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Hindenburg dankt Stresemann. 15. Dezember 1926 Der Reichspräsident empfing gestern am Spätnachmittag den Reichsminister Dr. Strese mann zum Vortrag über die Genfer Konferenz. Im Verlauf der sich hieran anknüpfenden Unterhaltung sprach der Reichspräsident mit Worten des Dankes für die hingebende Arbeit des Neichsaußenministers seine Befriedigung über die in Genf erreichten Fortschritte aus. Er gab zugleich der Erwartung Ausdruck, das; auch die noch offenen Fragen in Bälde einer guten Lösung zugeführt werden. In Berliner politischen Kreisen wird nach einer Wolffmeldung das Ergebnis der Genfer Verhandlungen nach der Rückkehr des Reichsministers Dr. Stresemann folgendermasten bewertet: Im wesentlichen standen zwei Fragen zwischen uns und den Allierten und eine zwischen uns und dem Völkerbunde zur Erörterung. Zu nächst war das Investigationsvrotokoll Gegenstand eingehender Beratungen. Bevor der Ver trag non Locarno paraphiert wurde, hat die damalige deutsche Delegation ihre Zustimmung davon abhängig gemacht, dast ihr Partner ihr volle Klarheit über die Investigation gäbe. Es ist der deutschen Delegation häufig zum Vorwurf gemacht worden, dast sie nicht einen noch grösteren Wert auf schriftliche Abmachungen gelegt habe, weil ein Wechsel der Kabinette alles umwerfen könnte. Es hat sich aber in Genf gezeigt, dast alle Teil nehmer von Locarno zu ihrem Worte standen. Auch im Völkerbundsrat haben sich keine Schwierigkeiten er geben. Dabei gibt cs in der Frage der Investigation auch nicht einen Punkt, bei dem die deutsche Auffassung nicht anerkannt und durchgedrunqen wäre. Es gibt keine elements stables und ebenso wenig geht die Militär kontrolle unter irgendwelchen dem bisherigen Zustande ähnlichen Bedingungen auf den Völkerbund über. Schwieriger gestalten sich die Verhandlungen über den zweiten Fragenkomplex, der sich auf die interalli ierte Kontrollkommission bezog. Das zeigt am deut lichsten der schwere Kampf, der in dem Tele grammwechsel zwischen Paris und Eens zum Ausdruck kam. In Genf haben die Verhandlungen tröst der Verzögerung und tröst der aufregenden Mo mente nach der übereinstimmenden Auffassung der Dele gation, der sich am Mittwoch auch das Reichskabinett anschliesten dürfte, unserem Standpunkte vollkommen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ueber zwei Fragen von großer prinzipieller Wichtigkeit ist man sich noch nicht einig geworden. Es ist auch nicht richtig, dast der deutsche Minister des Aeusteren in der Frage des Kriegs gerätes Konzessionen für die Ausfuhr von Halbzeug ge macht habe. Gerade in dieser Frage hat sich die Lage zu unseren Gunsten entwickelt, indem bei den kommen den diplomatischen Verhandlungen nicht mehr die Ex portfrage im Vordergründe stehen wird. In der Frage der Räumung der Rheinlande konnte man die Verhandlungen nicht zu einem Ende bringen, weil, wenn man die Rheinlandräumuna in den Vorder grund gestellt hätte, die sestt erledigten Fragen der In vestigation und der Militärkontrolle nicht reinlich zu erledigen gewesen wären. Hätte man die Rheinland räumung durchdrücken wollen, so hätte die Gegenseite in der Investigation und der Militärkontrollfrage sicherlich weitgehende deutsche Zugeständnisse verlangt. Das liest sich aber nicht verantworten. Von rheinischer Seite selbst war die Reichsreaieruna wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden, eine Räumuna der Rhein lande mit Beeinträchtigungen der deutschen Souveräni tät nicht zu verknüpfen. Die Fraae der Rbeinland- räumunq gebt aber ihren Weg weiter, das heikt. sie wird diplomatisch sowohl in Paris wie auch in Berlin verhandelt. Die deutsche Reichsreyierung glaubt mit allem Recht annehmen zu können, dast sich gerade in dieser Frage schon in absehbarer Zeit die Meinuna be wahrheiten wird dab Deutschland nicht gleichberechtig tes Mitglied des Völkerbundes ist. solange man ihm das Rheinland entgegen allen klaren Vertragsbestimmun gen noch länger beseht halten will. Was iestt in