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Schachls Stellung erschüttert? 7. Oktober 192? Die plötzliche und gänzlich unvorhergesehene Er höhung des Reichsbankdiskonts um ein Prozent, hat in politischen Kreisen ungeheures Aufsehen hervorgerusen, da selbst die größten Schwarzseher nur mit einer Er höhung um 1/2 Prozent gerechnet hatten. Wie jetzt be kannt wird, hat das Reichswirtschaftsministe- rium den Plänen des Reichsbankpräsidenten leiden schaftlichen Widerstand entgegengesetzt. Alles deutet daraufhin, daß die schon lange bestehenden Diffe renzen zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und der Reichsbank zu einer Krise drängt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß insbesondere Staatssekretär Dr. Tren delenburg dee Geldbeschaff ungspolitikDr. Schachts seit langer Zeit auf das schärfste be kämpft hat. Im Reichswirtschaftsministerium steht man auf dem Standpunkt, daß die Diskonterhöhung nur darauf zurückzuführen ist, daß die Reichsbanklei tung sich gegen die Auflage von Ausländs anleihen gesträubt hat. Man ist weiter der Auf fassung, daß es ein schwerer finanztechnischer Fehler ge wesen ist, Anfang des Jahres den Reichsbankdiskont her abzusetzen, um dadurch die Industrie zu veranlassen, sich Geld durch inländischen Kredit zu beschaffen. Wie wir zuverlässig mitteilen können, ist Reichs- wirtschaftsminister Dr. Curtius fest entschlossen, die Dinge nicht weiter gehen zu lassen. Er wird im Reichskabinett die Frage aufwerfen, ob die autonome Reichsbank derartige einschneidende Maß nahmen treffen darf, ohne sich mit Reichswirtschafts- und Reichssinanzministerium überhaupt in Verbindung zu setzen. Dr. Curtius dürfte erklären, daß er bei einer derartigen Handhabe der Geschäfte keine Verantwor tung mehr für das deutsche Wirtschaftsleben übernehmen könne. Die Reichsregierung dürfte sich also vor die Frage gestellt sehen, ob sie Curtius oder Schacht halten will, da ein weiteres Zusammenarbeiten beider Männer kaum möglich sein dürfte. Gestern nachmittag fand eine Ministerbesprechung statt, die zwar als „Chefbesprechung" bezeichnet wurde, aber völlig den Charakter einer Kabinettssitzung ge tragen hätte, wenn der Reichskanzler an ihr teilgenom men haben würde. Wie wir erfahren, haben sich die Minister ausschließlich mit Anleihefragen und der Gestaltung der Preispolitik beschäftigt. Insbesondere dürfte die ablehnende Haltung des Neichsbankpräsidenten zu der Ausnahme von Ausländs anleihen sehr eingehend zur Sprache gekommen sein. Wie zuverlässig verlautet, sollen auch die Schwierig keiten, die die Auflegung der Prenßenanleihe jetzt in den Vereinigten Staaten findet, darauf zurückzuführen sein, daß Dr. Schacht bei seinem letzten Aufenthalt in Neuyork dagegen Stimmung gemacht hat. In politischen Kreisen ist man der Auffassung, daß der Reichsbankpräsident zu seiner ablehnenden Ein stellung durch die Erwägung geführt werde, daßAus - landsanleihen das trübe Bild unserer Wirtschaftslage nur verschleiern könn ten, und deshalb unter Umständen der erstrebten Revision des Dawesplanes hinderlichseinkönnten. Im Gegensatz zu dieser Auffassung des Reichsbankpräsidenten steht die Reichsregierung bekanntlich auf dem Stand punkt, die Erfüllungspolitik müsse durch geführt werden, solange es irgend möglich sei. Es zeigt sich also hier ein neuer scharfer Meinungsunterschied zwischen Neichsregierung und Reichsbankleitung, der nur den Eindruck verstärken kann, daß jetzt eine Entscheidung darüber fallen muß, ob Reichswirtschafts ministerium oder Reichsbank für derartige finanz technische Fragen ressortmäßig zuständig sind. Wir glauben mitteilen zu können, daß diese Auffassung auch in Regierungskreisen besteht und daß die gestrige Chef besprechung vor allem den Zweck hatte, hierüber eine Verständigung her'zustellen, Eine Kabinettssitzung unter Vorsitz des Reichskanzlers zu der auch Reichsbankprä sident Dr. Schacht hinzugezogen werden wird, dürfte unmittelbar bevorstehen und die Entscheidung bringen. Reich uni) Lander. 