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WM! UESLKkeMISMU-i? VS^K ^I^ISILK ^kväU 8/^ (1. Forljeyung.) Ein Gespräch Zwischen den beiden wollte nicht zustande kommen, und doch wäre es dem Hauptmann a. D. nicht un angenehm gewesen Gelangweilt gähnte er zur Decke empor. „Auch noch müde, Mijnheer?" fragte das Mädchen. „I wo! Weil ich den Mund aufsperre? Man muß doch etwas tun." Das MädchL-, lachte, dann fragte es, ob Leod vielleicht ein Frühstück wünsche. „Wenn Sie etwas Vernünftiges haben, warum nicht!" „Kaviarschnitte und ein Glas Malaga." „Davon soll noch niemand gestorben sein. Bitte, tragen Sie auf." Das Mädchen tat es, und er ließ es sich schmecken. Nach dem dritten Glas Wein entschloß sich das Mädchen aber doch, bei Dolly anzuklopfen. Wenn sie den Kavalier noch lange zu Gaste hatte, mußte sie möglicherweise einer neuen Flasche den Hals brechen und Dolly Bakker war in allen Dingen, die den Haushalt angingen, peinlich genau Es dauerte lange, bis das Mädchen zurückkam. Endlich war Dolly empfangsbereit. Mac machte es kurz. „Nur ein paar Worte, Dolly" — und da er sie übelgelaunt sah. ergänzte er: „Um Geld handelt es sich nicht." Da lächelte Dolly ungläubig. „Ausnahmsweise nicht. — Um was denn sonst?" „Meine Frau muß verreisen," log Mac. „Ich werde in folgedessen allein sein. Ein Mädchen haben wir nicht, das mich und mein Töchterchen betreuen könnte. Würden Sie uns auf sechs bis acht Tage Gastrecht gewähren, liebste Freundin?" Dolly besann sich einen Augenblick. Mal 'was anderes, dachte sie. Und sechs bis acht Tage sind ja keine Ewigkeit. Sie stimmte zu. Am anderen Morgen schon, es war am 26. August 1902, als Traute ihre Einkäufe besorgte, machte sich Mac mit Hannele auf den Weg zu ihr. Das Kleinchen trippelte ver gnügt neben ihm her. Es war ja so selten, daß Pappi lieb zu ihm war. „Pazieren ten?" fragte es und Mac nickte. „Mamali ist verreist und Hannele muß zur Tante." „Zu Tante Frieda?" „Nein, zu Tante Dolly." „Wo wohnt denn die?" „Du wirst schon sehen," damit war die Unterhaltung be endet. Sie gingen durch den Vondel-Park, dieselben Wege, die er schon einmal vor vielen Jahren im Mondenschein mit der Mutter seines Kindes gegangen war, dachte aber nicht mehr daran — es war ja so lange her — und kam. ohne Be kannten begegnet zu sein, bei Dolly Bakker an. Dort herrschte Helle Freude über das niedliche Mädelchen. Es gab Schlagsahne, Schokolade und Napfkuchen. Hannele war gleich zu Hause und entwickelte einen be neidenswerten Appetit. Dolly legte ihr immer von neuem vor, aber die kleine Dame schob schon nach dem zweiten Stück den Kuchen ver ächtlich beiseite. „Von das bin ich satt," sagte sie, „aber von das noch nicht" und zeigte auf die Schlagsahne. „Und was ist das?" fragte Dolly. „Schlansage," erklärte sie strahlend und löffelte weiter. Als Traute von ihren Besorgungen zurückkam, war die Wohnung leer. Angst befiel sie. Sie fragte bei den Nachbarsleuten nach dem Kinde. Es hieß, der Hauptmann sei mit ihm fort- geaangen. Da huschte ein Lächeln über ihr braunes Gesicht. Sollte er endlich zur Einsicht gekommen sein, dachte sie und ging nach ihrem Heim hinüber. Sollte er sich endlich zurück finden zu denen, die die Seinen waren? Wie wenig be kümmerte er sich um Hannele, kaum daß er ihr früh den Morgengruß dankte. Und nun war er mit ihr spazieren gegangen! Es freute sie aufrichtig. . In Gedanken an ihn ging der Vormittag hin. Es wurde zwölf. Essenszeit. Nun mußte er