Volltext Seite (XML)
Kurze Mitteilungen. 17. Oktober 1927 Nach bisherigen Ergebnissen der Gemeinde- wahlen in der Tschechoslowakei haben die Deut schen erheblich an Stimmen gewonnen. Beim Bau der elektrischen Leitung für die Brenner- Bahn wurden drei Arbeiter durch Starkstrom getötet, ein vierter verletzt. Die nationalistische Pariser Presse hat bereits mit einer heftigen Propaganda gegen den neuen russischen Botschafter Dovgalevski eingesetzt. Nach dem „Petit Parisien" soll Rak owski bereits die deutsch-französische Grenze überschritten haben. Versammlungen und Kongresse. 17. Oktober 1927 Deutschnationale Handlungsgehilsentagung. Am Sonnabend und Sonntag wurde in Nossen die 7. Kreis tagung des Deutschnationalen Handlungsgehilsenverban- des abgehalten. Der Tagung ging am Sonnabend eine Mitarbeiterversammlung voraus, in der u. a. der Kreis vorsteher Kahlert (Dresden) ein Referat über die prak tische Durchführung der Wahlen zur Angestelltenversiche rung ^stattete. Aus dem Begrüßungsabend hielt der Eauvorsteher Hegewald (Leipzig) die Festrede. Der Redner legte die gegenwärtige Stärke der Organisation dar und beleuchtete die Ziele des Verbandes als national gerichteter Standesvertretung. Die eigentlichen Ver handlungen begannen am Sonntag vormittag. In seiner Eröffnungsansprache brachte Kreisvorsteher Kahlert zu nächst ein Hoch auf den Reichspräsidenten und das deutsche Volk aus und widmete den verstorbenen Mitglie dern Worte ehrenden Gedenkens. Es folgten der Jahres bericht und Wahlen, die zu Mer regen Aussprache führ ten. Als zweiter Kreisvorsteher wurde Arnhold (Meißen) gewählt. Einstimmig wurde Radeberg als Ort für die näch st jährige Tagung bestimmt. Es folgte ein Vortrag des Obmannes Zieschang '(Leipzig) über die Geltendmachung der staatsbürgerlichen Rechte. Ferner sprach Log (Dresden) in längeren Ausführungen zu dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen versicherung. Von Interesse war ferner ein Vortrag des Kreisvorstehers Kahlert über das Thema: Unser Kampf um die Erhaltung und den Ausbau der Ange stelltenoersicherung. Das Schlußwort sprach Gauvor steher Hegewald. Mit der Absingung des Bundesliedes fafid die Tagung ihr Ende. Erster Evangelischer Volksbildungstag. Ein guter Sachkenner hat kürzlich geäußert, das heutige deutsche Schrifttum sei, wie seit langem nicht, von religiöser Sehnsucht erfüllt. Aber an den Türen der Kirchen gehe es vorüber. Ueber die heutige Kunst kann man ähnlich urteilen hören. Aber viele Anzeichen sprechen dafür, daß Schrifttum, Kunst und evangelische Kirche sich wieder zu Nähern beginnen. Erfolgreich bemüht sich hierum seit Jahren der Deutsch-Evangelische Volksbil dungsausschuß, der sich in der Monatsschrift „Eckart" ein eigenes Organ geschaffen hat. Zum erstenmal wagten die Freunde dieser Bewegung kürzlich in Weimar eine allgemeine deutsche Tagung. Staatliche und kirchliche Behörden bekundeten ihre Anteilnahme. Prof. D. Bart- ning, der Leiter der Bauhochschule, begrüßte die Be strebungen des Ausschusses. Die heute viel gepriesene neue Sachlichkeit ist nur notwendige Voraussetzung für echte Volkskunst. Die letzte Ausgabe der Volkskunst sieht er darin, einen Schimmer des Ueberweltlichen, einen Schwung der Seele den Dingen mitzuteilem Es sprachen weiter Dr. Bartsch (Berlin) über den evangelischen Volks bildungsgedanken, Pfarrer Dr. Girton (Soest) über Ge brauchskunst und Volksbildung, Privatdozent Dr. Flitner (Kiel) über die oolksbildnerische Methode und Rudolf Mirbt (Breslau) über Möglichkeiten und Grenzen des Laienspiels. Eine sehr glückliche Probe der Leistungs fähigkeit auf diesem Gebiet gab die Laienspielschar des Volksdienstes der Thüringer evangelischen Kirche mit der Aufführung des Apostelspiels von Mell. Eine Aus stellung der staatlichen Hochschule für Handwerk und Bau kunst warb in eindrucksvoller Weise für diese Be strebungen. Lohnbewegungen unb Streiks. 