den Kissen des Kinderbettchens lag. Die Kleine schlief und Kasper fragte sich, während e, so dasaß, aus sie herniederblickte und ihren leisen Atem zügen lauschte, ob dieses kleine Wesen denn wirklich all die Leiden wert sei, die es verursacht hatte. Und dann lächelte er über seine Frage. Das kaum wahrnehmbare Leben, das sich in der deinen regte, ant- „Gs ist gar keine Gefahr, alles verläuft ganz normal." wartete ihm: Deine Frage ist überflüssig, denn ich bin da und zum Leben berechtigt. Er war todmüde und der Arzt hatte ihm geboten, sich auszuruhen nach diesen fürchterlichen Stunden, die er durchlebt hatte. Während der ganzen entsetzlichen Zeit hatte er neben Dagny gesessen und ihre Hand gehalten. Und er fühlte, daß all seine geistige und körperliche Kraft aufs äußerste angespannt war. Dann und wann haue er den Doktor angeschaut und eine einzige, stumme, bange Frage lag in seinem Blick. Aber der Doktor nickte ganz ruhig und sagte: „Es ist gar keine Gefahr, alles verläuft ganz normal " War es denn möglich, daß diese phusischen Qualen, dieser Wahnsinn von Schmerz und Todesangst, der immer noch mehr anwuchs, bis übe: alles Denkbare hinaus, ver auch die wildesten Phantasien überbot - da; diese Bru laliiai gegen das zarteste, schwächste Wesen au! oe, Weir gegen ein verzweislungsvoll flehendes Weib — dieser Aufschrei der Empörung gegen das Naturgesetz daß alles das „normal" war? Daß es das war, was sich tagtäglich auf der ganzen Welt wiederholte, ohne daß die ganze Welt von diesem herzzerreißenden Schrei widerhalttc? Und immer wieder setzten die Frauen sich derselben Gefahr aus Kasper Bugge beugte sich über das schlafende Kind Seine leisen Atemzüge klangen ihm wie das Brausen des Weltmeeres, das seine von Ewigkeit vorgeschricbene Bahn dahinrollt — in weiter, weiter Ferne. Zuletzt hatte der Doktor ihn fortgeschickt. Und nun saß er ganz in sich zusammengekrochen in seinem Arbeitszimmer. Er preßte den Kops zwischen beide Hände, schloß die Augen und versuchte krampfhaft alle seine Sinne gegen jede Wahrnehmung von außen her zu verschließen. Er fürchtete, daß er zusammenbrechen würde vor Verzweiflung und Raserei, und er quälte sich entsetzlich, denn er konnte Dagnys Gesicht nicht loswerden, ihre Augen — und das furchtbare, furchtbare Schreien. Plötzlich fuhr er empor und stand mittet, im Zimmer Er hatte einen Laut gehört, der ihn traf wie der schrille Ton einer elektrischen Glocke — einen winzigen kleinen Laut, gegen den doch alle anderen Laute nichts waren. Eine halbe Sekunde lang stand er so und lauschte. Und dann klang es von neuem — der erste Schrei des Kindes. Wie er dann den rechten Weg fand, wie er die Tür aufbrachte, wußte er selbst nicht, aber im selben Augenblick war er drinnen und hörte ihre frische, natürliche, strahlende Stimme: „Kasper, es ist ein Mädchen." Dann lag er aus den Knien am Kopfende von Dagnys Bett. Und dann nachher war alles Weitz und still. In den teppichbelegten Korridoren hörte man kaum einen leisen Schritt, alle Türen waren sorgfältig verschlossen. Kasper Bugge satz allein bei Dagny und dem Kind, während beide schliefen. Das scharfe Winterliche drang gedämpft durch die herabgelassenen Gardinen. Man konnte sich keine tiefere Stille, keinen heiligeren Frieden denken. Er sollie eigenllich selbst schlafen und er war todmüde Aber er konnte seinen stillen weißen Tempel nicht verlass lForykyunst solgw