bald kommen. Er kam nicht. Vielleicht war er bei Tante Frieda. Sicher war er dort, hatte ein Anliegen an sie und führte sich mit Hannele an der Hand vorteilhaft ein. ' Die alte Dame mochte ja das drollige Wesen so gern und Mac wußte sich alle Gefühlsregungen anderer nutzbar zu machen. Gegen drei litt es Gertraude aber doch nicht mehr zu Hause. Sie ging zu Tante Frieda. „Ist Hannele bei dir?" „Nein!" „War sie hier?" „Auch nicht." „Ich bin in Angst, Tante. Mac hat sie heute früh mit genommen. Wohin weiß ich nicht. Bis zur Stunde sind sie nicht zurück." „Wird in einer Kneipe sitzen und Hannele darf zählen, wieviel er trinkt." „Tante!" Die machte eine abwehrende Bewegung. „Was hab' ich dir gesagt? Immer gesagt! — Das sind die Folgen des falschverstandenen Verantwortungsgefühls! — Vom Schmutz trennt man sich. Man bringt sein Kind nicht mutwillig in Gefahr." „Warum quälst du mich, Tante," stöhnte Traute. „Weißt dn keinen Rat?" „Den weiß ich! Die Polizei und dann Schluß!" „Ich bitte dich! Ich kann doch Mann und Kind nicht durch die Polizei suchen lassen. Was gäbe das für ein Aufsehen." „Immer Rücksicht nehmen," sagte Tante Frieda ironisch, „alles drunter und drüber gehen lassen! Recht so! Als ob an seinem Rufe noch etwas zu verderben wär." „An seinem nicht, aber an meinem." Tante Frieda hob die Schultern. „Wie man es nimmt." sagte sie trocken Traute stutzte. „Was willst du damit sagen," fragte sie scharf. „Entschuldige meine Offenheit, Traute: Für albern hält man dich schon, und das ist doch bereits genug. Ein gesunder Menschenverstand versteht dein Ausharren nicht. Frag' mal deinen Vater " „Der hat Mac von Anfang an abgelehnt." „Und warum wohl? Doch woh! nur. weil er ihn kannte. Weil dein Vater ein sauberer Mensch ist. „Wo Leod ist, bin ich nicht," sagte er und jeder achtet ihn. — Gewiß, man kann sich irren, jeder kann sich irren. Du hast es ja auch getan. Man beharrt aber nicht im Irrtum. Geh' zur Polizei, laß dein Mädelchen herbeischaffen und dann komme zu mir. Einen anderen Rat weiß ich nicht." Traute trocknete die Tränen. Mühsam nur konnte sie Fassung gewinnen Dann ging sie. Glaubte ihr wirklich niemand, daß sie seit Jahren schon keine Gemeinschaft mehr mit ihm hatte, daß nur noch ein Nebeneinander zwischen ihnen bestand! War denn das so unmöglich? Sie schämte sich bei dem Gedanken, daß man sie mit ihm noch in andere Beziehungen bringen konnte. „Für albern hält man dich schon," hatte die Tante gesagt und hatte sich wohl nur gescheut. Schlimmeres hinzuzusetzen. O Gott, warum war ihr das alles beschieden! Wann sah sie einen Morgen aus diesem Dunkel? * « Müde und zerschlagen kam Traute heim. Es ging auf die sechste Stunde. Die beiden waren norq nicht da. Es wurde sieben, sie kamen nicht. Die Nacht brach an, und Traute war immer noch allein. Kein Mensch war. der ihr beistand, keiner der sie stützte — der Vater nicht, die Tante nicht — und keiner der sie auf richten konnte. Sie fühlte sich verlassen, wie sich nur ein Mensch verlassen fühlen kann. Lohnte sich dieses Leben noch? Lohnte es sich überhaupt? War die eine Stunde, gelebt im Paradies, den schleichenden Tod wert, das ewige Hetzen und grauenhafte Gehetztwerden? Nur leben, um zu leben — wozu? Hannele war ihr Lebensinhalt. Wenn sie nun nicht mehr wiederkam? Nichts ist nichts und alles ist nichts, das ist die ewige Weis heit der Hindus, die Kara sie gelehrt hatte. Auch sie ver sagte, da ihr der Schmerz ans Herz griff. Man mußte