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Krisenlust im Reichstag. 10. November 1926 Die Montagsitzung des Reichstags brachte eine seltsame Ueberraschung. Wie wir an anderer Stelle im Reichstagsbericht ausführlich wiedergeben, hatten die Sozialdemokraten den Antrag gestellt, die Haupt- unterstühnngen um 3V Prozent, die FamMenzuschläge um 20 Prozent zu erhöhen. Und als man die Stimmen zählte, stellte sich folgendes heraus: Der Antrag wurde mit 205 Stimmen gegen 141 Stimmen bei 8 Ent haltungen angenommen! Wie war das möglich? Es hatten sich zu den Sozialdemokraten und Kommunisten noch die Völki schen und Deutschnationalen gesellt! Die Regierungsparteien sind durch die Haltung der Deutschnationalen in vier Fällen in der Minderheil geblieben und sind am Schluss der ersten Sitzung geschlossen aus dem Saal gezogen. Die Deutschnationalen haben durch ihr Verhalten gezeigt, das? sie nicht gewillt sind, dem Minderheitskabiiett Marx in Zukunft das Arbeiten mit wechselnden Mehr heiten zu gestatten. Ob sie schon diesen Anlaß dazu be nutzen werden, um dre Regierung vor die letzten Konse quenzen zu stellen, steht noch dahin. Auf ieden Fall kann von dieser Sitzung des Reichstags gesagt werden, das; sie zwar noch keine Krise gebracht hat. aber daß in ihr dieses Wort, das man in den lebten Tagen in den Wandelhallen des Parlaments vermieden hat, gefallen ist. Die Regierung hält an ihren früheren Beschlüssen fest. Wie amtlich verlautet, sind die Höchstsätze der Er werbslosenfürsorge durch Anordnung des Neichsarbeits- ministers vom 9. November 1926 nach Benehmen mit dem Verwaltungsrat des Neichsamtes für Arbeitsver mittlung mit Wirkung vom 8. November 1926 herauf gesetzt worden. Die Erhöhung beträgt für Erwerbslose, die keine Familienzuschläge beziehen und nicht dem Haushalt eines anderen angehören. 15 v. H.. für alle übrigen Hauptunterstützungsempfänger 10 v. H. Ferner ist die obere Grenze für die Erwerbslosenuntcrstützung in der Weise erweitert worden, daß auch das vierte Kind (den fünften Familienangehörigen) der Familien- zuschlag voll gezahlt wird. Die Anordnung hat bis zum 31. März 1927 Gültigkeit. Mitztrauensanträge gegen die Reichsregierung. Der Reichstag setzte gestern die Beratung der noch nicht erledigten Anträge zur Erwerbslosenfürsorgs fort. Präsident Löbe teilte mit. das; ein kommunistisches Miß trauensvotum gegen die Regierung Dr. Marx einge- gangen ist: „Die Neichsregierung Dr. Marx besitzt nicht das Vertrauen des Reichstags." — Ferner liegt folgen des Mißtrauensvotum von Graefe (Völk.) vor. „Die Neichsregierung besitzt infolge ihrer Haltung zu den Be schlüssen des Reichstags in der Erwerbslosenfrage nicht das Vertrauen des Reichstags." — Auf Wunsch der An tragsteller wurden beide Mitztrauensanträge mit der Beratung der Erwerbslosenanträge verbunden. Reichsarbeitsminister Dr. Brauns gab namens der Reichsregierung folgende Erklärung ab: Nach den Bestimmungen der Verordnung über die Erwerbslosenfürsorge ist die Reichsregierung berechtigt und berufen, die nötigen Anordnungen über die An-' passung der Unterstützungssätze an die wechselnden wirt schaftlichen Erfordernisse zu veranlassen. Die Reichs regierung pflegt bei solchen Verwaltungsmatznahmen den Reichsrat zu hören. Sie hat bisher auch mit dem Reichstag oder wenigstens mit dem Sozialpolitischen Ausschutz des Reichstags vor wichtigen Aenderungen der Unterstützungssätze in der Erwerbslosenfürsorge stets Fühlung genommen. Das ist auch diesmal geschehen. Vom Sozialpolitischen Ausschutz wurde größter Wert darauf gelegt, datz die neuen Unterstützungssätze späte stens noch in dieser Woche in Kraft treten. Das Plenum des Reichstags hat nun gestern in seiner Mehrheit sich für eine Erhöhung der Sätze um 30 Prozent bzw. 20 Prozent ausgesprochen. Es zeigte sich aber ganz klar, datz es sich zum Teil