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EVUkrctt V8KI.E 08t<^k ^^I8iek -L/c v^Aktto rn/U^I^ <8 Foryetzung.) Ms Mata im Wagen saß, fragte der Chauffeur: „Durch den Bois de Boulogne?" . „Nein! Direkt," befahl sie. Da fuhr er durch die Avenue de la Grande Armäe. über den Place de l'Etoile. die Champs Elysees hinunter, bog rechts ab über den Pont de la Con corde und hielt nach Mei Minuten vor dem Portal des Ministers de la guerre. Dort war Mata Hari bekannt. Man wußte um ihre Freundschaft zum Kriegsminister und empfing sie als große Dame. Der Minister war mehr als erfreut über ihren Besuch. „Was macht mich so glücklich, Mata, Sie zu sehen?" fragte er und begrüßte sie mit ausgestreckten Händen. „Ein Unglück, mein Lieber," antwortete sie. „Mon Dieu! Betrifft es Sie?" „Ja!" „Ich bin untröstlich. Darf ich wissen, was geschehen ist?" „Ich könnte lügen —" „Das tut Mata Hari nicht," fiel er ein. „Und wenn, ist auch das Glück, von ihr belogen zu werden." „Für Sie vielleicht. Sie Treuester der Treuen, nicht für dis weniger Großen. Kurzum: mein Freund —sie besann sich. Er war ja auch ihr Freund und so verbesserte sie sich >— „mein liebster Freund —" „Bin der nicbt ich?" fragte er. „Nein, mon cher," sagte sie offen. „Der sind Sie nicht" und der Minister war sichtlich betrübt. Er liebte sie ja io aufrichtig, daß sie sich diese Offenheit gestatten konnte und hätte sie weiter geliebt, auch wenn sie ihm gesagt hätte. „Geh!" Als sie leine Niedergeschlagenheit bemerkte, trat sie aus ihn zu, legte die Arme um seine Schultern, sah ihm tief in Lis Augen und sagte: „Ich kann nicht mehr geben, als ich gab, Francois. Un wahr will ich nicht sein. Als Kavalier und Mann werden Sie immerhin zu würdigen wissen, was Sie von mir empfingen." Ihre Nähe, ihr Blick, ihr Parfüm, ihre ganze exotische Persönlichkeit wirkten. Das Fluidum und der Zauber, die von ihr ausgingen, berauschten und hatten schon Männer jeder Stellung und jeden Alters die sträftlichften Torheiten begehen lassen. „Ich werde Ihnen ewig dankbar sein," amwortete er fest „Bitte, befehlen Sie über mich." Mata letzte sich. Dann begann sie: „Ich brauche die Aufenthaltsgenehmigung im Feldlazarett Dittel. Auch die Erlaubnis, dort pflegen zu dürfen, benötige ich. Mein liebster Freund. Rittmeister Marow. den ich vor wenig Wochen erst nach zwanzigjähriger Trennung wieder- 1raf — ich lernte ihn einst auf meiner Hochzeitsreise ln Wies baden kennen — liegt dort verwundet Scheinbar schwer, denn eine Schwester schrieb in seinem Namen." „Mata, liebe Mata, Sie wollen meiner aufrichtigen Teil nahme versichert sein." „Das bin ich. Sie Guter. — Und dar! ich um Ihre Hilfe bitten?" „Nicht nur bitten, Sie dürfen sie verlangen." „Dauert es lange, bis die Papiere bereit sind?" „Zwei Minuten." antwortete er und gab telephonischen Befehl. Nach vier Minuten schon saß Mata Hart wieder im Wagen und fuhr nack Neuilly zurück. „Morgen, mit dem Frühzuge, reise ich, Kara," sagte sie zu Hause zu diesem. „Bitte, nur den kleinen Koffer! Wenn ich mehr brauche, schreibe ich." Anderen Tags gegen Mittag traf sie in Vittel ein. Marow hatte sich böse ausgezahlt. Ueber dem rechten Auge, das nicht mehr vorhanden war. war der Stirnknochen zerschlagen. Auf dem Verbandsplätze schon hatten die Aerzte bedenk liche Gesichter gemacht und die in Vittel machten noch bedenklichere. Blind geboren werden ist schlimm, aber angesichts des Glückes blind werden, ist ein Unglück. — Und das stand zu befürchten. Jetzt lag er im Einzelzimmer des zum Feldlazarett um gewandelten Bitteler Kurhauses im weißüberzogenen Bett mit verbundenem Kopfe, von dem nur Nase, Mund und Kinn sichtbar waren. Er war ein stiller