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n !k Landschaft —, ich sah anderen Ufers, der Bergstationen, der heimkehrenden Dampfer. Der Seewrnd trug Tanzmusik der Hotels zu mir. Kühe muhten im Schlaf auf der Wiese, es duftete süß und rein, fast be klemmend in seiner himmlischen Unschuld. Am heimischen Hera lliHerbaltungsbeNsge rum „LMsckrutter csgrblstl" — Amtsblatt, s ruhig zu werden, spazierte ich bergauf, an der Manke unseres Berges, zwischen Obstgärten, und kehrte gegen zehn Uhr zurück. In wunderlich zwiespältiger Stimmung. Dieses kapriziöse, schillernde Weib — dieser wunderbare Frieden der nächtlichen Landschaft —, ich sah den See in der Tiefe, die Lichter oes hielt, stand das hölzerne Stockwerk. die kurze Treppe und trat in ! ihren Duft: es war Genias Schlafstube... Vielleicht sollte es eine Art Rache an meiner wilden Ge- Wie ich gehängt werden sollte. Skizze aus dem Nachkriegsrußland von Rainer Maria Reinhardt. Das dankbare Vaterland hatte für mich, den gewesenen k. und k. Offizier, dem es schwer fiel, das bisher getragene schwarzgelbe Hemd über Nacht mit einem roten zu vertau schen, keine Verwendung. In der Inflationszeit schmolz mein kleines Vermögen mit einer Schnelligkeit zusammen, die zu der Ausstckt. eine war einer Ehrfurcht verwandt, dies Verlangen nach der großen Sensation barg etwas Edles ... Was denn? Kunst? In einer Loge erhob sich ein Herr: ein blaßgesichtiger, schmaler Herr mit dunklen, glutvollen Augen, im Sktwking, wie die anderen Logeninhaber. Langsam trat er an die Brü stung. Und da irrte der Strahl des Scheinwerfers von der Bühne ab und ergoß sich auf jene Loge. Ehe der schmale, zier liche Herr mit den weißen Schläfenhaaren und den frauen haften Händen noch irgend etwas gesagt oder gesungen oder auch nur eine Bewegung getan hatte, ging jenes Raunen durch den ungeheuren Raum, das der Künstler höher bewertet als Sen stärksten Beifall, jenes Raunen, das da Ruhm heißt, Ruhm und Erfolg ... Das war Martini, der da stand und nun seinem kleinen, unscheinbaren Banjo einen namenlos wunden, schluchzenden, flehenden Ton entzupfte. Und so begann das Spiel Martinis, des tragischen Clowns, der als Weltberühmtheit in den Me tropolen seine Gastrollen gab. Er stand an der Brüstung der Loge und sang ein kleines Narrenlied von einem Wunden Herzen. Von der ohnmächtigen Qual der verschmähten Liebe, und sein ungeschminktes Gesicht lächelte dazu... All' diese da unten und auf den Rängen, diese schönen, berückenden Frauen, diese satten Herren in Gesellschafts anzügen, diese jungen Mädchen, denen man ihn zum ersten Male zeigte und die ihn mit einem leichten Gruseln zur Kenntnis nahmen, diese blasierten Jünglinge, die über seiner großen Menschendarstellung, Narrenparodierung und seinem tragisch grotesken Ernst ihre kleinlichen Kümmernisse ver gaßen, alle kannten ihn als den tragischen Clown Martini, dessen Name ihnen mit den magischen Lettern der Leucht propaganden, mit den krachenden Rachenlauten der Mega phone und den grellen Säulenplakaten eingehämmert wurde, sie alle kannten aus der Tagespresse seine Gagen, wußten um seine Resignation auch im Leben, glaubten, ahnten, daß in seinem Leben einmal eine Frau gestanden hatte, die ihn be siegte, ihn, den einst berühmten Sänger zu einem Clown machte, den Sänger seiner Narrenliebe, die er immer noch nicht aus seinem Herzen reißen konnte... Wenn sie wüßten, wie gleichgültig ihm das alles war, was die Megaphone fauch ten, was die Zeitungen verkündeten, was vor seinem Auf treten in dem immer gleichbleibenden Raunen von Mund zu Ohr ging! Das alles