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M MI ukttLöekkLeuiS8cuui2 ouftcn 08t<^k ttLiZiek.v^kväU Lä 60^ v°.LK^0 (4. Fortsetzung.) Sehr herzlich klang seine Bitte: „Mevrouw, lassen Sie mich Ihr Gepäck befördern." Aber Traute lehnte freundlich und bestimmt ab. „Danke," sagte sie. „Ich habe schon nach Hilfe geschickt. Sie wird gleich kommen. Gehen Sie nur wieder hinein. Es ist kalt hier." „Ich hätte Ihnen gern geholfen, Frau Hauptmann," ver sicherte er, „so sehr gern." „Ich glaube es Ihnen, Franz. Aber es ist wirklich nicht nötig. Meine Tante könnte Sie brauchen." „Die schickt mich ja, Mevrouw." „Bestimmt nicht aus Menschenfreundlichkeit." „Nein," sagte Franz sehr ehrlich. „Die kennt sie nicht. Aber unangenehm scheint es ihr zu sein, daß Sie gerade vor ihrer Tür sitzen." „Das kann ich nicht ändern. Leider! Wenn mein Mädel- chen nicht eingeschlafen wäre, würde ich mich einige Häuser weiter wegsetzen." „Nein, nein, Mevrouw, deshalb sagte ich das nicht. Es ist dem —" Schindluder wollte er sagen, verbesserte sich aber und sagte: „Es ist ihr schon gut, wie es ist" und ging grüßend davon. Traute lächelte ihm nach. „Wird auch ein hartes Brot zu kauen haben," dachte sie. Kaum war der Diener fort, da kam die Hilfe. Kara! Von weitem schon sah er die Herrin sitzen, wendete sich um und rief eine Droschke. Sein erstes Wort an Traute war: „Schweigen!" Sie verstand ihn und weckte Hannele nicht, die immer noch auf ihren Knien schlief. Sie fuhren nach der Pauwstraat. Wenige Häuser von seiner Wohnung entfernt, befand sich ein kleineres Hotel „De Constabel" hieß es. Dorthin brachte er sie. „Meine Verwandten," hatte er dem Portier erklärend gesagt und war dann mit nach Trautes Zimmer gegangen Hannele, die erwacht war, hing jubelnd an seinem Halse. „Daß ich Sie immer wieder bemühen muß. Kara." iagte Traute, „immer von Neuem, das ist so beschämend für mich." „Wenn Ihr es nicht tätet, Nonna, was sollte ich in diesem Land ohne Sonne? Hier leben die Menschen nur sich und der Stunde. An meine Heimat erinnert mich nichts außer Euch. Ich möchte immer um Euch lein." Das sagte er in heiligem Ernst, etwa so, wie er gesagt haben würde „Schiwa, großer Gott, erbarme dich meiner." Und Traute antwortete aus gleich tiefem Empfinden heraus: „Ich fühle. Kara, daß bessere Tage kommen Dann sollen Sie immer um mich sein." „Lakschmi gebe Sie Euch, die lächelnde Göttin des Glückes!" Und er küßte den Saum ihres Kleides. * » * Am anderen Morgen fuhren Traute, Hannele und Kara nach dem Haag. Kara, der wie ein Aszet lebte, keine Bedürfnisse kannte, nicht trank und nicht rauchte, legte von dem Verdienst, den er hatte und mit dem andere nicht auskommen konnten, über die Hälfte weg. Nicht, weil er geizig war, nein, weil er nicht wußte, was er damit hätte anfangen sollen. So konnte er die Fahrt bestreiten und — falls sich der Vater sträubte, Tochter und Enkelin aufzunehmen -- der Herrin über die ersten Monate hinweghelfen. Daß ihr in diesem Lande das Glück nie blühen würde, das fühlte er, wie er Wärme und Kälte fühlte. Deshalb war br auch immer in Sorge um sie. Das Glück war nur da, wo die Sonne schien. Das war seine unerschütterliche Ueberzeugung. Und hier sah man sie tagelang, wochenlang, monatelang nicht. Es war ein düsteres Land, dieses Nordland. Je näher die drei dem Haag kamen, desto schweigsamer wurde Traute. Sie kannte ihren Vater, den Friesländer, mit dem eisernen Kovf. Einem Kampf fühlte sie sich nicht gewachsen. Die Demüti gung in Arnheim war noch in zu junger Erinnerung. Kara, der in ihrer Seele las, fragte: „Woran denkt Ihr, Herrin?" „An meinen Vater denke ich." Da sagte er: „Ich werde zu ihm gehen. Nomm Sorgt Euch nicht." „Und er wird mich aufnehmen?" „Ja!" Da ward es licht und ruhig in ihr. Im Haag bat Kara die Herrin auf dem Bahnhof zu warten und fuhr zu Mijnheer Zelle. Der Alte, der ein Geschäft vermutete, als ihm der Inder gemeldet wurde, ließ ihn vor. Beide standen sich einen Moment wortlos gegenüber und jeder dachte das gleiche: Welch ein Gesicht! Kara brach das Schweigen zuerst. „Ich komme von meiner Herrin und Euerm Enkelkind," sagte er und kreuzte grüßend die Arme über der Brust. Zelle stutzte und wär betreten. „Wer ist Ihre Herrin?" fragte er. „Eure Tochter, Mijnheer!" Auf Zelles Stirn zogen sich Wolken zusammen. Tief hingen die Brauen über den Augen. „Ich habe keine Tochter," iagte er kurz. „Was einem die Götter gäben, verleugnet man nicht. „Wenn Ihr sie nicht habt, wäret Ihr sie nicht wert." Der Alte, der aufbrausen wollte, sah in zwei flammende Augen, aus denen sengende Glut schoß und schwieg. Nach beängstigender Stille sagte er mit sichtlicher An- ^renguNg und Ueberwindung: „Ich habe meiner Tochter in ihren unerfreulichen Ver hältnissen auf Java geraten — nein, ich habe sie gebeten." „Verzeihung, Mijnheer," fiel Kara ein. „Geraten, gebeten! Was ist das?" „Wissen Sie es nicht?" „Ich bin nicht sicher," antwortete der Inder und fuhr nach denkend fort: „Ich habe ihr gedient, sie vor dem Tode behütet, bin ohne ihr Wissen nach Holland gekommen, weil ich immer für sie fürchtete und will für sie sterben, wenn es ihr nützt. Das ist nicht viel. Aber es ist doch etwas, was ich tat und zu tun bereit bin. — Wenn man aber bittet, Mijnheer, er wartet man etwas zu des anderem Besten. Gewiß! Aber doch im Grunde auch für sich. — Ist das richtig, Mijnheer?" Zelle iah den Inder aus weiten Augen verwundert an, dann sagte er: „Ja!" „Ich will Euch nur folgen können, deshalb fragte ich. Unsere Welten sind ja so verschieden. — Wollt Ihr nun weiterreden, Mijnheer." Zelle war aus seiner Bahn gedrängt, aus seinen siebzig Jahre alten Anschauungen, die dieser fremde Mann unter graben hatte. Er strich sich über die Stirn. „Ihr sagtet, daß Ihr Mevrouw gebeten hättet," erinnerte Kara, der an die Herrin dachte, die ihn mit Ungeduld erwartete „Ja, das sagte ich," begann Zelle endlich. „Ich habe sie gebeten, sich von diesem Unflat Leod scheiden zu lassen. Sie hat es nicht getan. Selbst Leods Tante hat sie vergebens gebeten. Noch heute trägt sie diesen Schandnamen." „Was ist der Nome, Mijnheer? Nichts! Er wird erst etwas, wenn man ihm eine Bedeutung gibt. Ob ich Kara heiße oder Ali oder Mac Leod ist gleich, wenn ich der bin. der ich bin. Mich ließen die Götter werden, den Namen gaben mir Menschen." „Damit kommt man in Indien aus, aber bei uns nicht," erwiderte Zelle. „Hier läuft der Name vor den Menschen her." „Und das Geld hinter ihm." sagte Kara. „Und zwischen dem Namen und dem Gelds steht der Mensch. Er verneigt sich vor beiden und stößt überall an. Was den Menschen so wichtig scheint, sind Aeußerlichkeiten, Mijnheer. Es sind die Aeußerlichkeiten, unter denen Ihr leidet. Ihr seht einen Namen, aber nicht einen Menschen. Und weil Ihr das tut, werdet Ihr ungerecht." „Erlauben Sie mal! Sind Sie hierher gekommen, mir das zu sagen?" „Nein! Ich mußte es Euch aber sagen, weil ich sah, daß Ihr es nicht wußtet." „Schön," sagte Zelle. „Ich bin ungerecht. Das weiß ich nun. — Ich weiß aber immer noch nicht, was Sie eigent lich von mir wünschen und weshalb Sie hier sind." „Ich möchte Euch zu Eurer Tochter