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Wilsdruffer Tageblatt 3. Blatt Nr 208 — Sonnabend, den 6. Sept 1930 Tagesspruch. Sei still im Wandel, jage nicht Nach Reichtum, Ehr und Macht; Wer still sein Brot im Frieden bricht, Den hat Gott wohl bedacht. Sturm. scheu den Sitzen, froh, um so eher nach der „Iugendburg" zu ge langen. Der Weg biegt in bas idyllische Polenztal ein, dann auf neuer Autostraße in Serpentinen empor nach Hohnstein. Da liegt, kühn auf vorspringendem Felsen, die alte Burg Hohnstein, jetzt die größte und besuchteste Jugendherberge des Sachsenlandes. Dankend steigen die kleinen Gäste aus, sie sind am Ziel. Wir aber fahren weiter und gelangen bald genug nach Bad Schandau, wo wir Rast halten. Herrlich ragen die Berge ins Blaue des Himmels, maje stätisch erhebt sich der Lilienstein vor uns. Um diesen imposanten Bergriesen herum führt der weitere Weg. Die Zügenrücken- Straße! Unter uns tiefdunkle Wälder, rechts die Wände des ' Brand, links die Aussicht auf den Königstein und seine sandstei nernen Brüder, so geht es über Ratewalde und biegt nach dem Elbtal vor bis zur Bastei. Wie freuen wir Dresdner uns, wenn alle die weitgereisten Fremden in Rufe Hellen Entzückens ausbrechen im Angesicht der Aussicht, die auch den Einheimischen immer wieder überrascht. Weit, weit schweift der Blick über die grotesken Formen der Sandsteinkegel, über bewaldete Bergzüge bis hinauf nach den Höhen des Erzgebirges. Wenn sich der Abend herniedersenkt, sind wir wieder im lie ben Dresden angelangt. Unser Herz ist voll Sonne und Freude, jeder Mitreisende ist befriedigt, hat er doch ohne Strapazen die Schönheit unsrer Bergwelt im Fluge durcheilt. Regina Berthold. Dresdner Brief. Trara! Die Post ist da! D resden,3. September. Jede Zeit bringt andre Bil der, andre Erscheinungen. Noch kaum sechzig Jahre ist es her, da standen auf dem Wiener Platz vor dem gemütlichen „Böhmischen Bahnhof", der den Dresdnern nichtsdestoweniger großartig ge nug erschien, die klapprigen, von einem Pferdchen gezogenen Droschken, der Fremden harrend, die nach dem Hotel fahren woll ten. Und nicht gar weit davon der Stellwagen. Dieses Gefährt, für Personen und Güter gleichzeitig dienend, fuhr zu Zeiten nach dem Gebirge hinauf, über die goldene Höhe nach Kaitz, Nöthnitz, Dippoldiswalde und dann im Tal aufwärts bis nach dem welt fernen, abgelegenen Geising-Altenberg, Wer sich diesem Gefährt anvertraute, ach, der mußte wohl gar bei der ersten starken Steigung aussteigen, um dem Pferdchen das Ziehen zu erleichtern und kam gehörig durchgerüttelt nach Stun den da oben im Gebirge an. Wohl blies der Schwager unterwegs manches Stücklein und auch in den Straßen der Stadt erklang beim Einfahren der Post lustiges Trara! Aber die gute alte Zeit war in dieser Beziehung nicht gerade schön, und man mag gut und gern auf das altmodische Gefährt verzichten. Und doch! Die Erde ist rund, so kommen Merkmale einer Zeitepvche nach Jahrzehnten wieder auf einen ähnlichen Stand punkt zurück. Nachdem die Pferdebahn der elektrischen Straßen bahn gewichen, nachdem das Auto seinen Siegeszug durch die mo derne Welt angetreten hat und alle Entfernungen geschwunden sind, tritt der Postwagen wieder in den Vordergrund des Verkehrs und das lustige „Trara!" des Postillons hat sich in einen zwei- tönigen Hupenrus verwandelt. Auf dem Wiener Platz vor dem imposanten Bau des Haupt bahnhofs stehen wieder gelbe Postwagen aufgereiht. Große, gold gelbe Opelwagen sind es, bei allem Umfang beweglich und be