hier war bei ihm Routine, ein ausge klügelter Trick, eine Effekthascherei. Wahrhaftig, er hatte es nicht mehr nötig, die Songs einer Liebe, oie vergessen, verrauscht war, den Menschen in die Ohren zu flüstern, zu wispern, zu dudeln und zu Posaunen. Er war ein reicher Mann, er hatte mit dem kleinen Schluchzer, diesem unvergleichlichen Tremolo in dem Schmelz seiner Stimme, Hunderttausende verdient, diese Liebe, unter deren Enttäuschung er einmal vor langen Jahren gelitten, sie brachte ihm fein Vermögen ein... Immer noch stand er an der Brüstung der Loge, immer noch lächelte sein Mund, während seine Augen durch das beißend grelle Licht des Scheinwerfers zu tränen begannen. Dann brach das Lied jäh ab, er stieß jenen kleinen, welt berühmten Schluchzer aus, der auf Millionen Schallplatten festgehalten war, und sprang mit einem einzigen Satz über die Brüstung der Loge. Er wanderte an den Parkettreihen ent lang, vorbei an den Logen, aus denen die Menschen sich beug ten, und sang das Lied an die Frau. Der Scheinwerfer wanderte mit... Da hielt der geniale Clown Plötzlich in seiner Wanderung inne, er stand still, und seine Finger krampften sich um die Saiten des Banjos, er wurde leichenblaß unter dem Weißen Puder. Das war nun ein neuer Trick, eine unverhoffte Sen sation ... Eine aber in dem Tausende fassenden Variets, eine Frau, die, umgeben von ihren eleganten und galanten Trabanten, in ihrer Loge saß, wußte, daß nur ihr dieser starre Blick galt, dieser stumme Gruß, der über die zwitschernden Lippen flat terte, dies ganze Lied und dieses Auftreten überhaupt. Se kunden nur trafen sich ihre Blicke. Der Scheinwerfer be leuchtete diese stumme Szene, deren Inhalt über die Lippen des Clowns strömte in bizarren, tirilierenden, bald froh lockenden, bald Wunden Klängen. Das Publikum saß gebannt. Auch dies gehörte zu seinem Auftritt, gewiß. Er aber wußte plötzlich: Sie ist da! Er wußte: Sie ist gekommen, um mich, Martini, die Attraktion, zu bewundern All die Jahre, in denen ich wiederholt in dieser Stadt zu Gaß war, hat sie nur mühsam sich beherrschen können. Heute aber trieb es sie her! Warum? Liebe? Haha, ich müßte doch eigent lich an diese Liebe glauben, ich, da ich sie ja besinge... - Die Frau in der Loge hörte ihre Begleiter verlege» hüsteln. „Ein Spleen", flüsterte einer, „ein Spleen des be gnadeten Martini." — „Hätte sich auch eine andere aussucher können!" meinte ein anderer. Wie ich ihn verachte, dachte di« Frau in der Loge, ein erbärmlicher Wicht, der aus seiner Lieb« Kapital schlägt! Und ein höhnisches, verächtliches Lächeln stahl sich um ihren Mund. Der Scheinwerfer warf sein grelles Licht auf dies Lächeln und auf den Mann, der in dieses Lächeln starrte. Dann wan derte das Licht mit dem tragischen Clown, der ein freches Liedchen zu singen begann, während er mit gesenktem Kop auf die Bühne schlich. Aber auch dies gehörte zu seinem Auf tritt, gewiß... Magie der Kerzen. Die Heimatglocke singt ihr hellstes Lied; Es hat so zarte, glitzergoldene Schwingen! Der Tannenbaum, der nun in Kerzen blüht, Er hört verwirrt sein scheues Waldherz klingen, Weil wundergleich das warme Liebeslicht Der Weihnacht in die dunklen Nächte strahlte Und heimlich in das müdeste Gesicht Christrosen lang erstorbener Freude malte. Im Kerzenlichte gilt das Du und Dein. Ist es ein Wunderlicht aus andern Welten? Wie heute soll's in dunklen Tagen sein: Das Du und Dein soll gelten! Franz Mahlke. Ich kam nicht zur Ruhe — aber da stand plötzlich die Be hausung meiner Freunde vor mir, dunkel, sie waren Wohl unten geblieben, sie tanzte, und er sah