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Bild links: Eine Weihnachtskrippe des 17. Jahrhunderts — aus I München. — BLd rechts: Die Eeburtsstätte Christi in der Ge- I bezeichnet die Stelle, an .der Christus geboren Neapel stammend, jetzt im Bayerischen Nationalmuseum m burtskirche zu Bethlehem. Der silberne Stern am Boden - wurde. Aus der Weihnachislandschaft Theodor Storms. Von Studienrat vr. Paul Bülow-Lübeck. „Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!" so verkünde Storm in einem seiner lustigen Knecht Rupprecht-Verse. Weih nachten war dem Dichter der grauen Stadt am Meer sein gan zes Leben hindurch die Liebliugsfeier unter den Festen de! deutschen Hauses. In ihrem gemütvollen Erinnerungsberich „Weihnachten bei Theodor Storm" verschafft uns des Dichter! Tochter einen Einblick in die pvesieumwobene Weihnachtszei ihres Elternhauses. Welch Christtagszauber durchstrahlt da- Haus, wenn sich arbeitseifrige Hände in unermüdlicher Ge fchäftigkeit regen, wenn's von allerlei Heimlichkeiten uni Ueberraschungen in den Ecken und Winkeln flüstert. Es ist du träumerisch-selige Weihnachtsstimmung eines echt deutscher Hauses, die uns in glückbeschwingter Freude in Storms kinder reichem Dichterheim umfängt... Für Storms Weihnachtsdichtungen gilt so recht, wa- Liliencrvn dem Dichterfreunde ins Grab nachrief:/ „Wie tie sahst Du in ein Menschenherz, und unser Heimatland, da ernste, treue..., Du kanntest seine Art!" Wie vermag et Storm, den Zauber der Weihnacht innig und schlicht aü wenigen Seiten einzufangen, wie hat er rein menschlich du Märchenstille dieses ihm ewig jungen Kindheitsfestes so tie in sich ausgenommen, mit welcher beseelten Freude obliegt ei seinen Haüsvaterpflichten zur Weihnachtszeit! Darüber weis uns sein Freund Jürgensen zu erzählen: „Rückte Weihnachter heran, so suchte er selbst die Weihnachtstanne aus. Auch dü Ausschmückung leitete er und nahm es damit sehr genau Weiße und silbern schimmernde Netze wurden geschnitten unk mit Bonbons gefüllt, Rotkehlchen und andere Vögel fanden ihren Platz auf den Zweigen des Baumes, und halb versteck! unter dem Baum lehnte ein großes Pärchen, eine Art Mani und Evah aus braunem Honigkuchen, ein Festgeschenk, da- ein Verehrer aus Braunschweig alljährlich stiftete. Auch durften die vergoldeten Tannenzapfen und die .Blitze' nichi fehlen, und wunderschön sah vor allem der ,Märchenzweig' aus, ein Lärchenzweig mit kleinen Zapfen, der mit Schaum gold überzogen war." Diese zumeist von reiner Froheit durchsonntcn Tage der Julzeit seiner Heimat erhalten in zahlreichen Dezemberbriefen Storms ein unvergängliches Denkmal. So gesteht er am 19. De zember 1858 den Eltern, welche traulichen Erinnerungen an das Weihnachtsfest der Kindheit sein Heimgedenken um schweben: „Wie unendlich gemütlich war das einst vor Jahren, wenn in der großen Stube die Lichter angezündet waren, der Teekessel sauste, die braunen Kuchen und die Pfeffernüsse standen auf dem Tisch, Vater und wir Kinder warteten dort auf Lorenzen und Onkel Woldsen, während drüben in der Wohnstube der Weihnachtstisch arrangiert wurde. Ich sehe noch die erleuchtete Außendiele, auf die wir immer, wenn die Haustür ging, ausguckten. Und mir ist, als habe an diesem Abend die Dielenlampe besonders hell gebrannt. Wie oft wurden wir getäuscht, wenn statt der erwarteten Gäste eine Schar singender Kinder in die Haustür drängte. Aber dann ging's erst einmal hinunter in die Küche, wo der große Kessel über dem Herdfeuer stand und wo schon die ersten Futjen aus der Siebschüssel lagen. — Da hörte man oben die Haustür gehen — gewiß da kommen sie — und wieder treppauf mit einem dampfenden Futjen in der Hand. Auf dem Wege noch einen Blick durch das Hoftürfenster nach Clausens Comptoir; ja, da war's schon dunkel, der war schon mit Thomas drinnen und half die Kerzen anzünden. Wie kommt mir das alles jetzt groß und hell und weit und ewig begründet vor!" Mit tiefer Ergriffenheit