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Dor einem Deamlenkabinett? 6. Januar 1928 Wir gehören gewiß nicht zu den Leuten, die sich ein Vergnügen daraus machen, jeden Tag eine neue Re-, gierungskrise an die Wand zu malen. Wir würden es aber für ebenso falsch halten, die Augen vor Tatsachen zu verschließen, weil man sie nicht sehen will und zu sagen, es herrscht schönste Ordnung, wenn das poli tische Barometer auf Sturm steht. Das ist augenblicklich der Fall. Natürlich wird die Entscheidung erst bei Wiederzusammentritt des Reichstages fallen, schon heure aber muß gesagt werden, daß die Aussichten für das Zustandekommen des Reichs- schulqesetzes schlechter sind als zuvor. Alle Differenzen haben sich auf die zwei Punkte „Ge ordneter Schulbetrisb" und „Geistliche Schulaufsicht" zugespitzt. Hier scheinen sich die Wege zu trennen. Deutsche Volkspartei wie Zentrum haben sich derartig festgelgt, daß sie ihren Standpunkt kaum noch revidieren können. Die Erkenntnis der Unmöglichkeit, mit der jetzigen Regierungskoalition das Reichsschulgesetz zustande zu bringen, würde selbstverständlich das Ende der Regie rung Marx bedeuten. Und zwar das sofortige Ende. Bei den Deutschnationalen gewinnen nämlich die Tak tiker immer mehr die Oberhand, die aus bestimmten Gründen und unbedingt wünschen, daß die Partei wenigstens eine Zeitlang von der Verantwortung ent lastet ist, bevor der Wahlampf mit voller Schärfe ein gesetzt hat. Dieser Flügel der Deutschnationalen tritt sogar dafür ein, daß die vier Minister. die die Deutschnationalen gestellt haben, nicht einmal einem geschäftsführenden Kabinett angehören dürfen, sondern unbedingt zurückgezogen werden müß ten. Die Bildung eines geschäftsführenden Kabinetts wäre nach Rücktritt der bisherigen Regierung nötig, da selbstverständlich erst der Etat für 1928 erledigt werden muß, ehe an eine Auflösung des Reichstages zu denken ist. Die Bildung einer neuen Re ¬ gierung auf der Grundlage der großen Koalition, von der auch gesprochen wird, kommt ganz bestimmt nicht in Frage, da die Sozialdemokraten auf keinen Fall mitmachen wer den. Es bleibt also nur die Bildung eines geschäfts- führenden Kabinettes. Die bisherigen Minister einfach mit der Fortführung der Geschäfte zu betrauen, wie das gewöhnlich üblich ist, wird nicht angehen, da die deutschnationalen Herren sich an einer solchen provisori schen Regierung kaum beteiligen dürften. Man nimmt also an, daß der Herr Reichspräsident ein überparteiliches Be amtenkabinett bilden wird, dem nur die Minister Stresemann, Geßler und Brauns, aber lediglich alsFachminister und nicht als Vertreter ihrer Parteien, an gehören sollen. Ob Dr. Marx an die Spitze dieses Kabinetts tritt, gilt vielfach noch als zweifelhaft. Alles hat sich also auf das Reichsschul gesetz konzentriert. Schon in den nächsten 14 Tagen wird eine Klärung herbeigeführt werden, ob es überhaupt noch Zweck hat, weiter darüber zu ver handeln. Die Lage hat sich jedenfalls so verschärft, daß besonders angesichts der Haltung der Deutschnationalen sehr ernsthaft mit einer Regierungskrise ge rechnet werden muß. Das Zentrum gibt nicht nach. Bon Guerard über das Schicksal des Reichsschulgesetzes. Auf dem Zentrumsparteitag der rheinischen Zen trumspartei des Regierungsbezirkes Koblenz erklärte der Vorsitzende der Zentrumsfraktion von Guerard, daß das Zentrum von den bekannten Forderungen zum Reichsschulgesetz nicht zurücktreten werde. Es sei mög lich, daß die Koalition bei dieser Frage in die Brüche gehe. Das Zentrum könne und dürfe sich von den Sozialisten und den Kommunisten kein Schulgesetz dik tieren lassen. Amerika denkt nicht an Verquickung von Schulden-u. Reparationssragen 6. Januar 1928 Sämtliche aus Washington vorliegenden Meldun gen, die aus amtlichen Kreisen stammen, betonen, daß es sich bei den neuerdings in die Debatte geworfenen Fragen einer Verquickung von Repara tiv ns- und Schulden fragen um nichts ande res als um f r a n z ö s i s ch e Propaganda handelt. Von seiten des Staatsdepartements und des Schatzamts wird noch einmal betont, daß Amerika nicht daran denke, die Schulden Frankreichs an die Vereinigten Staaten um den Betrag zu verringern, den Frankreich Deutschland evtl, erlassen würde. Aber auch daran Bukarest und der Zwischenfall von St. Gotthard. 