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Wilsdruffer Tageblatt : 29.09.1930
- Erscheinungsdatum
- 1930-09-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193009298
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19300929
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19300929
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1930
-
Monat
1930-09
- Tag 1930-09-29
-
Monat
1930-09
-
Jahr
1930
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 29.09.1930
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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 227 — Montag, den 29. Sept. 1930 Tagesspruch. Durch den Irrweg führt sei« Glück„ Manchen aus die wahre Bahn zurück; Doch Len Irrweg drum zum Führer wählen, Heißt erst recht, den rechten Weg verfehlen. Anastasius Grün. Ein wichtiger Termin. Inkrafttreten zweier bedeutender Gesetze. Am 1. Oktober 1930 treten die wesentlichen Bestimmungen des Reichsgesetzes über die Bereinigung der Grund bücher vom 18. Juli 1930 in Kraft. Der durch die Auf wertungsgesetzgebung geschaffene Rechtszustand ist häufig aus dem Grundbuch noch nicht zu ersehen. Vielfach sind auf gewertete Rechte noch in Papiermark oder einer anderen nicht mehr geltenden Währung im Grundbuch eingetragen; gelöschte oder abgetretene Rechte, die für den früheren Gläubiger auf gewertet sind, sind noch nicht wieder eingetragen. Das Gesetz will diesem Zustand ein Ende machen und dem Grundbuch seine alte Klarheit und Vollständigkeit wieder verschaffen. Zu diesem Zwecke schreibt es (unter anderem» vor. daß der Antrag aus Eintragung der Auswertung einer Hypothek, Grundschuld, Remenschuld oder Reallast, die nach den Aufwertungsgesetzen aufgewertet, deren Aufwertung aber im Grundbuch noch nicht eingetragen ist, bis zum Ab lauf des 31. März 1931 bet dem zuständigen Grundbuch- amt gestellt werden mutz. Unterbleibt dies, so erlischt das aufgewertete Recht am Grundstück. Soweit es noch im Grund buch in alter Währung eingetragen ist, wird es von Amts wegen gelöscht. Der Eintragungsantrag kann vom Gläubiger, vom Grundstückseigentümer oder einem Dritten, der ein recht liches Interesse an der Eintragung hat, gestellt werden. Mit dem 1. Oktober 1930 erlischt die nicht eingetragene Rangbefugnis des Eigentümers aus ß 7 des Aufwertungsgesetzes, wenn der Goldmarkbetrag der aufgewerteten Hypothek niedriger wäre als 100 Goldmark. Am 1. Oktober 1930 tritt auch das „Gesetz über die Fälligkeit und Verzinsung der Auswertungs hypotheken" in Kraft. Deutscher und preußischer SUdtelag. Beschlüsse zur Arbeitslosenversicherung. Nach einer längeren Debatte im Anschlutz an die Rede des Nürnberger Oberbürgermeisters Luppe wurde eine Ent schließung des Vorstandes vorgelegt. Darin weist die Haupt versammlung Regierung und Reichstag darauf hin, daß so fortige und ausreichende Abhilfematznahmen unerläßlich sind, wenn nicht die deutschen Städte einer auch für das Reich und für die gesamte Wirtschaft untragbaren Finanzkatastrophe ent- gegengehen sollen. Die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages halte sich für verpflichtet, auf den Ernst der Lage mit größter Eindringlichkeit aufmerksam zu machen, und er warte die beschleunigte Durchführung der von ihr geforderten Maßnahmen, wenn nicht die unheilvollsten Folgen für die Gemeinden, für die Arbeitslosen selbst und