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Wilsdruffer Tageblatt 4 Blatt. Nr. 214 - Sonnabend,üen 13.Sept 1S30 Tagesspruch. Rufe nicht vergangne Tage, nicht verschwundne Zeit zurück, leb der Gegenwart und klage nimmer um entschwundenes Glück. Zeise. Technische Schönheit lind Knnst. Von Oberbaurat a. D. vr. b. o. Otto Stiehl, Professor an der Technischen Hochschule Charlottenburg. Das Verhältnis von Technik und Kunst, früher von aus gesprochener Gegensätzlichkeit, ist heute recht unsicher geworden. Viele, besonders technische Kreise, möchten am liebsten die Grenzen zwischen beiden verwischen, die Technik als gleichartig mit der Kunst, ihre Werke als Kunstwerke ansehen. Es lohnt sich Wohl, dieser Frage einmal nachzugehen. Wie ist man denn Wohl zu dieser neuen Bewertung der Technik gekommen? Ersichtlich haben beide Gebiete eins mit einander gemein: Sie schaffen beide Werke, die in ihrer äußeren Erscheinung mit dem Auge erfaßt und nach dem Eindruck auf dieses be wertet werden. Gemeinsam ist beiden ferner, daß abgesehen von wenigen Fachleuten die Beschauer von der Art des geisti gen Schaffens, dem technische und künstlerische Werke ihr Da- ein verdanken, so gut wie nichts wissen und verstehen. Das chadet dem Eindruck aber nichts, ist für seine Unbefangenheit und Frische vielmehr vorteilhaft. Aber in dieser Art des Schaffens, dazu in seiner Veranlassung und seinem Zweck liegen doch die tiefsten Unterschiede beider Gebiete. Technik arbeitet als kraftvolle, oft gewalttätige Helferin im Kampfe ums Dasein durchaus mit dem Verstand, mit berechenbaren Massen und Kräften, stets bedacht, ihren Zweck mit möglichst geringem Aufwand zu erreichen. Denn nur so kann sie den Wettbewerb mit anderen bestehen. Bewußtes Streben nach Schönheit liegt daher gar nicht in ihrem Sinne. So ist auch das, was an ihren Werken den Beschauer reizt, oft nicht als Schönheit zu bezeichnen, sondern nur als „Verblüf fung s w e r t", ein Wert, der allerdings in unserer gehetzten -Zeit abgestumpften Geistern oft als unkünstlerischer Notersatz für Schönheit dienen mag. So dürfen wir das Staunen über unerhörte Größen, fabelhafte Leistungskraft, ungewohnte For men an Eisenbauten, Maschinen, Schiffen nicht als künstlerische Erregungen werten. Aber neben ihnen treten doch unverkenn bar auch richtige Schönheitswerte auf. Zum Teil freilich unterscheiden sie sich, wie etwa das Glitzern polierten Metalles, der Glanz blutroten Feuers und Aehnliches, kaum von dem staunenden Entzücken, das schlichte Naturvölker vor gleißen den Glasperlen und bunten Tüchern befällt. Anderes beruht wieder nicht auf der Erscheinung der technischen Werke an sich, sondern auf den sich in ihnen abspielenden Vorgängen und ist daher nur vorübergehender, im einzelnen ganz zufälliger Art. So zum Beispiel das Wallen schwerer Dampfwolken, das Auf sprühen eines Funkenregens, der Feuerschein eines geöffneten ^Glühofens. So wenig wie man etwa den Eindruck einer farbenreich feierlichen Prozession, die durch eine Kirche zieht, in die Erscheinung der Kirche mit einbezieht, so wenig kann man auch solche vorübergehenden Schönheitswerte als Wir kung der technischen Werke ansehen. Sie stehen vielmehr in gleicher Linie mit manchen Naturschönheiten, wie sie etwa im Abendsonnenschein entzücken, der auch gleichgültige, ja aus gesprochen unschöne Bauten und Landschaften schmeichlerisch vergoldet. Bestechender ist der Hinweis darauf, daß sich an den techni schen Werken manchmal Linienführungen entwickeln, die am Luftschiff, am Ozeandampfer, am Kraftwagen das Auge durch schlanken feinen Fluß angenehm berühren. Aber ist denn das schon Kunst, bildende Kunst? Uns will es übermäßig beschei- oeu erscheinen, wenn