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WiWmfferAsÄM Dienstag, den 14. Oktober 1936 Nr. 240 — 89. Jahrgang Wilsdrufs-Dresden Postscheck: Dresden 264N Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte ^ latt. Telcgr.-Adr: „Amtsblatt" für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter ZA'LTN? Fernsprecher- Amt Wilsdruff Nr. 6 SchMZU duAArmus üb"ei^ Anz.ig-n Nbcrn. wir b°in° Darontie. J-de-R°b«tl°nspruch °>Usch', w-nn der Dctr°, Lurch Klage elng-z°g-n werden muß oder der Auftraggeber in Konkurs gerat. Anz. nehmen allkDer-nrttlungsst-II-n entgegen. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das .Wilsdruffer Tageblatt- erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 NM. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 NM., bei Postbestellung Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend S-nnLü^ träger und Geschäftsstellen „ ' nehmen zu jeder Zeit Be ¬ stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonst. Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oderKürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto bciliegt. Die Probe aufs Lxempel. Mit einem heiteren, aber auch mit einem nassen Ang« verzeichnet man es, datz die deutsche Reichsregierung einer Kredit von 500 Millionen Mark im Aus land, vornehmlich in Amerika, erhalten hat. Eine An leihe zu vereinbaren und mit ihr auf den Kapitalmark aufzutreten, ist zurzeit völlig ausgeschlossen. Im deutscher Inland ist dieses Experiment im Juli vergangenen Jahres völlig mißglückt und im Ausland hat die katastrophal, Kursentwicklung de? Doung-Anleihe, von deren Erlös eir Drittel nach Deutschland ging, uns auch die Möglichkei versperrt, langfristige Kredite auszunehmen. Und daß wir gerade jetzt, in einer Zeit voll von Ungewißheit über der Gang der innenpolitischen Dinge in Deutschland, einer derartig großen, wenn auch mittelfristigen Kredit im Aus land erhalten — trotz deutscher Kapitalflucht und fortge setzten Goldabflusses —, geschieht gewiß nicht um unsere: schönen Augen willen, aber man betrachtet draußen das „deutsche Geschäft" doch nicht als mit so großem Risikc behaftet, daß man das dort hineingesteckte Geld für ernst hast gefährdet hält. Bitterer ist freilich, daß eine Effektiv verzinsung von 6,5 Prozent mit diesem Überbrückungs kredit verknüpft ist, er also in einer Höhe verzinst Werder mutz, die beträchtlich hinausgeht selbst über das derzeitig deutsche Zinsniveau. Und das bitterste ist, datz Deutsch land sich überhaupt gezwungen sieht, sich mittels dieses Pumps über den Winter hinüberzuhelfen, sich eine Atem- pause zu schaffen, um inzwischen die notwendigsten Maß nahmen für die finanzielle und wirtschaftliche Sanierung zu treffen. Die Rückzahlung ist auf die drei nächsten Jahn verteilt, — aber trotzdem vermehrt sich durch ihn die Laß der deutschen Verpflichtungen dem Ausland gegenüber be trächtlich. Außerdem sind die Gesetzentwürfe, die die Auf nahmeermächtigung und die Rückzahlungsart regeln, im Reichstag auch gleich noch zu einer Probe auf das innenpolitische Exempel geworden. Hier dürfte sich bei der Abstimmung über diese Vorlagen entscheiden, wer für die Regierung, wer unbedingt gegen sie ist. * Auch sonst werden ja noch einige andere „Proben aufs Exempel" gemacht werden. Der Rücktritt des Ernährungs ministers Schiele vom Präsidium des Landbundes — vor kurzem hat er auch sein neuerrungenes Reichstags mandat wieder