17. Oktober 1927 Die sächsische Negierung zum Lohnstreit im Braun kohlenbergbau. Von Arbeitgeberseite wird mitgeteilt, daß das sächsische Wirtschaftsministerium sich in Berlin für ein Eingreifen des Reiches in den Lohnstreit im Braunkohlenbergbau ausgesprochen hat, damit nicht die augenblickliche gute Konjunktur durch Ausstand gestört werde. Desgleichen hat sich auch das sächsische Arbeits ministerium beim Reichsarbeitsminister dafür eingesetzt, daß der Friede im mitteldeutschen Kohlengebiet aufrecht erhalten werde. Streik im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau. Gestern fanden in allen Revieren des mitteldeutschen Braunkohlenbergbaues stark besuchte Versammlungen statt, in denen noch einmal die Lage besprochen, über die gescheiterten Verhandlungen Bericht erstattet und die Arbeitsniederlegung für Montag vormittag be schlossen wurde. Die Anwesenden stellten sich auf den Standpunkt, daß unter allen Umständen am Montag die Betriebe stillgelegt werden. Sie haben sich ferner mit dem Vorgehen der Zentralstreikleitung einverstan den erklärt, Notstandsarbeiten zu verrichten. Soweit der mitteldeutsche Syndikatsbereich in Frage kommt, dürften 43 000 Arbeiter in den Streik treten. Im ost elbischen Syndikatsgebiet dürften es ungefähr 25 000 bis 27 000 Arbeiter sein. Die Streikparole im mittel deutschen Bergbau ist unterzeichnet vom Verband der Bergarbeiter Deutschlands, dem Eewerkverein christ licher Bergarbeiter, dem Eewerkverein vom deutschen Metallarbeiterverband, vom Verband der Fabrik arbeiter Deutschlands und vom Zentralverband der Maschinisten und Heizer. In welchem Umfange der Streikparole Folge geleistet werden wird, läßt sich heute noch nicht übersehen. Auf dem linken Flügel der Ge werkschaften wird versucht, den Streik auch auf die ver wandten Industrien auszudehnen, insbesondere auf die chemischen Betriebe sowie auf die Großkraftwerke (Werk Tschornewitz, Eisag), ferner versucht man kommunale Organisationen, Konsumvereine usw. einzubeziehen. Auch die Ruhrbergleute fordern Lohnerhöhung. Die vier Vergarbeiterorganisationen hielten gestern zahlreiche Versammlungen ab, in denen unter Hinweis auf die wachsende Teuerung eine zwischentarifliche Lohnerhöhung gefordert wurde. Verhalte sich der Zechenverband demgegenüber ablehnend, so sei das ganze Vertragswerk möglichst bald aufzulösen. Die Stimmung war teilweise sehr erregt. Aus aller Wett. 17. Oktober 1927 * Dreifacher Mord und Selbstmord. Am Sonn abend wurde in Werbig an der Ostbahn ein dreifacher Mord entdeckt. In einem etwas abseits gelegenem Hause hatte der Arbeiter Oskar Wilde seine 74jährige Schwieger mutter, seine 30jährige Frau und sein sechsjähriges taub stummes Töchterchen erschlagen und hierauf Selbstmord begangen. Aus hinterlassenen Briefen des Täters geht hervor, daß Wilde die Tat wegen dauernder Familien streitigkeilen begangen hat. * Lustmord an e nem vierjährigen Knaben. Aus Dortmund wird gemeldet: Gestern abend wurde auf dem Hof des Hauses Leierweg Nr. 39 die entsetzlich zuge richtete Leiche eines vierjährigen Knaben gefunden. Die sofort alarmierte Mordkommission nahm einen in dem gleichen Hause wohnenden Hüttenarbeiter als der Tat dringend verdächtig fest. Nach längerem Leugnen gestand der Verhaftete schließlich, daß er den Knaben in den Abort gelockt, ihm mit einem Küchenmesser die Kehle durchgeschnitten und die Leiche verstümmelt habe. Die. Leiche habe er in den Hof geworfen und dann die Spuren der grausigen Tat beseitigt. * Auch eine Kanalschwimmerin. Fräulein Dr. Logan, die vor einiger Zeit den Kanal in