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MlsdmfferLWblatt Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nationale Tageszeitung für die (andwietschast/ Das ,Wilsdruffer Tageblatt- erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 RM. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 RM., bei Postbestellung Wochenblatt für Wilsdruff u. Umqegend ^-^7^ iragerund Geschäftsstellen — ' — nehmen zu jeder Zeit Be ¬ stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonst. Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Anzeigenpreis: Li- 8gespaltene Raumzeile 20 Rpfg., die «gespaltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Reichs. Pfennige, die g gespaltene Reklamczeile im textlichen Teile I RML. Nachweisungsgebühr 20 R-ichspfennige. Dor. Ltn^chLWS Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 annahm-bi-vorm.IVUHr. — Für die Richtigkeit de- durch Fernruf übermittelten Anzeigen übern, wir keine Garantie. Jeder Rabattanspruch erlischt, wenn der Betrag durch Klage eingezogen werden muß oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Anz. nehmen alle Vermittlungsstellen entgegen. Nr. 242 — 89. Jahrgang Wilsdruff-Dresden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Donnerstag, den 16. Oktober 1930 Pctzllckuck: Dresden 2640 Oesterreichjscher Schritt in Prag. Unglaubhafte Wiedergabe einer Rede Beneschs. Wien, 16. Oktober. Der tschechoslowakische Außenminister Benesch hat im Auswärtigen Ausschuß nach hier vorliegende» Mel dungen über das Verhältnis zn Österreich solgendcs aus- gefiihrt: „Österreich hat unter der Regierung Schober Verfassungsänderungen durchgeführt und die gegen wärtige Entwicklung deutet an, daß es vielleicht wieder ernsten inneren Erschütterungen cntgegengeht." Amtlich wird hierzu deiner«: „Die Stelle, die sich mit der künf tigen Entwicklung Österreichs befaßt, klingt in der Form, in der sie gemeldet wurde, unglaubhaft, da sic als Ein Mischung in die inneren Angelegenheiten Österreichs ge deutet werden könnte Das österreichische Außenministe rium hat daher sofort in Prag entsprechende Schritte un lernommen." Nie Präsidentenwahl. Nicht zum erstenmal — weder im Reichstag des Kaiserreichs noch in dem der Republik — haben sich vor und bei den Wahlenzum Präsidium Einflüsse politischer Art gellend gemacht, die eine Besetzung der Stellen des Präsidenten bzw. des Vizepräsidenten ent sprechend der Parteienstärke aus bestimmten Gründen aus schalten wollten, — mehrfach auch mit Erfolg. Das widerfuhr z. B. nach den Wahlen von 1907 dem Zentrum, 1912 den Sozialdemokraten. Und durchaus nicht alle Par teien in den verflossenen Reichstagen hielten sich an die all mählich zur Gewohnheit werdende Berücksichtigung der stärksten Partei bei der Besetzung des Präsidentenpostens, — aber jede Partei mußte es als verletzend betrachten, wen» man ihr nicht dieses wirkliche oder vermeintliche „Recht" gewährte. Und ein solches Gefühl des Beleidigt seins kann in einem Reichstag wie dem jetzigen von den schwerwiegendsten allgemeinpolitischen Folgen sein. Denn der Kampf um den Präsioentenposten — man hatte am Montag den Reichstag auf den Mittwoch vertagt ausdrücklich deswegen, weil dieser Kamps hoch aufge- slammt war, die Einigung auf irgendeinen Mann immer unwahrscheinlicher, die ganze Lage immer komplizierter, verworrener, unlöslicher wurde — spielte sich