Paris vor sich geht, das ist ein Zurücktreten der Fraae der fi nanziellen Geaenleistung für eine Rbcinlandräumung gegenüber dem Gedanken, etwas ausfindig zu machen was als eine gegenseitige Kontrolle über die Ausführung der Locarno-Verträge denjenigen, die sich noch voll Angst vor Deutschland füh len. Beruhigung geben soll. Die Frage der Rheinlandräumung wird aus der diplomatischen Aussprache nicht mehr verschwinden. Betont wird dann in Kreisen der deutschen Abord nung vor allen Dingen noch, dast die sozialdemo kratischen „Enthüllungen" über die Reichswehr und den Reichswehrminister der deutschen Delegation in Eens den schwersten Schaden zugefügt haben Auch der Hochmeister des Iungdeutschen Ordens hat in dieser Hinsicht nicht gerade für Deutschlands Interesse gearbeitet. Die WWW» »er WM-AMleMeil. 15. Dezember 1926 Die Vorschläge der polnischen Unterhändler im Streit um die Lhorzow-Werke und deren Rück gabe an die früheren deutschen Eigentümer haben, wie wir von bestunterrichteter Seite hören die amtlichen deutschen Stellen in den letzten Tagen beschäftigt. Aus der Art der Verhandlungsfllhrung kann man deutlich die alte Taktik der Polen erkennen, die Prüfung der Frage möglichst lange hinauszu schleppen in der Hoffnung, dadurch mehr Kapital aus der Sache schlagen zu können. Wie bei den Handels vertragsverhandlungen will man auch in der Chorzow- Angelegenheit die Entscheidung von den Ergebnissen der bevorstehenden diplomatischen Aussprache der Mächte über die Militärkontrolle abhängiq machen. In diesem Sinne hat der polnische Austenminister Zaleski unab lässig in den letzten Wochen gearbeitet, und er hofft, einen guten Scbachzuq getan zu haben. Die Reichs regierung beabsichtigt vorläufig nicht, das Haager Schiedsgericht erneut anzurufen. Mmmlehm Im- MW« Militär. Marienwerder, 15. Dez. Funkspr.) Wie die Weichselzeitung meldet, erschienen am letzten Montag in einem Lastauto etwa drei Offiziere und vierzig Mann polnisches Militär, anscheinend vom 18. Ulanenregiment in Grau de nz in der an der Straße Garnsee (deutsch) —Bahnhof Garnsee (polnisch) gelegenen Paßkontrolle. Hier gabelte sich das polnische Militär in zwei Abtei lungen. Während die eine auf polnischem Gebiet blieb, über schrittdieanderedieGrenze. Dort wurden von einem polnischen Offizier an Hand einer Karte Instruktionen erteilt. Die Abteilung hat sich eine Viertelstunde auf deutscher Seite aufgehalten. Nach den Umständen zu schließen, liegt eine vorsätzliche und offensichtliche Grenzverletzung vor. Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Bor ein» MW »er imrMWW Laue? 15. Dezember 1926 In parlamentarischen Kreisen ist man der Ansicht, dast die Sozialdemokraten ihre Drohung, bei der dritten Lesung des Nachtragseiats ein Miß- trauensvylum gegen die Regierung ein zubringen, nicht verwirklichen werden. Eine endgültige Klärung hierüber wird erst die heutige Fraktionssitzung der Sozialdemokraten bringen können. Die Regie rungsparteien scheinen entschlossen zu sein, eine Erklärung des Inhaltes zu veröffentlichen, dast sie dem nächst, d. h. unmittelbar nach Weihnachten, bereit seien, eine Erweiterung der Regierungs koalition vorzunehmen. Ob es sich hierbei um eine Erweiterung der Koalition nach rechts oder links han delt, wird nicht gesagt werden. Die Wirischaftspartsi hat sich ja bereits gegen jede Beteiligung an einer Re gierung ausgesprochen, in der die sozialdemokratische Partei vertreten sein wird. In Zentrumskreisen wird für den Fall des Ausscheidens der Deutschen Volkspartei der Plan erwogen, die Bayrische Volkspartei für eine Beteiligung an der Regierung auf der Grundlage der Weimarer Koalition zu interessieren. Den Widerstand der Bayrischen Volkspartei gegen die Beteiligung an der Weimarer Koalition scheint man dadurch überwin den zu wollen, dast man der Bayrischen Volksvartei das Reichsfinanzministerium anbieten will, durch dessen Uebernahme die Bayrische Volkspartei in der Lage wäre, bei den endgültigen Verhandlungen über den Finanzausgleich auch den föderalistischen