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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Rr. 218 — Donnerstag, den 18. Sept. 1V80 TageSspruch. Das Du war stets im Altertum verbreitet. Das fremde Sie stammt aus der Christenwelt, Das erstre bindet, Freundschaft wird erweitert, Das letztre fern die Menschenherzen hält. G. Zieschang. Vom Kirchenstaat zur Stadt des Vatikans. 60 Jahre nachher. Ein Zeichen dafür, daß im Regierungslager all mählich einer größeren Annäherung an den Vatikan das Wort geredet wird, ist der Entschluß Mussolinis, bei der nächsten Tagung des Ministerrates am 14. Oktober einen Gesetzentwurf einzubringen, wonach der Jahrestag der Einnahme Roms durch die Piemontesen (20. Septem ber 1870) künftig als Staatsfeiertag abgeschafft und da gegen der 11. Februar, der Jahrestag der Unterzeichnung der Lateranverträge, als neuer staatlicher Feiertag eim geführt wird. * Als die Schlacht bei Sedan geschlagen und der Thron Napoleons gestürzt war, hielt auch Italien seine Stund« für gekommen. In einem Rundschreiben vom 7. Sep tember 1870 zeigte die italienische Regierung den aus wärtigen Mächten ihren Entschluß an, Rom zu besetzen und mit ihnen die Bedingungen für die Unabhängigkeit des Papstes zu erörtern. Papst Pius IX. lehnte jedoch jede Unterhandlung ab und zog alle seine Truppen in Rom zusammen. Am 2 0. September standen die Italiener unter General Cadorna vor der „ewigen" Stadt. Da der Befehlshaber der Päpstlichen, General Kanzler, die Über gabe verweigerte, schossen die Italiener an der Porta Pia eine Bresche in die Stadtmauer, worauf die Päpstlicher einem schon vorher erhaltenen Befehle gemäß jeder weiteren Widerstand aufgaben und entwaffnet wurden. Der Papst protestierte gegen diese Beraubung und schleu derte gegen alle Teilnehmer, „in welcher Würde sie auch glänzen 'mögen", den großen Bann. Der Kirchenstaat hatte aufgehört zu bestehen, und die italienischen Kammern nahmen ein paar Monate später das Garanliegesetz, das die künftige Stellung des Papstes regelte, an. Er sollte eine jährliche Rente von 3,25 Millionen Lire erhalten und als Wohnsitz den Vati kan und den Lateran samt den dazugehörigen Gärten. Die beim Vatikan beglaubigten Gesandten sollten dieselben Vorrechte genießen wie die Gesandten am italienischen Hofe. Der Papst beharrte jedoch in seinem Widerstande gegen die „subalpine Regierung" und verbot den Katho liken in Italien jede aktive oder passive Beteiligung an Wahlen. Man weiß, wie sich die geistliche Weltherr schaft der Päpste dann entwickelt hat, und daß der je weilige „Gefangene im Vatikan" eine Macht war, mit der die ganze Welt rechnen mußte. Fast sechs Jahrzehnte lang dauerte der „mit den Waffen des Geistes" geführte Kampf zwischen Vatikan und Quirinal, bis ihm Mussolini durch einen Friedensschluß, der noch in aller Erinnerung ist und bei dem es angeblich „keinen Sieger und keinen Besiegten" gab, ein Ende machte. Aus dem einst so mäch tigen Kirchenstaat ist die kleine Stadt des Vatikans ge worden, aber so klein sie auch sein mag, ihre Macht ist auch heute noch groß. Giaaisminister a. D. von Löbell 75 Jahre alt. Am 17. September beging Staatsminister a. D. von Löbell, der jetzt als Domherr im Domstift zu Branden burg (Havel) seinen Wohnsitz hat, seinen 75. Geburtstag. Herr von Löbell, ^er 1855 in Lehnin geboren wurde, war unter Fürst BülKo Unterstaatssekretär der Reichskanzlei und nach dem Rücktritt Bülows Oberpräsident der Pro vinz Brandenburg. 