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Kanton in Kommunistenhün-en. 14 Dezember 1927 Kanton, die Hauptstadt des chinesischen Südens, be findet sich völlig in der Hand der Kommunisten. Nach den Berichten der Flüchtlinge sind die Straßen Kantons angefüllt mit Leichen. Am Sonntag fuhren zahlreiche Agitatoren in Autos in der Stadt umher, hielten Reden und verteilten kommunistische Druckschriften. Gruppen von Sträflingen, die bei der Oeffnung der Gefängnisse entflohen waren, zogen mit ihren Ketten durch die Straßen und baten die Passanten, sie von dem Eisen zu befreien Nach den letzten Nachrichten scheinen die Rebellen völlig im Besitze der Stadt zu sein und dauernd Ver stärkungen aus der Provinz zu erhalten. Eine Prokla mation kündigt die Bildung einer „Arbeiter- und Bauernregierung" an. Es wird die Ausrottung der Grundeigentümer, die Vernichtung aller Eigentums- Urkunden und die Beschlagnahme des gesamten Grund besitzes angeordnet. Wie aus Hongkong gemeldet wird, wurde in Kan ton die Zentralbank von China von Kommunisten zer stört. Alle Telegraphenlinien sind unterbrochen. Die Stadt ist isoliert. Als einziger Dampfer traf gestern von Kanton in Hongkong der Saion mit einer eng lischen Mannschaft und 2009 chinesischen Flüchtlingen ein Die Fremden werden in Sicherheit gebracht. Nach Meldungen aus Schanghai sind im europäi schen Wohnviertel von Kanton Feldgeschütze gelandet worden, um die im amerikanischen Konsulat unter gebrachten Ausländer zu schützen. Unter dem Schutz amerikanischer Marinesoldaten werden alle Fremden aus der Eingeborenen-Stadt nach dem Europäer-Viertel < gebracht. Ü. a. sind bereits 55 Deutsche in Shameen ! eingetroffen. Ein britisches Kanonenboot mit Europäern an Bord wurde heftig beschossen. Die Zahl der bei den Kämpfen in Kanton bisher getöteten und verwundeten Personen wird auf 20 000 geschätzt. Die Kämpfe dauern noch an. Widersprechende Aachrichten. Nach Meldungen aus Hongkong berichten dort aus Kanton eingetroffene Flüchtlinge, daß die Truppen Li Fus gestern von der südlich von Kanton gelegenen Insel Honan aus den Fluß überschritten hätten und in der Nähe des europäischen Wohnviertels gelandet seien. Die kommunistischen Streitkräfte hätten sich darauf nach dem Innern der Stadt zurückgezogen und hauptsächlich die größeren Gebäude besetzt. Üm ein neunstäkiges Gebäude sei ein heftiger Kampf entbrannt, der mit der Ver treib ungderkomm uni st ischenTrup- pen geendet habe. Die westlichen Vororte seien voll kommen von den Kommunisten gesäubert worden, die nach den nördlichen und östlichen Stadtteilen verdrängt worden seien. In diesen Stadtteilen seien zahlreiche Brände ausgebrochen. Zn Widerspruch zu diesen Berichten besagen andere Meldungen, daß alle Versuche, Kanton wieder,zuernn- gen, fehlgeschlagen seien. — Nach Meldungen aus Schanghai erklärte General T s ch i a n g k a i s ch e k Pressevertretrn gegenüber, daß die Kuomintangregie rung die Schließung der Sowjet-Konsulate im gesamten von den Nationalisten beherrschten Gebiete beschlossen habe. Der Parlamentskonsttkt in Oklahoma. 14. Dezember 19 7 Die Gehetmtagung des Parlaments. Wie aus Oklahoma gemeldet wird, hat das Repräsentantenhaus gestern eine geheime Sitzung in einem Hotel außerhalb der Stad! abgehalten. Es wurde eine Entschließung angenommen, in der erklärt wird, daß sich der Gouverneur Johnston einer Verletzung der Verfassung sowie der Korruption schuldig gemacht habe. Der Gouverneur habe die Zivilgewalt durch Miütär- gewalt unterdrückt, obgleich er dazu nicht berechtigt war. Er habe einen Beamten ernannt, der sich des Bankraubs schuldig gemacht habe und auf dessen Kops der Staat Texas eine Belohnung aussetzte. Der Gouverneur habe ferner Gehaltsauszahlungen an unrechtmäßige Beamte vorgenommen und sich einer Verschwörung mit seiner Privatsekretärin und einer anderen nicht genannten Person schuldig gemacht. Auch gegen andere Regie rungsmitglieder wurden ähnliche Beschlüsse gefaßt. Die Debatte soll