Kranker, ein sonderbarer, ein wunsch- loser. Er dankte nur immer oder er schwieg Einen Seufzer hatte man von ihm noch nie gehört, geschweige denn eine Klage. Nur einmal hatte er gebeten: „Schwester, wenn Sie eine Bibel haben, bitte, lesen Sie mir den SS. Psalm von Vers zehn ab vor." Und Schwester Josepha hatte es getan: „Mache ihre Zunge uneins, Herr, und laß sic untergehen, denn ich sehe Frevei und Hader in der Stadt. — Solches gehet Tag und Nacht um und uw aus ihren Mauern, und Mühe und Arbeit ist drinnen — Schadentun regieret drinnen, Lügen und Trügen läßt nicht von ihrer Gasse. — Wenn mich doch mein Feind schändete, wollte ich's leiden, und wenn mein Hasser wider mich pochte, wollte ich mich vor ihm verbergen. Du aber bist mein Geselle, mein Freund und mein Verwandter. Die wir freundlich waren unter uns, wir wandelten im Hause Gottes unter der Menge. — Der Tod übereile sie, und müssen lebendig in die Hölle fahren, denn es ist eile! Bos heit unter ihrem Haufen — Icb aber will zu Gott rufen, und der Herr wird mir helfen Des Abends, M zens und Mittags will ich klagen und rufen, io wtro er meine Stimme hören. Er erlöst! meine Seele von denen, die an mich wollen und schaffet ihr Ruhe. Denn ihrer sind viele wider mich. — Gott wird hören und sie demütigen, denn sie werden nicht anders und fürchten Gott nicht. — Sie legen ihre Hände an seine Friedsamen und entheiligen seinen Bund. — Ihr Mund ist glätter denn Butter und haben doch Krieg im Sinn Ihre Worte sind gelinder denn Oel und sind doch bloße Schwerter. Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen und wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen. — Aber, Gott, du wirst sie Hinunterstoßen in die tiefe Grube: die Blutgierigen und Falschen werden ihr Leben nicht zur Hälfte bringen. Ich aber hoffe auf dich" „Und komme zu dir," hatte Marow leise hinzugesetzt. Doch, noch einmal hatte er um etwas gebeten. Um jenen Brief an Mata Hari, der sie herführen sollte in seine Nacht und der sie auch hergeführt hatte, heute erst Sie saß unten beim Chefarzt und besprach sich mit ihm. „Sie sind avisiert, gnädige Frau," hatte der Chefarzt gesagt. „Der Herr Kriegsminister hat bereits persönlich mit mir gesprochen." „Das ist nett Und wie haben Sie entschieden?" „Bleibt da noch etwas zu entscheiden, wenn die Herren an der Sonne sich für jemanden einsetzen? Deren Wünsche sind Befehle." Mata lächelte..Sie wußte wohl, wie seine Worte gemeint waren, wollte ihn aber doch in Verlegenheit bringen und tat es auch „Sie scheinen nicht gerade begeistert zu sein von dem Wunsche des Ministers," sagte sie. „Um Gotteswillen, so meine ich es nicht. Im Gegenteil, ich freue mich, gnädige Frau, daß Sie hier sind. Es war sogar nötig, daß Sie kamen. Ich kann aus dem Kranken nicht klug werden Er scheint sich seelisch zuviel zu beschäf tigen. Er klagt ntcht, er spricht nicht, hat keine Wünsche, liegt still und ruhig auf seinem Lager." „Und sonst?" „Wie meinen das gnädige Frau?" „Seine Verwundung meine ich." „Hm," machte der Chef und fah lange nachdenklich ins Leere. Er schien die Worte zu überlegen, die er zu sagen hatte. Da fragte Mata: „Besteht Lebensgefahr?" „Nicht mehr" entgegnete er. „aber " Er schwieg wieder. „Reden Sie doch, Herr Stabsarzt. Ich kann das Schlimmste hören." „Sie haben Mut?" „Mut? Was ist Mut? Wissen Sie es? Ich kenne keinen Mut. Ich kenne nur einen unerschütterlichen Glauben an ein höheres Walten. Wir können unserem Schicksal nicht entgehen. Wir können es auch nicht wenden Wir können nur eines, nämlich nach bestem Wissen und Gewissen unsere Pflicht tun. Wir können nur der Verantwortung uns und unseren Mitmenschen gegenüber genügen, deren