ihr anbetend zu. Aber immer waren Gartenpforte und Haustür offen, ich wußte es. Und als wäre dort drinnen mein Frieden, trat ich ein. Auf steinernem Unterbau, der Vorratsräume und Waschküche ent- " m Dunkeln erstieg ich das erste Zimmer. Da merkte ich Schlafstw Ein kleiner Scherz. Skizze von Kurt Münzer. Komm, mein Lieber, setz' Dich dort hin, hör' zu! Viel leicht erleichtert es mir das Herz, wenn ich es herunterrede Seit drei Monaten bin ich bleich und nervös, sagst Du, schreck haft, ruhelos. Ja, ich weiß. Ich bin's. Ich bin ein Mörder! Siehst Du, jetzt stockt Dir das Blut. Versuche nicht zr lachen. Ich bin nicht verrückt, wie Du vielleicht glaubst. Ick treibe auch nicht Scherz. O, ja, ich habe Scherz getrieben ich wollte einen Witz machen, es war Uebermut, kindische Un überlegtheit, ein dummer Männer-Einfall — und die Folge.. Bitte! Laß mich auf und ab gehen. Ich kann nicht stil sitzen, wenn ich mich erinnere. So trabe ich ja innerlich, sei! Drei Monaten, ständig hin und her. Es war im Juni... Du weißt, meine Sommerfrische am Rigi. Ich wohnt« im Grandhotel, und dort lernte ich sie kennen, abends, beirr Lanz. Ich stellte mich dem Gatten vor und bat um die Er laubnis, mit seiner Frau... Ja, nun glaubst Du: Liebe, Leidenschaft, Passion... Keine. Spur! Ich sah nur, wie gut und anmutig sie tanzte. Und ich tanze so gern mit einem leichten, fügsamen Mädchen. Eigentlich gefiel mir der Mann viel besser, ein ganz stiller, sanfter, großer Junge, Bakteriologe in Wien, Güte aus strahlend, in Blick und Geste so behutsam. Mit ihm freundete rch mich an. Wir waren bald vertraut. Mit ihr, Genia, blieb es beim Neckton, bei lustiger Kameradschaft. Sie liebte ihren Manu nicht sehr, sie war überhaupt kühl, wahrscheinlich ibrem Typ noch mcht begegnet. Eine Wienerin, wie es Hunoerte am „Graben" und am „Opernring" gibt. Und er — wie war er nur auf sie verfallen, nein: ihr verfallen! — er betete sü an. Sie ließ sich's gefallen, halb mit nettem Spott, halb mit leidig. Ihm genügte es. Es war so harmlos zwischen uns, daß wir uns nach fünf Tagen duzten. Sie wohnten außerhalb des Dorfes, in einer kleiner Wohnung von drei Stüven, ganz allein. Eine Bäuerin be sorgte ihnen das Haus, die Abendmahlzeit nahmen sie ir meinem Hotel. Sie verkehrten mit niemandem. Aber an mir fand der stille Mann Gefallen — nicht sie! Ich war in zwei Wochen kaum einmal mit ihr allein, suchte es auch nicht zr sein, sie regte mich gar nicht an. Eine Russin, vierzig Jahre alt, eine Schwarze aus dem Kaukasus, die im Kurhause Wohnte, beschäftigte und befriedigte meine Sinne völlig. Da geschah's. An einem kühlen, windigen Abend. Ich war nach dem Essen mit meiner Russin am Strande gewesen. Wir hatten uns gezankt. Sie war in ihr Hotel gelaufen. Um Intermezzo im Variete. Skizze von Gerd Land. Schon war die große Halle des Varietös verdunkelt, und die Klänge des Orchesters erstarben, da flammte der grellweiße Scheinwerfer auf und warf einen Lichtkegel auf den schwarzen Samtvorhang der leeren Bühne. Ueber der riesigen Halle, die von Tausenden angefüllt war, lastete ein atem raubendes Schweigen, eine schier unheimliche Ruhe, das Ver langen nach der großen Sensation. Sensation im Variets! Nur Nervenkitzel für die große, unübersehbare Masse Mensch hier drinnen? Nur Speisung für das lüstern züngelnde, tausendäugige Ungeheuer Publikum? Diele Ruhe bedeutete mebr. Dies atemraubende Sckweiaen liebten sein: Ich trank diesen Duft wie ein Rauschgift, ich sank auf das Bett, legte das Gesicht in die Kissen und sehnte mich nach Genia. Und dann: ohne daß alles recht in mein