7. Oktober 19?. 7 Von bestunterrichteter Seite hören wir, daß auch weite deutschnationale Kreise der Mei nung sind, eine straffere Zentralisierung der Steuerverwaltung sei nicht zu vermeiden, falls die Finanzschwierigkeiten der Länder nicht über hand nehmen sollen. Man ist aber der Ansicht, daß dies durchaus nichtdenAnfangeinesEinheits- staates überhaupt bedeuten könne, sondern daß es der Bevölkerung jedes Bundesstaates überlassen bleiben müsse, ob sie ihre staatliche Selbständigkeit innerhalb des deutschen Reiches aufgeben wolle oder nicht. Als geeignetes Mittel, dies festzustellen, wird allein eine Volksabstimmung in den betreffenden Ländern angesehen. Man würde es ferner für das gegebene halten, wenn die Länder nördlich der Mainlinie, die nicht länger selbständig bleiben wollen, sich zunächst dem preußischen Staatsverband anschließen, während die süddeutschen Staaten, wie beispielsweise Hessen, Reichsland werden könnten. Von zuständiger Stelle wird uns überdies mit- geteilt, daß die demnächst stattfindende Konferenz mit den Ländervertretern nicht auf die Initiative der Reichsbehörden zurückzuführen ist, sondern die An regung dazu von den Ländern selbst ausgeht. Der Rah men dieser Besprechung dürfte kaum soweit und so all gemein gezogen werden, wie dies die Oeffentlichkeit an zunehmen scheint. Der französisch-amerikanische Zollkonslikt. 7. Oktober 1927 Die Erhöhung der Zollsätze für eine Reihe von französischen Waren durch das Finanzdepartement der Vereinigten Staaten, hat in offiziellen französischen Kreisen einen recht unangenehmen Eindruck hervor gerusen, der durch die Mitteilung des amerikanischen Staatsdepartements daß man zur Einigung zu gelangen hoffe, nicht völlig verwischt worden ist. Trotzdem gibt man sich der Hoffnung hin, daß die Erhöhung der Tarife noch nicht den Beginn eines Zollkrieges zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich bedeute und daß bezüglich der Zusicherung des Staatsdepartements die Verhandlungen fortdauern werden. Im französischen Handelsministerium erklärte man, die französische Regierung sei gezwungen auch weiter hin den Vereinigten Staaten die Klausel der meist begünstigten Nation zu verweigern, solange die Ver einigten Staaten ihrerseits Zugeständnisse ablehnen. Man weist daraufhin, daß die Vereinigten Staaten in höherem Maße an dem Warenaustausch zwischen Frank reich und Amerika interessiert seien als dies bei Frank reich der Fall sei, denn der französische Handel nach den Vereinigten Staaten betrage zurzeit nur etwa 10 Pro zent des amerikanischen nach Frankreich. Anders sei die Lage zu der Zeit gewesen, als Frankreich noch seine Weine nach den Vereinigten Staaten ausführen konnte. Seitdem letztere trockengelegt seien, kämen nur noch für Arzneizwecke geeignete Weine in Frage, die in den Han delsexportziffern kaum ins Gewicht fielen. Wie der Neuyorker Berichterstatter des Petit Parisien mitteilt, soll die Verfügung des amerikanischen Schatzamtes zur Erhöhung der Zollsätze auf gewisse französische Waren von Staatssekretär Mellon gegengezeichnet sein. Die Verordnung wird mit ihrer Veröffentlichung in dem wöchentlich erscheinenden Zollblatt in Kraft treten. Man erklärt daß die amerikanische Zollerhöhung die französisch-amerikanischen Verhandlungen zu verhindern drohe. Unter den französischen Ausfuhrgegenständen, die mit der erhöhten Taxe belegt werden, befinden sich Ersatzteile für Automobile, Fahrräder und verschiedene chemische Produkte. Vor dem Bruch Frankreichs mit Sowjelrutzlan-? 