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Deutsche Lewen in Südtirol. 23. Dezember 1927 Bei einer großen Kundgebung in Innsbruck schil derten, wie der „Vorwärts" meldet, Oberlehrer Riedl und Dr. Reut-Nicolussi die Leiden der Deutschen in Südtirol. Dabei erklärte Riedl, daß er bei seiner Verhaftung Ende Januar 1927 gefesselt nach Trient gebracht wurde. Dort wurde er in schwere Ketten gelegt. Er sei durch sieben Gefängnisse immer zusammengekoppelt mit Schwer verbrechern nach Neapel und von dort aus in ein Loch, in dem Morast und Ungeziefer fürchterliche Qualen bereitet hätten, gebracht worden. Im unter sten Schiffsraum sei er an einen eisernen Ning ange schmiedet und noch so gefesselt worden, daß jede Be wegung auch jedem der Mitgefangenen Schmerzen be reitet hätten und man nicht einmal die Fliegen und das sonstige Ungeziefer habe abwehren können. So seien zehn Menschen über das Meer transportiert worden. Als ein venezianischer Kaufmann sich über diese Qualen beschwert habe, sei er abgekoppelt und in einer eigenen Strafzelle mit 40 Stockhieben trak tiert worden. Im Verbannungsorte Ustica seien den Internierten die Briefe aus der Heimat vorenthalten worden. Darauf sprach Dr. Reut Nicoluss i. Er wies darauf hin, daß Abgeordneter Baron Sternbach von Faschisten durch Schläge ins Gesicht fast unkenntlich geworden war. Er sehe den 75jährigen Altbürgermeister Perathoner neben sich blut überströmt zu Boden sinken, er sehe die Leiche Franz In nerhöfers, er sehe Noldin zweimal verhaftet und nun auf die Felseninsel verbannt, weil er deutschen Kindern von Salurn den Ehristbaum habe ausrichten wollen und in seinem Hause deutschen Unter richt habe erteilen lassen. Sodann betonte er, daß durch die unmenschlichen Eewaltmethoden der Faschismus die Sache Tirols selbst zur Revision der Frie de nsvertrüge angemeldet habe. Die Vrennergrenze sei die Wurzel alles Uebels. Italien habe sich als unfähig erwiesen, Südtirol zu vermalten. Der Mecklenburg-StreNger Landtag ausgelölt. 23 Dezember 1927 In der gestrigen von allen 35 Abgeordneten und der Regierung besuchten öffentlichen Vollsitzung des Mecklenburg-Strelitzer Landtages, verlas der Land- tagsprästdent Landrat Dr. Roth eine Erklärung, in der er die Entscheidung des Staatsgerichtshofes vom 17. Dezember bekannt gab und ferner darauf hinwies, daß der Staatsgerichtshof es dem Lande, das heißt seinen zuständigen Organen überlassen habe, aus dem Spruch die notwendigen Folgerungen zu ziehen. Diese Folgerung könne nur sein, daß durch den Spruch des Staatsgerichtshofes dem Landtag die verfassungs mäßige Grundlage entzogen sei. Wenn auch kein Zweifel darüber bestehe, daß der Landtag, nachdem ihm die verfassungsmäßige Grundlage entzogen sei, irgend welche rechtsverbindlichen Akte nicht mehr vornehmen könne, so habe er doch zusammenberufen werden müssen, um die Folgerungen aus dem Spruch des Staats gerichtshofes festzustellen. Durch den Spruch sei dem Landtag die Rechtsgrundlage entzogen worden. Er müsse daher daraus den Schluß ziehen, daß er durch den Spruch des Staatsgerichtshofes sich als aufgelöst zu betrachten habe. Die Arbeit des Landtages sei damit beendet. Hierauf wurde die Sitzung geschlossen. Die Regierungsbildung in Hessen. Anfang dieser Woche hat eine Fühlungnahme zwischen Sozialdemokraten und Zentrum über die Re gierungsbildung in Hessen stattgefunden, die nunmehr durch eine Pause unterbrochen worden ist, da das Zen trum zunächst eine Sitzung des Landesausschusses ab halten will; am 28. Dezember wird dann die sozial demokratische Fraktion zu dem Beschluß des Zentrums Stellung nehmen. Ob bis dahin die Frage der Re gierungsbildung geklärt ist, erscheint jedoch weiter höchst fraglich, zumal der Beschluß des Staatsgerichtshofes über die Gültigkeit der hessischen Land tagswahlen abgewartet werden muß. Der Staats gerichtshof wird diese Frage frühestens in den ersten Tagen des nächsten Jahres erledigen. Frankreich im Wahlfieber. 