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Wilsdruffer Tageblatt L.Blatt.—Nr.208 - Sonnabend, Leu 6.Sept.1S30 Crnreäankkesl. Gräbt der Pflug in das Ackerland Tief im Lenz seine schneidende Spur, Wenn wir säen mit gläubiger Hand, Wissen wir: alles ist Hoffnung nur. Alles ist Glauben, der sorgend nie fragt Und dem Zweifel sein Herz nie schenkt, Vertrauen, das mutvoll die Aussaat wagt, Vertrauen zu dem, der die Welten lenkt. Jeden Morgen und jede Nacht Ist in der Erde unser Brot Von Reif und Stürmen und Wettermacht Hundertfältig und mehr bedroht. Und alles Menschensinnen und Tun Ist machtlos, daß es die Saat behüte — All unsre Samenkörner ruhn Einzig in Gottes Vatergüte. Und fuhren nun wieder unter der Last Der Fülle schwankend in diesen Tagen Voll goldnen Garben in fröhlicher Hast Vom Felde herein die Erntewagen, Und fassen auch diesmal die Scheuern nicht Des Erntesegens glückhafte Schwere, So wißt es, daß Gottes Güte spricht Aus jedem Halm und aus jeder Aehre! Und jede Aehre und jeder Halm Und all die Früchte auf unserem Felde, Sie singen und jauchzen den Dankespsalm Dem Schöpfer über dem Sternenzelte! Was euch so oft unerfaßbar war, Und euer Geist nicht mochte verstehen, Im Erntesegen wirds offenbar: Der heilige Sinn im Weltgeschehen! Weiche S«ei? Zufolge vielfach an uns ergangener Wünsche geben wir unseren werten Lesern nachstehend eine Uebersicht über die zur Reichstagswahl in Sachsen kandidierenden Parteien und deren Wesen und Ziele. Braucht man sich zu wundern, wenn die Wählerschaft, je länger die Liste, desto weniger Bescheid weiß über das Wesen und die Ziele der Vielzahl von Parteien, die jetzt zur Reichstagswahl aufmarschieren? Handelte es sich nur um neue Parteien der Eigenbrötelei, die ja in den meisten Fällen rasch wieder verschwinden, dann wäre das nicht weiter schlimm; der Wähler tut nur gut daran, wenn er sich nicht um sie kümmert. Sieht man sich die 24 Parteien an, die für den 14. September eigene Reichslisten ein gereicht haben, so findet man diejenigen rasch heraus, die zu dieser Kategorie zu rechnen sind: z. B. den Freibund des Handwerks- und Gewerbes, die Partei gegen den Al kohol, die Haus- und Grundbesitzer (die mit den großen Organisationen des Grundbesitzes nichts zu tun haben), die Deutsche Einheitspartei für wahre Volkswirtschaft — und wie die schönen Namen sonst alle lauten mögen. Aber die Lage wird komplizierter durch die Neugliederung, die in den letzten Monaten auch bei alten und großen Par teien eingetreten ist und als deren Ergebnis man neue Gruppen sieht, .die Anspruch auf Beachtung erheben können. Es ist unter diesen Umständen nichr leicht, in ganz knap pen Strichen und völlig objektiv die Wesensart unserer Par teien aufzuzeichnen. Trotzdem soll hier dieser Versuch ge macht werden. Der Weg führe von rechts nach links. Ganz rechts stehen da die Nationalsozialisten, die vor wenigen Jahren noch als Splitterpartei angesehen wurden, dann aber immer grö ßere Wühlerzahlen an sich zu ziehen vermochten. Ihr Name zeigt auch ihr Ziel: fanatische Nationalisten sind sie in erster Linie die rücksichtslosen Kampf gegen Deutsch lands Entmachtung fordern und den Kampf gegen den Aoung-Plan als wichtigste Aufgabe dabei ansehen. Zu gleich sind sie Sozialisten, dieser Teil ihres Wesens tritt aber gegenüber dem nationalistischen Teil zurück, und sie selbst betonen dabei, daß sie einen „deutschen" Sozia lismus fordern, der sich vom Marxismus der Sozialde mokraten und Kommunisten von Grund auf unterscheide. Daß sie ferner auch scharfe Antisemiten sind, ist ja all gemein bekannt. Von den TeuNchnationaleu unterscheiden sich die Nationalso zialisten in der Hauptsache durch ihr