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Zonntags-Seilage ÄilsäruNer Tageblatt b. Y. lYZS Ein Perlenkranz mitteldeutscher Städte Reiseeindrücke von Alfred Ranft, Blankenstein. (Schluß.) Von 'Schwarzburg aus fahren wir über Königsee, dessen Ein wohner als „Königsehr" mit Hausmitteln bis in unsre Heimat kommen, nach Ilmenau. Die malerisch am linken Ufer der Ilm gelegene, auf der Süd- und Westseite von hohen Bergen umgebene Stadt, die sonst von vielen Tausenden von Fremden besucht wurde, klagt dieses Jahr übxr geringen Fremdenverkehr. Auf der bekannten Gabelbach-Autorennstrecke klettert unser Wa gen den Kickelhahn empor. Von den Gabelbachhäusern ab steigen wir zu Fuß vollends bis auf den Berggipfel, von bestem Aus sichtsturme aus wir den größten Teil des Thüringer Waldes und der Thüringer Ebene überblicken können. Das nach einem Brande im Jahre 1870 neu erstandene Bretterhäuschen, in dem Goethe am 7. 9. 1783 bas berühmte Abendlied „Ueber allen Gipfeln ist Ruh . . ." dichtete und an die Bretterwand schrieb, ist durch die Schweinereien von Schmierfinken so entweiht und zugerichtet worden, daß einem graut, die dunklen Räume zu betreten. Ueber- haupt konnten wir auf unsrer gesamten Reise eine bedauerns werte Verrohung der Wandersitten feststellen. Das Benehmen vieler schon durch ihre Kleidung und Haarlänge unangenehm auf fallenden Wanderer bei Führungen in Schlössern, Kirchen usw. ist geradezu widerlich. Die Unsitte, besonders reizvolle Flecke und Parkanlagen durch Papier, Eierschalen und verlassene Feuer stellen zu verunreinigen, ist für einen großen Teil von Wanderern etwas ganz Natürliches. Es ist hier wie überall: Pas deutsche Volk kann nur durch Zwang erzogen werben. Von Ilmenau wollen wir über Oberhof, Tambach, Fried- richsroda und Woltershausen nach Eisenach. Straßensperrungen werfen jedoch unsern Plan vollständig über den Haufen. Wir werden gezwungen, über -Plaue und Arnstadt nach Ohrdrufs zu fahren. In der Umgegend von Ohrdrufs sind die Chausseen in einem derartigen Zustande, baß man vor Löchern tatsächlich die Straße nicht sieht und nur Schritt fahren kann. Die Straßenbau inspektionen denken, wohl infolge Geldmangels, meist nicht an Neubeschotterung und Teerung. Sie helfen sich einfach durch das ominöse Schild „Achtung! Schlaglöcher!" Eigentümlicherweise sehen wir die Wegewarte immer am Rande der Chausteen her umhacken, niemals jedoch Locher ausfüllen. Es kommt uns so recht zum Bewußtsein, welch vorzügliche Wegeverhältniste wir in Sachsen haben und daß bei uns der schlechteste Gemeindeweg im mer noch Gold ist gegen viele thüringer und preußische Staats straßen. Der Staat könnte die Straßen ohne besondere Kosten wohl in Ordnung halten, wenn er nur die Arbeitslosen für die Unterstützung, die sie erhalten, zwei Tage in der Woche arbeiten ließe. Wir sind glücklich, als wir bei Gotha die Leipzig—Erfurt- Eisenacher Hauptchaussee, die in gutem Zustande ist, erreichen. Auf ihr können wir etwas von der versäumten Zeit nachholen. Bald taucht rechts vor uns der Hörselberg auf, in dem der Sage nach Frau Venus Hof hält und in den sich Tannhäuser verlocken ließ. Bon weitem grüßen die drei Wahrzeichen der Stadt Eise nach: das Burschenschastsdenkmal, die Bismarcksäule und die Wartburg. Durch das Nikolaitor fahren wir in die Luther- und Dachstadt ein. Hinter dem Tore liegt der Karlsplatz mit dem schö nen Lutherdenkmale von Donndorf. Wir verweilen zunächst nicht in der Madt, sondern fahren nach der Wartburg hinauf. Oben ist, wie es der geradezu riesenhafte Kraftwagenverkehr verlangt, ein großzügiger Parkplatz angelegt worden, Gott sei Dank so, daß er Landschaft und Burg in keiner Weise schändet. Die Wartburg selbst ist einer der besuchtesten Punkte Deutschlands; aus allen Teilen des Reiches und aus dem Auslande strömen die Fremden hier zusammen, so daß eine Führung die anoere jagt. Welch eine Geschichte stürmt uns hier entgegen: Die Ritterzeit mit Bären hatz, Turnier und Minnegesang, das Leben der