23. Dezember 1927 Deutschenhetze und unsinnige Behauptungen. Je näher die französischen Wahlen rücken, um so aufgeregter bewegen sich die französischen Nationalisten. Dies trifft besonders auf das Blatt Millerands, den „Avenir" zu, der sich in seinem Artikel mit der Demarche des Botschaftsrats Rieth wegen des Hin denburg-Plakats und den Schritt des deutschen Konsuls in Genf gegen das „Jour nal de Geneve" und die „La Suisse" wegen der von diesem Blatt gebrachten Kommentare zur Verhaftung Roetchers bzw. eines Interviews von Karl Mer tens beschäftigt. Das Blatt stellt dabei die freche Be hauptung auf „die deutsche Diplomatie benimmt sich in Paris genau so unverschämt wie in Genf." Das Blatt schließt seine keineswegs für eine Besserung der deutsch französischen Annäherung bestimmten Ausführungen mit dem Bemerken, die Franzosen könnten sich über den Mißgriff des deutschen Konsuls in Genf nur freuen, denn dadurch seien den Schweizern die Augen geöffnet worden und auch sie hätten die Gefahr erblickt, die der Schweiz ebenso wie Frankreich drohe, ein Vasallenstaat Deutschlands zu werden. Nur Frankreich könne die Schweizer Neutralität garantieren. Protest der französischen Bereinigung für den Frieden gegen die Hetzmanöver. Die ständige Delegation der französischen Vereini gung für den Frieden veröffentlicht eine Protesterklä rung gegen das Hindenburg-Plakat, das alle Freunde des internationalen Friedens empören müsse. Die Diplomaten jeden Landes hätten, so heißt es unter anderem, auf die Erhaltung des Friedens bedacht zu sein und ihre Achtsamkeit besonders auf gewisse Um triebe zu richten, die zur Vermehrung der Mißver ständnisse, der Verdächtigungen und der Feindseligkeiten unter den Völkern beitrügen. Erneute Bestrafung Zorn v. Bulachs. Paris, 23. Dez. Baron Zorn v. Bulach ist zu 15 Tagen und 25 Franken Geldstrafe verurteilt wor den, weil er in der „Wahrheit" eine beleidigende Pressekampagne gegen die französische Gendarmerie führte. In dieser Strafe ist die am 5. November dieses Jahres erhaltene Strafe bereits enthalten. Polnisch-finnisches Zusammenspiel. 23. Dezember 1927 Nach Meldungen aus Moskau hat der Revalsr Sowjetgesandte Petrowski Enthüllungen über die Vor bereitungen zur Bildung eines baltischen Staatenblockes unter polnischer Füh rung gemacht. Man habe in Genf bereits die Grund lage zur Bildung eines starken antisowjetisti- schen Blockes an der West grenze Sow jetrußlands gelegt. In diesem Zusammen hang sei nach Angabe Petrowskis in Genf bereits zwischen Marschall Pilsudski und dem Chef des finn- ländischen Generalstabes, der nur zu diesem Zwecke nach Genf gereist sei, verhandelt und ein militäri sches Abkommen getroffen worden, das eine große Rolle bei der Annäherung zwischen Polen und Finnland spiele. Auch die jetzt getroffene Umgestaltung des finn ländischen Kabinetts unter Führung des bisherigen finnlündischen Gesandten in Warschau, Prokope, der bekanntlich ausgesprochene polenfeindliche Tendenzen habe. Nach der endgültigen Beilegung des polnisch litauischen Konfliktes, werde in Kürze eine Annäherung zwischen der polnisch-litauischen Gruppe einerseits und der lettländisch-estländischen andererseits erfolgen. Am die Durchführung -es Eifenschie-sfpruchs. 23 Dezember 1927 Im Auftrage des Reichsarbeitsministers hat, dem „Vorwärts" zufolge, der neue Schlichter für Westfalen, Regierungsrat Brisch, die an den Tarifverträgen in der Großeisenindustrie beteiligten Parteien zu Verhandlungen wegen der Durchführung der Arbeitszeitverordnung vom 16. Juli zum Freitag, dem 23. Dezember, nach Dort mund geladen. Der deutsche Metallarbeiterverband für Verbindlichkeits- erklärung des Schiedsspruches in der Großeisenindustrie. Die gestrige Konferenz der Delegierten und Ge schäftsführer des deutschen Metallarbeiterverbandes und der übrigen beteiligten