Bewußtsein drang, hörte ich einen Schritt auf der Treppe: den Mann ... Und da geschah es nun. Warum ich es tat? Ich weiß nicht. In meiner tollen Laune durchfuhr es mich: Mach einen Witz, einen Schabernack, erschrecke den Guten, damit er nach her mit mir lacht! Genug: ich sprang auf, eilte, an die Tür und riegelte sie ab. Er ging hinüber, ich hörte ihn nach Genia rufen. Sie hatten sich also Wohl unten irgendwo getrennt. Dann kam er. Die fünf Schritte über die Diele. Und klopfte... Stille. Ich regte mich nicht. „Genia!" rief er und drückte auf die Klinke. Ich glaubte zu hören, wie sein Atem still stand... Dann stammelte er: „Warum hast Du abgeschlossen?" Stille. Wahrscheinlich hatte sie in den drei Jahren ihrer Ehe niemals ihre Tür vor ihm verschlossen. „Genia", sagte er leise. „Mach auf! Was ist Dir? Was hast Du?... Wer ist bei Dir?" Himmel, dieses Pochen, das ich in der Stille hörte, war das sein Herz? Ach nein, das meinige klopfte. Jetzt mußte ich öffnen, lachend, übermütig — aber konnte ich lachen? O, was für ein blöder Scherz, was für ein geistverlassener Witz, einen Gatten mit der Untreue seiner Frau zu neuen! Was mußte er glauben, wenn ich mich in Genias Zimmer einschloß? Würde er mir den Schabernack glauben? Da warf ich, um mich tastend in dem finsteren Raum, eine Schale vom Tisch. Es klirrte. — „Genia!" schrie der Mann draußen und dann keuchend: „Mach auf! — Du bist nicht allein... Genia!" Ich rührte mich nicht. Alles war Wahnsinn. Ich hörte ihn atmen, bis er — nach Sekunden fürchterlichen Schweigens — schwer von der Tür fortging. Nun, es mußte g>a alles gut werden. Genia kam nach Haus. Ich schlich mich einfach fort — und die verschlossen ge wesene Tür blieb ein Rätsel. Ha — das offene Fenster... Es war eben ein Einbrecher gewesen... Stellung zu finden, in umgekehrtem Verhältnis stand, und eines Tages war ich, trotz aller Sparsamkeit, vollkommen von Mitteln entblößt. Ein Kamerad, der das Glück gehabt hatte, in einem Wiener Vorstadtkino eine Stelle als Operateur zu finden, riet mir, nach Rußland zu gehen, das angeblich Offiziere zum Wiederaufbau seiner Armee suchte. Er verschaffte mir auch Paß und Visum mit der Unterschrift irgend eines bolsche wistischen Bonzen. Ich fuhr los, schlug mich nach Art amerikanischer Tramps (Landstreicher) in einer höchst abenteuerlichen Fahrt nach Rußland durch, lag eines Tages halb verhungert und fürchterlich abgerissen in der dürftigen Wohnung eines Mos kauer Arbeiters, der mich irgendwo erschöpft an einer Straßenecke aufgelesen hatte, und war dank seiner Vermitt lung vier Tage später Soldat der roten Armee. Zwei Tage danach ging ich bereits mit einem wüsten Haufen verwahr losten Gesindels zur Bekämpfung der Weißen Armee des Generals Wrangel nach Südrußland ab. Von den vierhundert Mann, welche die rote Fahne mit dem Sowjetstern siegreich gegen den „weißen Schrecken" tra gen sollten, fand sich zur Abfahrtsstunde knapp die Hälfte auf dem Bahnhofe ein; und diese ging nach und nach während der Fahrt verloren. In Tschubowka, etwa hundert Kilometer vor Odessa, saß ich als Einziger unserem Führer, dem etwas stupiden Pawel Pawlowitsch, gegenüber. Schauernachrichten über Greueltaten, die Weißgardisten angeblich an Rotarmisten verübt hatten, veranlaßten Pawel Pawlowitsch, in Tschu bowka ebenfalls auszusteigen. „Bruder", sagte er zu mir. „Du wirst einsehen, daß ich allein gegen die Weißen nichts ausrichten kann. Fahr Du aber weiter! Sobald ich meine Leute beisammen habe, komme ich nach." Ich nickte zu seiner Rede verständnisinnig mit dem Kopfe, steckte die Order de Bataille