schließlich für unser gesamtes Volk entstehen sollen. Diese Entschließung wurde mit großer Mehrheit angenommen. Die Not der Gemeinden. Nach dem Deutschen trat der Preußische Städtelag in Dresden zusammen. Er begann mit einem Referai des Ober bürgermeisters Brauer (Altona). Brauer betonte, die Privatwirtschaft werde vielfach wegen ihres produktiven Charakters von der Genehmigungspflicht für ihre Anleihen entbunden. In Wirklichkeit kommt es jedoch nicht daraus an, daß Geld für produktive Zwecke gegeben wird, daß ein Privatbetrieb produktive Aufgaben hat, sondern daß er auch produziert, seine Leistungsfähigkeit voll ausnutzt, seine Aufgaben erfüllt. Wenn man eine Bewirtschaftung des Kapitalmarktes durchführen wollte, so müßte sie ebensowohl die Anleihen der Privatwirtschaft wie diejenigen der Kommunal wirtschaft einer einheitlichen Kontrolle unterwerfen. Es ist nun geplant, für die Inlandsanleihen und kurz fristigen Kredite sämtlicher Gemeinden und für die Jnlands- und Ausländsanleihen der Versorgungsbetriebe mit eigener Rechtspersönlichkeit eine umfassende Zwangswirtschaft einzu führen, obwohl der Kredit der denkbar ungeeignete Gegenstand für eine bureaukratische Zwangswirtschaft ist. Eine Be gründung für dieses Ausnahmegesetz gegen die Gemeinden ist nicht erkennbar. Die geplanten Richtlinien würden der Beginn einer Entkommunalisierungsaktion sein. Man darf die Ge meinden nicht anders wie die Privatwirtschaft behandeln. In der anschließenden Diskussion ergab sich allgemeine Zu stimmung, besonders hinsichtlich des Urteils über die Be ratungsstelle für Auslandskredite. Es wurde mit großer Mehrheit eine Resolution im Sinne des Referats angenommen. UngrM unp Hbwedr Erörterungen über „Zellenbildung". Der Untersuch ungsrichterimProzeß gcgendie Ulmer Offiziere. Im Prozeß gegen die Reichswehroffiziere kam es zu leb haften Erörterungen über die Ausdrücke „N a tionalfozia- listische Zellen" und „Zellenbildung". Der als Zeuge vernommene "Untersuchungsrichter Landgerichtsdirektor Dr. Braune wies darauf hin, daß in der Hauptverhandlung wiederholt da von gesprochen worden sei, er sei auf der Jagd nach „National- sozialistifchen Zellen" gewesen und habe dann den Zeugen solche Ausdrücke in den Mund gelegt und sie veranlaßt, sie. gegen ihren Willen zu gebrauchen. Er erkläre unter seinem Zeugeneid, datz das nicht der Fall sei. Leutnant Ludin habe ihm gestanden, daß er Verbindung mit der N. S. D. A. P. aus genommen und Offiziere besucht und gebeten habe, sich als Vertrauensleute zu betätigen und im Heere dafür zu werben, daß bei einem Zusammenstoß der Rechtsverbände mit der Re gierung auf diese Verbände nicht geschossen werde. Er, der Zeuge, habe dann eine Reihe von Offizieren gefragt, ob ihnen von der Verbindung mit der N. S. D. A. P. etwas bekannt sei und ob sie Vertrauensleute geworben hätten. Den Ausdruck „Zellenbildnug" habe er ausdrücklich vermieden. Die Zeugen, die Gegenteiliges bekundet hätten, müßten etwas verwechseln. Dr. Bräune verwahrte sich ferner gegen den Vorwurf, Zeugen wie Verbrecher behandelt zu haben. Die Haussuchungen hätten durchgeführt werden müssen. Es sei nicht möglich gewesen, das Kommen der Polizei vorher anzumelden. Der Angeklagte Scheringer bekundete, er habe nicht das Gefühl gehabt, daß Braune ihn als Ver brecher behandeln wollte. Er habe aber den Eindruck gehabt, daß