wohl als Hindu geboren sein, um sie ganz zu fassen. Kara konnte es. Kara! Warum hatte sie nicht gestern schon an ihn gedacht, den einzig Treuen, den Mutigen und Schweigsamen! Gerade als die Sonne die Erde küßte, kam ihr auch der Gedanke an ihn War das ein Omen? — Sicher! Er würde ihr helfen, wenn niemand es tat. Es war fünf Uhr früh. Taghell Sicher arbeitete er irgendwo und mußte um sechs an der Arbeitsstätte sein, wie alle, die mit den Händen ihr Brot verdienten. Wenn sie sich beeilte, traf sie ihn wohl noch. Sie lief zu ihm hin. Warmoesstraat 13, hatte er gesagt. In der unfreundlichen Straße mit den unfreundlichen Häusern wohnte der Sohn der Sonne. Dreizehn! Da war sie. — Die Tür noch verschlossen. Traute wartete Halb nach sechs klirrte der Schlüssel im Schloß. Ein Mann trat auf die Straße und blinzelte zu ihr hin. „Wollen Sie hinein?" fragte er und lachte. Ein breites, vielsagendes Lachen. „Nein," sagte Traute. „Wohnt hier ein Inder?" „Ja! — Er kommt gleich." „Danke. Mijnheer " „Daag," sagte der Mann und griff an die Mütze. Es ist doch keine die . . ., dachte er und sah sich nach ihr um. Vielleicht seine Schwester. Sie ist so braun wie er. Aber hübsch ist das Meisje, gottverdimmich und bog um die nächste Ecke Nach wenigen Minuten schon stand Kara vor ihr. Seine schwarzen Augen umfaßten sie voll Güte und Liebe, sonst war sein Gesicht bewegungslos, wie immer. „Norma," grüßte er und kreuzte die Arme vor der Brust. Traute reichte ihm die Hand „Wie geht es Ihnen, Kara," fragte sie. Der Inder schüttelte den Kopf und fragte dagegen! „Was wünscht meine Herrin von mir? Es muß ein großes Leid sein, das Euch diese Straße führt." Traute nickte. Dann sagte sie bitter: „Sonst hätte ich mich — glauben Sie — Ihrer wohl nicht erinnert?" „Jeder lebt nach seinem Herzen. Er tut, was er muß, nicht was er will — Was ist Euch geschehen, Herrin?" Da sagte sie es ihm und Kara hörte schweigend zu. Als sie geendet, bat er sie, ihm zu folgen. Er müsse sich dienstfrei machen, bemerkte er entschuldigend. „Wo arbeiten Sie," fragte Traute. „Zehn Minuten von hier, am Oster-Dock." Sie gingen nebeneinander her. Schweigend, jedes mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Aber in Trautes Seele war eine wundersame Ruhe. An der Prins Hendriks-Kade bat er sie zu warten. Es war ein wüstes Volk, das am Dock arbeitete. Er mochte sie keinen Belästigungen ausgesetzt sehen. „Ich bin gleich wieder da. Nonna," sagte er und schritt davon. Wie ein Panther geht er, dachte Traute, schweigsam, laut los. In seinem Körper ist die gleiche Stärke, die in seiner Seele ist. Lange hatte sie nicht zu warten. Er war sehr schnell wieder da. „In Ordnung," sagte er und Traute fragte: „Und nun?" „Nun werdet Ihr schlafen müssen, Herrin. Der Tag ist lang. Er braucht Euch bei Kräften." „Ich kann nicht schlafen." „Warum sagt Ihr das, Nonna? — Wenn wir sterben können, können wir auch schlafen. Ohne unsere Kraft wird uns nichts im Leben außer Geburt und Tod. Ohne unser Zutun empfangen wir unsere Seele. Ohne unser Zutun scheidet sie von uns. Daß sie in Nirwana eingehe, ist in unsere Hand gegeben. Dazu ward uns das Leben. — Wir besitzen nichts und nichts gehört uns. Was uns die Götter gaben, ward uns nur anvertraut, so unsere Seele und Euch, Herrin, die Eures Kindes. Denkt daran." „Ich tue es, Kara." „Dann, Nonna, werdet Ihr wissen, was Ihr tun müßt." „Was, Kara?" „Befreien von dem, was Euch behindert!" Traute schwieg lange Sie