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MsdmfferTageblatt für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Nr. 217 — 89 Jahrgang Mittwoch, den 17. Sept. 1930 Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, .Wilsdruffer Taaedlatt' erscheint an allen Werktagen nachmittags b Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung In »er «rschLstsstelle und den Ausgabestellen 2 RM. im Mount, bei Zustellung durch die Boten 2,30 RM., bei Postbestellung r»M. zuzüglich Abtrag« —— „ . gebühr. Einzelnummern lEPfg. Alle Pos, anstaen Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Postboten und NN,er-Aus. teü,erund«e,chäftsstellen — . ! ll 2-2 nehmen zu jeder Zeit Be« ftellnngen entgegeru I« Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesäudter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. 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Das hinderte natürlich nicht daran, daß die einen jubelten, die anderen ihren ge täuschten Hoffnungen nachtrauerten, überall nach „massen psychologischen" Erklärungen für das Wahlergebnis gesucht und dies je nach der parteipolitischen Einstellung und — Gewinn- oder Verlustrechnung bewertet wurde. Aber auch das wird schließlich vorübergehen und sehr bald werden sich die nüchtern-praktischen Fragen, Probleme und Gefahren des politischen Alltags geltend machen, wird nur noch die Tatsache der jetzigen Zusammensetzung des Reichstags ihre Wirkung tun. Welches diese Wirkung parlamentarisch sein wird, kann heute um so weniger mit irgendwelcher Sicherheit gesagt werden, als alles, Ansichten und Absichten, Wünsche und Hoffnungen, Pläne und Aussichten, noch völlig in Fluß sind. Die Führer der Parteien, ebenso der sieg reichen wie der geschlagenen, halten sich sehr zurück, wenn man ihnen mit neugierigen Fragen über das „Was nun?" zu nahe auf den Leib rückt. Es gibt eben allzu viele Fragezeichen, „unbekannte Größen" in der ganzen politisch-parlamentarischen Rechnung für das Heute, Morgen und gar Übermorgen. Man will sich nicht fest legen, sich nicht binden durch ein unvorsichtiges Wort, das später vielleicht zur Schranke werden kann. Besonders da — leider ja nicht zum erstenmal in der par lamentarischen Geschichte Deutschlands der Nachkriegs zeil, — die ganze Situation parteipolitisch so verzwickt ist wie nur eben möglich. Im Wahlkampf konnte man un besorgt darauf losmarschieren, aber hinterher, wenn die Dinge nun von der grellen Sonne der Wirklichkeit über strahlt werden, sehen sie sich ost doch ganz anders an. Auch das Ausland, wo man sich nicht bloß aus allgemeinpolitischen, sondern vor allem aus wirtschaft lichen Gründen für den Ausgang der Wahlen stark inter essierte, ist man zwar sehr überrascht und gibt dem auch Ausdruck, aber ist sehr schnell davon abgekommen, dieses Wahlresultat nun sozusagen als die Einleitung zu einer großen außen- und innenpolitischen Schwenkung Deutsch lands zu sehen. Das hindert nicht, daß man jetzt noch — namentlich in Paris — genau hinter das deutsche Morgen und Übermorgen ungefähr ebenso viele Fragezeichen setzt wie man das in Deutschland tut. „Kalt Blut und warm angezogen", wie der Berliner sagen würde, — so ist das Urteil in dem verständigen Teil des Auslandes, und ebenso wie sich die deutschen Börsen und maßgebenden Wirt schaftskreise „beruhigten", klingt in London und Newyork auch schon wieder das erste Gefühl einer gewissen Unbehag lichkeit wieder ab, das aus der Frage entstehen mußte: Wie wird angesichts des Wahlergebnisses die künftige deutsche Außen- und Handels politik ausfehen? Aber man glaubt dort, diesen Ergebnissen auch noch etwas anderes zu entnehmen, und zwar vielleicht nicht ganz mit Unrecht. In