7. Oktober 1927 Tschitscherin über die Nakowskiaffäre. Der Soir veröffentlicht ein Interview Robert Lacuricks mit dem Volkskommissar Tschitscherin über den Fall Rakowski und das Problem der russisch-französischen Beziehungen. Tschitscherin erklärte unter anderem: Unsere Regierung hat nicht nur nicht zugestimmt Rakowski abzuberufen, sondern sie hat sich im Gegen teil seiner Abberufung stündig widersetzt. Weder Lit winow noch ich haben von einer Zustimmung unserer Regierung zu dieser Abberufung gesprochen. Ich habe niemals die geringste Unzufriedenheit mit dem Bot schafter Rakowski zum Ausdruck gebracht sondern im Gegenteil habe ich alle Gründe seine Tätigkeit zu wür digen. In allen Fragen, die sein Auftreten in Frank reich betreffen, erkläre ich mich mit ihm durchaus soli darisch. Tschitscherin erklärte weiter, daß er dem fran zösischen Botschafter auf die Erklärung, Frankreich über lasse es ihm über die Abberufung Rakowskis zu ent scheiden, zu verstehen gegeben habe, die russische Regierung habe nicht den geringsten An- laßRakowski abzuberufen. Was den durch eine falsche Interpretation der Unterschrift Rakowskis unter der Oppositionserklärung hervorgerufenen Zwischenfall anbelangt, so sei der Sowjetregierung for mell durch den französischen Botschafter Herbette erklärt worden, daß nach den Erläuterungen Tschitscherins der Zwischenfall als abgeschlossen zu betrachten sei. Tschit scherin bezeichnete weiter die Hetze der französischen Rechtspresse gegen Rakowski als durchaus unzulässige Angriffe und Beleidigungen gegenüber einem Botschaf ter einer fremden Macht. Von besonderer Bedeutung sind die Schlußerklärun gen des russischen Volkskommissars in der er kategorisch sagte:DieAbberufungeinesVotschafters ist ein politischer Akt von außerordent lich e m E r n st. Rakowski ist in Paris der treue Dol metscher der Sowjetregierung. Die Forderung auf Ab berufung kann nach russischer Meinung nur als ein un freundlicher Akt gelten, der die ernstesten Rückwirkun gen zu den Beziehungen zwischen beiden Ländern haben müßte. Ein solcher Akt scheint mir besonders gefährlich, wenn er in einer an und für sich schon schweren inter nationalen Atmospäre und im Anschluß an eine Kam pagne vollzogen wird, deren ausgesprochenes Ziel der Bruch zwischen Frankreich und Rußland ist. Frankreich oeriangk Rakowskis Abberufung. 7. Oktober 1927 Wie der offiziöse „Petit Parisien" mitteilt, wird dieser Tage eine Note des französischen auswärtigen Amtes in Moskau überreicht werden, die den Wunsch der französischen Regierung nach Abberufung Rakowskis offiziell ausspricht. Als Grund für diese Forderung wird bezeichnet: Die Unterzeichnung des Aufsrufs des Zen tralkomitees der Kommunistischen Partei durch Ra kowski, die Veröffentlichung seiner Vorschläge in der Schuldenfrage, mit der er sich gegen jeden diplomatischen Gebrauch über den Kopf der französischen Regierung hinweg direkt an die Besitzer der russischen Papiere ge wandt und damit seine Rolle als Diplomat aufgegeben habe, um zu einem Agitator in dem Lande zu werden, bei dem er aggreditiert sei. Zur Notlandung -es v 123V bei Santa Cruz. 7. Oktober 1927 Zu der Notlandung des Junkers-Ozeanflugzeuges v 1230 meldet das 8-Uhr-Abendblatt aus Lissabon, daß die Landung wegen des schlechten Wetters erfolgte, nachdem das Flugzeug in dichtem Nebel eine halbe Stunde lang einen geeigneten Landungsplatz gesucht hatte. Der Pilot Loose, der am Steuer war, konnte den dichten Nebel nicht durchschauen. Das Flugzeug war bei seiner Landung vor dem Strande von Santa Cruz in gefährliche Nähe der Klippen geraten. Die Be völkerung, die an den Strand geeilt war und die Gefahr erkannt hatte, in der sich das Flugzeug befand, bei hohem Seegang an den Felsen zu zerschellen, schwenkte Fackeln, zündete am Strande Feuer an und gab Flinten schüsse ab, um die Aufmerksamkeit der Besatzung zu wecken. Darauf nahmen die Piloten die Hilfe zweier Fischerboote an, die das Flugzeug eine Meile weit von der gefährlichen Stelle fortschlcppten. Der Führer Loose ging darauf allein an Land, wo er einige Depeschen auf gab und in einem Hotel ein Mahl zu sich nahm. Um 9 Uhr abends ging er wieder an Bord zurück. Die Kosten -er Besol-ungsresorm. 