6. Januar 19^8 Aufklärung von Warschau verlangt. Im Zusammenhang mit dem Zwischenfall von St. Gotthard, hat sich die rumänische Regierung an die polnische Regierung mit der Bitte um Aufklärung gewandt. Bis zur Stunde ist noch keine Antwort ein getroffen. Ferner hat die rumänische Regierung von ihren diplomatischen Vertretern in Budapest und War schau einen genauen Bericht auf telegraphischem Wege angefordert. Der ungarische Standpunkt in der Waffenschmuggel angelegenheit. Im Zusammenhang mit der von Prag aus ange ordneten Demarche der Kleinen Entente, wegen der St. Gotthard-Affäre, veröffentlichen fast alle Buda pester Blätter eine offenbar inspirierte Darstellung über den ungarischen Standpunkt. Der Kleinen Entente stünden, so heißt es, Rechtsmittel zu einer Intervention nicht zur Verfügung. Dis ungarischen Zollbehörden hätten ordnungsgemäß verfügt, daß die Wasfensendung nicht weiter befördert werden dürfte. Wenn sich der Adressat nicht meldet, werde die illegale Waffensendung dem für diesen Fall vorgeschriebenen Verfahren unter worfen, d. h. vernichtet werden. Dies aber sei eine Angelegenheit, die nur Ungarn angehe, nicht aber die Kleine Entente. Neue Kümpse in China. 6. Januar 1928 Wie aus Hongkong gemeldet wird, ist es bei Pak- hoi zu schweren Zusammenstößen zwischen chinesischen Truppen und Kommunisten gekommen. Die Kommu nisten seien nach heftigen Kämpfen mit schweren Ver lusten zurückgetrieben worden. Kommunistenverhaftungen in Schanghai. Der frühere Kommandant der Kuomintang Lit- schitschen ist vorgestern wieder in Kanton eingetroffen. Er bat Tschiangkaischek sofort telegraphisch um Ver stärkung, da sich die geflüchteten Kommunisten am Ost flusse sammelten. Kanton, das nur über geringe Regierungstruppen verfüge, sei unmittelbar be droht. Wie die Schanghaier Eisenbahnverwaltung mit- teilt, sind die vorgestern auf der Strecke Schanghai- Nanking gefundenen drei Bomben russischen Ursprungs. Im Eingeborenen-Viertel der Stadt Schanghai wurden wegen der gestrigen Arsenal unruhen zahlreiche Kommunisten verhaftet und hin gerichtet. Dem gestern in Schanghai eingetroffenen rus sischen Konsul in Kanton ist die Landungserlaubnis verweigert worden. sei nicht zu denken, daß das Schuldenproblem in irgend einer Form verquickt werden könnte. Ebenso wenig komme eine Schuldenrevision in Frage. Schatzsekretär Mellon erklärte außerdem, daß Parker Gilbert, als er von der Reparationsend summe sprach, überhaupt nichtandiealliierten Schulden gedacht habe. Der Festsetzung der deutschen Reparationsendsumme würden noch zahlreiche internationale Konferenzen vorangehen. Deutschland werde ohne Nennung der End'umme niemals imstande sein, seinen Verpflichtungen nach- zukommen. Nur Unbesonnene könnten von Deutsch land 33 Milliarden Dollar verlangen, also eine Summe, die fast zweimal so hoch sei, wie die gesamte fundierte Schuld Amerikas. Der Dawesplan in seiner jetzigen Form sei auch von seinen Schöpfern j nur als temporäres Hilfsmittel gedacht gewesen. Auch Staatssekretär Kellogg ging jetzt auf das . Problem der F e st s e tz u n g der Reparations- ! end summe ein und erklärte, daß eine Einigung darüber b a I d m ög l i ch st erfolgen sollte. Von seiten des Schatzamtes und des Staatsdepartements wurde erklärt daß Amerika unter Umständen an nichtamt lichen Reparationsbesprechungen teilnehmen sollte. Vielleicht könnte an solchen Verhandlungen Parker ' Gilbert für Amerika beiwohnen. Das Schatzamt und das Staatsdepartement dementiert nochmals die Mel dungen über die Einberufung einer WeIt - Konfe - ' renz zur Neuregelung der Reparations- und Schulden- , frage sowie die Erörterung der Bonsausgabc. Schatz sekretär Mellon nannte das erregt unwahr und grund- ! los. Abänderung -es Dawes-Plans? 