führen." Zelle lachte. „Nach Arnheim! Zu Fuß?" „Nein, Mijnheer, nur nach dem Bahnhof. Sie können ein Auto nehmen " Da verschlug es dem Alten die Sprache. Die Zornesader schwoll. Er wurde krebsrot. Kara, der es iah, fuhr in seiner immer gleichmäßigen Rube fort: c „Seit gestern ist Mevrouw ohne Heimat. Der Unflat Leod, wie Ihr ihn nennt, hat sie versagt, weil auch die Frau, bei der sie war, nur den Schein achtet. Mevrouw wird es auch morgen sein und wird es immer sein, solange sie auf die jenigen angewiesen ist, di? sich vor dem Namen beugen und nicht vor dem Menschen." In Zelle war Sturm Jetzt fühlte er auf einmal, daß die Baronin in Traute auch ihm die Tür gewiesen hatte. Er saß schweigend m«t geballten Händen. „Ihr verabscheut den Namen Leod," sprach Kara weiter. „Wißt Ihr auch Münheer. daß Ihr dem Träger dieses Namens helft. Euer Kind vernichten? — Kommt. Mijnheer! Eure Tochter wartet auf Euch. Eurem eigenen Blute bleibt Ihr immer verpflichtet, was auch geschehen sei." Zwingend ruhten die großen schwarzen Augen in des anderen blauen. Ganz leise und doch jede Silbe deutlich, als ob er etwa ganz Großes und Heiliges ausspreche, sagte Kara die letzten Worte: „In ihrer Not beten die Menschen des Abendlandes zu einem, den sie — Vater nennen, auf daß er ihnen helfe. Auch Eure Tochter nennt Euch so, mit dem Namen Eures höchsten Gottes Denkt daran. Mijnheer." Da erhob sich Zelle Straff und gerade ging er zur Tür. „Kommen Sie," sagte er, „ich will meine Tochter begrüßen." „Und heimführen," drängte der andere. Da nickte der Alte und Kara folgte ihm- 6. Im Heim ihres Vaters war Traute zunächst geborgen. Den Haag war nicht irgendeine Stadt, es war die Stadt. Für Traute wenigstens. Es war ihre Heimat und die Stätte der Erinnerungen. Im Haag hatte sie ihre Erziehung genossen, dort hatte sie auch Mac Leod kennengelernt. Die junge, die erste Liebe! Im Haag war sie bei Hof gewesen und der Königin- Regentin oorgestellt worden. Dort hatte sie die ersten Triumphe gekostet. Nur Angenehmes und Schönes hatte sie in dieser Stadt erlebt und erfahren. Und aus dem Vergangenen leuchteten zwei kurze Epi soden in ihre Einsamkeit herüber, die wie Sterne waren an ihrem Lebenshimmel und sie immer wieder beschäftigten. Das waren Wiesbaden und Benares oder Marow und die Dewadasis, der russische Leutnant und Schiwas heilige Tänzerinnen. t Sie sah jenen aufsehenerregenden Abend im Nassauischen Hof so deutlich vor sich, als ob er gestern erst gewesen wäre. Heute begriff sie, daß es nicht überschäumende Lebensfreude gewesen war, die damals Mac gezwungen hatte, die Fürstin Malakow auf die Arme zu nehmen und mit ihr den Saal zu durchtanzen. Sie wußte es heute: Damals war sie zum ersten Male be trogen worden. Auf der Hochzeitsreise betrogen worden! Und wie ein Mädelchen, ein ganz junges und dummes, hatte sie dabei gesessen und sich gefreut. Und Marow, der gewußt hatte um seine Tante und ihren Mann, hatte sie angesehen wie eine Heilige. Seine Augen waren so blank gewesen, so klar und so blau, wie der Himmel Indiens ist und seine Stimme so tief und io warm, wie das Läuten der Gamelangs in javanischen Nächten. „Einmal werden wir uns wiedersehn," hatte er gesagt. Einmal! O wie sie sich sehnte nach seinem reinen Gesicht. In diesem Denken vergingen Monate. Das Jahr 1903 zog herauf, und auch von ihm versank ein Tag nach dem anderen in die Ewigkeit. Traute blieb die stille, nachdenkliche Frau, die sich der Er ziehung Hanneles widmete und in der Vergangenheit lebte. Nichts deutete auf eine Wandlung hin, nichts verriet ihr Vorhaben