sehr heftig gewesen sein. Das Parlaments- gebäude ist abgesperrt. Der Gouverneur hat 5000 Ver trauenstelegramme aus ganz Amerika erhalten. Der Eindruck -es amerikanischen Flottenbauprogramms in Gngland 14. Dezember 1927 Das amerikanische Flottenbauprogramm hat in London einige Sensation hervorgerufcn. Es wird als voller Sieg der Politik der amerikanischen Flottenpartei gewertet. Die Einsetzung von 26 Kreuzern eines Typs, der von England auf der Genfer Flottcnabrllstungs- konferenz bekämpft wurde, in das neue Flottenbau programm wird in England als deutlicher Beweis da für empfunden, daß Amerika nunmehr ohne jede Rück sicht auf andere Mächte seine Flotte bis zum Ablauf des Washingtoner Abkommens auf einen Stand bringen will, der Erörterungen über zukünftige Rüstungs beschränkungen ohne jede Gefährdung der amerikani schen Vormachtstellung erlaubt. In maßgebenden eng lischen Kreisen legt man Gewicht auf die Feststellung, daß England durch das amerikanische Vauprogramm von seiner bisherigen Politik nicht abqebracht werden könne und nicht die Absicht habe, Amerika das Recht zu bestreiten, so viele Schiffe zu bauen wie es ihm beliebe Lediglich in den vom Washingtoner Abkommen erfaßten Einheiten ist Amerika gebunden, weshalb auch die bri tische Regierung gegen die geplante Verstärkung der Bestückung der beiden Schlachtschiffe „Nevada" und „Oklahoma" Einspruch erhoben hat. Trotz dieser offiziel len Stellungnahme ist unverkennbar, daß das amerika nische Programm in London einen peinlichen Eindruck gemacht hat. Das ergibt sich deutlich aus der Erklä rung, daß Amerika nunmehr als Advokat des Friedens mit dem größten Flottenbauprogramm vor die Mell tritt, was nach englischer Ansicht provokativ wirken müße. Die Schlichter-Verhandlungen in Düisel-orf. l4 Dezember 1927 Wie dem Deutschen Handelsdienst aus Düsseldorf berichtet wird, ist der Originalbrief des Reichsarbeits ministers Dr. Brauns bis Mittags noch nicht in die Hände der Arbeitgebergruppe der Eisenindustrie ge langt, so daß diese sich bisher nur aus der Presse über den Inhalt des Briefes unterrichten konnte. Die gestri gen Schlichterverhandlungcn haben sich länger hinaus gezogen, wie man bisher erwartet hatte und sind nach einer kurzen Mittagspause um 15 Uhr wieder aus genommen worden. Man weist in Arbeitgeberkreisen darauf hin, daß schon deshalb mit einer raschen Beendi gung der Verhandlungen gerechnet werden muß, weil für den Fall der Stillegung der Industrie die Kündi- .. . mHkstfn, eine Tatsache, die selbst, wenn sie nur vorsorglich geschieht, wahrscheinlich eine neue Spannung in die augenblick lichen Verhandlungen hineintragen würde, die Zweifel an dem auch auf Seiten der Industrie vorhandenen Verständigungswillen aufkommen lassen könnten. Man hofft in den Kreisen der Industrie, daß der Schieds spruch auf Grund der langwierigen Verhandlungen auch die Belange der Eisenindustrie, sowie der ganzen deut schen Volkswirtschaft in bezug aus die Erportlage berück sichtigen wird. Wie verlautet, sind die Schlichtungsverhandlungen gestern Abend vertagt worden und werden heute srüh weitergeführt. Von der Schltchtungskammer wurde ein stimmig beschlossen, vor Abschluß der Verhandlungen über ihren Gang Stillschweigen zu bewahren, um einen ungestörten Verlauf zu sichern. Stillegungs-Verhandlungen in -er Siegerländer SS werindnslrie In Siegen sand die erste von der Siegerländer Schwerindustrie beantragte Stillequngsoerhandlung statt. Nach Begründung des Antrages durch den Ver- ireter der Arbeitgeberorganisation gaben die Gewerk schaften eine Erklärung ab, in der unter anderem zum ! Ausdruck gebracht wurde, die Gewerkschaften würden 'N ! dem Stillegungsantrage ein Druckmittel auf die Regie- z rung und den Reichsarbeitsminister sehen, um die Ent- ; scheidung über die Durchführung der Verordnung vom 16. Juli 1927 zu beeinflussen Das Siegerländer Lohn- ! abkommen laufe erst am 1. Juli 1928 ab. Forderun gen, die die Arbeitgeber veranlassen könnten am 1. Jan. 1928 die Betriebe still zu legen und Tausende von Ar beitern brotlos zu machen, seien von keiner Seite ge stellt. Die Entscheidung über die Verordnung liege zur- ! zeit bei der Regierung und nicht bei den Arbeitgebern. Die Gewerkschaften lehnten daher jede Aussprache und j Erklärung ab, auch deshalb, weil die örtlichen Berg- , leitungen auf die Durchführung oder Aufhebung der Stillegung keinerlei Einfluß besäßen Anschließend be tonten die Vertreter der Gewerkschaften, die abgegebene Erklärung komme für alle weiteren Stillegungsver- handlungen in Frage. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 13. Dezember 1927. Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung des Besoldungsgesetzes. Präsident Löbe macht darauf aufmerksam, daß die Ver abschiedung bis morgen abend erfolgen müsse. Der Reichsfinanzminister habe erklärt, daß nur dann eine Auszahlung der Bezüge bis Weihnachten erfolgen könne, wenn die Beschlüsse des Reichstags bis Mittwoch abend vorliegen. Abg. Dr. Quaatz sdntl.) erstattet den Ausschuß bericht. Der Berichterstatter geht in der Hauptsache auf die vor der Besoldungsdebatte im Ausschuß statt- gefundene Beratung über dei allgemeine Finanzlage des Reiches ein. Man sei sich einig gewesen, daß der ausgesogene Wirtschaftskörper Deutschlands zum Wiederaufbau des fremden Geldes bedürfe. Die an gebliche Verschwendung Deutschlands sei eine innere Angelegenheit und dürfe mit der Reparationsfrage nicht verbunden werden. Man müsse bestrebt sein, die Neparationsfragen aus dem Meinungsstreit der Par teien herauszulassen. Die Verwaltungsreform dürfe nicht nur die eigentliche Verwaltung, sondern müsse auch die Reichsbetriebc umfaßen. Als zweiter Bericht erstatter wies Abg. Steinkopf (Soz.) darauf hin, daß im Ausschuß über 800 Anträge gestellt worden seien Aenderungen in dem in der Regierungsvorlage enthaltenen Eruppenaufbau sind nur insofern vor- genommen worden, als an die Stelle von pensionsfähi gen Zulagen für große Gruppen von Beamten eine Be förderungsgruppe gesetzt wurde. Die Ministerial dirigenten wurden als künftig wegfallend bezeichnet. Eine Erhöhung der Ministerialzulage durch den kom menden Etat ist durch einstimmigen Beschluß des Aus schusses abgelehnt worden, allerdings hat die Reichs regierung erklären lasten, daß sie sich zu dieser Erhöhung doch gezwungen sehe, wenn Preußen an der 50prozenti- gen Erhöhung der preußischen Ministerialzulage fest halte. Obwohl die Vesoldungsordnung im Reich und in Preußen in den wichtigsten Bestimmungen überein stimmen sollte, so haben sich doch verschiedene Unter schiede herausgestellt. Beim Wohnungsgeldzuschuß hat Preußen die Bestimmung, daß ledige Beamte nach Voll endung des 45. Lebensjahres den vollen Wohnungs geldzuschuß ihrer Besoldungsgruppe erhalten, nicht übernommen. Das Reich hat die Kinderzuschläge auf 20 Mark festgesetzt, während Preußen für die ersten beiden Kinder je 20 Mark, für das dritte und vierte Kind je 25 Mark und für jedes weitere Kind je 30 Mark zahlt. Während im Reich die Wartegeldempfünger vom 1. Oktober 1927 ab in die neue Besoldungsordnung cin- gestuft werden sollen, will Preußen ihnen die für die Pensionäre vorgesehenen prozentualen Zuschläge ge währen. In der Aussprache nimmt als erster Redner das Wort Abg. Bender (Soz.). Der Redner geht auf die Gehälter der unteren Beamten ein, die auch nach der Besoldungsvorlage viel zu niedrig seien. Unter keinen Umstünden dürfe man aber nach der Neuregelung die Löhne der Reichs- und Staatsarbeiter auf dem bisheri gen viel zu niedrigen Stand lassen. Der Minister habe eine allgemeine Lohnerhöhung abgelehnt, weil die gel tende tarifliche Regelung noch bis zum 31. März läuft. Dabei wäre es ein leichtes, durch eine neue Verein barung dem Notstand der Reichsarbeiter abzuhelfen. Der Redner beantragt Aufbesserung der Reichsarbeiter löhne und Auszahlung einer Beihilfe noch vor Weih nachten. Abg. Lawerenz (Dntl.) gibt für die deutsch nationale Fraktion eine Erklärung