1910 nahm er seinen Abschied. Von 1914 bis 1917 war von Löbell preußischer Innen minister. Im Jahre 1920 übernahm von Löbell das Präsidium des Reichsbürgerrates und war dann bei der Wahl des Reichspräsidenten vonHindenburg Vorsitzender des Reichsausschusses. Wie die Krauen wählten. Die getrennte Zählung. Die Trennung der Geschlechter bei der Abstimmung in Wiesbaden hat sehr interessante Einblicke gestattet. Nur bei den Sozialdemokraten und den Nationalsozialisten halten die Frauenstimmen den Männerstimmen die Waage, sonst aber überwiegen die Frauenstimmen sehr stark. So haben für das Zentrum mehr als doppelt soviel Frauen ihre Stimme abgegeben als Männer. Für die Staatspartei wurden 400 Frauenstimmen mehr und für die Deutsche Volkspartei 2000 Frauenstimmen mehr ge zählt. Am interessantesten sind die Feststellungen bei der Piste des Christlichsozialen Volksdienstes, für die nur knapp 500 Männer, dagegen aber 1500 Frauen eingetreten sind. InKöln wühlten Sozialdemokraten 41 599 Männer, 35 687 Frauen; Deutschnationale 3142 Männer, 3472 Frauen; Zentrum 36170 Männer, 63 266 Frauen; Kom munisten 41 436 Männer, 26 348 Frauen,' Deutsche Volks partei 12 348 Männer, 14 422 Frauen; Deutsche Staats partei 9057 Männer, 8530 Frauen; Wirtschaftspartei 11177 Männer, 10 636 Frauen; Nationalsozialisten 39 522 Männer, 30 648 Frauen. Also auch hier beim Zentrum doppelt soviel Frauen als Männerstimmen. Das 11. Deutsche Sängerbundessess in Zranksurt a. B. Vorbereitungen und Pläne. In Kassel tagte der neue Musikausschuß des Deut schen Sängerbundes, um über die Grundlagen des für 1932 geplanten 11. Deutschen Sängerbundes- festes in Frankfurt am Main zu beraten. Man einigte sich darauf, daß drei oder vier Hauptaufführungen in das Programm eingesetzt werden. Diese Hauptauf führungen bringen je sechs Gesamtmassenchöre. Da 1932 das Goethe-Jahr ist, will man in der Hauptaufführung zwei Chöre mit Goethe-Terten bringen. Gedacht wird ferner an eine große Kundgebung im Frankfurter Stadion, die von vier Chören umrahmt sein soll. Einer dieser Chöre wird Goethes „Bundeslied", das Zelter komponiert hat, sein. Dann folgen Schuberts „Sanctus", Hugo Kauns „Heimatgebet" und das Deutschlandlied. Von anderen geplanten Veranstaltungen ist die Aufführung der neunten Sinfonie von Beethoven mit einem aus 4000 bis 5000 Sängern und Sängerinnen bestehenden Festchor zu nennen. Zum Andenken an den 200. Geburts tag Joseph Haydns dürfte vielleicht auch Haydns „Schöpfung" zur Aufführung gelangen. Lohnkürzung bei Arbeitszeiikürzune zuiässig. Ein Spruch des Landesarbeitsgerichts Berlin. Die Achte Kammer des Landesarbeitsgerichts hatte sich mit der Berufungsklaae der Brennaborweike in Reichspräsident von Hindenburg passierte auf dem Wege ins Manövergelände das fränkische Städtchen Königshofen, wo er von der gesamten Be völkerung jubelnd begrüßt wurde und einen Ehren- trunk entgegennahm. Brandenburg gegen den Gewerkschaftsbund der An gestellten zu beschäftigen. Das Arbeitsgericht in Branden burg hatte zugunsten des G. D. A entschieden, daß bei der Einführung von Kurzarbeit eine Kürzung des Ge halts während des Bestehens des Tarifvertrages unzu lässig sei. Demgegenüber erklärte das Landesarbeitsgericht Berlin in seinem Urteil, daß es sich dem Standpunkt des Arbeitsgerichts Brandenburg nicht anschließen könne und daß die Klage des G. D. A. abgewiesen werden müsse. Eine Revision gegen das Urteil wird zugelassen. Das Landesarbeitsgericht ist der Ansicht, daß die Kurzarbeits klausel keineswegs im Widerspruch zum allgemeinen Tarifvertrag stehe. Es sei daher als rechtswirksam zu betrachten, wenn die Brennaborwerke bei Arbeitszeit kürzung eine Gehaltskürzung vorgenommen hätten. Das Landesarbeitsgericht habe keinen Anhalt dafür, warum Angestellte anders behandelt werden sollten als Arbeiter. Der verworrene Anhrse-Kund. Wem gehört der Kops? Wie „Allehanda" aus Tromsö erfährt, hat die letzte Untersuchung der auf der „Jsbjörn" hcimgcfübrten Ge beine ergeben, daß es sich weder um Andrees Kopf noch um Fränkels Skelett handele. Das Skelett soll von einem Mann herrühren, der weit älter als