der Untersuchungsrichter gegen die N. S. D. A. iß. eine gewisse Voreingenommenheit gehabt habe. Dr. Braune habe gesagt, er, Scheringer, wolle sich auf Kosten seines Kame raden herausredcn. Er müsse feststellen, daß er und Ludin das gleiche gedacht, gewollt und getan hätten. Wenn Ludin ver urteilt werde, müsse er, Scheringer, mitverurteilt werden. Der Zeuge Hauptmann a. D. von Pfeffer wies darauf hin, datz der Untersuchungsrichter den Ausdruck „Zellcnbildung" ihm gegenüber zuerst gebraucht habe, was der Untersuchungsrichter als möglich binsiellt. ^er Angeklagte Luvin gmuvt sestyeucn zu können, daß Dr. Braune ihm gegenüber streng loyal vorgegangen sei. Er, Ludin, habe dauernd betont, datz die ganze Geschichte mit der Nationalsozialistischen Partei harmlos gewesen sei, was Braune ihm nicht geglaubt habe. Offenbar habe Braune etwas gegen die N. S. D. A. P. unternehmen müssen. In der weiteren Zeugenvernehmung äußerte sich Ober leutnant Löhr über seine Besprechung mit Ludin, dessen Ziele ihm etwas schleierhaft erschienen seien. Ludin habe erklärt, es müsse etwas mehr Anschluß an die nationalen Verbände gesunden werden. wem Sinne nach habe er, Ludin, dann gesagt, er könne ja gleich alles sagen: es handele sich darum, was zu tun sei, wenn die Nationalsozialisten die Regierung gewaltsam stürzen sollten. Er, der Zeuge, habe geglaubt, daß Ludin aus fana tischem Geist heraus rede und selbst nicht alles glaube. Aus die Frage, wann denn vorgegangen werden solle, habe Ludin erwidert, das stehe nicht zur Frage und werde auch in abseh barer Zeit nicht Vorkommen. Der Zeuge erklärte weiter, über die Möglichkeit, daß die Reichswehr in die Verlegenheit kommen könnte, auf National sozialisten zu schießen, sei einmal kurz gesprochen worden. LUdtn yave gejagt, das Ziel sei, die jetzige Regierung durch eine andere zu ersetzen, den Versailler Vertrag und die Kriegsschuldlüge zu beseitigen und eine bessere Ordnung der Verhältnisse herbeizuführen. Die Frage des Vorsitzenden, ob sich Ludin dahin geäutzert hätte, datz er, der Zeuge, Kameraden beeinflussen sollte, bei einem Putsch der Nationalsozialisten möglichst nicht auf diese zu schietzen, ver neinte der Zeuge. Der Angeklagte Ludin erklärte sodann, das Wort „Putsch" sei bei den Gesprächen sehr oft gefallen. Dieses Wort komme im Kasino jeden Tag vor. Es handele sich dabei um eine Angelegenheit, die die Reichswehr in höchstem Grade augehe. Dabei sei es ganz gleich, ob an einen kommunistischen oder einen nationalsozialistischen Putsch gedacht werde; denn Kommunisten und Nationalsozialisten seien beide deutsche Volksgenossen. Er habe nicht zu seinen Kameraden gesagt, sie sollten auf Nationalsozialisten nicht schießen, sondern er habe die Frage aufgeworfen, wie ein solcher Fall überhaupt ver hindert werden und wie man das nach oben hin zum Ausdruck bringen könnte. In den Gesprächen sei auch viel von dem „un seligen Geist des Reichswehrministeriums" die Rede gewesen. Ein Kernstück deutscher Politik. Wie kann Deutschland kolonisieren? In Cuxhaven wurde die 26. Jahreshauptversamm lung des Deutschen Kolonialvereins erössnet. Der Vorsitzende der Cuxhavener Ortsgruppe, Rechtsanwalt Jbisch, dankte den Vertretern der Behörden, der Marine, der Industrie, des Handels und Gewerbes für ihr Erscheinen. Weitere Be grüßungsansprachen wurden gehalten vom Vorsitzenden des