sozialistisches Bekennt nis und durch ihr scharfes agitatorisches Vorgehen. Im Kampfe gegen die herrschende Außenpolitik und besonoers den Uoung-Plan stehen die Deutschnationalen, seitdem Hugenbergs Führung sich durchgesetzt hat, dagegen kaum zurück. Beide Parteien lehnen auch grundsätzlich jede Zu sammenarbeit mit der Sozialdemokratie ab. „Keinerlei Kompromisse!" ist Hugenbergs Parole; diese, die auch die Zusammenarbeit mit dem Zentrum von der Voraussetzung abhängig machte, daß sich das Zentrum in Preußen von der Koalition mit den Sozialdemokraten löse, biloete oie wesentliche Ursache für die Spaltung der Deutschnationalen Partei, als deren Hauptergebnis, die LanövoUpartei unter Schiele und die Konservative Volkspartei unter Graf Westarp entstanden sind. Diese beiden Gruppen betonen, daß sie sich im Ziele gar nicht von den Deutschnationalen unterscheiden, wohl aber in den Methoden. Könne man nicht alle Macht sofort er reichen, dann müsse man eben versuchen, schrittweise seinen Zielen näher zu kommen, praktische Mitarbeit sei frucht loser Opposition vorzuziehen. Daher beteiligen sie sich auch an der Regierung Brüning, und sie weisen daraus hin, daß z. B. in der Osthilfe und in der Hilfe für oie Land wirtschaft viel weniger hätte erreicht werden können, wenn man außerhalb der Regierung geblieben wäre. Aehnlich steht es mit der kleineren Gruppe des Christlich-Sozialen Volksdienstes, welcher wünscht, mehr als bisher das christliche evangelische Gedankengut in der Politik dürchzusctzen. Auch zu ihm, der in Südwest- deutschland zahlreichere Anhänger besitzt, sind ehemalige deutschnationale Abgeordnete gestoßen. Will man posi tives Christentum als Merkmal nehmen, dann muß man auch eine Reihe anderer Parteien nennen, so vor allem die Deutschnationalen einschließlich der aus ihr neu ent standenen Parteien, ferner die Deutsche Volkspartei, die Wirtschaftspartei, auch die Staatspartei, wenn bei ihr, da sie ja zum großen Teil aus früheren Demokraten be steht, auch abweichende Meinungen geduldet weroen. Be sonders aber natürlich das Zentrum: es nennt sich zwar mitunter interkonfes sionell, aber die Tatsache wird nicht bestritten, daß es durch den katholischen Glauben zusammengehalten wird. Nur der Katholizismus ist bei ihm das einigende Bano, sonst finden sich allerlei wirtschaftlich und sozial einander Widerstreitende Gruppen in ihm zusammen. Es gehört ferner zu den betont republikanischen Parteien, während Deutschnationale und Konservative weiter dem Monarchis mus treu bleiben, Deutsche Volkspartei, Wirtschaftspartei und Nationalsozialisten ihren Angehörigen keinerlei Mei nungsbindung auferlegen und die meisten anderen Par teien ebenfalls betont republikanisch sind. Zwischen der Wirtschajtspartei (Reichspartei des deutschen Mittel standes) und der Deutschen Volkspartei sind nur schwer größere Unterschiede zu finden. Aber die Wirtschaftspartei sagt schon durch ihren Namen, daß ihr die Interessen des Mittelstandes, und zwar vor allem des Wirtschaftstrei beiden aber auch, des Hausbefitzes voranstehen. Sonst könnte man sie auch zum Konservativismus rechnen, wo- aeaen die Deutsche Volkspartei zum Liberalismus zählt, kommt sie doch^von den früheren Nationalliberalen her. „Real politik" besonders auch nach auswärts, bei aller Beto nung des Nationalen, ist bei der Deutschen Volkspartei nach Stresemanns Ideen ein Hauptpunkt. Auch zu der neuen Deutschen Staatspartei, die sich in der Hauptsache aus den bisherigen Demokraten und der Volksnationalen Reichsvereinigung Mahrauns (Jungdeutscher Orden) zu sammensetzt, sind die Unterschiede auf den ersten Blick nicht sehr groß,. Da muß man schon mehr auf das Grundsätzliche