weiten deutschen Kreisen, die gerade deswegen auch ihre Stimmen nicht den Trägern der offiziellen deutschen Politik geben, spricht ein Instinkt, ein dumpfes Gefühl davon, daß das Ausland dem deutschen Willen und dem Arbeiten zum Wiederauf stieg, zur Überwindung seiner Daseinsnot als Volk und Nation, die Hindernisse nicht so aus dem Wege geräumt hat und räumt, wie es Deutschland fordert und ersehnt, sondern, daß man solche Hindernisse eher noch höhertürmt. Gerade die Reden auf der jetzt tagenden Versammlung des Völkerbundrates, ebenso Hendersons, des englischen Außenministers, wie die anderer Dele gierter, geben dazu eine Art Illustration. Ob derartige Ansichten des Auslandes über die „Stimmung" in Deutsch land richtig oder falsch sind, ist zwar durchaus nicht gleich gültig, aber vielleicht noch bedeutungsvoller ist, daß man sich jenseits unserer Grenzen überhaupt Gcdanken darüber macht. Und zwar gerade jetzt, da die allgemeine Wirtschaftsnot stärker als je zn einem wirklichen Zusammenarbeiten auch aller von ihr be troffenen Völker zwingt — ohne all nnd jede „politischen" Hemmnisie und Hintergedanken. ^"Eier ist man sich ja auch bei uns trotz der auf die innenpolitische Gestaltung in Deutschland gerichteten Augen klar: Wir sind vor allem wirtschaftspolitisch so eng mit dem ganzen Ausland Ws hinüber nach Amerika ver knüpft, daß auch lene künftige politische Innengestaltung diese Verstrickung ll^ade aus wirtschaftlichen Gründen nicht einfach unberücksichtigt lassen kann. Das ist eben die Wirklichkeit und sic hat heute mehr als je die Macht, sich allen andern Wünschen gegenüber durchzusetzen. In vielen bitteren Stunden haben wir Deutsche das lernen müssen. Und bis der Reichstag Zusammentritt, sicherlich aber bald hernach wird in ihm auch die Entschei dung darüber fallen, ob und wie er die Wege billigt, die die jetzige Negierung innen- und WMschastspoutisch seit dem Frühjahr gegangen ist und die sie weltergehen will. Verfassungsgcmäß müssen dem neuen Reichstag ia alle Verordnungen, die seitdem erlassen sind, vorgelegt werden und sind, wenn er es in seiner Mehrheit verlangt, unver züglich außer Kraft zu setzen. Bis dahin aber wird eine ganze Reihe jener politischen Fragezeichen, tue man heut- noch überall sieht, doch Wohl schon durch Antworten er setzt sein. Lurlius vor ckem völkerbunck. Deutsche Außenpolitik in Genf. Abrüstung gefordert. Das größte Interesse wurde bei den in Genf ver sammelten Staatsvertretern der großen Rede entgegen gebracht, die Ncichsaußcnministcr Dr. Curtius am Diens tag hielt. Er betonte darin den festen Willen der deutschen Regierung, jeden Gedanken an einen Krieg zu verbannen in der festen Voraussetzung, daß auch auf der anderen Seite die Erkenntnis gekommen sei, andere Mittel als richtig anzusehcn, welche die namentlich Deutschland bedrückenden Folgen des großen Krieges abzubaucn im stande seien. Entscheidende Taten müßten ge schehen zunächst auf dem Gebiete der Abrüstung, dem Deutschland vorausging, dann der Minderheiten. Deutsch land sei bereit, an der europäischen Zusammen arbeit mitzuwirkcn. Dr. Curtius dankte zunächst herzlichst sür die Worte, die man dem Andenken Stresemanns gewidmet habe, die ein Zeugnis dafür waren, wie die Grundsätze der deut schen Außenpolitik auch außerhalb Deutschlands Verständ nis und Achtung gefunden haben. Curtius erkannte weiter die von Deutschland gebilligte Haltung des Völkerbundes an, für den aber kein Stillstand in Frage kommen dürfe. Der Außenminister fuhr fort: Das erste Erfordernis aller internationalen Bemühungen war jedoch, auch unbequeme Fragen fest ins Auge zu fassen und die Dinge beim rechten Namen zu nennen. Wenn aber dabei hier die Möglichkeit