6 Januar 1928 Ein interessanter Reformplan. „H e r a l d Tribun e" veröffentlicht eine Wa shingtoner Meldung, die, wie ausdrücklich unterstrichen wird, den Hintergrund zu Parker Gilberts Forderung auf Festsetzung der Reparationsendsumme bilden soll. Wenn diese Meldung z u t r i s f t, so i st ihre , B e d e u t u n g n i ch t v o n d e r H a n d z u weisen. „Herald Tribune' erklärt, daß die Information aus bestunterrichteten Washingtoner Senatskreisen stamme. Der Washingtoner Regierung sei vor einiger ' Zeit j ein vollkommen neuer Reparations- und Schulden- plan zugegangen, den der bekannte Bankier Baruch ausgearbeitet habe, der bei den Reparationsverhand lungen und bei den Versailler Friedensverhandlungen ! eine führende Rolle spielt. Baruch habe in seinem ! Plan den Versuch unternommen, eine Verbindung !zwischen der Reparations- und Schul de n f r a g e herzustellen, ohne daß aber die amerika nische Regierung bei der künftigen Zurückerstattung der interallierten Schulden gebunden sei. Baruchs Plan sei zwar von der Washingtoner Regie rung Zurückgestellt worden, aber Gilberts An regung auf Fixierung der Reparationsendsumme sei auf Baruchs Plan zurückzusühren. Der Plan soll davon ausgehen, daß Dentschland niemals imstande sei, die im Mai 1921 festgesetzten Summen aufzubringen. Daher müsse man versuchen, von Deutschland d i e Summe zu erhalten, die cs zu bezahlen imstande sei. Deswegen solle eine definitive Summe errechnet wer den. Nach der Meinung Baruchs könnten sofort deutsche Bon s rin Werte von 2 bis 4 Milliarden Dollar auf den internationalen Markt gebracht werden. Ein weiterer Vansbetrag, der 6 oder 10 Milliarden Dollar nicht überschreiten dürfe, sollte in Reserve gehalten werden. Es müsse eine neue Repara tiv n s k o m m i s s i o n geschaffen werden, in der ein amerikanisches Mitglied sitze. Die Auflegung der rest lichen Bons solle zu einem Zeitpunkt erfolgen, den die neue Reparationskommission für richtig halte. Diese Bons würden absolut gut sein, weil sie ersteHqpo- theken auf Deutschlands Industrie und Eisenbahnen darstellen. Die Bons könnten als Goldbons in Dollar, Pfunden, Gulden usw. ausgegeben werden. Frankreich solle 1,4 Milliarden, England 500 Millionen erhalten. Das Blatt unterstreicht aus drücklich, daß dieser Plan bei Gilberts Forderung der Festsetzung der Reparationssumme ausschlaggebend mitgesprochen habe. Zugleich veröffentlicht das „I o u r n a l o s C o m - merc e" eine Meldung, die die Angaben der „Herald Tribune" in gewisser Hinsicht bestätigt, obwohl der Name Baruch nicht genannt wird. Präsident Coo lidge, heißt es darin, habe entschieden, daß dieser Plan zur genauen Ueberprüfung dem Staatsdeparte ment zu übermitteln sei. Das Staatsdepartement habe außerdem den Auftrag erhalten, evt. politische Schritte bei den beteiligten Mächten v o r z u b e r e i» e n. Parker Gilbert habe diesen Plan bei seiner jetzigen Reise in Washington erneut be sprochen, es sei aber entschieden worden, daß entschei dende Schritte erst nach den Wahlen unternommen wer den sollen. Nach den französischen Wahlen solle der Plan einer neuen Reparationskonfe renz unterbreitet werden, an der alle inter essierten Mächte teilnehmen sollen. Der neue Plan gipfelt in folgenden Hauptpunkten: 1. Festsetzung der Reparationssumme, die weit unter der früher festgesetzten Summe liegen soll. 2. Verkauf größerer Beträge deutscher Bons, die vor allem Frankreich zugute kommen sollen. 