Fränkel war, der Kopf umgekehrt von einem Mann, der viel jünger als Andröe war. Eine amtliche Bestätigung dieser Meldung liegt noch nicht vor und es ist nicht bekannt, von wem die Knochenüberreste eigentlich herrühren. Auf jeden Fall wurde Andröes Sarg am Mittwoch vormittag aus der Domkirche nach dem Küstenhospital zurückgebracht und dort wieder geöffnet. Über die Auf zeichnungen wird bekannt, daß nur Andree Tagebuch ge führt hat; Strindderg zeichnete die Positionen aus und Fränkel die Wetterbeobachtungen. Strindbergs angeb liches Tagebuch war ein Kalender mit Randbemerkungen. Groß angelegte FahrkarlenfälsHungen. Zwei Ingenieure verhaftet. Nachdem die Überwachungsabteilung der Reichsbahn- oirektion Berlin vor einiger Zett einen Inge nieur in Hamburg überführen konnte, für eine Be kannte aus Ostpreußen eine Fahrkarte von Berlin nach Königsberg in Preußen gefälscht zu Haden, ist es der Überwachungsabteilung nach längerer Beobachtung jetzt gelungen, eincnJngenieurinBerlin auf frischer Lat dingfest zu machen, als er mit gefälschten Fahrkarten eine Reise nach Westdeutschland angetreten hatte. Eine Haussuchung förderte umfangreiches Belastungsmaterial zutage, das nicht nur aus groß angelegte Fahrkarten- l'älschungen, sondern auch auf Urkundenfälschungen anderer Art hindeutete. Der Täter und einer seiner Helfer wurden )em Untersuchungsrichter vorgeführt. Gleichzeitig konnte ruf dem Bahnhof Schmargendorf ein junger Mann »ingfest gemacht werden, der fortgesetzt mit eigens für oiesen Zweck vorbereiteten Metallstückchen einem Auto maten Fahrkarten entnommen hatte. Die Bombenwerkstaii. Wie Wiborgs Aussage zustande kam. Im Bombenlegerprozeß wurde die Zeugenvernehmung über die Mülheimer Angelegenheit zum Abschluß gebracht, ohne daß sich etwas wesentlich Neues ergab. In bezug auf das Atelier, in dem Kapphengst und Schmidt die Bomben hergestellt haben, sagten der Hausbesitzer Schlosser meister Zilian- Hamburg und der Maler Brandi aus, daß sie von der Herstellung der Bomben in den Räumen nichts gemerkt hätten. Es wurde nun noch kurz festgestellt, wie die Aussagen Wiborgs zustande gekommen sind. Der An geklagte Rehling fragte den Landgerichtsdirektor Dr. Masur, ob die Aussagen nicht etwa so zustande gekommen seien, daß man ihm gesagt habe, wenn er, Wiborg, bei der Aussage bleibe, daß Rehling sich an dem Einbruch beteiligt habe, dann stehe seiner Freilassung nichts im Wege. Dessen konnte sich Dr. Masur jedoch nicht entsinnen. Landgerichtsdirektor Dr. Müller- Altona, der in einem Haftprüsungstermin wegen der Ent lassung Rehlings Wiborg als Zeugen vernommen hat, gab an, daß Wiborg etwa die Aussage gemacht habe, wenn er unter Eid vernommen würde, könne er Rehling nicht belasten. Infolge her Erkrankung Dr. Lütgebrunes wird erst Wieder am Freitag verhandelt. Die Verhandlung beginnt mit der Vernehmung des Polizeipräsidenten Eggerstedt und des Sachverständigen Dr. Hey ck. Frau von O rtz e n, Als Licht in meine Augen kam Roman von Marie Blank-Eismann. 46. Fortsetzung Nachdruck verboten Doch alles blieb still! Nichts rührte sich! Niemand kam, ihr zu öffnen! Aber sie hatte doch Licht in der Wohnung gesehen. Wieder drückten ihre Finger auf den Knopf der Glocke, und abermals erklang ein langes, ungestümes Läuten durch den Flur. Bange, angstvolle Sekunden folgten. Renates Erregung wuchs. Das Warten auf dem Trep penflur wurde zur Qual. Ihre Füße standen wie auf glühen den Kohlen. Unten ging eine Tür, Stimmen waren zu hören. Sollten fremde Augen sie hier vor der Türe stehen sehen? Sie war doch keine Bettlerin« Sie hatte doch das Recht, Einlaß zu begehren, ein Recht, eine Antwort zu fordern. Befehlerisch, ungeduldig schrillte die Glocke das dritte Mal durch den Korridor. Endlich kamen Schritte näher. Die Tür öffnete sich. Glaus Prüsmann stand