ja ab vor jenem allgemeinpolitischen Hintergrund, der dabei den stärksten Einfluß ausübte. Eine Machtprobe nicht nur war dieser Kamps, sondern sein Ergebnis mutzte gleich zeitig eine gewisse Klärung über die parlamentarische Kräfteverteilung bringen, allerdings nur einen nicht unbe dingt sicheren Aufschluß, weil auch hierbei allerlei „tak tische" Absichten und Finessen mitspielten, bestimmte Politische Ziele erreicht werden sollten, die an sich mit der Präsidentenwahl nicht das geringste zu tun haben. Allerhand besondere Schwierigkeiten kamen noch hinzu, die sich aus der Einstellung der radikalen Flügelparteien bestimmten Festsetzungen der Reichstagsgeschäfts- ordnung ergaben, so daß nun wieder von der Mitte aus „Garantien" verlangt wurden, — knrz, es war ein wildes Durcheinander, das auch nicht gerade da durch besser wurde, daß in manchen Fraktionen die Ab stimmung freigegeben worden ist. Alles war — im gegen wärtigen Augenblick eben nur einAusdruckderall- g e m e i n e n p o l i t i s ch e n L a g e innerhalb und außer halb des Parlaments — also in der säst chronisch geworde nen Schwebe, als der Alterspräsident die „Wahlsitzung" des Reichstages eröffnete. Nun entscheidet bei der Wahl des Präsidenten nicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sondern der Kandidat mutz die absolute Stimmenzahl erhalten, um gewählt zu sein, d. h. er muß mindestens eine Stimme mehr als die Hälfte aller überhaupt abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen; erst dann ist er gewählt. Gelingt das im ersten Wahlgang nicht, so erfolgt Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen erhalten haben. So war es auch bei der diesmaligen Wahl des Präsidemcn der Full. Von 554 abgegebenen gültigen Stimmen entfielen 266 auf den bisherigen Präsidenten Löbe, 179 auf den Volksparteiler Dr. Scholz; daneben 68 auf den Kommunisten Pieck und 41 aus den Deutschnatio nalen Gräf. Es fehlten dem „Spitzenkandidaten" Löbe also 22 Stimmen an der absoluten Mehrheit, so daß nun Stichwahl zwischen ihm und seinem nächsten „Konkur renten" Dr. Scholz erfolgen mußte, um nun durch einfache Mehrheitsentscheidung die Wahl endgültig zu treffen. Be merkenswert ist, daß die Deutschnationalen sich doch ent schlossen hatten, für einen eigenen Kandidaten zu stimmen und ihre Stimmen nicht gleich im ersten Wahlgang dem Volksparteiler Dr. Scholz zu geben, während offenbar die Nationalsozialisten sofort für diesen eintraten. Die Entscheidung im zweiten Wahlgang konnte an dem Wesentlichen dieses ersten „Wahlkampfes" auch nichts ändern, es höchstens nur noch klarer herausstellen. Ganz unbedingt freilich und ganz eindeutig wird die Frage doch nicht beantwortet, ob eine „B r ü n i n a - M e h r h e i t" besteht oder nicht. Um so unzweideutiger traten aber die großen Schwierigkeiten in den Vordergrund, die sich in m, .Reichstage jeder klaren realpolitisch möglichen ilceyrhettsbildung entgegenstellen und die heute daher auch "issen Brüning zu einer Entscheidung zwingen Vas neue veichziagzpläMum Löbe wieder ReichsLagsprWenl. Stichwahl war erforderlich. Berlin, 15. Oktober. Strenger noch vielleicht als am Montag ist am Mittwoch der Reichstag von der übrigen bewohnten Welt abgeriegelt. Die Schupo zieht einen dichten Kordon um die „heiligen Hallen", vom etwa demonstrationsfrohen Publikum kann nie mand herandringen, obwohl die