seines auseinander ge laufenen Heerhaufens, die er mir in Gegenwart des Stations vorstehers überreichte, zu mir, ohne zu ahnen, daß mir diese Papiere beinahe zu einem Blick aus der Vogelperspektive eines Galgens verhelfen sollten. Ich kam nach Odessa, ohne von den Scharen des Ge nerals Wrangel auch nur eine Schnauzbartspitze gesehen zu haben, übergab dem Stadtkommandanten die Papiere und den Proviant, von dem drei Viertel unterwegs gestohlen worden waren, und erhielt einen zweitägigen Urlaub, nach dessen Ablauf ich bei der Abteilung Panzerkreuzer „Lenin" Dienst tun sollte. Ich schaffte meine geringe Habe in das mir zugewiefene Quartier und war entsetzt über die überall sich breit machende, bodenlose Gemeinheit, Roheit und Zucht losigkeit der Rotarmisten. Das alles setzte meiner Dienst freudigkeit einen argen Dämpfer auf und ließ es mir geraten scheinen, Rußland sobald wie möglich wieder den Rücken zu kehren. Nun saß ich aus der Steinmauer des Hafenkais, häm merte mit den Füßen mißmutig den Takt zum Radetzkhmarsch, den ich leise vor mich hinpfiff, und sah nach den Ruinen des Boulevards hinüber, der mit seinen prächtigen Gebäuden einst das schönste und modernste Stadtviertel Rußlands überhaupt gewesen war. Während ich noch über den besten Weg, den Gefilden Mütterchen Rußlands Valet zu sagen, nachgrubelte, hörte ich hinter mir rusen: „Sdjes sidit jetot Swolotsch!" (Da sitzt der Kerl!) Ehe ich noch begriff, daß mit dem Kerl ich gemeint war, hatten mich schon zwanzig derbe Fäuste gepackt, die mich nach dem halb zerschossenen Woronzow-Palais schleiften, in dessen noch erhaltenen Gemächern sich das Kriegsgericht befand. Ich protestierte, verlangte Aufklärung, fluchte, bekam aber als einzige Antwort nur ein Dutzend verrosteter Don nerbüchsen unter den Riecher gehalten. Irgend ein zerschlissenes Individuum schrie fortwährend: „Ostoroschno, schtob on ne »beschall" (Paßt auf, daß er Euch nicht durchbrennt!" In einer unglaublich schmutzigen, verräucherten Stube saßen fünf struppige Kerle, die Mitglieder des Kriegsgerichts. Der Vorsitzende, ein pockennarbiges Scheusal, beschuldigte mich, die Leute des Transportes Pawel Pawlowitsch zur Fahnenflucht verleitet und diesem die Order de Bataille ge stohlen zu haben, und verkündete, ohne mich im geringsten anzuhören, auch gleich das Urteil „Tod durch den Strick. So fortiger Vollzug der Strafe." Vergeblich versuchte ich den Sachverhalt aufzuklären. Der Pockennarbige winkte nachlässig mit der Hand, wieder griffen schmutzige Fäuste nach mir ... da stieg die Wut in mir hoch. Ich riß einem der Dreckfinken von Wachsoldaten die Kugelspritze aus der Hand und fuhr — es war ja nun schon einerlei, ob ich erschossen oder gehängt wurde — dem Vor sitzenden mit der Gewehrmündung fast ins Gesicht. „Infames Biest, willst Du mich wenigstens anhören?" brüllte ich. Der Feigling knallte mit kalkweißem Gesicht in seinen Stuhl zurück und stammelte erschrocken: „Rede!" Ich erzählte, verlangte kategorisch die Ladung des Sta- tionsvorstehers von Tschubowka als Zeugen. Zehn Stunden saß ich in einer Ecke des Zimmers, ohne das geladene Ge wehr aus der Hand zu lassen. Dann kam endlich der Sta tionsvorsteher, mit ihm die Aufklärung. Nach seinen Aus sagen war Pawel Pawlowitsch einer anderen Abteilung Rot armisten in die Hände gefallen, die ihn über den Verbleib seiner Heeresmacht gründlich zur Rede stellten. In seiner Angst vor Strafe hatte er das Märchen von der Verleitung seiner Leute zur Flucht und den Diebstahl der Papiere durch mich einfach erfunden. Jetzt endlich durfte ich meiner Wege gehen.