man in solchen Linienschönheiten schon die Ansprüche erfüllt sehen will, die an Kunst zu stellen sind. Zunächst wurden diese Schönheiten ja gar nicht aus freiem Willen geschaffen, vielmehr aus rein nützlichen Versuchen zwingend abgeleitet, die darauf ausgingen, Formen festzustellen nicht nach ihrer Wirkung auf das Auge, sondern in Rücksicht auf günstigste Kraftübertragung, geringsten Widerstand bei der Fortbewegung in Luft und Wasser und nach ähnlichen Gesichts punkten. So sind sie gar nicht Ausdruck persönlichen Wesens und nicht durch den Geist ihrer Schöpfer mit der Stimmung der Zeit verflochten, sondern überzeitlich gültige Verstandes werte, darin mit mathematischen Sätzen vergleichbar. Damit fehlt ihnen die Möglichkeit, sich mit der Stimmung der Zeit zu verändern, wie das für die Formen der Kunst nötig ist, wenn sie als Ausdruck ihrer Zeit gelten sollen. Es fehlt ihnen ferner die Fähigkeit, sich mit anderen Formen verschmelzen, sich „abstimmcn" zu lassen, die für die Formung eines Kunst werkes unumgänglich ist. Ini Gegensatz zu diesem verbinden Tue Deine Pflicht! Nichtwählerund Splitterparteien. Die Nichtwahler und die Splitterparteien sind es, die das Wahlergebnis fälschen. Rund 40 000 000 Menschen besitzen das Wahlrecht. Davon haben Z0000 000 gewählt. Etwa 175 Abge ordnete werden nicht gewählt, wenn man allein die Nichtwähler in Betracht zieht. Die Splitterparteien haben 1928 über 800 OOO Stimmen auf sich vereinigt, mit denen kein einziges Mandat er- zielt.worden ist. Wer einen dieser Parteisplitter wählt, kann eben sogut zu Hause bleiben. Diese 80V 000 Stimmen entsprechen etwa 12 bis 14 Man daten. Daraus ergibt sich, daß in dem aufgelösten Reichs tag fast 190 Abgeordnete zu wenig gesessen haben. Die überwiegende Masse dieser nichtgewählten Abgeordneten würde zweifellos nicht zu Radikalen rechts oder links zu rechnen sein. Nimmt man an, baß für praktische Zwecke nur 120 Abge ordnete in der Kalkulation ernsthaft in Betracht kämen, dann könnte auch gegen diese 120 Mann nicht regiert werden. Jeder gehe am 14. September zur Wahl und trage so dazu bei, daß ein arbeitsfähiger und verantwortungsbewußter Reichs tag ersprießliche Arbeit am Volke leisten kann. sich die Einzelteile auch dieser Werke nicht mit Rücksicht aus schönheitliche Linienführung, sondern nach rechnerischen Ueber- legungen, wobei, wenn es hochkommt, die allerunangenehmsten Formen ausgeschieden werden. So kann man diese Schön heiten ebenfalls nicht als Kunstwerke ansehen, sie gleichen in ihrem Wesen viel mehr den ohne künstlerische Absicht entstehen den Schönheiten der Natur. Kunst aber will als eine höhere geistige Macht mehr als sie geben, mehr als etwa geschmack volle Erledigung von Augenblicksbedürfnissen. Sie arbeitet als Baukunst ausgehend von der Stimmung, von der leidenschaft licher Persönlichkeit des Künstlers darauf hin, aus den tat sächlichen Gegebenheiten — Zweck, Mittel, Umgebung vor allem — das herauszuarbeiten, was seinem künstlerischen Wollen, seiner gesteigerten Formanschauung entspricht, je nach dem als Ausdruck von Kraft, Stolz, Zierlichkeit, Behaglichkeit usw. durch die ganze Stufenleiter oer Stimmungen hindurch. Wer aus diesen von außen her gegebenen Bedingungen ein zelne, etwa den Zweck, einseitig betont, bringt sich selbst um den Reichtum der möglichen Ausdrucksformen und um die Fülle der Kunstmittel, die uns zu Gebote stehen, um die rohe Zweckform für das Auge in Schönheit zu wandeln. Der Hand werker mag sich mit der Erfüllung des Zweckes begnügen, Künstler ist nur, wer die Formen seiner Zeit selbstherrlich be herrscht und über sie frei verfügt nach dem jeweils gewollten Ausdruck. Daß der Technik und der technischen Schönheit