sehen und man kann dann finden, daß die Staatspartei viel energischer für die Aufrechterhaltung des demokra tischen und parlamentarischen Systems, freier gegen die verschiedensten kulturellen Anschauungen auftritt als die anderen bürgerlichen Parteien, die ihr sonst nahestehen. Eine Reichsform sowie den Ersatz des jetzt geltenden Listen wahlsystems durch die Ausstellung persönlicher Kandidaten sind mit ihre Hauptforderungen!. Bejahung für das gel tende kapitalistische Wirtschaftssystem zeigt sie ebenso w.e alle anderen bürgerlichen Parteien. Sonst ist auf der nichtmarxistischen Seite eigentlich nur noch die Volksrechtpartei zu erwähnen, die aus der Forderung, eine höhere Aufwertuna durÄöuseßen, entstanden ist. ueoer ore '! ftt Sozialdemokratie kann man sich kurz fassen. Sozialis mus und Internationalismus sind ihre Leitsterne, und das ist zugleich ein Programm, das dem des Bürgertums — besonders in der wirtschaftlichen Forderung des So zialismus — so sehr widerstreitet, daß eben der Graben, zu der Sozialdemokratie tiefer ist als zu anderen Par teien. Das sieht man auch an den aktuellen Tagesfragen: die Koalition mit der Sozialdemokratie ist zerbrochen, weil sich die Meinungen der Sozialisten und der bürgerlichen Gruppen über die notwendigsten wirtschaftlichen und so zialen Reformmaßnahmen nicht vereinigen ließen. Noch weniger wird das jemals möglich sein hinsichtlich der Kommunisten, die auch dem marxistischen Sozialismus dienen, und das nur nach dem Muster des russischen Bol schewismus. Sie erstreben die neue Revolution, weil sie nur auf revolutionärem Wege ihr Ziel der proletarischen Diktatur hach Moskauer Muster erreichen können, so wie im Gegensatz dazu die Nationalsozialisten eine faschistische Diktatur anstreben. So zeigen sich in großen Zügen Deutschlands wich tigste Parteien. Wer mehr wissen will, muß ihre täg liche Arbeit im Parlament und sonst überall genau ver folgen» mit kurzen Lehrsätzen ist wenig zu sagen. Eins nur noch zum Schluß: Eine Partei darf für den, der es mit steinen staatsbürgerlichen Pflichten ernst nimmt, über haupt nicht in Frage kommen: Tie klägliche Partei der Nichtwähler! Aus der WaMewegung. Stürmische Wahlkundgebung der Deutschen Staatspartei in Bremen. Die erste Wahlversammlung der Deutschen Staatspariei in Bremen nahm einen stürmischen Verlauf durch dauernde Störungsversuche politisch Andersdenkender, so daß Schutz polizei eingesetzt werden mußte, die mit dem Gummiknüppel einschritt und vorübergehend die Ruhe wicderherstellte. Als Redner waren Reichsminister a. D. Koch-Weser und Artur Mahrauu erschienen. Koch-Weser betonte, die Sozialisürungs- versuche der letzten zwölf Jahre seien fast aste fehlgeschlagen. Er stehe aus dem Standpunkt, daß mit diesen Versuchen ein- für allemal ein Ende gemacht werden müsse Notwendig sei in erster Linie, der Nation den Glauben an sich selbst wiederzu geben und daran zu denken, daß alle in einem Schiss säßen, mit dem sie untergingen, wenn es sinke. Anschließend legte Artur Mahraun sein Programm der positiven Aktivierung der jungen Generation dar und betonte, daß es notwendig sei, in Deutschland endlich einmal eine staatsbürgerliche Bewegung zu schaffen, die die geschichtliche Wendung erkenne. Entlastung der Wirtschaft ans der Mietzinssteuer. Ja einer Wahlrede in Mannheim beschäftigte sich Rei ch s- fin a n z m i n i st e r Dietrich mit der Frage der Bekämp fung der Arbeitslosigkeit als einem Teilprogramm der Not verordnung. Der Wahlkampf gehe zunächst um die Aufrecht erhaltung der Notverordnung. Eine Aushebung der Notverord nung des Reichspräsidenten würde Unordnung in der Kasse des Reiches und Störung der Finanzen in den