um eine taktische Abstimmung ge handelt hat und datz die Mehrheit tatsächlich eine solche Erhöhung nicht wollte. Deshalb hat sich die Neichsregierung entschlossen, an ihren Vorlagen, die im Einklang mit den An trägen der Regierungsparteien und den Beschlüssen der Ausschüsse stehen, festzuhalten. Nur so war ein Inkrafttreten der HauptunterstUtzungssäne noch in dieser Woche zu sichern. Die Reichsratsausschüssc haben heute morgen der Regierungsvorlage zuge stimmt. Daraus ist die Verordnung heute mittag von mir vollzogen worden. (Hört, hört, links.) Sie bringt neben der Erhöhung der Unterstützungs sätze um 15 Prozent für die Alleinstehenden und 10 Pro zent sür die nicht Alleinstehenden eine Erweiterung be züglich der Kindersätze. Die neuen Lasten werden vom Reiche getragen. Darüber hinaus wird die Neichsregierung folgende Äus- gaben teils gesetzlich, teils im Verordnungswege lösen. Sie wird einen Gesetzentwurf vorlegen, demzufolge die Bezüge aus der Wochenhilfe und Wochenfürsorge nicht auf die Erwerbslosenunterstützung angerechnet werden. Weiter sollen die Anwartschaften auf die Pensionen der Sozialversicherung sichergestellt werden. Ferner soll die Fürsorge für die Ausgesteuerten in Form einer Krisen fürsorge geregelt werden. Dieser Gesetzentwurf Hai heute die Zustimmung der Neichsratsausschüsse gefunden und wird am Donnerstag im Reichsratsplenum verab schiedet. Ferner wird eine gleichmätzige und ent gegenkommende Handhabung der Ve- dürftigkeitsprllfung sichergestellt werden Ebenfalls wird durch die Verordnung verhütet werden, datz Arbeitsstellen mit fortlaufender voller Arbeits tätigkeil auf dem Wege der Pflichtarbeii besetzt werden. Ferner wird die Neichsregierung die berufliche Fortbildung der Erwerbslosen und Jugendlichen mit verstärkten Mitteln fordern und dabei auch die Jugendlichen einbeziehen, die auf Unterstützung noch keinen Anspruch haben. Die Regieruna halte an ihrer bisherigen sozialpolitischen Einstellung fest und werde daraus die Konsequenzen ziehen. (Lebh. Beifall bei den Regierungsparteien.) Abg. Scholz (D. Vp.) beantragt nunmehr im Namen der Regierungsparteien Vertagung der Er werbslosenfrage. da durch die Erklärung der Regierung eine völlig neue Sachlage geschaffen sei. — Abg. Müller- Franken (Soz.) widersprich! diesem Antrag und kündig! an. datz seine Partei beantragen werde, doch die Regie rungsverordnung geändert und statt 15 Proz. 39 Proz. gewährt werden. Redner verwahrt sich gegen den Vor wurf. datz die sozialdemokratischen Anträge nur agitatorischen Wert hätten. Dem kommunistischen und dem völkischen Mißtrauensvotum werde seine Fraktion nicht zustimmen, da sie sich selbst den Termin aussuche, wenn sie Mitztrauensanträge stellen wollte. (Gelächter bei den Kommunisten.) — Der Ver tagungsantrag wurde mit den Stimmen der Sozial demokraten. Kommunisten. Deutschnationalen und Völ kischen abgelehnt. — Abg. Scholz (D. Vp.) erklärte dann im Namen der Reichsregierungsparteien, daß diese sich an der Weiterberatuna dieses Gegenstandes nicht be teiligen werden. Sie überließen die Verantwortung für die eventuell gefaßten Beschlüsse der neuen Koa - l i t i o n, die sich anscheinend auf tiefer sachlicher Helmr- einstimmung aufbare. (Große Heiterkeit bei den Re gierungsparteien.) Die sozialdemokratischen Anträge zur Erwerbs losenvorlage wurden dann angenommen. Die zweite Lesung des damit verbundenen Gesetz entwurfs wurde erledigt, die dritte durch den Einsvruch der Regierungsparteien verhindert. Für das kommu nistische Mißtrauensvotum gegen Dr. Brauns stimmten nur die Antragsteller. Die Deutschnationalen ent hielten sich der Stimme, die anderen Parteien stimmten dagegen. Uebcr das völkische Mißtrauensvotum wird am Mittwoch abgestimmt. Es folgt dann die erste Beratung des 800-Mil- lionen-Nachtragsetats, die vom Rsichsfinanzminister Dr. Reinhold