Deutschen Kolonialvereins Präsidenten Föllner, dem Festungs kommandanten von Cuxhaven, Grasen von Schweinitz, der auch die Grüße des Reichswehrministeriums überbrachte, von Dr. Grapengeter, der die Grütze des Hamburger Senats über mittelte, von Bürgermeister Bleicken-Cuxhaven und von Dr. Junge für den Verein für das Deutschtum im Auslande. Darauf fand ein großer öffentlicher Vortragsabend statt, aus dem die Frage „Wie kann Deutschland heute noch Kolonial politik treiben?" behandel! wurde. Geheimrat Dr. Ponfieck erklärte u. a., Deutschland sei ein übervölkertes Land, ein Volk ohne Raum und gleichzeitig nicht mehr "Herr im ohnehin sehr viel schwächer bewohnten agrarischen Osten Deutschlands. Die Bevölkerung nehme mehr und mehr ab. Schuld daran sei unsere falsche Wirtschaftspolitik, die die Landwirtschaft vernachlässige. Wir müßten unsere Kolonien in Übersee wiederhaben, nicht nur, weil der Raub eine Lüge und ein Unrecht sei, nicht nur, weil wir billige Rohstosse brauchten, sondern für unsere industrielle und kaufmännische Jugend. Darüber hinaus brauchten wir ein koloniales und wirtschaft liches Ausbreitungsgebiet für Siedler. Aber das Material kür diese Siedlung könne nur ein gesunder europäischer Volks- körper bilden. Nur auf zwei Pfeilern könne Deutschlands Volks- und Staatskraft gesichert stehen, auf innerer und äußerer Kolonisation. Anschließend sprach Kurt Wörmann- Hamburg, der u. a. ausführte, Kolonialpolitik sei die not wendige Ergänzung zu jeder deutschen Revisionspolitik. Den deutschen Osten sichere man nicht durch Geldhilse, sondern durch Menschen. Die nötige Widerstandskraft gegen den Druck unserer Feinde könnten wir nicht durch ein feiges Ge schehenlassen, sondern nur dadurch gewinnen, daß wir die brachliegende Volkskraft zur Verteidigung von deutschem Gut und Boden ausbieten. So betrachtet, sei Siedlüngs- und Kolonialpolitik neben Finanz- und Reichsreform das Kern- stück deutscher Politik. Wann kommi die große Abrüstungskonferenz? Der endgültige Vertragsentwurf in Arbeit. Der Abrüstungsausschuß der Völkcrbundversammlung hat seine Arbeiten mit der Annahme eines Berichtes und eines EntschließungseMwurfes abgeschlossen. In dem Be richt wird der Wunsch hervorgehoben, datz die allge meine Ab r ü st u n g s k o n f e r c n z während des Jahres 1931 einberufen werde. Der Entschließungsent wurf, der noch der Zustimmung der Vollversammlung be darf, stellt die befriedigenden Ergebnisse der Londoner Flottenkonferenz fest und spricht die Gewißheit aus, daß der Vorbereitende Ausschuß in seiner Novembertagung einen endgültigen Vertragsentwurf für die kommende Abrüstungskonferenz ausarbeiten soll, damit der Völkerbundrat die Konferenz in möglichst kurzer Frist einberufen kann. Weiter wird der Wunsch ausgesprochen, daß der Ausschuß für die Ausarbeitung des Abkommens über die Kontrolle der privaten Massenherstel lung, dessen Vorsitz Graf Bernstorff inne hat, unmittel bar nach der Tagung des Vorbereitenden Abrüstungsaus schusses zusammentreten soll. Schweden grüßt seine toten Forscher. Heimkehr der Andröe-Expedition nach Schweden. Der Kreuzer „Svensksund" ist in Gotenburg einge laufen. Zur Erinnerung daran, daß die Andröe-Expedi- lion vor 33 Jahren von Gotenburg aus auf dem gleichen schwedischen Kriegsschiff „Svensksund" die Reise nach Spitzbergen angetreien hatte, fand bei Ankunft