quem. Einige dienen dem regelmäßigen Verkehr, andre der Ver gnügungsreise. Und auch nach dem jetzt so leicht erreichbaren Erz gebirge, das durchaus nicht mehr weitab von Zivilisation und Weltverkehr liegt, geht täglich die Fahrt. Beileibe braucht nie mand auszusteigen, wenn die ersten Höhen etwas steil erklommen werden sollen. Auf bequemen Polstern, von Glasscheiben geschützt und bei Regenwetter überplant, sitzt der Reisende gemütlich wie in Abrahams Schoß und läßt die herrlichen Gegenden des Sachsenlandes an seinem Auge vorübergleiten. Ein aufmerksamer Fahrer der mit erstaunlicher Gewandheit an Hindernissen des Weges' vorübersteuert, ein kluger Führer und Erklärer, der den Fremden auf Historisches und Bemerkenswertes aufmerksam macht und imstande ist, jede Frage in deutscher, französischer ober englischer Sprache zu beantworten, stempeln solche Fahrten zum GeEst. Es sind Rundfahrten, welche die Reichspost außer den täg lichen Verkehrsfahrten veranstaltet. Sie führen durch alle Gegen den des Sachsenlandes und erfreuen sich großer Beliebtheit. Da ging es an herrlichem Sommertag auch nach der Sächsischen Schweiz. Viele Fremde hatten sich zusamengefunden, aber auch Einheimische verwendeten den freien Tag zu solcher Spazierfahrt. Es ging über Weißer Hirsch, Bühlau nach Stolpen. Wie abseits hat früher dieses Städtchen gelegen, von Dresden aus nur zu Fuß erreichbar. Denselben Weg, den wir einst gewandert, auf herrlicher Waldstraße, rollt jetzt der Autobus dahin. Entzückt nimmt das Auge die Schönheiten der Landschaft auf. Da taucht auf dem Hügel die alte Burg empor, umgeben von dem Gewirr enger, altertümlicher Straßen. Wir entsteigen dem Wagen und besichtigen die Stätte, wo das Schicksal der schönen, übermütigen Gräfin Cosel einst ein trauriges Ende gefunden. Wir schauen hin ab in den tiefen Brunnen, der jahrzehntelange Arbeit in den har ten Basalt getrieben. Wir steigen in dunkles Burgverlies, der Stätte grausamer MenschenquAerei einer finsteren Zei und freuen uns der klaren Anschauung unserer Tage. — Dann geht es wieder weiter im Sonnenglanz des Spätsommertages. Auf dem Weg nach dem Städtchen Hohnstein wandert eine Schulklasse, Mädels und Hungs in Begleitung ihres Lehrers. Wohin sie gehen? Ihr Ziel ist dasselbe wie das unsere, und der freundliche Führer lädt die Gesellschaft ein, das schlimmste Stück des Weges in unserem Wagen zurückzulegen. Ein jubelndes „Oh" aus Kindermund ant wortet, die kleinen Leute steigen auf und stehen bescheiden zwi- Ueber die Stellung der Frau in Indien. Von MatTySen. „Die Frau", sagt Professor Abdullah in der moslemi schen Revue, „so habe ich es von Jugend auf gelernt, ist die liebste Freundin, die Ergänzung des Mannes, so empfänglich für alle gesunden und heilsamen Einflüsse, eine Quelle der Liebe und des Zartsinns. Ihr wird die erste Führung und Belehrung der jungen Generation anvertraut. Es war eine Frau, zu deren Füßen ich zuerst den Namen des Schöpfers ternte, auf ihrem Schoß stammelte ich die erste grundlegende Formel: „La elaha-il Allah, Muhammad-der-RasuI-el Allah." Als im vorigen Jahre der Frauenkongreß in Berlin tagte, erzählten die indischen Frauen in den langen, weiten, farbigen Gewändern mit großer und weiter Gebärde begeistert von ihrer Heimat, zündend, aufmunternd, fortreißend. Da stand alles unter dem Eindruck oieser Frauen, und die Tage werden Wohl allen Hörerinnen unvergeßlich bleiben. Die indische Frau, früher ohne Einfluß auf irgendwelche Angelegenheiten, ist heute eine andere geworden. Damals