heiligen Elisa beth, die Bibelübersetzung Luthers. Der Sängerkrieg unter Land graf Hermanni, im Jahre 1207 ist durch Richard Wagners Oper Tannhäuser allgemein bekannt geworden. Ihn stellt das große Wandgemälde Moritz von Schwinds im Sängersaale dar. Von der Burg aus kehren wir nach der belebten Stadt zu rück. Sie bietet noch manches Sehenswerte, so das Lutherhaus, das Schloß, das Rathaus. Nun verlassen wir Thüringen und streben dem Weserberg lande zu. Die sanftwelligen Berge sind mit prächtigen Laubwal dungen bestanden, in denen Hirsch und Sau noch ihre Pfabe ziehen. Die Landwirtschaft beschränkt auf Täler und Niederrun gen. In Waldkappel am Meißner nehmen wir Quartier. Die Verpflegung ist hier gut, reichlich und billig. Wer Ruhe, Er holung und gute Verpflegung verbunden mit Wohlfeilheit sucht, dem kann nur geraten werden, die Waldgegend des Weserberg landes zur Sommerfrische zu wählen. Bis Kassel wird unsere Straße rechts und links von Wäldern begleitet. In den Vororten wieder das trostlose Bild arbeitsloser Menschen. Kassel selbst ist eine großzügig angelegte saubere Stabt. Gar viele Bauwerke und Denkmäler erinnern daran, daß es einst Residenz von Hessen und vom Königreich Westfalen unter Jerome war. Weit mehr An ziehungskraft als Kastel übt Wilhelmshöhe auf uns aus, das wir auf schnurgerader 6 Kilometer langer Straße erreichen. Schon diese Anfahrt mit dem immerwährenden Blicke auf Schloß, Oktogon, Park und Habichswald ist unvergleichlich schön. Die herrlichen Parkanlagen sind sorgfältig gepflegt. Die prachtvollen Säle und Zimmer des Schlosses enthalten eine Menge Er innerungen an die deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre. !Die Wasserkünste können wir leider nicht bewundern, da sie nur Sonntags nachmittags in Betrieb gesetzt werden. Trotzdem stei gen wir im Parke bis zu den großen Kaskaden am Fuße des Ok- togons aufwärts. Don oben genießt man einen köstlichen Blick auf das Schloß, auf Kastel und auf die Waldberge der Umgegend. Von Kastel aus fahren wir durch den Kaufunger Wald nach Hannoversch Münden. Nicht im entferntesten so viel Schönheit hätten wir am Zusammenfluß von Fulda und Werra vermutet, wie wir antrafen. Strom und Berge und Wälder schaffen eine zwar nicht überragend große, aber doch sanft be wegte und liebliche Landschaft, in die die alte Stadt freundlich eingebettet liegt. Wir lernen die auf den Wasserstein am Zusam- ' menfluß von Fulda und Werra bezügliche Romantik des Liedes „Hier hab ich so manches liebe Mal mit meiner Laute gesessen" verstehen. Münden verdankt seine einstige Größe dem Stapel recht. Alle zu Master und zu Lande ankommenden Güter mußten hier ausgeladen und drei Tage zum Verkauf angeboten werden. Darnach durften sie nur von Mündener Schiftern oder Fuhr leuten weitergebracht werden. Im 15. Jahrhundert war Münden welfische Residenz. Das 1603 erbaute Rathaus hat überraschend große Ausmaße. In seiner Eingangshalle ist die Stadtgeschichte durch wunderhübsche Gemälde anschaulich dargestellt. Die Ein wohner werden dadurch wohl ohne Ausnahme mit der Vergan genheit ihrer Heimat vertraut. Die Lehrer können sich kein besseres Anschauungsmaterial wünschen. Ein Gang durch die von reich- gezierten Fachwerkhäusern flankierten Straßen erweckt in dem geruhsamen Wanderer Bewunderung von der Baukunst früherer Jahrhunderte. An der Außenmauer der kleinen Aegidienkirche befindet sich der Grabstein des durch seine Pferdekuren bekannten Dr. Eisenbart. Wir fahren nun das Wesertal abwärts bis Hameln. Bram wald, Reinhardswald und Solling schauen mit ihren Waldbergen auf den lieblichen Fluß herab, der auf dieser Strecke auch von Per sonendampfern befahren wird. Wegebauarbeiten zwingen uns wiederholt zum Llebersetzen auf das andere Ufer. Besonders schön ist das Tal bei dem Städtchen Gieselwerder, bei Bad Carls- Hafen, bei Schloß Fürstenberg, bei dem alten Kulturzentrum Corvey-Höxter und bei dem romantisch gelegenen Ort ' Polle mit seiner gewaltigen Burgruine. Bei Hameln werden