des Schiffes eine Gedächtnisfeier statt. Im Hafen, wo Scheiterhaufen angezündet waren, hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Es sprach Oberstleut- nant Swedenborg, der selbst bei dem Start des Andröschen Ballons zugegen gewesen war. „Grütztunserliebes Schweden," habe Andröe, als der Ballon sich erhob, l>en Zurückbleibenden zugerufen. „Heute grüßt euch Schweden," schloß Oberstleutnant Swedenborg seine Dankesworte. Auf der Weiterfahrt durch den Öresund 4 Was Welten aneinander kettet, was Menschenschicksal gestaltet, es ist die eine beseligende, weltbeherrschende Macht der Liebe, der unversiegbare Lebensguell, aus dem ein jeder schöpfen kann, auch der Schwache, der Krüppel, der Kranke, der Leidende, der um unwiederbringlich Verlorenes weint. Leben heißt lieben! Lieben heißt höchstes Erdenglück genießen: Hertz! Mensch werden, aufrecht gehen, das Antlitz der Sonne zugekehrt, doch die Füße auf der Erde — unserer sicheren Zufluchtsstätte in allem Kampf und aller Not!" Das Wort Liebe war der große Schlag. Die Frauen bezogen es aus ftch. fte sahen sich plötzlich bineingerissen in diese funkelnde Wortpracht. Frenetischer Beifall tobte. Da tauchte jäh eine Gestalt auf, die durch Erscheinung und Gewandung sich wert hinaushob aus diesem bunt- bekittelten Haufen menschlicher Mittelmäßigkeiten. Groß, schlank und doch voll; edel rn Haltung, mit Zügen einer von Künstlerhand geschnittenen Kamee; die vollendete An mut; und all dieses Herrliche umfaßt und künstlerisch drapiert mit einem farbigen, schalartigen Gewände aus Kaschmirseide: große goldene Ringe rn den kleinen Ohren, goldene breite Spangen um die leichten Fesseln, und die mtblößten Oberarme. Maya, die Inderin, das schönste Weib am Bach, mit dem Beinamen die „Bajadere", hatte einen Stuhl erstiegen. Sofort flogen alle Blicke ihr zu. Das war ein Staunen, ein Bewundern, ein Hälserecken, als wäre fte eine Er scheinung aus dem Märchenland, hineingezaubert in den Dunst und Qualm des grauen Alltags. Wie alle hier, aufgepeitscht, hingerissen von den feurigen Worten des Wanderredners rief sie mit Heller Stimme ihm zu: „Ich begrüße und küsse deine Lehre von der All macht der Liebe, du Priester der Kali! Ich bin eine Dewa- desi, ein Tempelmädchen des Mahadeo, der von seinen Priesterinnen liebende Hingabe als Opfer heischt". In diesem Augenblick schien alles Irdische von ihr ab gefallen zu sein; wie eine heilige, verzückte Priesterin der Liebe stand Maja, die Bajadere, vor den Augen der ver blüfften Goldgräber da. Und, merkwürdig, das wiehernde Lachen, das eben los brechen wollte, die Zurufe, verstummten jäh, als wären sie auf den Lippen erstarrt. Die kluge Inderin benutzte diesen Augenblick, um herab zusteigen und im Gewühl zu verschwinden. Jetzt erst kam wieder Leben und Bewegung in die un gegliederte Masse. Der Name Maya war in aller Mund. War sie wirklich, wie sie sagte, eine Dewadesi, ein Temvelmädchen? Es hieß, ein englischer Lord, der später, durch einen tödlichen Jagdunfall seines älteren Bruders, unvermutet zur Herzogswürde gelangte, habe sie aus dem großen Sivatempel zu Buna entführt, mit nach London genommen und sie dann mittel- und mitleidlos in einer ihr fremden Welt ihrem Schicksal überlassen. So war sie denn, nach langen und abenteuerreichen Fahrten durch aller Herren Länder, am Bach aufgetaucht. Wie andere Frauen