und ihre Pläne. Sie ging viel zu den Grauen Schwestern, nahm Hannele mit und blieb oft Stunden lang dort. Der Kleinen machten diese Spaziergänge Vergnügen. Mehr Vergnügen aber noch machte ihr der Besuch bei den Schwestern selbst. Dort fand sie das. was sie zu Hause nicht fand: Spielkameraden. Im Kloster der Grauen Schwestern wurden die Kinder der vornehmen Holländer erzogen, und Traute suchte ihr Mädsl- chen mit s-iner künftigen Heimat vertraut zu machen. Hier war sie selbst geborgen gewesen, hier sollte es auch ihr Töchterchen sein. Noch trug sie ja den Namen Mac Leod, noch war sie an ihn gebunden, war sie dem Namen nach sein Weib Wie sie ihn kannte würde er sie nicht unbehelligt lassen, ihr nach- spüren, sie Hetzen und jagen, wo immer er konnte. Daß er es heute nicht schon tat, geschah nur, weil sie beim Vater war und dessen Einvernehmen mit ihr jenem goldene Bergs er hoffen ließ. Aber der Vater war alt. Und was dann? Bisher hatten andere ihr Leben bestimmt, ihr Geschick ge leitet. Es war geworden, wie es war. Unerfreulich und leidvoll. Jetzt wollte sie selbst bestimmen. Wollte heraus aus der ehelichen Schmach. In das Leben! An die Sonne' Und als ihr die Oberin im Kloster der Grauen Schwestern gesagt hatte:" „Am ersten Oktober bringen Sie uns das Sonnenscheinchen." war sie nach Hause gegangen und hatte mit dem Vater gesprochen. Es war eine lange und ernste Unterredung gewesen zwischen den beiden, aber am Ende hatte der Vater doch der Tochter Wunsch erfüllt und die Mittel bewilligt, die ihr einen Aufenthalt in Paris ge statteten. Zu Studkenzwecken! * Am dritten O^ober war Traute nach Paris abgereist, nicht ohne Kara, der durch Vermittelung des Vaters einen Botenposten erhalten hatte, vorher von ihrem Vorhaben ver ständigt und ihn gebeten zu haben, auf ihren Ruf zu warten. In Paris hatte sie sich ein einfaches Zimmer gemietet, ge räumig und groß. Sie wollte üben. Tanzen! Das konnte sie nicht in einem Vogelbauer. Madame Vaillant, bei der sie wohnte, war eine einsichts volle Dame. Sie hatte an Möbeln aus Trautes Zimmer hinaus getan, was nur irgend entbehrlich war, um so ein zweites vermieten zu können. „Jetzt ist es hübsch leer bei Ihnen," hatte sie gesagt und siebreich hinzugesetzt: „So ist es doch recht?" Und Traute hatte bejaht. Ueberhaupt betreute Frau Vaillant ihren Schützling auf das beste Ihr imponierte Trautes Eleganz, ihr schönes Gesicht, ihr Schmuck und ihr Geld. Die eigenartige Fremde trug den Freibrief für jede Art Nepp zu offen zur Schau. Da mußte man die Feste feiern wie sie fielen. Frau Vaillant hatte aber auch eine gute Eigenschaft. Sie war nicht neugierig. Was man ihr nicht freiwillig sagte, verlangte sie nicht zu wissen. Und das war Traute außerordentlich lieb. Dafür bezahlte sie gern einige Franc mehr als anderswo. Und dann wußte Madame auch gute Ratschläge zu er teilen. „Was Appartes ausdenken, Fräuleinchen," sagte sie -- daß Traute Frau war, glaubte sie ihr nicht— „man muß auffallen, wenn man Karriere machen will. Nationaltäuze, die sind jetzt mode." Sie sah sie taxierend an, dann wiegte sie zweifelhaft den Kopf. , „Holländisch, nein, das paßt gar nicht zu Ihrem Gesicht. „Ich kann mich ja schminken, antwortete Traute lächelnd« Und dieses Lächeln gab ihr die Erleuchtung. „Der braune Teint, die blendend weißen Zähne, melancholischen Augen! Aegyptisch, das ist Ihr Genre," rief sie begeistert. „Oder indisch," tagte Traute beiläufig. „Ja, Fräulein, oder indisch." „Tempeltänze," sagte Traute wieder, «wie sie die Vaj" deren tanzen. Fortsetzung in der Sonnabend-Nummer-