freien Gewerkschaften des Tarif abkommens der Eisen- und Stahlindustrie Nordwest hat zu der durch die Verbindlichkeitserklärung der beiden Schiedssprüche geschaffenen Lage Stellung genommen. In der Beschlußfassung heißt es u. a.: Trotz der starken Gegenwirkung. der Vertreter der freien Gewerkschaften seien die Schiedssprüche über Lohn- und Arbeitszeit vom Reichsarbeitsministerium für verbindlich erklärt worden. Dadurch sei ein Vertragsverhältnis geschaffen, das die Arbeiter der Eisen- und Stahlindustrie mit der größten Erbitterung erfüllen müsse. Nicht nur sei der größte Teil der notwendigsten und zeitentsprechenden Forde rungen der Arbeiter unerfüllt geblieben, sondern auch die Verordnung vom 16. Juli 1927 über die Regelung der Arbeitszeit der Stahl- und Walzwerkarbeiter, die nach einem einstimmigen Gutachten des Reichswirtschaftsrates zustande kam, sei stark verstümmelt worden. Der in den letzten Tagen bekannt gewordene Beschluß der Ar beitgeber über die Stillegungsanzeige zeige erneut die Einstellung der Schwerindustrie. Die Konferenz erkenne an, daß ihre Vertreter die seit Jahren aufgestellten ge meinsamen Forderungen mit aller Kraft vertreten hätten. Die Konferenz halte es für selbstverständlich, daß, um Schädigungen einzelner Mitglieder und der Eesamtorgani- sationen zu vermeiden, nur den Anordnungen der freien Gewerkschaften Folge zu leisten sei. Die Ausgabenwirtschas! -er Krankenkassen war in den letzten Monaten Gegenstand lebhafter Kritik in der Tagespresse. Nach dem jetzt vom Hauptvorstand deutscher Krankenkassen veröffentlichten stenographischen Bericht führte aus dieser Tagung Syndikus Dr. Müser (Köln) (D. Vp.) als Arbeitgeberoertreter u. a. folgen des aus: Wenn man eine Politik auf längere Zeit treiben will, so darf man nicht nur für den Augenblick sorgen und darf sich nicht von Umständen, die im Augenblick maßgebend sein mögen, unbedingt beeinflussen lassen... Nun aber eins. Wir haben in unserem Ver waltungsgebäude Einrichtungen geschaffen, von denen wir überzeugt sind, daß sie für unsere Versicherten von größ tem Nutzen sein und diesen beträchtliche Vorteile bringen werden, und zwar Vorteile, die sie — das möchte ich besonders hervorheben nicht bekommen hätten und bekommen würden, wenn wir unser Verwaltungshaus mit den hygienischen und sanitären Einrichtungen nicht gebaut hätten. Ministerialdirektor Dr. Grieser (Berlin) äußerte sich wie folgt: Bei den Krankenkassen ist ein Versicherungsgut untergebracht, wie es kostbarer nicht ge dacht werden kann. Die Krankenkassen gewähren den Unterhalt für rund 240 Millionen Krankheitstage im Jahre. Die Krankenkassen bilden die größte und leistungsfähigste Spargemeinschaft im Deutschen Reich. Die Krankenversicherung ist eine geistig-sittliche Schule nicht bloß für die Pflege des Sparsinns, sondern auch zu einer gesunden, verständigen Lebensführung zur Höher entwicklung, zur Befreiung der Menschenwürde im Ar beiter... Die Arbeit in der Krankenversicherung ist Dienst am Lebensglück der Arbeiter Deutschlands, ist Dienst an der Volksgemeinschaft zum Ausgleich der so zialen und wirtschaftlichen Spannungen in unserem Volks körper. Die Selbstverwaltung verpflichtet zur Ehrfurcht vor deni Versicherungsgut, zur wirtschaftlichen Verwal tung der Mittel. Wenn die Versicherten selbst den Ver sicherungsbetrieb wie einen Familienbetrieb auffassen, bei dem jedes Mitglied mitsparen hilft, bei dem kein Mit glied einen Vorteil auf Kosten des anderen sucht, dann wird die Krankenversicherung in Wahrheit eine Einrich tung zur Befreiung der Arbeiter, zur Steigerung ihrer Persönlichkeit, zur Ergänzung und Erhöhung ihres Lebens wertes... Unbeschadet besonderer Würdigung von Ein zelheiten alles Werk ist Menschenwerk spreche ich der Krankenversicherung und ihrer Selbstverwaltung hier mit diese Anerkennung aus. Ich danke insbesondere den Krankenkassenbeamten, die in unverdrossener mühevoller Arbeit Tag für Tag im Dienste der kranken und not leidenden Versicherten arbeiten. Vor einer neuen Kältewelle? 