niedergelegt — zeigt den Wunsch, sich so sehr wie möglich aus den parteipolitischen und fraktionellen Strömungen, Gegensätzen und Bindungen herauszuziehen. Ist doch 'm den Kreisen der Berufsgenossen des Ministers, im Landbund selbst eine harte Kritik an dem geübt worden, was Schiele wollt? und getan hat, um der Landwirtschaft in ihrer Not zu helfen. Im Deutschland von heute sind freilich die Mittel hierzu beschränkt und, daß nicht alles erreicht wurde, daß der ungeheure Druck der ausländischen Überproduktion an Agrarstoffen stärker war als die iso lierten deutschen Gegenanstrengungen, ist nun einmal eine Tatsache, an der auch die Kritiker ernsthaft nickst Vorbei gehen können. Daß in diese wirtschaftspolitischen Mei nungsverschiedenheiten auch parteipolitische Hineinspielen, daß die Stellungnahme für das Kabinett, dem Schiele an gehört, zurzeit eine reichlich unsichere ist, das Für und Wider stark umkämpft wird, kam auch nach außen hin deutlich zum Ausdruck. Ein Minister aber, der als Ver trauensmann irgendeiner Partei oder Richtung in der Regierung sitzt, würde seine Stellung unhaltbar machen, wenn er sich in einem Gegensatz zu dieser Partei befinden würde. Schon als Schiele, der damals der deMschnatio- nalen Fraktion angehörte, zum Amt des Ernährungs ministers berufen wurde, hat er sehr bald fein Mandat als Neichstagsabgeordneter niedergelegt, um sich von fraktio nellen Bindungen zu lösen. Jetzt tat er dasselbe gegen über der stärksten Berufsorganisation der deutschen Landwirtschaft, deren Interessen er als Minister wahrzunehmen hat — aber nur im Kreise des allgemein-politisch Möglichen. Das Aufeinanderprallen der Gegensätze im Reichstag zeigt sich ja auch schon beim Streit über die Wahl des Präsidiums. Früher war es eine Selbstverständlich keit, daß bei der Besetzung dieses Präsidenten- und der ver schiedenen Vizepräsidentenposten die Stärke der Parteien maßgebend war; jetzt aber ist sozusagen eine partei politische Machtfrage daraus geworden. Und zwar auf allen Seiten — und das ist nnbedingt bedanerlich. Denn wichtiger als anderswo ist ja hier in dem mit partei politischen Gegensätzen fast bis zum Platzen gefüllten Sitzungssaal des Reichstages notwendig, daß diese Gegensätze nicht hinaufreichen bis zum Stuhl des Präsi denten. Wenn man durchaus die Kräfte messen will, dann sollte man es nicht in dieser Frage tun. Im englischen Parlament thront hoch über dem Parteigetriebe der „spsaüsr", der „Sprecher", auf dem ylstonschen Wollsack. Niemand wagt es, an die Autorität dieses Maunes zu tasten, und seine Entscheidungen sind unabänderlich, unter liegen nicht einmal der Kritik des Hauses. Werl eben seine Unparteilichkeit einfach als selbstverständlich betrachtet wird. Im Deutschen Reichstag kann man aber auch in dieser Hinsicht noch einiges lernen von der „Mutter de: Parlamente". Lärmenäer beirbstagr-üeginn Die erste Sitzung des Reichspariaments Nationalsozialistisch-kommunistische Lärmszenen. Berlin, 13. Oktober. Nicht alle Tage kommt es vor, daß der Reichstag zu seine: Eröffnungssitzung einberufen ist. Noch viel seltener mag dei Umstand sein, zum ersten Male eine geschlossene Oppositions gruppe begrüßen zu dürfen, die gestern nur ein Häuflein wm und heule in der Stärke von 107 Mann ausmarschiert. Des halb der unerhörte Andrang des schau- und hörlustiger Publikums, das sich wie eine feste Mauer um das Reichstags- gebäude sammelte. Doch die