3. Streichung der englischen Ansprüche gegenüber Deutschland. 4. Ausgabe weiterer deutscher Bons, durch die Frank reich das notwendige Geld erhalten soll, um seine Schulden an Amerika zu regeln. Der ganze Plan sei so gehalten, daß politische Reibungen auf ein Minimum herabgedrückt würden. Er sehe außerdem dieAbjchaffungdes Trans fer-Komitees vor. Grohe Eisschwierigkeiten aus -er Elbe. 6. Januar 1928 Die Eisschwierigkeiten auf der Elbe haben sich durch den gestern eingetretenen Wetterwechsel stark ge steigert. Die nach Westen umgesprunqenen Winde haben wieder gewaltige Eismengen in die Elbe und in die Häfen Hineingetrieben. Dazu kommt, daß der durch den Westwind bewirkte höhere Wasserstand das an den Ufern abgelagerte Eis statt »nacht und in den Strom führt. Der Schiffahrt sind außerordentliche Schwierig keiten entstanden. Der von Dünkirchen kommende ame rikanische Doppelschraubendampfer „Toyohashi Maru" saß über drei Stunden im Eise fest. Den kleineren See schiffen ist es nur unter äußerster Anstrengung möglich, sich einen Weg durch das Eis zu bahnen. Der Hambur ger Hafen war durch die vom Westwind angetriebenen Eismassen fast blockiert. Fähr- und Schleppdampfer saßen vielfach im Treibeis fest und mußten mit Hilfe von Eisbrechern befreit werden. Der Personenverkehr kann nur unregelmäßig durchgeführt werden. Wie die Strombauverwaltung in Hitzacker mitteilt, ist auf der Oberelbe bisher in dem Eisstand keine wesentliche Aenderung eingetreten. Mehrere Eisbrecher haben non Harburg bis unterhalb Hitzacker elbeaufwärts das Eis aufgebrochen Mit einer Hochwassergefahr ist nicht zu rechnen. Von der deutschen Nordseeküste wird über all schweres Treibeis gemeldet. Holland vom Eise befreit. Das Tauwetter hat Holland innerhalb von 48 Stunden vom Eise befreit. Gestern morgen konnten die ersten Postdampfer die bisher von jedem Verkehr abgeschnittenen Inseln am Eingang der Zuidersee ohne Schwierigkeiten erreichen. Die Schiffahrt nimmt über all wieder ihren regelmäßigen Verlauf. Als Kuriosium verdient erwähnt zu werden, daß das Amsterdamer Postschiff zu Beginn der Woche für die etwa dreistündige Reise nach Alkmaar, infolge der starken Eismassen, 21 Stunden benötigt hat. Nachlassen der Kälte in Ungarn. Die Kälte hat am Donnerstag in Ungarn auf 4 Grad abgenommen. Da im Falle eines plötzlichen weiteren Nachlassens der Kälte durch die Stauung des Eises bei Preßburg nicht nur die Schüttinsel, sondern auch die unteren Donangebiete gefährdet würden, wur den von der ungarischen Stromwache umfassende Vor beugungsmaßnahmen getroffen. Aus der Donaustrecke von Budapest bis Baja sind 50 Lastschiffc und vier Schlepper eingefroren. Sprengung des Eises auf der Donau durch Flugzeug bomben. Gestern vormittag sind von hier mehrere Militär flugzeuge nach Eiurgiu abgeflogen, um das Eis auf der Donau mit Bomben zu sprengen. Artillerie und Pioniere sollen bei dieser Aktion Mitwirken. Das Hoch wasser der Donau ist immer noch nicht zurückgegangen, so daß der Hasen und die Stadt Giurgiu gefährdet sind. Wie verlautet, sollen im Einvernehmen mit Bulgarien Maßnahmen getroffen werden, um die Donau möglichst bald vom Eis zu befreien, da dies im beiderseitigen Interesse gelegen ist. Eisfrei. Kopenhagen, 6. Jan. (Funkspr.) Die Oeresund- küste ist infolge des Witterungsumschlags mit starken Westwinden fast vollkommen eisfrei. Obgleich hier und da noch mit Verkehrsschwierigkeiten zu rechnen ist, kön nen die dänischen Hauptfahrwässer zurzeit als eisfrei gelten.