eingeleitet wurde. Der Minister hob hervor, daß es sich bei diesem Nachtragsetat um lauter zwangsmäßige Ausgaben handele, wenn wir unseren sozialen und nationalen Pflichten nachkommen wollen. In diesem Jahre sei auch das gesunde Prinzip zum Durchbruch ge kommen, datz nur diejenigen Landesvarlamente eine Erhöhung der Ausgaben beschließen können, die zugleich für Deckung dieser Mehrausgaben zu sorgen in der Lage sind. Der Minister schilderte dann die bekannten Ab machungen mit dem Reparationsagenten, durch die eine wesentliche Verbesserung der Liquidität der Reichs hauptkasse erreicht worden sei. Das Abkommen habe dem Reiche auch wesentliche Ersparnisse gebracht. Durch diese und andere Ersparnisse konnte ein Drittel der Mehrausgaben gedeckt werden, weitere 90 Millionen aus dem Mehraufkommen aus den Zöllen. Mehr erträge sind auch aus der Einkommen- und Körper schaftssteuer erzielt worden. Der Minister äußerte sich dann über die Ausgaben auf Grund des A r b e i t s b e s ch a f f u n a s Pro gramms. Der Minister wies darauf hin, datz mit den dem Vaumarkt zur Verfügung gestellten 200 Mil lionen Mark etwa 40 000 Kleinwohnungs bauten mit 5000 Mark für zweite Hypotheken finan ziert und etwa 120 000 Bauarbeiter mit etwa 70 Mark monatlicher Arbeitslosenunterstützung aus der Fürsorge herausgenommen werden könnten, wodurch insgesamt etwa 84 Millionen Mark unterstützender Erwerbslosen fürsorge erspart würden. Es sei immerhin ein Fort schritt. wenn statt der zwei Millionen im Februar heute nur noch 1.3 Millionen unter stützter Erwerbsloser vorhanden seien Zur Deckung könne die Regierung eine neue Anleihe von 372 Mil lionen aufnehmen, so datz sie zur Aufnahme von insge samt 965 Millionen Anleihe ermächtigt sei. Abg. Sänger (Soz.) begründet dann einen von den Sozialdemokraten eingebrachten Gesetzentwurf, wonach den Mitgliedern der ehemals regierenden Fürsten- familien der Aufenthalt im Reichsgebiete verboten wer den soll, wenn andernfalls das Wohl der Republik ge fährdet werde. Dem ehemaligen Kaiser Wilhelm II. soll das Betreten des Reichsgebietes untersagt werden. Falls er feindliche Unternehmungen gegen das Reich oder Preußen richtet, soll Preußen das Recht haben, das ihm im Vergleich zuerkannte Vermögen zu entziehen. Der deutschnationals Abgeordnete v. Lindetner-Wildau erklärte: Wir verlangen, daß den ehemaligen Fürsten auch bezüglich der Aufenthaltserlaubnis dieselbe staats bürgerliche Gleichberechtigung zuerkannt werde, wie allen übrigen Staatsbürgern. Der Redner stellt dann die Forderung nach Sicherung eines berufsfreudigen und berufsfähigen Beamtentums auf. Wir können uns nicht dem Eindruck entziehen, daß in dieser Hinsicht die letzten Wochen und Monate Ansätze gebracht haben, die zu den ernstesten Bedenken Anlaß geben. Die Beratungen wurden darauf abgebrochen. Der Nachtragsetat wurde dem Haushaltausschuß überwiesen. Am Mittwoch nachmittag wird das Haus die inner- politische Aussprache fortsetzen. Sa MWmemWn M den 8GMW gegen WO M SAO. 10 November 1926 Reichsinnenminister Dr. Külz gewährte Professor Dr. Brunner eine Unterredung über das dem Reichs tag vorliegende Gesetz gegen Schund- und Schmutz schriften. Der Minister erklärte u. a.: Die Zusammen setzung der Prüfstelle, und die Oberprüfstelle geben Ge währ gegen Uebergriffe in die Freiheit der Kunst. Das Einspruchsrecht des Reiches sowie eines jeden Landes bietet ein Gegengewicht gegen die Anwendung einseitiger Entscheidungen für das ganze Reich. Es wäre eine Beleidigung der Organisationen der Jugendwohlfahrt und der volkspädagogischen Bestrebungen, wenn ihren Vertretern von vornherein das Verständnis für die Frei heit der Literatur und Kunst abgesprochcn werde. Die Regierung hat nicht die Absicht, den Entwurf zurück zuziehen. Ich bin der letzte, der die Freiheit antastet, kenne aber keine Bestimmung