23. Dezember 1927 Seit gestern morgen hat in Polen eine neue Kälte welle eingesetzt, die sich nach den Wetterberichten in den nächsten Tagen noch verstärken soll. In Krakau wurden gestern 26 Grad Kälte verzeichnet. Im übrigen Polen schwankt die Temperatur zwischen 10 und 14 Grad. Ueber das Eis von Stralsund nach Rügen. An der Ostseeküste war in diesen Tagen vermehrte Eisbildung festzustellen. Aus Saßnitz wird gemeldet, daß im Laufe des Mittwoch ein heftiger Sturm uuf- kam Von See kommende Eisschollen blockierten die Küste. Die Binnenschiffahrt vom Stralsunder Hafen aus mußte vollkommen eingestellt werden Der Eis brecher der Stadl Stralsund konnte nur noch eine Fahr rinne nach Palmerort freihalten. Oberhalb der Studt Stralsund ist der Sund ganz zugefroren, so daß schon ein Personenverkehr über Eis nach Rügen möglich ist. Der Verkehr der Schwedentrajekte ist unbehindert. 25 Grad Kälte in Sofia. Aus Sofia wird gemeldet: Die Kälte hat wieder erheblich zugenommen. Die Temperatur betrug in Sofia 25 Grad unter Null. Schiffsstrandnngen an der holländischen Küste. An der holländischen Küste herrscht starker Rebel, der die Schiffahrt schwer gefährdet. Der deutsche Dampfer Eschersheim strandete auf der Fahrt nach Rotterdam, konnte jedoch nach einigen Stunden wieder frei kommen und seine Fahrt fortsetzen. Bei Vouk van Holland strandete ein holländischer Heringsdampfer. Die Mannschaft hat das Schiff verlassen. Auf allen Flüssen herrscht infolge des Tauwetters schwerer Eis gang Viele Inseln an der holländischen Küste sind seit Tagen von jedem Verkehr abgeschnitten Tauwetter und Verkehr. Die Bahnmeistereien der Reichsbahndirektion Berlin haben einen erhöhten Sicherungsdienst ein gerichtet, um für eine glatte Abwicklung des Verkehrs bei der anhaltenden Glatteisbildung zu sorgen, die sich besonders an den Weichenanlagen und Signalen un angenehm bemerkbar macht. In den Straßen Berlins machte sich das Glatteis gegen Abend, als Regen ein setzte, wieder sehr unangenehm bemerbar und hatte eine ganze Anzahl von Unfällen zur Folge. Hilfe für Ostpreußen. Berlin, 23. Dez. Wie der Demokratische Zeitungs- oienst erführt, dürften bei der Notstandsaktion für Ost preußen 17 Millionen auf den preußischen Staat ent fallen. Preußen wird außer den Erleichterungen hei den Schullasten und bei der Erundvermögenssteuer, die es für Ostpreußen trägt, auch Mittel für das land wirtschaftliche Siedlungswesen flüssig machen. Der Eisenbahnverkehr in Ostsachfen. 23 Dezember 1927 Durch Schneeverwehungen ist im Laufe des gestrigen Nachmittags und der Nacht der Eisenbahnbetrieb in Ost sachsen stark beeinträchtigt worden. Auf der Strecke E ö r litz— Dresden sind die Züge 645 zwischen Bautzen und Kubschütz, 649 zwischen Seitschen und Bautzen und und 667 zwischen Weickersdorf und Bischofswerda und zwischen Bischofswerda und Demitz steckengeblieben. . Es wird ein eingleisiger Betrieb aufrechterhalten. Züge fahren auf dieser Linie nicht auf, doch ist mit größeren Verspätungen zu rechnen. Ferner konnten Züge nicht durchgeführt werden zwischen Bischofswerda und Kamenz, Bautzen und Großpostwitz, Radebeul und Radeburg, Bautzen und Königswartha, Kohlmühle und Hohnstein, Zittau und Reichenau und Hermsdorf, Dürrröhrsdorf und Neustadt, Dürröhrsdorf und Weißig-Bühlau und zwischen Geising und Altenberg. Die demokratische Fraktion hat im Landtag eine Anfrage eingebracht,, was die Regierung zu tun gedenke, um wenigstens für die Zukunft die glatte Erledigung des Personen- und Güter Verkehrs auf der sächsischen Eisenbahn zu sichern, da die jetzigen Zustände die Geschäftswelt schwer schädigen. Der Einheitsverband der Eisenbahner veröffentlicht eine Erklärung, wonach die Hauptschuld an den Verzögerungen den Personalmangel der Reichsbahn trifft.