im eleganten, weinroten Haus- roa Renate gegenüber. Sein Gesicht war gerötet, seine Augenbrauen finster zusammengezogen. Deutlich prägte sich der Aerger über die unerwartete Störung in seinen Zügen aus. „Renate, du?" „Ja, ich!" „Was willst du hier?" „Dich sehen und sprechen!" „Um diese Stunde?" „Gibt es zwischen uns noch gesellschaftliche Formen? Muß ich vielleicht erst die übliche Besuchsstunde wählen? Wenn du nicht Zeit findest, zu mir zu kommen, dann zwingst du mich, diesen außergewöhnlichen Weg zu nehmen." Die Stimmen im Treppenhaus kamen näher. Angstvoll drängte Renate nach der Türe. „Willst du mich nicht wenigstens eintreten lassen oder soll ich vor der Türe abgefertigt werden?" Scheu blickte sich Claus um. „Ich kann dich nicht eintreten lassen, ich habe Besuch, du würdest dich kompromittieren!" Renate hatte seinen ängstlichen Blick gesehen und in diesem Augenblick erkannte sie in dem hell erleuchteten Flur die elegante graue Tuchjacke mit dem breiten Pelzbesatz aus Maulwurfsfell, die ihr auf dem Rennplatz ausgefallen war. Im Zwischenstock fiel eine Tür ins Schloß. Die Stim men verstummten. Renates Gesicht war leichenblaß geworden, nur ihre gro ßen Augen glühten. „Damenbesuch also," sagte sie mit schneidender Stimme. „Deshalb fandest du keine Zeit, mir nach Hohenthal zu schrei ben, noch nach meiner Rückkehr mir einen Besuch zu machen oder auf meinen Brief zu antworten. So haben mich meine Augen und die Gerüchte, die man mir heute auf dem Rennplatz zugetragen hat, nicht belogen." „Welche Gerüchte?" „Daß du eine neue Geliebte hast? Leugne es, wenn du es noch kannst." „Warum soll ich es noch leugnen? Warum mich besser machen als ich bin? Einmal mußt du ja doch die Wahrheit erfahren." Renate taumelte zurück. „Also nur zu deiner Geliebten wolltest du mich machen? Und hast vielleicht nie daran gedacht, mich auch vor aller Welt anzuerkennen und in Ehren als, dein Weib heimzu führen?" „Doch, ich habe eine Zeitlang geglaubt, daß das vielleicht das Glück für mich bedeutete, eine Frau wie dich heimzu führen, aber ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß Künstler wie ich ehelos bleiben müssen, nur dann können sie Großes schaffen." Renates Gesicht verzerrte sich. Ein gereiztes Lachen sprang von ihren Lippen. „Also beiseite geschoben," rief sie erregt, „und die Nach folgerin ist auch schon da. O, du Komödiant du!" Renate ballte die Fäuste, aber sie ließ diese rasch wieder niedersinken, denn im Flur tauchte das Gesicht der Gisa AHIström auf, die sich Uber Klaus Prüsmanns Fernbleiben wunderte. Da lief Renate wie gejagt die Treppen hinunter. Nur das Lachen einer Frauenstimme gellte in ihren Ohren. Verlacht, vielleicht zum Spott geworden! Und in den heiligsten Gefühlen verletzt! O, daß sie diesen Tag doch nie erlebt hätte! Vergalt ihr das Schicksal jetzt, was sie einst an ihrem Gatten Jobst von Bochau verschuldet hatte? Sahen so die großen, erwarteten Wunder aus? Waren ihre Augen geblendet gewesen, daß sie nicht er kannt hatten, wie hohl und leer all der Flittertand war? Wie im Rausch hatte sie die letzten Monate dahingelebt! Und nun? Ernüchtert!!! Erschöpft blieb Renate unter dem Torbogen stehen, als die Haustüre hinter ihr ins Schloß fiel. Sie fröstelte. Es war ihr, als schlüge man die schwere, eiserne Tür einer Gruft zu, und Grabeskälte wehe sie an. Kam sie nicht vom Begräbnis ihrer Liebe? Und das Leben ging trotzdem weiter? Das große Uhrwerk stand nicht still? Renate lehnte sich einen Augenblick wie Halt suchend an den Torpfeiler. Ihre Füße wollten ihr den Dienst versagen. Mit leeren Augen starrte sie auf die Vorübergehenden. Plötzlich zuckte sie zusammen. Eine bekannte Stimme schlug an ihr Ohr. „Renate, du hier? Um diese Stunde vor Prüsmanns Jetzt gab es kein Ausweichen mehr. (Fortsetzung folgt.)