der Verfassung, datz die Jugend schutzlos Schmierfinken preisgegeben werden soll. Traurige Kinderheimfahrt aus Ostpreußen. Frohburg, 10. Nov. Einen traurigen Abschluß nahm die Heimfahrt der aus Ostpreutzen zurückkehren den Kinder, die unter Leitung der Wohlfahrtspflegerin der Amtshauptmannschaft, Fräulein Küpper, wieder der Heimat zufuhren. Kurz vor der Station Frohburg öffnete der siebenjährige Hellmuth Fischer aus Hain bei Kieritzsch, dessen Schwester sich ebenfalls- in dem Zuge befand, die Abteiltür des noch in voller Fahrt be findlichen Zuges. Er stürzte dabei so unglücklich aus dem Wagen auf die nebenherlaufenden Schienen, datz er eine Gehirnerschütterung erlitt. Beamte trugen den Knaben nach der Station Frohburg, wo der inzwischen herbei gerufene Arzt nur noch den inzwischen eingetretenen Tod des Kindes feststellen konnte. Der Vater des Knaben ist als Arbeiter in Kieritzsch tätig. Fritjof Nansen bei der wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt in Berlin. Berlin, 10. Nov. Am Dienstag abend gab die wissenschaftliche Gesellschaft für Luftfahrt im Flugvcr- bandshause einen Begrützungsabend für die Internatio nalen Wissenschaftler, die zu der Tagung der Studien- gesellschast zur Erforschung der Arktis mit dem Luft schiff eingetroffen sind. Neben Professor Fritjof Nansen sah man die prominentesten wissenschaftlichen Vertreter von Deutschland, Norwegen, Dänemark, England, Ruß land, Spanien, Estland usw. Herr Geheimrat Schütte, der Präsident der wissenschaftlichen Gesellschaft für Luft fahrt, begrüßte die Gäste. Die Gesellschaft zähle 180 Mitglieder aus 19 verschiedenen Staaten. Anschließend dankte Fritjof Nansen für die Gastfreundschaft der wissenschaftlichen Gesellschaft sür Luftfahrt, indem el zugleich der Hoffnung Ausdruck verlieh, daß diese erste Tagung der internationalen Studiengeseüschcx! nicht nur ein Markstein in der Luftschiffahrt, sondern auch ein Ma::?-: - geographischer Forschung sei. * Für den Sozialpfarrer in Sachsen. Der Kirchlich-Soziale Bund faßte auf seiner diesjäh rigen Landestagung folgende Entschliessung: Auf Grund eines Vortrages über das Eingreifen der Kirche in den englischen Bergarbeiterstreik richtet die in Plauen i. B. tagende Jahresversammlung des Kirchlich-Sozialen Bun des, Landesgruppe Sachsen, an das Eo.-Iuth. Landes konsistorium die dringende Bitte, mit verstärktem Nach druck die Pflege sozialen Geistes und praktischer sozialer Arbeit in der sächsischen Landeskirche durchzuführen; die Kräfte, die auf diesem Gebiete arbeiten, zusammenzu fassen und die Anstellung des bewilligten Sozialpfarrers zur Tat werden zu lassen. KömgshschzeLL. Dre Trauung der Prinzessin Astrid von Schweden mit dem Kronprinzen von Belgien. In Stockholm hat die Trauung der Prinzessin Astrid von Schweden mit dem Kronprinzen von Belgien stattaefunden. Die kostbaren Hochzeitsgeschenke der Brautest-rn sind öffentlich aus gestellt. Unter den Geschenken des nönios von Belgien befindet sich ein kostbarer Gobelin der in zwölfjähriger Arbeit hergestelll worden ist. Gam Stockholm nimmt mit Begeisterung an den Trauungsfeierlichkeiten teil. Der Bürgermeister von Stockholm hat selbst die Ziviltrauung des jungen Brautpaares vorgenommcn. In dem gewaltigen Thronfaal des Stockholmer Köniaspalastes sand die Ziviltrauung statt. Unier Bild zeigt den König Albert von Belgien in schwedischer Uniform und den Brautvaiei König Gustav von Schweden bei der Fahrt durch die Straßen Stockholms. Nach erklärte d ausschutz, lern au Schulen zi weiter mit autono Bri schafter L waffnu Auf ausgeb Nach Cesellschas anatoli llrupp. Ein uehmigum Ncmme nachsucht, wiesen. Ausschüsse die dem ! beschäftigt unterstütz:, ziehen un hören, um unterstützu Die Soz der Bef lienzus, beantragei Unterst! werb sli Höhung Zent. 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