Schaulustigen wieder in statt licher Anzahl aufmarschier, sind. Sie kommen nicht auf ihre Rechnung, da jede Person bis aus die Nieren nach Ausweis und Berechtigung geprüft wird. Der Wagenverkehr ist ebenfalls auf das Notwendigste beschränkt, die Straßenbahn fährt am Reichs tag vorbei, und wer sich diesem Vehikel anverlrant hat und in Reichstagspräsidem Löbe. das Gebäude muß oder will, hat ein erhebliches Stück zurückzu- lansen. Im Sitzungssaal geht es verhältnismäßig ruhig zu, nach dem der Alterspräsident Herold die Beratungen eröffnet Hal. Die Ministerbänke sind wieder leer, lediglich einige Kommissare stellen sich hinter ihnen aus. Haus und Tribünen überfüllt. Als Herold die einschlägigen Bestimmungen der Verfassung für die Präsidentenwahl verlesen hat, schlägt der Sozialdemokrat Dittmann die Wiederwahl seines Parteigenossen Löbe vor. Rippel vom Ehristlichnationalen Volksdienst will die hergebrachte Ordnung nicht durchbrechen, er will die Zu sammensetzung des Präsidiums nur nach sachlichen, nicht nach machtpolitischen Gesichtspunkten vornehmen, spricht sich unter Pfuirufen der Rechten also für die Wiederwahl Löbes aus. Torgler von den Kommunisten bezeichne, seine Partei als die einzig wirklich antikapitalistische Gruppe, was heftigen Widerspruch im Hause auslöst. Er präsentiert seinen politi schen Freund Pieck. Der Nationalsozialist Frick muß sich viele kräftige Worte gesallen lassen, als er Löbe einen Kriegs dienstverweigerer nennt und für die Wahl des Frontsoldaten und Volkspartcilers Scholz eintritt. Abg. Stützt wurde als Erster zum Vizepräsidenten des Reichstages gewählt. Abg. Esser Abg. Gräf-Thüringen, wurden als Zweiter und Dritter zu Vizepräsidenten gewählt. Nun beginnt der erste Wahlakt durch Namensaufruf, dessen Ergebnis der Alterspräsident erst nach Stunden bekannt geben kann. Gewählt haben 556 Abgeordnete, 2 Stimmen sind ungültig. Erhalten haben Löbe 266 Stimmen, Scholz 179, Pieck 68, Gräf-Thüringen 41, zusammen 554. Es muß Stich wahl zwischen Löbe und Scholz stattsinden, da die absolute Mehrheit 278 Stimmen beträgt. Das Haus schickt sich mit gutem Humor in die Wiederholung der namentlichen Ab stimmung. Bei der Stichwahl wurden abgegeben 555 Stimmzettel, da von sind 77 Zettel ungültig. 269 fallen auf den Abg. Löbe, 209 auf den Abg. Scholz. Löbe ist also zum Präsidenten gewählt. Die Sozialdemokratie bricht in stürmischen Beifall und minutenlanges Händeklatschen aus. Von rechts wird gepfiffen und Pfui gerufen. Abg. Dr. Scholz beglückwünscht den neu gewählten Präsidenten Löbe, der sofort das Präsidium übernimmt. Er dankt zunächst dem Alterspräsidenten für die geschickte Geschäftsführung und bekundet dann, er wolle sich bei seinem Amte der größten Unparteilichkeit befleißigen, und sein Streben sei es, möglichst mit allen Gruppen des Reichstages, auch jenen, die ihm jetzt nicht die Stimme gegeben haben, zu arbeiten. Aus den nationalsozialistischen Reihen ertönt mit unter heftiger Widerspruch, der aber durch erneute Beifalls- salven der Sozialdemokraten niodergehalten wird. Dann begann die Wahl der Vizepräsidenten io. * Sitzungsbericht. (2. Sitzung.) OL. Berlin, 15. Oktober. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Wahl des Reichs- lagsprästdenten. Alterspräsident Herold verliest die betrefsen- oen gesetzlichen Bestimmungen. Die Wahl ist geheim, sic erfolgt durch Abgabe von Stimmzetteln, auf denen der Name des Ge wählten steht. Abg. Dittmann (Soz.) schlägt den Abg. Löbe als Präsi denten vor. Abg. Rippel (Chr.