7. Oktober 1927 Wie das Berliner Tageblatt mitteilt, werden die Kosten der Vesoldungsreform, von den Staatsarbeitern abgesehen, für Preußen auf 180 Millionen Mark ge schätzt. Das preußische Finanzministerium will für die erste Zeit die Mehraufwendungen selbst aufbringen, für späterhin 100 bis 120 Millionen Mark, so daß das Reich nur mit 60 bis 80 Millionen Mark einzuspringen hätte. Die Mehraufwendungen Bayerns werden mit 60 Mil lionen Mark berechnet. Zur finanziellen Entlastung der Länder sind Vorschläge gemacht worden, die unter ande rem dahin gehen, daß der Ertrag der Eetränkesteuer ausschließlich den Ländern zugute kommen, die Haus zinssteuer in stärkerem Umfange zur Deckung des allge meinen Finanzbedarfs herangezogen und möglicher weise auch die Umsatzsteuer erhöht werden soll. Es handelt sich hierbei, wie ergänzend mitgeteilt werden kann, lediglich um unverbindliche Vorschläge, die in der kombinierten Konferenz der Ministerpräsi denten und Finanzminister der Länder am Montag auf getaucht sind. Um die Deckung für die Vesoldungsreform. Wie die Telegraphen-Union erfährt, hat gestern vormittag in Fortsetzung der gestrigen Beratungen der vereinigten Reichsratsausschüsse der besondere aus diesen Ausschüssen zusammengestellte Deckungsausschuß Les Reichsrats getagt, um die Frage der Deckung für die Besoldungsreform zu behandeln. In dieser Sitzung ist vom Reichsfinanzminister erneut der auch vom Reichskabinett gebilligte Standpunkt vertreten worden, daß an eine Aenderung des Finanzausgleichs, ins besondere des K 35, nicht zu denken sei und daß die Mit tel für die Besoldungsreform aus den zu erwartenden Mehreinkünften gedeckt werden müßten. Die Verhand lungen über die Deckungsfrage gehen jedoch weiter. Gestern nachmittag traten die vereinigten Ausschüsse des Reichsrats erneut zusammen, um speziell die technische Frage der Durchführung der Besoldungsreform zu be raten. Preußen und Sachsen sind bereit, wenigstens für e i n h a l b e s I a h r die Mehraufwendungen der Beamtenbesoldung zu übernehmen. Die anderen Län der erklären sich aber nicht einmal zu dieser Leistung fähig. Bauern hat gegen die Vesoldungsvorlage Einspruch erhoben Schutz un- Kilfe uegen -ie spinale Km-erMhnmng. Die spinale Kinderlähmung hat in einigen Teilen Deutschlands seit kurzem einen epidemischen Charakter angenommen und dadurch welle Kreise der Bevölkerung mit Furcht und Schrecken erkfüllt. Wenn uns auch bis heute ein Heilserum gegen die Krankheit noch fehlt, so stehen wir ihr doch nicht machtlos gegenüber. Da zu nächst der Sitz der Krankheitskeime und die Ansteckungs wirkungen von Mensch zu Mensch bekannt sind, so läßt sich durch zweckmäßige hygienische Verhältnisse der Weiter verbreitung Einhalt tun. Hierbei ist die Zusammenarbeit von Aerzten, Behörden und Publikum von besonderer Wichtigkeit. Durch den polizeilichen Meldezwang kommt jeder Fall der Behörde zur Kenntnis und wird von Amts wegen Hmsichtlich der notwendigen 'Absonderungs- unv Desinfektionsmaßnahmen bearbeitet. Deshalb ist es wichtig, daß vor allem das Publikum keinen Krankheits fall zu verheimlichen sucht und schon beim geringsten Ver dacht einen Arzt zu Nate zieht. Durch Merkblätter usw- wird die Bevölkerung über das Wesen und die Form der Krankheit ebenso wie über die zu beobachtenden Vorsichts maßnahmen aufgeklärt. Da sich die Krankheitserreger in den Körperaus scheidungen vorfinden, so ist von allgemeinen hygienische" Maßnahmen besonders folgendes zu beachten: 1. H"m niemanden an. 2 Halte beim Husten ober Räuspern stets ein Taschentuch vor den Mund. 3. Unterlassung un nötigen nahen Berührens, wie z. B. das Küssen. 4. Be nutzung nur eigener Hand- und Taschentücher. 5. Ham deine Eß- und Trinkgesäße abgesondert von denen de Erkrankten. 6. Wasche dir häufig die Hände. 7. Schn? die Speisen vor Fliegen und vernichte die Fliegen, w du kannst; denn auch sie können die Krankheit übertragen- Die Befolgung dieser Vorschriften ist auch für Gesund von größter Bedeutung, da diese, ohne selbst ZU e' kennen, doch Krankheitsträger und daher Weiterverbren der Krankheit sein können.