war sie im Hause ihres Gatten nur ein Teil seines Eigen tums, das nach seinem Tode als zur Erbschaft gehörend an den ältesten Sohn überging. Wenn kein männlicher Erbe da war, kam sie zu dem Bruder oder nächsten Verwandten des Verstorbenen, fügte sich in dessen Hausstand ein und wurde oft die Beifrau des Verwandten. Von den Kindern sah man die Mädchen als minderwertig an, manchmal wur den sie lebendig begraben. Jetzt gibt es fast überall Unterrichtsanstalten nach eng lischem Muster. Es herrscht Schulzwang, der Lehrgang dauert in den einfachen Schulen drei und fünf Jahre; acht und zehn Jahre in den höheren Schulen, die Anschluß an die Uni versität bieten. In Bombay wurde von Professor Carwe, dessen Tochter einige Semester in Berlin studierte, die erste und vis jetzt einzige Frauenuniversität gegründet. Auch auf den an deren Universitäten können Frauen studieren. Nach dem Bestehen eines höheren Examens erhält man einen „Grad" und erwirbt damit zugleich verschiedene Rechte, die den Besitz betreffen. Da es keine unverehelichte Frau in Indien gibt — alle Mädchen heiraten — so dürften Schulen, die für Knaben und Mädchen die gleichen sind, doch wohl nicht ganz das Rich tige sein, weil sie in keiner Weise auf die Ehe vorbereiten. Die Mädchen erhalten daher keine hauswirtschaftliche Aus bildung und verstehen den Hausbetrieb nicht, wenn sie in jungen Jahren heiraten. In den Schulen wird bis jetzt wenig Gymnastik getrieben. Als Sport kommen Tennis und Badminton, ein dem Tennis ähnliches Spiel, in Frage. Es gibt einen Knaben- und Pfad finderbund, „Boys-scout", der auf gegenseitiges Helfen ge gründet ist. Bem entivricbt bei den Mädcben ..Girl-auide". Die Sicgesplakettc für die Fraucnolyinpiade, die vom 6. bis 8. September unter Beteiligung der besten -Sportlerinnen in Prag veranstaltet wird. Auch Deutsch land ist auf der Olympiade vertreten. Das Mindestalter für die Heirat ist fetzt auf vierzehn Jahre hinaufgesetzt worden. Da die Ehe die normale Lebens form jedes Menschen bildet, wird sie in den Gegenden, wo der Islam verbreitet ist, als Pflicht proklamiert. Die Mäd chen werden früh verehelicht, können aber, wenn sie erst nach Erreichung der Mündigkeit heiraten, den Gatten selbst wählen, denn es verstößt gegen das Gesetz, erwachsene Mäd chen zur Ehe zu zwingen. Haben Vater oder Großvater eine Heirat beschlossen, und wartet das Mädchen mit der Ehe bis zum Erwachsensein, so kann es dann den Vertrag ungültig machen. Wenn der Vater ein Taugenichts ist, gilt die Ver einbarung ebenfalls nicht. Man gestattet der erwachsenen Frau, den Ehemann selbst zu bestimmen; aber es ist doch stillschweigendes Gesetz, die Wahl den Eltern zu überlassen. Von ihnen oder dem Vor mund, der sich lange vorher umgesehen hat, wird eine Ehe vorgeschlagen und befürwortet. Dann gehen Monate vor über, in denen die Familien auskundschaften, Für und Wider erwägen, die Astrologie zu Rate ziehen und sorgfältig prüfen, ob die Charaktere der Beiden zueinander passen. Dann be stimmt man den Brautschatz, die Kauflumme für die Braut, das eingebrachte Gut, das ihr allerlei Unabhängigkeit dem Manne gegenüber gibt. Erhält sie später ein Erbe von El tern oder Verwandten, so bekommt sie nach Abzug der Schul den, Beerdigungskosten, des Witwenteils und der Vermächt nisse weniger als die männlichen Mitglieder, weil diese mehr Geld verdienen und der Besitz durck sie vermebrt wird. Das Wahlrecht ist für Mann und Frau dasselbe; aber wählen darf nur, wer Besitz hat; und Frau und Tochter