hier schürfte auch sie auf Gold. Man sagte, um die Mittel zu gewinnen, sich an dem treulosen Mann zu rächen. Noch ehe sich weitere Bemerkungen hervorwagten, die der Inderin kühnes Auftreten seines Zaubers entkleideten, ritz Toluca wieder das Wort an sich. „Männer vom Bach!" rief er. Und alle standen sogleich wieder im Banne dieser gewaltigen Stimme. „Ihr seid Begnadete! Was ich in Worte nicht zu fassen vermochte, hier nahm es Gestalt. Euer jähes Verstummen spricht eben sowohl für euren angeborenen Schönheitssinn wie für euer im Grunde keusches Empfinden. Ein neuer Beweis, daß Ihr reif seid, euer Leben, und zwar aus eignem freien Willen so zu gestalten, daß wir, und mit uns alle, ungeschwächte Freude am Dasein haben! Darum, meine Freunde, ist der erste Satz meiner Lebenslehre der, der Sonne, die uns zum Leben erweckte, in unse ren Herzen ein Heiligtum zu errichten, sie uns einzuverleiben; ihre ausgestreuten Schätze in unserem Blut aufzuspeichern und jeder Stunde nur soviel davon zuzuteilen, wie das eigene Wohlergehen und das der Ge samtheit es erfordert, um Bestand zu haben. Versteht mich recht! Kein Zwang, der sich in Paragraphen wie: „Du sollst" — „Du mutzt" — „es ist verboten" auswirkt und zu Sklavenketten verhärtet, die ins Fleisch schneiden und frei geborene Menschen an die Galeere der Gesetzgebung schmiedet, sondern ein verständiges Erwägen und freies Sichhingeben an die einzige Aufgabe, dem Leben alle seine Freuden abzuringen und seine Leiden auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das ist die wahre Lebenskunst!" Damit schloß der Redner seine Ausführungen. Noch einmal brauste ein Beifallssturm zu ihm hinauf. Weit vorgestreckt waren seine Hände. Aus seinen Augen ging ein Leuchten. Wer war dieser seltene Mensch, dieser „Erwecker", der sich vermaß, das goldene Zeitalter heraufführen zu wollen? Benito Toluca hietz er. Also kein Uankee; ein Mexikaner, Die stark gewölbte, vorspringende Nase und die fliehende Stirn deuteten auf einen amerikanisierten Nachfahren aus altem Aztekenstamm. Daß es nur der uralte Sonnenkultus der aus grauer Vorzeit nur noch als Name heraufklingenden Inkas war, der in ihm einen Neugestalter und Wiedererwecker gefunden hatte, kam diesen ungeschulten Leuten gar nicht zum Be wußtsein. Toluca war herabgestiegen: er hatte einen vollen Erfolg errungen. Selbst Roberts war aus seiner stillen Verhaltenheit aufgescheucht worden. Auch ihn hatte es gepackt. In den Lichtkreis seiner dem Leben abgewandten Augen trat eine Gestalt, ein Weib von so berückender Schönheit, daß er, aus tausend Wunden blutend, die sie ihm geschlagen hatte, dennoch anbetend vor ihr niedersank; sinnlos, wortlos! Eine Sand tastete nach der seinen. Addie, die schöne Addie hatte sich zu ihm gesetzt. „Warum so freudlos?" fragte sie mit girrendem Lachen. „Wohlsein!" Sie neigte ihr Glas gegen ihn und sah ihn an. lachend, neckend, verführerisch! Roberts, aufgeschreckt, sah sie entgeistert an. Satte der schöne schatten, der eben noch leuchtend vor seiner Seele gestanden, sich in eine Dirne verwandelt? Abscheu sprang in ihm auf. Er wandte sich ab. Sein Blick irrte suchend im Raum. Er blieb an einem anderen Weibe haften, der Inderin. Sie stand zögernd, halb zurückgewandt, an der Vordertür, als warte sie auf jemand. (Fortsetzung folgt?
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