Erfüllung unser künftiges Leben in unserem jetzigen Dasein von uns verlangt. Weiter nichts." Der Chefarzt iah mit großen Augen zu Mata hinüber. Er bewunderte die schöne und kluge Frau, ging auf sie zu und küßte ihr die Hand. Mata Hari lächelte. „War das ein Erlebnis?" fragte sie und der Chef ant wortete: „Das war es." Liebenswürdig sagte sie: „Dann handeln Sie danach, Herr Stabsarzt. Ihre Patienten werden es Ihnen danken, denn Sie gewähren dann nicht nur Hilfe, sondern spenden auch Liebe." „Ich werde es." „Das soll ein Wort sein! — Und was ist nun mit Marow?" „Er wird blind werden." Einen Augenblick stutzte Mata, dann sagte sie: „Dann wird das Licht in ihm sein. Er wird mit der Seels sehen. — Ich möchte zu ihm-gehen." Der Chefarzt führte sie persönlich zu dem Kranken. * » -» Neben Marows Krankenzimmer war ein Zimmer für Mata Hari eingerichtet worden. Sie hatte sich von Kara Kleider und Wäsche nachschicken lassen müssen. Ihr Aufenthalt in Vittel währte lang. Dis Wunde Marows wollte nicht verheilen Das Augenlicht hatte er nicht wiederbekommen. Er war vollständig erblindet. Der Sahib mit dem reinen Gesicht trug seine lichtlosen Tage geduldig. Er war immer gleich mäßig freundlich, nur wenn vom großen Völkerringen und vom heiligen Krieg die Rede war, verdunkelten sich seine > Züge. Heute saß er am Fenster seiner Krankenstube und Mato iaß ihm gegenüber. „Was ist das für ein Kommen und Gehen auf den Korri doren," fragte er „und für ein Autohupen da unten?" „Es hat irgendwo wieder etwas gegeben," antwortete Mata. „Sie bringen neue Verwundete!" „Ist der Tod noch nicht satt! Wann werden sie Frieden machen die Toren Einen Waffensieg werden sie nie erringen." „Sie müssen es aber doch glanzen, denn erst vor wenig Wochen Hal der Generalissimus m seiner Botschaft an das Heer wörtlich gesagt. Während uniere Fsmds von Frieden sprechen, denken wir nur an Krieg und Sieg - Das war erst am l Januar, mein Lieber. Und fooiet ich kehr. bereiten sie große ^tnge vor." „Offensive?" „Ich glaube?" „Dieser Frevel! Wieviel blühende Männer werden da wieder sterben müssen und Krüppel werden für die wenigen die aus dem Morden Nutzen ziehen. Wenn man doch helfen könnte. Ihre Maßnahmen vereiteln! Wenn man das doch könnte!" „Und wenn du es könntest, wem würdest Lu helfen?" „Beiden!" „Das ist unmöglich!" „Durchaus nicht. Traute. — Was wollen die einzelnen Soldaten, die hüben und die drüben? Frieden! -- Die leitenden Personen und die treibenden Personen wollen das letzten Endes auch, aber sie wollen Bedingungen stellen können, wenn es so weit ist. Und diese Bedingungen sind nicht ethischer, sondern wirtschaftlicher Art." „Welcher Art sind sie? Unterrichte mich, Lex. Ich weiß so wenig von den Zielen dieses Krieges." „Ich will dir nur einige Andeutungen machen, die dich restlos ins Bild bringen werden. Der belgische Gesandte, Baron Greindl, schrieb schon im Februar 1905: „Die wahre Ursache des Hasses der Engländer gegen Deutschland ist die Eifersucht, hervorgerufen durch die außergewöhnlich rasche Entwicklung der deutschen Handelsflotte, des deutschen Handels und der deutschen Industrie. „Das war im Februar 1905, Lex!" „Es hat sich nichts geändert im verflossenen Jahrzehnt, Die wahre Ursache des Hasses ist auch die wahre Ursache des Krieges " „So ist die Vernichtung des deutschen Militarismusses ntcht der wahre Kriegsgrund?" „Nein, Traute! Das ist kein Grund, sondern ein Ziel. England hat schon vor dem Schweden Larsen den wahren Sinn des deutschen Militarismusses erkannt, der mit dem Militär eigentlich nur bedingt zu tun hat und dessen Lehr stätten neben der Kaserne Schule und Haus, Fabrik und Kontor sind und der, wie Larsen