Gemeinden be deuten. Die endgültige Beseitigung der Arbeitslosigkeit könne nur aus einer Belebung der Wirtschaft kommen. Dazu sei not wendig, daß diese das Vertrauen zum Staat und zu sich selbst wtedergewinne und daß sie allmählich entlastet werde. Der Plan der Regierung gehe daraus hinaus, den Wohnungsbau auf die Erbauung von Zweizimmerwohnungen mit Küche zu beschränken, um dadurch einen Teil der 800 Millionen aus der Mietzinssteuer. rund 400 Millionen, zur Entlastung der Wirt schaft frei zu machen. Forderungen der Deutschnationalen. Der Vorsitzende der deutschnationalen Reichstagsfraktion, Dr. Oberfohren, wandte sich in einer Chemnitzer Wahl versammlung gegen Äußerungen des volksparteilichen Abge ordneten Kahl. Geheimrat Kahl hatte gesagt, vor dem deutschen Volk erhebe er Anklage gegen den Mann, der es als deutsch- nationaler Führer fertiggebrachl habe, in der Stunde der Not das Rettungswerk zu zerschlagen, um damit das deutsche Volk einem Wahlkampf auszuliesern. Hugenberg habe zum Schluß einen nicht ernst zu nehmenden Verstündigungsversuch gemacht, indem er an den Reichskanzler Forderungen stellte, die dieser habe ablehnen müssen, da sie verfassungsmäßig nicht hätten erfüllt werden können Demgegenüber stellte Dr. Ober fohren, der an dieser entscheidenden Unterredung teilgenommen hatte, fest, daß man dem Reichskanzler die Bereitschaft erklärt habe, seine Regierung zu unterstützen und den Reichstag nicht zu zerschlagen, wenn er diese beiden Forderungen annehme. Hugenberg hatte gefordert, daß Brüning eine bürgerliche aus gesprochen antimarxistische Regierung führe und diese öffent lich als antimarxistisch bezeichnen solle Weiter sollte Brüning seinen Einfluß dafür cinsetzcn, daß der fürchterliche politische Skandal der Umklammerung des konfessionell auftretenden Zentrums durch die marxistische antireligiöse Sozialdemokratie aufhöre und in Preußen eine wirkliche Rechtsreqierunq ge bildet werde, ohne die im Reich sine vernünftige Wirtschafts- und Außenpolitik nicht getrieben werden könne. Als Licht in meine Augen kam Roman von Marie Blank-Eismann. 24. Fortsetzung Nachdruck verboten Keine von all den Frauen, die er geliebt hatte, war so schön gewesen wie Renate, keine so stolz und doch voller Hingabe und keine hatte seine Leidenschaft so zu entflam men gewußt wie sie, daß sogar beim Spiel auf der Bühne die Liebe in heißen Flammen über ihn zusammenschlug und seinen Gestalten höchste künstlerische Vollendung verlieh, wenn seine Augen ihr schmales feines Gesicht sahen, das sich über die Logenbrüstung beugte. Würde sie kommen und ihm die Krone ihrer Liebe rei chen? Oder war die Angst um ihren Ruf größer, die ihr der Macht seiner Bitten widerstehen half, der bisher jede Frau, die er besitzen wollte, unterlegen war?" Das jähe Anhalten des Autos, das vor der Regina-Bar angekommen war, riß ihn aus seinen Grübeleien. Er stieg aus, zahlte und betrat bald darauf die elegan ten Räume, in denen noch lautes Leben pulsierte. Stürmisch wurde er bei seinem Eintritt von einer Runde junger Lebemänner begrüßt und zwei niedliche Ballettratten eilten sofort auf ihn zu und hingen sich rechts und links an seine Arme. Nach wenigen Minuten schwenkte er das Sektqlas in der Hand und hielt eine flammende Rede auf Frauen und Liebe! Und Renate? Während Claus Prüsmann sich beim Sekt berauschte und dabei die Mädels vom Ballett auf seinen Knien schau kelte und ihre geschminkten Lippen küßte, lag Renate mit fieberheißen Wangen auf ihrem Lager. Vergebens versuchte sie einzuschlafen, immer und immer wieder schreckte sie auf und glaubte die Stimme Claus Prüsmanns zu hören, der ihren Namen rief. Müde und zerschlagen an allen Gliedern