Gesichts punkten mehr Rechnung zu tragen. Man hofft, dast Dr. Stresemann in diesem Falle das Außen- ministcrium als Fachminister behalten könnte, da man besonders in demokratischen und Zentrumskreisen nicht glaubt, dast die Volkspartei im Hinblick auf die not wendige Kontinuität der Außenpolitik in eine unbe dingte Opposition gegen eine solche Regierungsmehrheit treten würde. In Kreisen der Regierungsparteien glaubt man. dast man im Hinblick auf die noch gänzlich ungeklärte parlamentarische Lage die innerpolitische Aussprache bis zur ersten Lesung des neuen Etats für 1927, die Anfang Januar stattfinden soll, verschieben will, um den in Betracht kommenden Parteien die Mög lichkeit weiterer Verhandlungen Uber Weihnachten zu geben. Heute Verhandlungen des Reichskanzlers mit der Volkspartei. Nach der Germania wird sich der Reichskanzler heute Mittwoch mit dem Fraktionsfllhrer der Deutschen Volkspartei in Verbindung setzen, um eine endgültige Klärung der Haltung der Deutschen Volkspartei herbei zuführen. Albert Thomas in Kiel. Kiel, 15. Dezember. Auf Einladung der Gesellschaft für soziale Reform sprach am Dienstag der Direktor des Internationalen Arbeitsamtes Albert Thomas in der hiesigen Universität über „Internationale Sozialpolitik und Völkerfrieden". Er hob u. a. hervor, dast neben der sozialen Verständigung auch die politische unentbehr lich sei und Deutschland im Internationalen Arbeits amt die gleichen Rechte geniesten müsse. Die deutsche Sprache solle als Verhandlungssprache herangezogen und die Zahl der deutschen Mitarbeiter im Arbeitsamt von 10 auf 16 erhöht werden. Sächsischer Landtag. Sitzung vom 14. Dezember 1926. Haus und Tribünen sind voll besetzt. Die Sitzung beginnt mit halbstündiger Verspätung, da die Frak tionen Sitzungen abhielten, um sich mit der Frage der Regierungsbildung zu beschäftigen. Unter den Eingängen befindet sich ein Schreiben der Aufwertungspartei mit dem diese bittet, sie künftig „Volksrechtspanei" zu nennen. (Heiterkeit!). Den ersten Punkt der Tagesordnung bildet der kommunistische Antrag, der provisorischen Heldt- Regierung das Misttrauen auszusprechen. — Abge ordneter Böttcher (Komm.) bezeichnet als Zweck des An trages, die Parteien zu einer Stellungnahme zu zwin gen und die kommunistischen Ansichten vor den Massen auszurollen. Die Heldt-Regierung sei ein reaktionäres Kabinett. Alle Eeschäftsführenden und Beamten-Re- gierungen seien nur die Verschleierung für einen reaktionären politischen Kurs. Die Kommunisten seien für Errichtung der proletarischen Diktatur. Der Land tag sei aufzulösen. — Abgeordneter Liebmann (Linkssoz.): Es habe keinen Zweck, einen Mißtrauens- antrag gegen eine Regierung einzubringen, die bereits zurückgetreten sei. Selbstverständlich werde seine Partei für das Misttrauensvotum stimmen. (Heiterkeit.) Ab geordneter Bethke (Altsoz.) erklärt für seine Freunde, dast sie an der Abstimmung nicht teilnehmen werden. — Abgeordneter Dr. Eberle (Deutschn.): Die Deutsch- nationalen werden gegen den Antrag stimmen, da er gegenstandslos ist. — Der Misttrauensantrag gilt als abgelehnt, da nur 46 Abgeordnete für ihn stimmen. Die Nationalsozialisten v. Mücke und Tittmann stim men mit den Kommunisten, die Altsozialisten Bethke und Wirth gegen den Antrag. Es folgt die Beratung über den kommunistischen Antrag, die Haftentlassung des Abgeord neten Ewert (Komm.). — Abgeordneter Siewert (Komm.) beantragt als Berichterstatter namens des Rechtsausschusses die Annahme des kommunistischen An trages. — Abgeordneter Dr. Vlllher (DVP.): Es be stehe der dringende Verdacht, dast der Abgeordnete Ewert durch falsche Angaben die Wahlfähigkeit erreicht habe und darin von seinen Parteigenossen dem Ee- meinderat von Kändler unterstützt worden sei. Er be antragt deshalb, die Beratung und Beschlußfassung über den kommunistischen Antrag solange auszusetzen, bis über die Gültigkeit der Wahl Ewerts entschieden sei. — Abgeordneter Renner (Komm.) wendet sich gegen den volksparteilichen Antrag. Die Behauptungen des Vor