Rekordzeit für Frauen durchschwommen haben wollte, übergibt der Presse eine Erklärung, in der sie angibt, daß sie lediglich eine kurze Strecke beim Start an der französischen und vor der Landung an der englischen Küste geschwommen sei und im übrigen im Begleitboot gewesen sei. Diese Irre führung sei geschehen, um zu beweisen, wie leicht es sei, die Durchschwimmung des Kanals vorzutäuschen. Diese Erklärung hat in England großes Aufsehen erregt, zu mal die vortreffliche Schwimmerin keineswegs auf die Entgegennahme der zahlreichen Glückwünsche ver zichtet hat. * Trotzki ausgepfiffen. Aus Leningrad wird ge meldet, daß Trotzki gestern vor Arbeitern der Putilow- Werke eine Rede über die allgemeine gesamte Politik der russischen kommunistischen Partei halten wollte. Er wurde von den Arbeitern ausgepfiffen und mußte die Putilow-Werke verlassen. Das Zentralkomitee der kom munistischen Partei hat gegen Trotzki und Sinowjew aber mals ein Verbot erlassen, in Arbeiterversammlungen aüs- zutreten. * Fünf Tote bei einem Flugzeugabsturz in Amerika. Nach einer Meldung aus Neuyork ist in San Antonio im Staate Teras ein Passagierflugzeug aus 700 Meter Höhe abgestürzt. Die fünf Insassen des Flugzeuges sanden bei dem Absturz den Tod. Slapellaus der Zwillinge in Wilhelmshaven. Zwei neue deutsche Zerstörer. Auf der staatlichen Werst in Wilhelmshaven sind die beiden großen Torpedoboote »Iltis" und .Wolf" vom Stapel ge laufen. Die Tausrede für das Torpedoboot „Iltis" hielt Admiral von Laos, der an die beiden Vorgänger erinnerte, der am 25. Juli 1bSk> an der Schantungküste unlergegangenen ersten „Iltis" und an den zweiten, der am 17. Juli 1SOV sich hervorragend bei der Niederkämpiuna der Takuforts betätigt hatte. Kapitän a. D. Nerger, der Kommandant des ehemaligen Hilfskreuzers .Wolf" (der später an Frankreich ausgeliefert werden muhtet, hielt die Taufrede für das zweite Torpedoboot. Die Taufe wurde durch Frau Brandes, die Gattin des ersten Offiziers des Hilfskreuzers „Wolf", vorgenommen. Ai Amores Hochzeitsreisen. Noma« von Ulrik Uhland. Berechtigte Übersetzung auS dem Schwedischen von Rhea Sternberg. N) (Nachdruck verboten.) ,Aber ich habe ja gehört, daß Sie sich verheiraten werden." Der Doktor war froh, diese Form gesunden zu haben, um die heikle Auseinandersetzung herbeizuführen. Die konnte sie ja unter keinen Umständen beleidigen. Er beobachtete Agneta scharf, um zu sehen, welchen Eindruck seine Worte auf sie machten. Und mit Unbehagen sah er, daß sie die Farbe wechselte. „Ich?" sagte sie und ihre Augen nahmen einen er staunten Ausdruck an. „Ja, das erzählte man mir." „Ach, das muß ein Irrtum sein," erwiderte sie und lächelte. „Wer hat das gesagt?" „Das ist gleich," meinte der Doktor kurz. Narrte sie ihn oder war es wirklich nicht wahr? „Und ich hörte, daß Ihr zukünftiger Mann Graf Breuning sein soll." „Ach du lieber Gott," rief sie unwillkürlich aus und ihr Gesicht nahm plötzlich einen Ausdruck des Mißbehagens an, der dem Doktor wohlgesiel. „Kennen Sie ihn?" „Nein," antwortete sie wahrheitsgemäß. „Aber ist das nicht der Leutnant, der viel mit Herrn Baron Bencken verkehrt?" „Ja." War es denn möglich, daß sie ihn nicht einmal kannte? Woher hatte denn seine Schwester diese ganze Geschichte? „Kennen Sie Gras Brenning wirklich nicht?" Sein Ton war kurz und inquisitorisch. „Nein, wirklich nicht." Sie sah ihn offen an. „Und es ist merkwürdig, daß man Ihnen erzählt hat, er wäre — «rein Verlobter," schloß sie unsicher. „Stimmt das nun tatsächlich oder glauben Sie, daß mich die Sache nichts angehe?" Der Doktor schien noch ebenso finster wie zuvor. „Ich lüge und täusche nie," sagte Agneta rnhig. Sie war innerlich säst böse. „Die einzige eventneüe Erklärung, die ich für dieses Geschwätz