-soz. Volksdienst) gibt folgende Erklärung ab: „Wir Abgeordneten des Christlichsozialen Volksdicnstes sind mit einem großen Teil des Reichstages der Auffassung, daß das Ergebnis der Wahl vom 14. September eine Ver schiebung der Machtverhältnisse nach rechts bedeutet und daß diese Tatsache bei der Zusammensetzung und dem Kurse der Regierung beachtet werden mutz. Wir sind aber der Meinung, daß die Zusammensetzung des Vorstandes und auch des Prä sidiums des Reichstages durch die gegenwärtig noch geltende Geschäftsordnung zu regeln ist. Wir bedauern, daß die Zu sammensetzung des Präsidiums, die nach bisheriger Übung nach der Stärke der Fraktionen getätigt worden ist, zu einer partei politischen Machtsrage gestempelt werden soll. Unsere rein sach liche Einstellung gebietet uns daher, in dieser niehr geschästs- ardnungsmäßigeu denn politischen Frage uns an den Wortlaut und Sinn der Geschäftsordnung zu halten. Auch wenn die weltanschaukiche und politische Einstellung des zur Wahl Vor- geschlagcnen von uns abgelehnt wird, folgen wir doch dem Ge bot der Gerechtigkeit und Billigkeit." Abg. Dauch sDt. Vp.) schlägt für den Präsidentenposten den Abgeordneten Scholz (Dt. Vp.) vor Abg. Torgler sKomm.) sagt, es werde hier ausgehandelt, wer am besten geeignet sei, im Doung-Retchstag die arbeiter feindlichen Gesetze durchzubringen Er schlägt den Abgeord neten Pick (Komm.) als Reichstagspräsidenten vor. Abg. Dr. Frick lNat.-Soz.), von großem Lärm empsangen, so daß er sich kaum verständlich machen kann, führt aus: Das deutsche Volk habe seinen Willen zurBildungeineranti- marxistischen Front ausgesprochen Es wäre eine Ver fälschung des Volkswillens, trotzdem einen Marxisten zum Ersten Präsidenten des Reichstages zu wählen. Die National sozialisten lehnen diese Wahl ab. Der Redner betont zum Schluß, daß seine Fraktion der Wahl des Frontsoldaten Doktor Scholz zustimmt. Daraus beginnt die namentliche Abstimmung zur Wahl des Michstagspräfidenten. Abgegeben wurden 556 Stimmen, davon zwei un gültige. Es erhielten: Löbe (Soz.) 266 Stimmen Scholz (D. Vp.) 179 Stimmen Pieck (Komm.) 68 Stimmen Graef-Thüringen (Dtu.) 41 Stimmen Es findet somit eine Stichwahl zwischen Löbe und Scholz statt. Abg. Löbe erhielt bei dieser Stichwahl 369 Stimmen, Abg. Scholz 209 Stimmen. 77 Stimmen waren ungültig. Damit ist Abg. Löbe zum Neichstagspräsidenten gewählt Das Ergebnis wurde aus der Rechten mit anhaltenden Pfuirufen, bei den Sozialdemokraten mit Händeklatschen aus genommen. Präsident Löbe, der sofort das Präsidium übernimmt, dankt in einer Ansprache den Abgeordneten, die ihn gewählt haben, ebenso dem Alterspräsidenten Herold für seine Mühe waltung und sähri dann sorl: Dieser Reichstag steht voi Schwierigkeiten und Problemen, die die schwersten Entscheidun gen der Nachkriegszeit übcrtressen. Um sie zn lösen, wird die erste Aufgabe die unbedingte Arbeitsfähigkeit des Reichstages sein. Dafür appelliere ich an die Mithilfe aller Gruppen des Reichstages, denn dadurch werden die Erwartungen der Wähler am ehesten erfüllt. Der Präsident erklärte zum Schluß, daß er die Geschäfte unparteiisch führen werde. Präsident Löbe wurde des öfteren durch Zurufe und Gelächter der Nationalsozialisten unterbrochen.