sagt, nichts anderes ist, als der äußere Ausdruck einer ungemeinen Konzentration und Energie auf allen Gebieten öffentlichen und privaten Lebens, eine erarbeitete riesenhafte Organisation von Wissen und Können, Unterordnungsfähigkeit und Führungsvermögen, Voraussicht und Wagemut. — England weiß, daß Deutsch land in Trümmern geben wird und gehen muß, wenn ihm dieses Ureigenste, dieses spezifisch Deutsche, dieses Etwas genommen wird, das eben nur Deutschland besitzt." „Das ist ja furchtbar, Lex " „Das ist es! Es läßt mich Tag und Nacht nicht kos. Ich komme mir vor, wie ein geschändetes Weib. Mißbraucht und vergewaltigt! Während wir kämpfen und bluten, legen sie frech und schamlos ihre geheimsten Wünsche bloß. Ich kenne sie auswendig und werde sie nie vergessen. Höre! Im „^ino tsantft Oantur^" heißt es: Alle Deutschen, vom Kaiser und Kanzler abwärts bis hinunter zum Arbeiter, müssen ohne Erbarmen jedes Pfennigs ihrer Habe beraubt und daran gehindert werden, das Land zu verlassen, bis ihre Schuld bezahlt ist Die Verbandsmächte müssen sich schadlos hallen an dem Lande, besonders seiner Landwirtschaft und seinen Bodenschätzen, an den Verkehrsmitteln wie Eisen bahnen und Kanälen, an den Fabriken und ihren Maschinen und an der Arbeit des Volkes." „Lex! Sind sie von Sinnen? Ist das wahr?" „Sieh selbst nach. Trautlieb. Unter meinen Büchern befindet sich das Heft Du darfst es behalten. Ich kann ja nicht mehr lesen. Nimm auch die kleine Broschüre: „Not wendigkeiten" an dich. Lies nur die dort rot angestrichenen Stellen, dann wirst du restlos unterrichtet sein. Zwei Stellen habe ich besonders gekennzeichnet." „Welche sind das?" „Völkerrecht die eine, Haager Abmachungen die andere. Ueber die erste sagtStuart Murnay: „Völkerrecht!? — Gibt es nicht! Denn was man fälschlich so nennt, ist nur inter nationaler Brauch, und ein Volk, das mächtig genug ist, kann jederzeit einen neuen Brauch an die Stelle eines anderen setzen. Wir Engländer haben uns am meisten von allen Völkern der Erde des Bruches internationaler Ab kommen schuldig gemacht" — Dieses Bekenntnis findest du dort schwarz aus weiß Du findest dort auch di: prächtige Ergänzung dazu, die Lord Portsmouth im Oberhaus frei mütig bekannte Sie lautet: „Wir müssen den ganzen Plunder der Londoner Erklärung, der Haager Abmachung und ähnlicher juristischer Feinheiten loswerden und die Interessen Englands einzig und allein allen anderen vor anstellen," Das tun sie und Hunderttausende werden in dieser neuen nutzlosen Offensive, von der du sprachst, für diese Interessen sterben müssen." Eine bange Minute war es still im Raum Dann fuhr Marow fort. „Und wenn nun jene Offensive — überhaupt jede, ganz gleich von wem sie kommt und wer sie unternimmt — im Keime erstickt, weil der Gegner um sie weiß und nicht über rascht werden kann, dann muß die Erkenntnis tagen, daß der Krieg von keiner Seite zu gewinnen ist Dann ist beiden geholfen, denn dann müssen sie sich zu Verhandlungen zu sammenfinden Der Krieg den sie dann am grünen Tische führen müßen, kostet wohl Worte und Nerven, aber kein Blut Durch ihn werden nicht Frauen zu Witwen, Kinder zu Waisen und Männer zu Krüppeln. — Die Geschäfte macher würden nicht schlafen können, wenn sie sich ihrer Ver antwortung bewußt wären." Mata, die dem Geliebten schweigend zugehört hatte, hob langsam den Kopf. Ihre Hände tasteten nach den seinen, faßten sie und hielten sie fest. „Wenn ich — das — nun — könnte, Lex," sagte sie stockend, „wenn ich helfen könnte, warnen und mahnen? Was dann?" „Dann müßtest k - tun, Traute Um meinetwillen und aller derer willen, die üa draußen sterben und verderben." Fortsetzung in der Mittwoch Nummer.