lesen wir, was der Dichter ein mal über die Weihnachtseinsamkeit der Tante Brick, einer elterlichen Freundin, seiner Braut vertraut: „Tante Brick sitzt einsam in ihrer kleinen Kammer und weint über ihre Ver lassenheit am Weihnachtsabend; ihre einzige Erinnerung ist der Tod ihrer Mutter, der am Weihnachtsabend um 12 Uhr erfolgte; nun sitzt sie und durchlebt noch einmal alles, jede Minute bis zur Todesstunde, dann geht sie zu Bett. Wie glück lich sind wir doch, daß wir gefunden, was wir lieben! Wer dann von uns einmal allein sein wird am Weihnachtsabend — wir wollen dafür sorgen, daß freundliche, liebevolle Er innerung ihm Gesellschaft leiste. Es muß wohl das Herz vor Wehmut brechen können, dies ahnungsreiche, süße Kinderfest, wenn die Kinderträume verblichen sind und die Jugend ohne Liebe dahingegangen ist, allein, so ganz allein verleben zu müssen. Ich habe die alte Jungfer — es ist mit dem gewöhn lichen Klang ein gar hartes Wort — so gut ich konnte ge tröstet und ihr etwas zu lesen gegeben." Dies aber ist der Abgesang für Storms tiefquellendes Weihnachtserleben: am 9. Dezember 1884, ein halbes Jahr vor seinem Tode, schreibt er seinem Freunde Gottfried Keller aus altvertrauter Christ feststimmung diese in Heller Freude aufjubelnden Worte: „Weihnachten ist vor der Tür; im vorigen Jahr kroch ich aus dem Bett und setzte mich im halben Fieber vor den Weihnachtsbaum, der in einer kleinen Stube unweit meinem Krankenzimmer hergerichtet war, und Frau und Kinder weinten heimlich, weil sie mich sterbend glaubten. Diesmal ist's doch wieder, wie sonst, unten in den großen Räumen, und der Märchenzweig glänzt frisch vergoldet aus dem dunklen Tannengrün; und abends kommen mein Bruder und Frau und Kinder, und wir trinken im Weihnachtspunsch auf das Wobliein aller fernen freunde. Niornnter Mie nickt koMen werden." Das ist Storms Lebensabschied vom märchenholden Feste der Weihnacht. Auch in den Gefilden seiner Weihnachtsdichtung tönen uns die Christtagsglocken in Dur und Moll entgegen. Wie er greift uns in der Novelle „Jmmensee" (1849) des jungen Studenten Reinhard weihnachtliche Heimwehstimmung. Als er spät am Christabend die Straßen der Universitätsstadt durchwandert, bricht aus einem Fenster „noch ein Helle: Kerzenschein in das Dunkel hinaus. Es waren hohe Läder vor den Fenstern, er sah nur die Spitze des Tannenbaume- mit der Knittergoldfahne und die obersten Kerzen. Die Kinde: da drinnen ahnten es nicht, daß draußen jemand — auf da- Treppengeländcr geklettert war und sehnsüchtig in ihre Freud: wie in ein verlorenes Paradies hineinsah." Da gedachte de: Student der heimatlichen Weihnachtstage, wie er einst de: Jugendgespielin Elisabeth den Weihnachtsbaum ausschmückte „Am Vorabende hatte man immer den großen Menschen auf eifrigste damit beschäftigt finden können, Papiernetze unk Flittergold auszuschneiden, Kerzen anzubrennen, Eier unk Mandeln zu vergolden und was sonst noch zu den goldener Geheimnissen des Weihnachtsbaumes gehörte." Mähren! seines Aufenthaltes in der Fremde schreibt Storm seine beider eigentlichen Weihnachtsdichtungen: die beiden Idyllen „Unke: dem Tannenbaum" (1862) und „Abseits" (1863). In der No velle „Unter dem Tannenbaum" entringt sich der Seele de- Verbannten ein sehnsuchtdurchbebter Heimwehruf nach den verklungenen Kinderglück der Weihnacht. In einem Hellum strahlten Traumbild der Erinnerung zaubert sich Storm dal Christfest seines Elternhauses lieblich-heimatlich vor du Augeu... Ein ernstes Moll klingt durch die Weihnachtstragi! der alten Gutsmamsell in der von verhaltener vaterländische: Leidenschaft durchglühtcn Erzählung „Abseits": da sitzt die ein same Mamsell in ihrem traulichen Stübchen. Weihnachts abendsonnenglanz überschimmert die Bunzlauer Kaffeekanm und die vergoldeten Tasten auf der blütenweißen Serviette Und dann ziehen zuerst im Gespräch mit dem Freunde, dann in stiller Einsamkeit die glückumsounten Bilder aus den Tager