angcdcutct wor den ist, daß die heutigen Zustände sogar zum Kriege führen könnten, so halte ich, es für unbedingt geboten, mich den bloßen Gedanken an solche Möglichkeit von vornherein auszuschaltcn. Der feste Entschluß, jeden Kriegs- gedankenzuvcrdammen, bedingt auf der anderen Seite, daß an Stelle des Krieges andere Mittel ge funden und angewandt werden können, um den vorhan denen oder neu auftretcndcn Problemen gerecht zu wer den; denn die Besinnung auf die Notwendigkeit der E r - Haltung des Friedens darf nicht zu einem über sehen der Fragen führen, die einer Lösung be dürfen. Niemals darf der Völkerbund sich einer Strömung verschließen, mögen solche Strömungen zunächst auch noch so beunruhigend erscheinen. Der Bund mutz die Führung übernehmen. Wir haben den Grundsatz betont, daß cs nicht mit dem bloßen Verbot des Krieges getan ist, sondern, daß es darauf ankommt, die Ursachen zu beseitigen und Vor kehrungen für die friedliche Schlichtung aller Arten von Meinungsverschiedenheiten zu treffen. An diesem Grund satz halten wir fest. Oie Abrüstung. Der deutsche Außenminister sagte u. a. weiter: Es ist unnötig, über die Abrüstungsfrage noch Worte zu ver lieren. Auf die Darlegungen, die die deutsche Abordnung darüber seit vier Jahren macht, sind keine entscheidenden Taten gefolgt. Die Dinge liegen so, daß die Negierun gen mit der Erfüllung ihrer rechtlichen und moralischen Verpflichtung zur Abrüstung seit Jahren zur größten Ent täuschung Deutschlands im Rückstand sind. Wir müssen uns über die völlige Unhaltbarkeil dieser Lage einig sein und es als eine Selbstverständlichkeit betrachten, daß die Abrüstungskonferenz nun endlich im Laufe des nächsten Jahres zusammentritt. Wir erwarten eine ge rechte, der Sicherheit aller Staaten Rechnung tragende Lösung. Bei der Besprechung der Minderheitenfrage betonte Dr. Curtius, es handele sich nicht um die Vertretung irgendwelcher Sonderinteressen einzelner Staaten, sondern um ein wichtiges Element zur Sicherung des Friedens, an dem alle Völkerbundmitglieder in gleicher Weise inter essiert sind. Oie Lage Europas. Zum pancuropäischen Gedanken übergehend, führte Dr. Curtius aus, kein Land fühle stärker als Deutsch land den Druck und die Gefahr der gegenwärtigen Lage Europas, kein Land hat lebhafteres Interesse an einen: Ausgleich der Spannungen, als das in der Mitte des Kontinents gelegene Deutschland. Kein Land kann drin gender weitgehende Vereinigung aller Länder Europas wünschen. Nach vielen Jahren einer unter schweren Opfern durchgeführtcn Politik der Verständigung sicht sich Deutsch land auch heute noch in einer Lage, die seiner Regierung Anlaß zu ernsten Sorgen gibt. Deutschland ist von der allgemeinen Krise stärker betroffen worden als andere Länder. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, daß seine gesamte Wirtschaft durch die Reparationszahlungen aus das schwerste vorbelastet ist. Es war selbstverständliche Pflicht der deutschen Re gicrung, einen Schutz gegen Überschwemmung mit la n d wirtschaftlichen Erzeugnissen aus anderen Ländern zn errichten. Keine Regierung kann untätig zn sehen, wenn die Getrcidcpreise im Laufe von eineinhalb Jahren um 40 bis 50 Prozent sinken. Man mutz jetzt nack besseren Wirtschaftsformen suchen. Es ist auf die Dauer unerträglich, daß sich der einzelne Staat für sich allein in einer solchen Notlage nicht anders schützen kann als durch Zollmaßnahmen. Der Gedanke einer europäischen Zu sammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet ist zur rechten Zeit gekommen. Die deutsche Regierung ist zu einer solchen wirtschaftlichen Zusammenarbeit eingestellt. Sie ist bereit, alle dahinziclenden Vorschläge mit größter Sorgfalt