diese freie Herrschaft über die Form, diese ihre eigenwillige Ver wendung nicht gegeben ist, das scheidet sie klar und scharf vom Gebiete der Kunst. In dieser Auffassung dürfen wir uns auch nicht durch die unbestreitbare Tatsache beirren lassen, daß technische Werke oft genug tüchtigen Malern und Zeichnern die Anregung zu sehr schönen künstlerischen Schöpfungen gegeben haben. Denn auch in diesen Fällen liegt die Kunst nicht in dem technischen Werk an sich, sondern in dem, was der Künstler als Ausdruck seiner Persönlichkeit hineingelegt hat. Das trat aufs klarste zu Tage, als vor einiger Zeit der Verein Berliner Künstler eine Sonderausstellung unter der Bezeichnung „Kunst und Technik" veranstaltet hatte. Da konnte man nebeneinander Darstellungen technischer Werke von sehr verschiedener Art sehen: Einige beschränkten sich auf die einfache nüchterne Wie dergabe des Gegenstandes in dem literarisch verbreiteten Wahn, daß die Befriedigung von Nützlichkeiten schon zur Schönheit führe. Andere, zum Teil Bilder derselben Gegenstände, be lebten und durchgeistigten ihren Vorwurf, stellten ihn in fesselnde Beleuchtung, gaben ihm in reizvoller Himmelsstim mung einen wirksamen Hintergrund, stergerten seine Farbig keit mit allen Feinheiten malerischen Sehens und schufen so aus den bei jenen anderen reizlos langweilig scheinenden Grundlagen vollsaftige, den Beschauer packende Kunstwerke. Beide Arten der Auffassung verhielten sich zu einander wie ein nüchterner Polizeibericht zu einer dichterisch verklärten Darstellung des gleichen Vorgangs. So löste diese Ausstellung die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Technik, der sie ihre Veranstaltung verdankte, in dem Srnne, daß die Kunst der Technik und ihren Werken genau so gegenübersteht wie der Natur und ihren Werken. Sie sind ihr Grundlagen, aus denen sich künstlerische Werte entwickeln lassen, ohne daß sic an sich schon künstlerischen Gehalt hätten. Freilich fordert solche Verklärung technischer Werke zur Kunst auch eine stärkere geistige Arbeit als ihre nüchterne Abkonterfeiung. Wie de: Landschafter eine Gegend erst in verschiedener ^Stimmung studiert, wie ein guter Bildnismaler sein Urbild erst geistig zii ergründen sucht, ehe er au die >wmung des Kunstwerks acht, sc mutz auch bas technische Wert vom Künstler in mannigfache: Beleuchtung gesehen, in den Möglichkeiten seiner Stimmung studiert werden, ehe es die persönlich reizvolle Fassung erfährtz die seine Darstellung zum Kunstwerk macht. Schließlich möchten wir meinen, daß auch von seiten der Technik keine Veranlassung vorliegt, die Grenzen zur Kunst hin zu verwischen. Ihr eigener Wert ist so groß, so allgemein verständlich und anerkannt, daß er gerade in seiner Eigenart die Grundlage der höchsten Bewunderung, des höchsten Stolzes bildet. polnische Huntlschau Deutsches Reich Klage gegen das Reich wegen des Maismonopols. Der Schutzverband der Getreidehändler in Hamburg yat an den Reichsminister für Ernährung und Landwirt schaft eine Aufforderung zur Bezahlung des einem dortigen Importeur entstandenen Schadens gerichtet, welcher durch die Einführung des Maismonopols erwachsen ist. Der Reichsminister hat die Anerkennung des Anspruches aus Entschädigung abgelehnt. Der Schutzverband der Ge- treidehäudler, dem die Forderung zediert worden ist, hat seinen Anwalt beauftragt, die Klage gegen das Reich in Berlin anhängig zu machen. Deutsch-türkischer Handelsvertrag. Im Auswärtigen Amt zu Berlin wurden zwischen dem Statssekretär von Bülow und dem türkischen Bot schafter Erzellenz Kemalettin Sami Pascha die Ratifika tionsurkunden zu dem zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik am 27. Mai 1930 in Angora ab geschlossenen