ihrer Kindheit und Liebe an ihrem inneren Auge vorüber „Es sinkt auf meine Augenlider ein goldner Kindertraum hernieder, Ich fühl's, ein Wunder ist geschehen..." Wie ein holdumwobener Märchentraum verklingt so die Weih nachtsbotschaft des Dichters aus der grauen Stadt am Meer Weihnacht. Ein Augenblick im Meer der Zeiten, In dem die stillen Stimmen tönen, Die sonst der Tag verdeckt mit seinem lauten Schrei — Der Augenblick, in dem die Kerzen brrnnen, Die heil'gen Kerzen, die der Liebe leuchten, Da jedes Herz es ahnt, was Friede sei. In dieser Stille zwischen heut' und morgen, In dieser Handvoll weniger Minuten Besinnt der Mensch sich auf sein tiefstes Glück. Lauscht auf die leise Melodie der Liebe — Und geht dann neu zu seinem Tag zurück. Elisabeth Dauthende y. Die eines guten Willens sind. Von Rudolf Greinz. Keine Weihnachtsstimmung ist zu denken ohne die Erinne rung an die ewigen Worte: Und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind. Ueberirdischer Glanz strahlt von diesen Worten aus durch bald zweitausend Jahre. Den Menschen, die eines guten Willens sind, ist der Friede verheißen worden. Ich habe oft nachdenken müssen über den guten Willen der Menschen, der uns den Frieden bringen soll. Zur Weihnachtszeit wird das Gedenken an diese überirdische Botschaft unwillkürlich immer stärker. Was ist der gute Wille des Menschen? Nach meiner Auf fassung ein starker Wille, der seine Wurzeln nur in echter menschlicher Güte haben kann. Menschliche Güte, das ist auch der Wille Gottes, weil Gott nur das Gute wollen kann. So sehe ich auch in Weihnachten das wahre Fest der menschlichen Güte. Weihnachtsstimmung ist die Stimmung des guten Willens in allen Menschen. Weihnachtsstimmung ist Freude und Beseeligung au dem eigenen guten Willen und an der Güte unserer Mitmenschen. Das größte Märchen oder noch bester gesagt, die heiligste göttliche Legende würde die Menschheit erleben, wenn nicht nur einmal im Jahr Weihnachten wäre, sondern wenn es für immer und ewig Weihnachten würde auf Erden, ein unzer störbares Fest des guten Willens unter allen Menschen, der großen menschlichen Güte und des damit untrennbar ver bundenen ewigen Friedens. Dieses Fest kann einmal kommen, wenn wir den Glauben daran nicht verlieren. Denn der Glaube ist das Stärkste auf Erden. Ohne Glauben, Vertrauen und Zuversicht würden wir Weg und Ziel verlieren. Der Weg ist lang und hart. Und das Ziel ist weit bis zur ewigen Weihnacht auf Erden. Aber Weg und Ziel niuß unser heilig stes Besitztum bleiben... Und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind. Weihnachtsabend am Meere. Von Wolfgang Federau. Sie sind alle so eifrig damit beschäftigt, letzte Vorbereitun gen zu treffen, den Gabentisch zu decken, die Lichter an den Zweigen der Tanne zu befestigen, vergessene Kleinigkeiten noch schleunigst einzukaufen. Oder sie sitzen bereits vor dem brennenden, strahlenden Weihnachtsbaum, singen die alten, lieben und vertrauten Lieder, weiden sich an den glänzenden Augen der Kinder. Oder sie wandern auch durch die Straßen der alten, nordischen Stadt, auf deren Giebeln nnd Dächern der Schnee in lockerer Fülle gleich weichen, blütenweißen Kissen liegt. Und von dem Kirchturm klingt sanft, verweht das Spiel der Glocken, die Menschen hasten vorüber mit fernem, Wissendem und geheimnisvollem Blick und tragen ein Lächeln auf ihren Lippen, die sonst so ernst und streng sind: ein war mes, blühendes frohes Lächeln. Du aber — Du ganz allein unter den ungezählten Vielen — fühlst Dich verfucht, das Wunder der Stillen Nacht an einer anderen Stelle zu suchen, auf andere Art zu erleben. Du hast noch Zeit, fast zwei Stunden Zeit — und plötzlich hast Du einen Entschluß gefaßt, springst auf die Straßenbahn und fährst hinunter zum Strand, an das Meer. Da stehst Du nun, auf dem Kamm der Dünenkette, und blickst fort über das Wasser und bist einsam, so fern allen Men schen, Wie seit langem nicht. Kein lebendiges