wüßte, wäre die, daß Graf Brenntag mir stets zu folgen pflegt, wenn er mich zufällig trifft. Aber das, vermute ich, tut er wohl nicht nur bei mir. Im übrigen ist es erbärmlich, Ihnen solche Geschichten zu erzählen, wer es auch getan haben möge," sagte sie in heftigem Tone und mußte sich ans die Lippen beißen, um nicht zu weirren. „Es ist also entschieden ein Irrtum?" „Nein, aber eine Lüge," rief sie und stand auf. Sie ertrug es nicht länger, sie mußte fort. „Einen Augenblick noch, Fräulein Reif." Er erhob sich und ging auf sie zu. Agneta würgte an ihren Tränen und wandte sich nach dem Fenster, um seinem Blick auszuweichen. „Habe ich Sie gekränkt, so glauben Sie mir, daß es durchaus nicht meine Absicht war," sagte er. Und sein Ton hatte plötzlich einen so weichen, warmen Klang, daß sie ihn ansehen mutzte. Er nahm ihre Hand und Agneta wurde brennend rot. „Und da Sie vollkommen frei sind, haben Sie vielleicht nichts dagegen, noch länger hierzu bleiben und mir zu helfen?" Wie ein Schwindel überkam es Agneta. Das ganze Zimmer tanzte vor ihren Augen. Daß sie sich so freuen konnte, hatte sie nie geahnt. „Wollen Sie?" fragte der Doktor. „Ja, aber zu welchem Zweck?" „Sie verstehen ja noch eine ganze Menge anderes, als nur vorzulesen. Wollen Sie meine Sekretärin werden? Ich habe stets so vielerlei zu schreiben, außerdem bin ich mit einer wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt, die abge schrieben werden muß. Wollen Sie das übernehmen?" „Ja, gern." „Nun, so ist die Sache erledigt." Er sprach wieder kurz und geschäftsmäßig. „Wollen Sie zu Neujahr frei haben?" „Warum das?" fragte sie unwillkürlich. Für heute konnte sie gehen. Nur gut, daß sie nicht länger zu bleiben brauchte, denn sie war fo aufgeregt und aus dem Gleichgewicht gebracht, daß sie wohl kaum zu lesen vermocht hätte. Ganz merkwürdig war ihr zumute. Aber wer in aller Welt hatte diese wahnsinnige Geschichte auf. gebracht und sie noch obendrein dem Doktor erzählt? Und wie hatte er es nur glauben können . . .? Aber wie glücklich war sie, daß sie wieder kommen durfte wie bisher. Ach, wenn alles vorbei gewesen wäre, völlig vorbei! Nie mehr hingehen und nie mehr den Doktor sehen! Ein Zittern überlief sie, wenn sie es sich vorstellte. An der Ecke des Berzelii-Parks und der Nybro be gegnete sie einem vornehm aussehenden jungen Paar, wohl Neuverlobte, dachte sie. Die junge Dame war so schön, daß Agneta den Blick nicht abwenden konnte. Sie ging an seinem Arm, plauderte angelegentlich und lächelte ein Lächeln, wie Agneta es noch nie gesehen hatte. Es war bezaubernd schön und zugleich ein wenig spöttisch. Die Dame schien Agnetas Blick zu fühlen, denn infolge einer Bemerkung zu ihrem Gefährten richtete dieser die grauen scharfen Augen auf Agneta, und noch lange, nach dem sie vorüber waren, fühlte diese seinen forschenden, säst bestürzten Blick. „Bemerktast du, wie ungewöhnlich schön das Mädchen war?" fragte Aurore ihren Verlobten, als Agneta vor- übergegangen war. Doch als sie ihn ansah, wurde sie um willkürlich stutzig. „Was hast du?" fragte sie. „Sie hat eine so merkwürdige Ähnlichkeit,' antwortete er nachdenklich. „Mit wem denn?" „Mit einem Bilde." „Das heißt, sie ist schön wie ein Bild," sagte Aurore lachend. Es war ihr erster Spaziergang mit Nelson und es belustigte sie, die Neuverlobte zu spielen. Sie hielt sich dicht an ihn und stützte sich hingebend auf seinen Arm. Heiter und harmlos plaudernd, sah sie ihn ab und zu mit einem seltsamen Blick an. Sie fühlte, daß sie ihn reizte, sein Gesicht wurde immer starrer, seine Antworten immer kürzer. Ab und zu begegneten sie einem Bekannten, dessen Gruß Aurore strahlend erwiderte. Es war wirklich amü sant, Theater zu spielen. (Fortsetzung folgt.)