Polizei war gerüstel, wie es ihi Beruf ist, unter Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel alles fernzuhalten, was auf Erregung deuten könnte. Hun derte von Beamten bilderen Kette und drängten die Menscher zunächst mit gütlicher Überredung und, wenn das nicht half mit kräftiger Gewalt zurück. Jeder Passierende mußte der Ausweis vorzeigen, jedes Durchschlüpfen wurde ernst unk streng verhindert. Im Hintergründe in - der Reserve wäre: volle Lastwagen mit Schupos bereit zum Eingreisen, falls di« im Dienst befindlichen Kräfte überrannt werden sollten Tribünen überfüllt. Auf den Sitzen der Presse erheb liches Gedränge, nicht zum wenigsten verursacht durck die Photographen, die jede Phase des Ereignisses gerr auf der Platte haben wollten. Zuletzt erschienen mit den Abgeordneten Dr. Frick an der Spitze die National sozialisten, gehüllt in die Braunhemden, das Hakenkreuz am Arm. Ihre Antipoden, die Kommunisten, hatten au! Demonstrationen verzichtet, sich in schlichtes bürgerliches Ge wand gekleidet. Die neue Einrichtung des Sitzungs saales funktionierte glänzend, alle fanden sich leicht an di« Plätze. Zwar verlangten die Kommunisten bei der Eröffnung durck den greisen Alterspräsidenten Herold Aufhebung des übe: den Reichstag verhängten „Belagerungszustandes". Das ginc auch vorüber, und der Namensaufruf begann. Langweilig« Arbeit, die nur unterbrochen wurde durch die Jubelruse de: Nationalsozialisten, wenn einer ihrer populären Führer, wi« z. B. der Abg. Göbbels ausgerufen wurde. Die Kommunister quittierten daraus mit weniger ehrenden Zurufen wie „Feig ling" usw. Abg. Göbbels protestierte tn längerer Rede, di« aber im Lärm unterging. So stritten sich Nattonalsoztaliste: und Kommunisten herum. Die Kommunisten setzten de: Nationalsozialisten das „Nieder, nieder'" entgegen. Di« Nationalsozialisten stimmten immer wieder „Heil, heil!" an Endlich erschöpfte sich auch der Namensaufruf und Alterspräsi dem Herold schlug vor, die nächste Sitzung auf Mittwoch an zusetzen, um die Präsidentenwahl vorzunehmen und den An trag der Sozialdemokraten auf Herabsetzung der Abgeordneten diäten zu erledigen. Anderer Meinung waren die Kommu nisten, die schon morgen tagen wollten und dafür eine Reih« von Anträgen eingereicht halten. Abg. Frick, der nun zr sprechen versuchte, kam nicht zu Wort oder doch nicht zur Hör barkeil, zumal beträchtliches Geschrei losbrach. Abg. Everlinc hatte ebensowenig Glück, als er die Beratung der Amnestie Vorlage für Mittwoch verlangte. Es blieb bei der Anordnunc des Präsidenten, und das Haus leerte sich schnell, während de: Abmarsch der draußen befindlichen Völker den Ordnungs lcutcn noch einige Mühe verursachte. io. s Gitzungsbenchi. <1. Sitzung.) 00. Berlin, 13. Oktober. Der große Sitzungssaal des Reichstages war schon lang< vor Beginn der Sitzung überfüllt. Aus der Publikumstribün- bemerkten man auch den Prinzen August Wilhelm vo: Creußen. Die Abgeordneten der Sozialdemokraten und de. Miiielparleien galten schon um S43 Uhr ihre Plätze ein genommen. Später erschienen die Deutschnanonalen, dann die Kommunisten und als letzte Fraktion die Nationalsozialisten mit dem Abgeordneten Dr Frick an Ser Spitze. Sämtliche Nationalsozialisten, die geschlossen einmarschienen, trugen dir Braunhemden mit der Hakenkreuzarmbinde Die Regierungs bänke blieben leer. Doch waren verschiedene Reichsminister aus ihren Abgeordnetenplätzen zu sehen. Pünktlich um 15 Uhr begab sich der AUerspräsidem, der Abgeordnete Herold (Ztr.), der 83 Jahre alt ist, zum Präst- dentenplatz. Er eröffnete sogleich die erste Sitzung des neuer Reichstages, während die Kommunisten durch Zurufe ver langten, haß der „Belagerungszustand über den Reichstag", der sich durch das starke Polizeiaufgebot dokumentierte, ausgehober werde. Alterspräsident Herold berief dann zu Schriftführern die Abgeordneten Taubadcl (Soz.), Göring (Nal.