zu prüfen und sich an allen Arbeiten zu beteiligen. * Oer italienische Vertreter, Senator Scialoja, betonte, in der Abrüstungsfrage stehe die italienische Regierung auf dem Boden der Erklärungen des englischen Außenministers Henderson. Die Ab rüstung stelle eine feierlich bindende Verpflichtung der Unterzeichner des Vertrages von Versailles dar, die durch den Völkerbundvertrag festgclcgt worden sei. Scialoja verlangte dann eine Reform des Völkerbund sekretariats, der Italien besondere Bedeutung beilege. SouderaursSutz sür de« TriM-Pl««. Außenminister Zaleski entwickelte in der Vollver sammlung den bekannten polnischen Standpunkt in der Abrüstungsfrage. Die Abrüstung müsse ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit behandelt werden, da beide unlösbar miteinander verbunden seien; der fran zösische Vorschlag gebe die Möglichkeit weitest gehender wirtschaftlicher Zusammenarbeit der Staaten. Der rumänische Außenminister Mironescu wies auf die Schwierigkeiten in der Abrüstungsfrage für die Staaten hin, die Nachbarländer von Nichtmitgliedstaatcn des Völkerbundes seien. Der finnländischc Außenminister Procope teilte mit, daß seine Regierung die Ratifizierung des Handels abkommens über die Herabsetzung der Zolltarife be schlossen habe. Der Präsident der Völkerbundversammlung verlas einen Entschlietzungsentwurf, wonach die paneuropäischen Pläne einem sofort cinzusctzcndcn Sonderausschuß über tragen werden sollen, der sich aus den Rcgieruugsvcr tretcrn sämtlicher 27 europäischen Mächte zusammensetft und der seine Arbeiten nach dem Abschluß der Völkerbundvcrsammlung aufnehmen wird. Der Entwurf geht auf einen gemeinsamen englisch-französischen Vor schlag zurück, der auch die Zustimmung der deutschen Ab ordnung gefunden hat. In der Mittwvchsitzung wird über den Entwurf verhandelt. Vie Lage nach cken Ashlen. Eine Rede des Reichsinnenministers. Reichsinnenminister Dr. Wirth sprach im Berliner Rundfunk über die politische Lage nach den Wahlen. Der Radikalismus habe eine Schlacht gewonnen, aber die Regierung behaupte das Schlachtfeld: Sie regiere, sie bleibe im Amte, sie fahre fort, die Probleme der Finan zen.'des Wirtschaftslebens weiter zu vertreten. Der Re gierung Brüning, hinter der heute 209 Abgeordnete stän den, fehlten 80 Stimmen an einer Mehrheit. Selbst bei vorläufiger Neutralität der Sozialdemokratie fehlten immer noch 17 Stimmen. Der Begriff der „Großen Koalition" könne nur noch in dem Sinne gefaßt werden: Komme der Reichstag zu einer arbeitsfähigen Mehrheit, die sich im Laufe der Dinge politisch auswirken könne? Dazu müsse zunächst ein sachliches, klares und, möglichst einfaches Programm die Möglichkeit einer Orientierung im Reichstage schaffen. Wir setzen, so betonte der Minister, den zum Aus druck kommenden radikalen Strömungen in unserem Voue ein klares, sachliches, wirtschafte- nnd ftnanzvolltümes Programm entgegen. Gegen einen Block der reinen Ne gation, gegen Nationalsozialisten, Kommunisten und gegen Hugenberg könnten vcrsanungoäuderudc Gesetze durch e n Ermächtigungsgesetz nicht verabschiedet werden. Dr. Wirth erörterte dann die Möglichkeit einer sogen Rechtsfront, für die er 244 Stimmende ausrechnete. — Sie könnte politisch nur wirksam werden, wenn Baprische Volkspartei und Zentrum mit 87 Stimmen dazutrüten. Das sei politisch aber nicht diskutierbar. Eine überlegene Staatsführung werde jedoch auch die radikalen Wogen zu meistern verstehen. Aber man müsse bedenken:^Wa> das deutsche Volk in einer 12 Jahre laugen barten Schule des Leidens, des Opferbringens, des Ertragens von, -a- sten geleistet habe, das lasse sich auf die Dauer von keinem Volke. ertragen. Wer draußen, in^ der Welt mast imo-