Handelsvertrag ausgetauscht. Der Vertrag wird am 26. September 1930 in Kraft treten. Erhöhte Reichsbahnaufträgc an den Stahlwcrlsvcrband. Wie das Reichsverkehrsministerium mitteilt, ist durch die Hauptverwaltung der Deutschen Neichsbahngesellschaft das Reichsbahnzentralamt nunmehr beauftragt worden, dem Stahlwerksverbande mit September beginnend monatlich 50 000 Tonnen Oberbanstoffe lstatt bisher nur 20 000 Tonnen) zur Lieferung in Auftrag zu geben. Fürsorgebelastung der Gemeinden. Die anhaltende Erwerbslosigkeit macht die Gemein den in zunehmendem Maße zu Trägern der Fürsorge. Von den Wohlfahrtsämtern der Städte mit mehr als 25 000 Einwohnern (die zusammen 25 Millionen Ein wohner haben), wurden am 31. August insgesamt 445 000 Wohlfahrtserwerbslose betreut; davon 47 000 durch Zu weisung gemeindlicher Fürsorgearbeit. Gegenüber dem Juli (404 000) errechnet sich eine Steigerung um 9,9 Pro zent, während die Zahl der in Arbeitslosenversicherung und Krisenfürsorge Unterstützten im Reich in der gleichen Zeit nur um 2,4 Prozent anstieg. Der Kreis der Wohl fahrtserwerbslosen in den genannten Städten ist damit heute bereits größer als der der geführten Krisenfürsorgc im Reich. Außer den Wohlfahrtserwerbslosen hatten die Städte mit mehr als 25 000 Einwohnern 49 000 Emp fänger von Arbeitslosenversicherung und Krisenunter stützung laufend zusätzlich zu unterstützen. Deutsch-österreichische wirtschaftliche Annäherung. Der demnächst zusammentretende Österreichisch« Nationalrat soll als eine der ersten zu behandelnden Vor lagen den im Frühjahr zwischen Österreich und Deutsch land abgeschlossenen Handelsvertrag ratifizieren. In österreichischen Wirtschaftskreisen vertritt man die An sicht, daß darüber hinaus versucht werden sollte, zu einem engen wirtschaftlichen Verhältnis mit Deutschland zu ge langen. Es wird auf die Beratungen verwiesen, die über den Ausbau der österreichisch-ungarischen Wirtschafts beziehungen stattfauden, nnd der Meinung Ausdruck ge geben, daß in naher Zeit solche Besprechungen auch hin sichtlich der österreichisch-deutschen Verhältnisse anberaumk werden dürften. Aus In- und Ausland Berlin. Vom Amte suspendiert wurden die beiden Studienräte an der Siemens-Oberrealschule Charlottenburg Dr. Schmidt und Zander, die Mitglieder der National sozialistischen Partei sind. Berlin. Reichspräsident von Hindenburg ist nach Abschluß seines Ferienaufenthaltes in Dietramszell, von München kommend, aus dem Anhalter Bahnhof eingetroffen. Berlin. Die italienische Telegraphenverwaltung will den Siemenswerken größere Aufträge auf Lieferun- gen für Fernsprecheranlagen erteilen. Perleberg. Hier kam es zu blutigen Wahlzusam menstößen zwischen Kommunisten, Nationalsozialisten und Reichsbanncrleuten. 40 Personen wurden verletzt. Bild links: Fernzielschiff „Zähringen" in Brand geschossen. Auf dem Zielschiff „Zähringen", einem früheren Linienschiff, das drahtlos ferngelenkt — bei den Schießübungen der Reichsmarme als Ziel dient, ist am 10. September nach einem Treffer im Achterdeck ein Brand ausgebrochen. Die „Zähringen" steuerte so ¬ fort den Kieler Hafen an, wo der Brand mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft wird. Die Löscharbeiten sind außer ordentlich schwierig, da die im Schiftsinnern befindlichen riesigen Korkmassen brennen, die auch bei einem Volltreffer in die Was serlinie die „Zähringen" schwimmfähig halten sollen. — Bild rechts: Attentat ans den San-Francisco-Expretz — 11 Tote. Der zwichen St. Louis und San Francisco verkehrende Luxus-Expreß zug wurde durch auf die Schienen gelegte Steinblöcke in voller Fährt zur Entgleisung gebracht. 11 Tote und 30 Verletzte waren die Opfer dieses schändlichen Bubenstückes.