erwachte sie endlich aus bleiernem Schlaf, nachdem das Mädchen schon zweimal vergebens an ihrer Tür gewesen war. Selbst ein Bad erfrischte sie nicht so wie sonst und der quälende Druck, der auf ihr lag, wollte nicht weichen. Zerstreut antwortete sie auf die Fragen ihrer Mutter, aß ohne Appetit von den Frühstücksplatten, so daß Frau von Beeren besorgt zu ihr hinblickte. Aber sie drängte nicht weiter in Renate, sie fühlte sich selbst sehr abgespannt, da ein heftiger Anfall des alten Herz leidens ihr während der Nacht den Schlaf geraubt hatte. Müde streckte sie sich auf der Ottomane aus und schloß die Augen. Renate aber blätterte nachlässig in einer Mode- zeitung, die das Mädchen auf den Tisch gelegt hatte. Doch sie vermochte heute den farbigen, lockenden Bildern, die ihr sonst viel Freude bereiteten, kein Interesse abzugewinnen, sondern starrte, den Kopf in beide Hände gestützt, gedanken los darauf nieder. Erschrocken fuhr sie auf, als das Mädchen an der Türe erschien und auf dem silbernen Tablettbrett eine Besuchs karte hielt. Hastig griff Renate danach und las mit halblauter Stimme: „Baron Hansjürgen von Hagenah." „Der Herr Baron bittet um die Ehre von der gnädigen Frau empfangen zu werden!,, meldete das Mädchen. Renate blickte ihre Mutter an, die sich ein wenig empor gerichtet hatte, deren Gesicht aber eine fahle Blässe zeigte. „Der Besuch gilt dir, Renate," erklärte Frau von Beeren mit müder Stimme. „Empfange du ihn und entschuldige mich, weil ich ihm nicht guten Tag sagen kann, aber das viele Sprechen strengt mich zu sehr an." Renate wandte sich zu dem Mädchen. „Führen Sie den Herrn Baron in den gelben Salon, Lisbeth, ich werde sofort kommen." Das Mädchen nickte und verließ das Zimmer. Renate blieb vor ihrer Mutter stehen und beugte sich erschrocken zu ihr nieder. Erst jetzt war es ihr aufgefallen, daß Frau von Beerens Gesicht eine fahle Blässe zeigte und ihre Augen tief umschattet waren. „Soll ich den Sanitätsrat rufen lassen, Mutter?" fragte sie besorgt. „Nein, nein," wehrte Frau von Beeren ab. „Die kleine Schwäche wird rasch vorübergehen, wenn sich die Wirkung der Digitalistropfen einstellt. Geht nur jetzt und laß den Baron nicht zu lange warten." Renate prüfte vor dem Spiegel noch einmal ihre Ge stalt, strich sich ein paar widerspenstige Haare aus der Stirn und schob ein paar Falten ihres vornehmen, diskreten Hauskleides zurecht, das die Reize ihrer Schönheit vorteil haft zur Geltung brachte. Mit einem leisen Aufseufzen wandte sie sich zum Gehen. Es bereitete ihr Unbehagen, gerade jetzt nach dieser schlaslosen, schweren Nacht Besuche zu empfangen. Was wollte Hansjürgen von Hagenah von ihr? Erschrocken blieb sie an der Türe des gelben Salons stehen, als sie den Baron in feierlichem Besuchsanzug mit einem großen Strauß dunkelroter, blühender Rosen stehen sah. Angstvoll griff ihre Hand nach dem Herzen und ihre Lippen preßten sich fest aufeinander. Ein Antrag! Jäh zuckte dieser Gedanke in ihr auf/ Warum mußte das kommen? Ehe sie Zeit zur Begrüßung fand, eilte Hansjürgen von Hagenah auf sie zu und zog ihre Hand an seine Lippen. „Gnädige Frau, Sie kommen allein?" Renate deutete auf einen der hohen Seidensessel und nahm auf dem kleinen Diwan Plaß, wobei sie erklärte: „Meine Mutter fühlt sich nicht wohl, Herr Baron..." „Oh, mein Besuch gilt ja auch zunächst Ihnen, Frau Re nate," unterbracht sie Hansjürgen rasch. „Darf ich Ihnen diese Blumen überreichen?" Renate griff nach dem Strauß, der einen süßen, schwe ren Duft ini Zimmer ausströmte, und preßte ihr Gesicht an die kühlen, taufrischen Blumen. Ihre Hände zitterten und scheu wichen ihre Augen seinen heißen Blicken aus. (Fortsetzung folgt.)