redners seien nicht bewiesen. — Abgeordneter Bethke (Altsoz.)' Nach dem Stande der gestrigen Feststellungen im Prüfungsausschuß stehe es noch nicht fest, ob man den Abgeordneten Ewert sein Mandat absprechen könne. Seine Freunde würden der Haftentlassung zustimmen. Der kommunistische Antrag auf Haftentlassung Ewerts wird mit den Stimmen der Kommunisten, Links sozialisten. Rechtssozialisten. Nationalsozialisten und der Aufwertungspartei angenommen. (Beifall auf den Tribünen.) Der Präsident verliest hierauf einen Antrag der Parteien von den Deutschnationalen bis zu den Alt sozialisten. die Wahl des Ministerpräsidenten heute von der Tagesordnung abzusetzen und sie erst in der ersten Sitzung nach dem 11. Januar 1927 vorzu- nchmen. Abgeordeter Edel (Linkssoz.) protestiert gegen diese Verschleppungsmanöver. Abgeordneter Bethke (Altsoz.) wünscht Verlegung der Wahl au? acht Tage. Der Antrag, die Wahl des Ministerpräsiden ten von der Tagesordnung abzusetzen, findet Annahme, ebenso der Antrag, die Wahl erst am 11. oder nach dem 11. Januar stattsinden zu lassen. Es gelangt sodann zur Beratung der Antrag der Abgeordneten Hofmann (Deutschn.), Dr. Blüher (DVP.). Kaiser (Wirtsch.-P.). Dr. Seyfert (Dem.). Wirth (Altsoz.), Dr. Fumetti (Auiw.-P.) und v. Mücke (Nat.-Soz.) auf Gewährung einer Entschuldunqs- beihilfe an die sächsischen Staatsbeamten und Leh rer. Nach kurzer Begründung des Antrages durch den Abgeordneten Dr. Gelfert (DVP.) gibt Ministerial direktor Dr. Fritzsche namens der Regierung folgende Erklärung ab: Die Regierung ist bereits Mitte November wegen der Bezüge der Beamten und Angestellten an die Reichs regierung herangetreten. Sie hat dabei in erster Linie den Standpunkt vertreten, daß eine laufende Er höhung der Bezüge unter gleichzeitiger grund sätzlicher Nachprüfung des jetzigen Vesoldungssystems notwendig sei. Für den Fall, daß die Reichsregierung sich zurzeit zu einer solchen Maßnahme nicht entschließen könne, hat die Regierung jedoch weiter ersucht, alsbald in Erwägungen wegen Gewährung einer noch vor Weih nachten zahlbaren einmaligen Beihilfe einzutreten. Die Negierung hat dabei gleichzeitig erkennen lassen, daß sie in Anbetracht der unverkennbar großen Notlage der Be amtenschaft auch unabhängig vom Reich zu einer solchen Maßnahme schreiten müsse, wenn das Reich wider Er warten etwa nicht zu einer Aufbesserung für die Be amten kommen sollte. Den später erfolgten Vorschlag der Reichsregierunq auf Gewährung der Weih nachtsbeihilfe hat die sächsische Regierung, zu nächst als einzige der Länderregierungen sofort vor behaltslos zuqestimmt. Diesen Vorgängen entsprechend hatte die Regierung bereits vor Eingang der vorliegen den Anträge Vorbereitungen getroffen, um dem Land tage alsbald nach Abschluß der Reichstagsverhandlun gen eine Vorlage wegen Uebertraguna der Reichsmaß nahme auf Sachsen zu unterbreiten, sie hat schließlich davon abgesehen, da ihr die Annahme des von einer Mehrheit des Landtags gestützten Antrags Nummer 57 als genügend erschien. Bei alsbaldiger Annahme dieses Antraas würde die Reaierung die Beihilfe noch vor Weihnachten avszahlen. Wegen Gewährung einer Wirt schaftsbeihilfe an die Staatsarbeiter wird sich die Re aierung ebenfalls dem Vorgehen des Reichs anschließen. Der Gesamtaufwand würde nach den Sätzen des Reiches mehr als 3 Millionen Mark betragen. Nach Begrün dung der Anträge und kurzer Ausivrache werden sämt liche Anträge, auch die weitergehenden Anträge der Kommunisten und Sorialiften an den Haushaltaus schuß vermiesen. Die Schlußberatung soll möglichst bereits am Donnerstag stattsinden, damit den Beamten usw. die Beihilfen noch vor Weihnachten aus gezahlt werden können. Es gelangen sodann die kommunistischen und links sozialistischen Anträge zur Beratung, die sich mit der Arbeitslosigkeit und der Erwerbs losenfürsorge befassen. Zunächst werden die An träge von den Antragstellern begründet. Gegen 7 Uhr abends werden die Verhandlungen abgebrochen: sie sollen am Donnerstag nachmittag 1 Uhr fortgesetzt werden.