haben nur Besitz, erben nur, wenn ihnen Vater oder Mann oder Verwandte das Erbe ausdrücklich zuschreiben, womit noch keinerlei Verfügungsrecht oder Weitervererbung verbunden ist. Da wenig Frauen in dieser glücklichen Lage sind, und wenig Frauen den vorhin erwähnten „Grad" erreichen, können nur vereinzelte wählen und gewählt werden. Man heiratet eine Frau, wenn man glaubt, nur einer gerecht werden zu können. Man heiratet mehrere Frauen, wenn man es sich zutraut, zu allen gleichmäßig und unpar teiisch zu sein. Viele heiraten eine Witwe und nehmen Frau und Kinder in ihren Hausstand auf, um eine gute Tat zu tun. Wenn Ehegatten auseinander gehen wollen, suchen sie, um Uebereilungen zu vermeiden, einen Richter auf und er fragen seinen Schiedsspruch. Scheidung ist möglich, wird aber, wenn sie ohne triftigen Grund erfolgte, vom Gesetz ver urteilt. Die Scheidungsgründe, sind unbeschränkt, doch gibt es Regeln und Bedingungen, an die man sich halten muß, bevor die Scheidung ausgesprochen werden kann. Früher war es dem Mann gestattet, nach seinem Belieben Ehen zu schließen und scheiden zu lasten, die Frau zu verstoßen und wieder zurück zu nehmen. Jetzt ist nur eine zweimalige Scheidung erlaubt, bei der jedesmal die Mitgift zurückgezahlt werden muß. Auch die Fran kann die Scheidung beantragen, aber sie muß — und das ist das Wesentliche — auf ihre ganze Mitgift oder den größten Teil davon verzickten. Wollen Mann und Frau sich, nachdem sie geschieden find, wieder mit einander verheiraten, müssen sie solange warten, bis die Frau anderweitig verheiratet und wieder geschieden ist. Die Ehe wird nicht idealisiert. Sie ist ein Vertrag, der gelöst werden kann. Aber es soll nicht leichtfertig geschehen. Der Islam sagt: „Niemand soll seine Frau hasten, und wenn er mit einer ihrer Eigenschaften unzufrieden ist, dann möge er sich an einer ihrer anderen guten Eigenschaften freuen." Viele Frauen helfen ihrem Manne im Beruf, sind aber im allgemeinen nicht außerhalb des Hauses erwerbstätig. Es gibt Sekretärinnen und Krankenschwestern, in den großen Städten auch Verkäuferinnen, aber keine Jndustriearbeite- rinnen. Die Landfrauen helfen ihren Männern bei der Ar beit draußen und auf den Reisfeldern. Außer als Kinder mädchen stellt man keine Frauen im häuslichen Dienst an. Küche und Haus besorgen der Koch und der „boy". Es gibt Ausnahmefrauen, bedeutende Frauen, die als Richterin fun gieren, Gesuche hören und Audienz erteilen, die in Kunst und Wissenschaft hervortreten, die mit großen Mitteln städte bauliche Anlagen schaffen und solche, die sich in den Dienst des Vaterlandes stellen. Bild links: Die Freude der Pariser über den geglückten Ozeanflug ihrer Landsleute. Die Menge vor einem Zeitungsgebäude auf einem der großen Boulevards in Paris, die die durch Laut sprecher verbreitete Radioübertragung vom Empfang der Ozean flieger Costes und Bellonte in Neuyork anhört. — Bild rechts: Die erzwungene Beerdigung in Düsseldorf. Die Gattin des m Düsseldorf lebenden italienischen Rechtsanwalts Dr. Mancim, die vor zwei Jahren in Italien gestorben, auf Veranlassung ihres Mannes mumifiziert und nach Deutschland übergeführt worden ' war, wurde seitdem von Dr. Mancini in seiner Wohnung aufbe- , wahrt. Die behördliche Aufforderung zur Beisetzung beantwor tete Dr. Mancini damit, daß er die Mumie verbarg. Nachdem Handwerker, die in dem Hause Reparaturen ausführten, den Sarg zufällig entdeckt und hiervon Anzeige gemacht hatten, wurde die Leiche behördlich beschlagnahmt und beerdigt.