-Soz.), Frau Teusch (Ztr.) und Rauch-München (Bayer. Vp.). Abg. Göring tNat.-Soz.) eilte unter stürmischen Heilrufcn feiner Fraktions genossen aus seinen Schriftführerplatz. Abg. Torgler (Komm.) protestierte unter großem Lärm gegen die polizeiliche Ab sperrung des Reichstages und verlangte die sofortige Ab berufung der Polizei (Zuruf bei den Nationalsozialisten: „Wo bleibt die Regierung?"). Alterspräsident Herold ging zunächst auf den Antrag nicht ein und ließ den Namensaufruf der Ab geordneten vornehmen. Abg. Torgler (Komm.) rief: „Draußen werden die Arbeiter nicdcrgeknüppelt. So wird der Reichstag eröffnet!") Abg. Dr. Albrecht-Thüringen, der als erster Naticmal- sozialist aufgerufen wird, antwortet: „Hier! Heil Hitler!" Auf der Linken ertönt darauf lautes Gelächter. Beim Ausruf des Reichskanzlers Dr. Brüning riesen die Kommunisten: „Der Hungerdiktator'" Beim Aufruf des Abg. Dr. Frick (Nat.-Soz.) ertönten bei den Kommunisten Zurufe, die von den Nationalsozialisten mit Gcgcnrusen beantwortet wurden. Ein nationalsozialistischer Abgeordneter ahmt das Krähen eines Hahnes noch i Abgeordneter Dr Göbbels ist bis zum Namensaufruf nock ! nicht erschienen. Bet der Nennung seines Namens ertönen bei den Kommunisten ^Riederrufe", woraus die Nationalsozialisten f mit „Heil Göbbels" erwidern. Kurz danach erscheint Dr. Göb- - bels in: Saale. Die nationalsozialistische Fraktion erhebt sick ! spontan, um in stürmische Hcilrufe mit Händeklatschen auszubrechen. Als Dr. Göbbels seinen Platz einnimmt, be grüßt er zunächst den neben ihm sitzenden deutschnationaler Abgeordneten von Oldenburg-Jannschan. Zwischen den Kom mumsten und dem Abgeordneten Dr. Göbbels entspinnen sick im weiteren Verlaufe einige lebhafte Auseinandersetzungen Dis Kommunisten machen Zurufe, die sich auf Göbbels Pro zesse beziehen. Dr. Göbbels antwortet daraus: „Ja, ich sabo tiere eure bürgerliche Justizi" Bei dem weiteren Namensaufruf werden bei der Ncnnunl bekannter nationalsozialistischer Abgeordneter von den Kom munisten immer wieder Zurufe laut, auf die die National sozialisten mit stürmischen Heilrufen erwidern. Das SchMheMZMNgsgesetz. Der Reichsrat genehmigt den Gesetzentwurf. Der Reichsrat hielt eine Sitzung ab, in der der Ge setzentwurf über die Schuldentilgung beraten wurde. Der Entwurf sieht in seinem ersten Paragraphen die Ermäch tigung zur Aufnahme des Überbrückungskredits in Höhe von 525 Millionen Mark vor. Im K 2 schreibt er für 1931, 1932 und l933 eine Schuldentilgung in Höhe von mindestens je 420 Millionen Mark vor. Der Bericht erstatter, Ministerialdirektor Dr. Brecht, wies darauf hin, daß die Länder und Gemeinden mit ihren Fehlbeträgen in ähnlicher Lage seien und daß auch dort Überbrückungs kredite notwendig seien, bei denen im schlimmsten Falle das Reich helfen müsse. Der Gesetzentwurf wurde lM Stimmenthaltung Thüringens angenommen. Die Eröffnung des Deutschen Reichstages. der die erste Sitzung des neuen Reichstages leitete.