ab, in der es unter anderem heißt: Wir bedauern, daß es angesichts der un günstigen Finanzlage nicht durchzusetzen war, daß die Pensionäre nach den gleichen Grundsätzen behandelt werden, wie die im Dienst befindlichen Beamten. Um so schärfer bekämpfen wir jeden Versuch, im Wege der Pensionskürzung wohlerworbene Beamtenrechte zu schmälern. Die sozialdemokratische Anregung einer Zwangspensionierung aller über 60 Jahre alten Be amten lehnen wir ab. In der Erklärung wird schließ lich eine Zusammenfassung des Behördenaufbaues und in Verbindung mit der Verwalmngsreform eine durch greifende Verfassungsreform gefordert. Abg. Morath (DVP.): Unannehmbar sei der sozialdemokratische Vor schlag, die Beamtenorganisationen etwa in die Stel lung von Tarifkontrahenten zu drängen. Auf lange Reden müßten die Regierungsparteien verzichten, weil ihnen daran liege, den Beamten recht schnell die nötige Aufbesserung zu gewähren. Abg Seppe 1 (Soz.): Die Aufbesserung käme viel zu spät. Sie lasse auch jede Groß zügigkeit vermissen Großzügig sei man nur gegenüber den Generalen und höheren Beamten. Der angeblich soziale Geist der Vorlage werde dadurch gekennzeichnet, daß danach der Kapitän zur See monatlich 307,50 Mark mehr erhält, während den Schützen und Gefreiten monatlich zwei bis vier Mark abgezogen werden short, hört!). Abg. Dietrich-Baden (Dem.) fordert eine Verwaltungsreform, damit das Neben- und Gegenein- anderarbeiten der Reichs- und Landesinstanzen auf höre. Eine Verfassungsreform sei nicht zu umgehen. Er betont zum Schluß, daß die demokratischen Be mühungen um eine Verbesserung der Vorlage leider an dein geschloßenen Widerstand der Regierungsparteien gescheitert seien. Abg Torgler (Komm.) sieht das Ergebnis der langen Verhandlungen des Ausschusses darin, daß die Beamten nun jede Hoffnung auf das Parlament ver loren naben. Abg. Lucke (Wirtschaft!. Ver.) erklärt, die jetzige Vorlage sei keine gerechte Lösung. Nötig sei vor allem schnellste Hilfe für die untersten Gruppen. Den Forderungen für die übrigen Gruppen könne seine Fraktion vorläufig nicht zustimmen. Der Redner hält weiter Pensionskürzungen für erforderlich, wenn neben der Pension ein hohes Privatcinkommen vorhanden ist. Inzwischen ist von den Regierungsparteien ein Aenderungsantrag eingegangen, wonach für die Dauer von zunächst fünf Jahren, beginnend mit dem 1. April 1928. von je drei freien oder freiwerdenden plan mäßigen Beamtenstellen der Besoldungsordnung K (aufsteigende Gehälter) eine Stelle Wegfällen soll, wenn die Geschäfte durch eine Hilfskraft wahrgenommen wer den können. Diese Bestimmung soll anch für Länder, Gemeinden und Organe des öffentlichen Rechtes An wendung finden. Abg. Allekotte (Zentrum) erklärt, die Mehr heit der Zentrumsfraktion werde unter Berücksichtigung der sachlichen Notwendigkeiten dem großen Gesetz oebungswerk ihre Zustimmung geben. Abg. Dr. Stege rwald (Zentrum) erlärt als Vertreter der Fraktkonsminderheit, er sei nicht grundsätzlicher Gegner einer Besoldungsverbesserung, wolle ihr aber nur in Verbindung mit einer Verwaltungsreform zustimmen. Abg. Dr. Frick (Nationalsozialist) erkennt an. daß die Vorlage manche Verbesserungen bringe, sie enthalte aber noch viele Ungerechtigkeiten, die beseitigt werden müßten. Weiter sprechen zu der Vorlage die Abgg. Dr. Best (völk.), Groß (Zentrum), Schmidt- Stettin (dntl.), Torgler (Komm.), Lucke (Wirtsch. Vereinigung) und Dauer (Bayerische Volkspartei). Damit schließt die allgemeine Aussprache und das Haus geht zur Einzelaussprache über. Die Vertreter der Oppositionsparteien bringen zahlreiche Einzelwünsche vor, die in Anträgen nieder gelegt sind. Unter Ablehnung aller Aenderungsanträge werden die ersten 14 Paragraphen der Vorlage in der Ausschuß fassung angenommen. Darauf wird die Beratung abgebrochen und auf Mittwoch, 10 Uhr, vertagt. Auf der Tagesordnung steht auch die dritte Beratung der Besoldungsvorlage, ferner die Anträge über die Weihnachtsbeihilfe für die Kleinrentner.