kämpfte einen harten Kampf, den härtesten, den es gibt: den Kampf mit dem eigenen Ich. Befreien von dem, was Euch behindert! — Bei jedem Schritt hämmerten die Worte in Herz und Hirn. Immer wieder: Befreien! Befreien! Plötzlich stieß sie zwischen den Zähnen hervor: „Wenn ... sie nun tot ist, Kara?" Der sah sie aus gütigen Augen groß an. Dann lächelte er. „Warum sollte sie das, Nonna? — Dann müßte ja auch er tot sein. In Holland ist das Morden schwerer als in Java. Und um selbst zu gehen — das müßte er ja wohl doch in diesem Falle — ist er zu feig. Der stirbt nicht. Nonna, der verendet." Auf seinem Gesicht stand unsagbare Verachtung. Eine Verachtung, die Traute erschreckte und aufschreckte. Sie dachte an Tante Friedas Worte, die ähnlich, wenn auch nicht ganz so hart geklungen hatten. „Kara, sehe ich mein Kind wieder," fragte sie in Bangen und Aengsten. „Ja, Herrin! — Ich fühle es," antwortete er schlicht. „Es soll mir ein Zeichen des Himmels sein. Dann will ich mich befreien!" Kara verneigte sich. „Hier seid Ihr daheim, Herrin." sagte er. als sie vor Breetstraat 188 angelangt waren. „Woher wissen Sie, daß ich hier wohne?" „Ich hatte Zeit, mich danach umzutun und weiß noch mehr." Dann sagte er kurz: „Bitte, Herrin, bleibt heute zu Hause. Vielleicht packt Ihr das Nötige inzwischen. Die Wohnung gehört einem Hauvt- mann Leod, und der sollte Euch Feind sein, von disier Stunde an. — Auch ein Anwalt wär zu erwägen." Wieder kreuzte er die Arme vor der Brust, verneigte sich wortlos und schritt den Weg zurück, den er gekommen. Traute sah ihm nach, bis er in der Boerstraat verschwand. Dann ging sie ins Haus. 3 Kara, der nahezu ein Vierteljahr gebraucht hatte, um Be schäftigung zu finden, hatte Zeit genug gehabt, sich um das Schicksal derjenigen Frau zu kümmern, deren Diener er ge wesen war. Sein Leben galt ihr und nur ihretwegen hatte er die Reise als Trimmer mitgemacht. Wo seine Herrin war, war seine Heimat. Er wußte unter anderem, daß Mac Leod jeden Vormittag in der Bodega seinen Malaga trank und das übliche Käse brötchen aß. Das geschah regelmäßig zwischen zehn und elf Uhr. Dann wußte er auch um fein Verhältnis zu Dolly Bakker. Kara überlegte, was zu tun sei. Es war jetzt sieben. Sich in der Kaloerstraat gegenüber der Bodega zu postieren, hatte keinen Zweck. Drei Stunden warten, war unsinnig. Richtiger war es vielmehr, das Mädchen der Bakker ab zufangen, das gegen acht Uhr Brötchen holen ging. Das mußte um den Aufenthalt Leods wissen. Er hatte die Kleine früher schon einmal interviewt. Er 'annte sie, und sie würde sein braunes Gesicht nicht vergessen haben. Kaum! Denn sie war nicht mehr die jüngste, und Mädchen im reiferen Alter erinnern sich derjenigen Männer immer gern, die ihnen rücksichtsvoll und freundlich begeg neten. Er würde schon gehen. Kara hatte sich nicht geirrt. Kurz nach acht erschien sie. Sie sah adrett aus mit dem weißen Häubchen aus dem Haar und dem Körbchen am Arm. Kara fegte an ihr vorbei. Vier, fünf Schritte vor ihr ließ er seine Ruhlaer Taschen uhr, die er im Kaufhaus Bijnkorf für anderthalb Gulden er standen. auf das Trottoirpflaster fallen. Der Deckel sprang klirrend entzwei. „Mijnheer," rief das Mädchen. Kara drehte sich um. „Ihre Uhr." „Ah," jagte er und hob sie auf. „Danke, Iuffrouw! Zer brochenes Glas bedeutet Glück. Man soll auf die Stimme der Götter achten." Das Mädchen lächelte, dann sagte es: „Nun ist sie kaputt.* Fortsetzung in der Mittwoch-Nummer.