Wesen atmet neben Dir, lacht oder bangt, so weit Deine Augen sehen können. Nur der irre Schrei der Möwen greift aus der nächtlichen Finsternis, die ihren Flug verhüllt, au Dein Ohr, und zu weilen gleiten die Vögel wie Schatten dicht an Dir vorbei, und Du hörst das Rauschen ihrer schlagenden Flügel. Dennoch bist Du allein! Wie tote, schwere Schatten liegen die Boote am Strande, dessen Sand, durch schneegefüllte Mul den unterbrochen, sich schimmernd abhebt von der unglaub lichen Dunkelheit des Wassers. Die Fischer, längst sitzen sie Wohl in den kleinen Häusern hinter Dernem Rücken, mit Weib und Kindern, und vergessen über dem Glanz des Heiligen Abends Not und Gefahren ihres schweren, harten Berufs. Und wenn wirklich einmal der Wind allzu heftig an die mor schen Fensterläden klopft, dann erst recht erfreuen sie sich mit behaglichem Lächeln der Sicherheit ihres dürftigen Heims, das sie mit seinen vier Wänden redlich nnd treu umfangen hält. Denn ja — da ist auch noch der Wind um Dich. Der Wind, der dunkle Wolkeufetzen über den dunkleren Himmel jagt, der Dich anspringt und an Deinem Mantel zerrt, als wollte er ihn und alles,stvas Du trägst, abreitzen und sich wild und jubelnd an Deine nackte Brust werfen, der das Meer, das weite, schwarze Meer peitscht und bedrängt und liebkost, bis weißer Schaum sprühend dahin stiebt und die Wogen ihr ein töniges, dennoch immer wechselndes Lied zu singen beginnen. Du aber — den Moven, dem Wind und dem Meere gs sellt — fühlst die Einsamkeit dieser Stunde wie eine selten: Beglückung, fast wie eine Gnade. Alles ist Unruhe um Dick her — aber die große Unruhe Gottes, des unbekannten Gottes der im Sturm ist und in der Welle, der nicht schläft und nich schlummert. „Heiliger Abend" — so entsinnst Du Dich stammelnd Gedenkst des Meuschensohnes, der rn einer solchen Nacht ge- boren wurde, der leben, leiden, sterben mußte. Für Dich — für alle. Der über das Wasser ging und den das Masset trug!... Dann aber, jählings, wirst Du traurig. Es ist nur er» Augenblick — doch in diesem einen, kurzen Augenblick empfin dest Du erschüttert die Kleinheit aller Kreatur. Eine Bö packt Dich, treibt Dich vor sich her. Sie führt Schnee mit und Regen und schlägt Dir nasse Lappen um die Wangen und peinigt Dich mit den Stichen zahlloser kleiner Eiskristalle. Du verläßt Deinen Standplatz auf der Düne, wanderst langsam auf ihrem Kamm entlang. Wie klein Du bist, wie verloren! Mit einem Male wird es still. Der Wind, eben noch zornig und ungebärdig und laut, ist eingeschlafen. Die Bran dung, deren Rauschen und Röhren Deine Ohren tobend und lärmend erfüllte, begleitet mit sanfteren, ruhigeren Tönen das klingende Schweigen der Atmosphäre. Die dunkle Wolkenwand am Horizont zerreißt, silbern schwimmt der Mondesnachen durch duftige Nebelschleier, und über ihm — wie ein Symbol steht ein Stern... ein einziger, Heller, funkelnder Stern. Ist es derselbe, der über dem Stall in Bethlehem leuchtete, vor bald zweitausend Jahren? Du weißt es nicht, und keiner vermag es zu sagen. Du empfindest nur die feierliche Stille, die sich über der ganzen Landschaft ausbreitet. Von der Mole an der Hafeneinfahrt her strahlt das Feuer des Leuchtturms. Wo hattest Du nur Deine Augen vorher — das Du es bislang nicht sähest? Friede kehrt ein in Dein aufgewühltes Herz. Ja — es gibt einen Hafen, es gibt Ruhe und Sicherheit. Menschen gibt es, die Dich lieben, und einen Gott, der Dich an der Hand zu halten bereit ist, wenn es gilt, über das Meer zu wandern. Von weit her, aus der Kathedrale von Oliva, tönt das Klingen der Glocken. Weihnachtsglocken. Da wendest Du dem Meere den Rücken und schreitest heimwärts. Dorthin, wo warmer Lampenschein, Duft von Kerzen und von Tannengrün Deiner harren, wo Menschen Dich seit langem erwarten und aus den Augen eines Kindes Dich alles das anfchaut, um dessentwillen Du allein des Lebens Last und Bürde zu nagen vermagst. Der Glaube — die Hoffnung — und die Liebe!...