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i-IEöekkNN7L8cNUT2 0MLN V^kl.E os^ft bl^iSILK ^/LKVäU Z/^ (2. Fortsetzung.) „Ach wo! — Das sind die Uhren für diejenigen, denen immer eine Stunde schlägt. Hören Sie, Juffrouw: tick-tack, Uck-tack. Bißchen laut, nicht wahr, aber sie geht doch. Die hören Sie aus der Tasche ticken. Ruhlaer Uhren sind nicht totzukriegen." Im Weiterschreiten plauderte er: „Diese Uhren sind wie manche Menschen. Man kann Holz auf ihnen hacken, man kann sie treten und quälen und sie leben doch." Das Mädchen seufzte. Kara nickte ihm zu. „Ich glaube es Ihnen. Wir auf der Schattenseite des Lebens haben immer zu seufzen." Das Mädchen wollte erwidern. Aber da war der Bäcker laden schon. Es schwieg. „Darf ich Sie nach Hause begleiten," fragte Kara. Sie nickte und verschwand im Laden. Als sie wieder herauskam, tat Kara sehr erstaunt. „Was haben Sie da aufgepackt, Juffrouw! Der Deckel geht ja kaum zu. Hat Mevrouw einen so guten Appetit?" „Wir haben Besuch." „Sie Aermste! Nun haben Sie für drei zu sorgen." „Für vier," sagte das Mädchen. „Das ist ja noch schlimmer. Wohl recht anspruchsvolle Gäste?" „Ach nein. Das Meisje ist sehr possierlich, aber Mijnheer ist dreist." „Wenn man so hübsch ist, Juffrouw, ist das kein Wunder." Sie errötete. „Och, son Alter," sagte sie, „und wenn er doch schon 'n Mädchen hat! — Der ist ein ganz Schlimmer." „Wieso — ein Schlimmer?" „Wenn die Frau verreist ist, wohnt man doch nicht mit seinem Kinde bei — bei —" Sie fand das rechte Wort nicht. „Bei Verwandten," ergänzte Kara. „Hm," machte das Mädchen und sagte: „Na ja." Kara war plötzlich still geworden. Er wußte ja nun genug, und dann machte ihm die ungewohnte Unterhaltung mit diesem Mädchen scheußliche Schwierigkeiten. Jeden Satz mußte er vorausdenken, um ihn so herauszubringen, daß er den üblichen Stil hatte. Und dieser Stil war nicht der seine. Er war froh, als sie vor Dolly Bakkers Haus standen. „Nun sind Sie so ruhig geworden," sagte das Mädchen. „Es ist der Abschied, Juffrouw. Der macht nie froh." „Muh es denn Abschied sein?" „Sie meinen, wir könnten uns wiedersehn?" Das Mädchen nickte. „Gehen Sie heute mit dem Meisje spazieren? Das Dingelchen muß doch an die Luft. Oder führt es Mijnheer selbst aus?" „Ach der," sagte das Mädchen. „Dem sind größere Meis- jes lieber. Nach dem Frühstück fahren die Herrschaften nach Scheveningen zum Baden. Ich bin gegen elf im Vondelpark. Wenn Sie kommen wollen, ich sitze am Melkhuis." Natürlich wollte er kommen Und so schieden sie einstweilen. Was nun, dachte Kara. Leod und Hannele befanden sich bei Dolly Bakker. Der Vater hatte ein Recht an seinem Kinde, er hatte aber nicht das Recht, es ohne Wissen der Mutter bei einer Tänzerin unterzubringen. Das wußte er. Hatte nun die Mutter das Recht, ihr Kind ohne Wissen des Vaters einfach wegzuholen? Das wußte er nicht. Holland war ja nicht Indien und auch nicht Java. Das hatte er erfahren müssen, als er Arbeit suchte. Daheim war jeder zur Arbeit willkommen, der arbeiten wollte. Hier wurden erst Papiere und Ausweise verlangt, bevor man arbeiten durfte. Es war hier ja alles so anders wie daheim. So wenig freundlich und so wenig erfreulich. Ueberall! In den Häusern und aus den Straßen, an deren Ecken Polizeileute standen, die finstere Gesichter machten. Alles war anders, sogar die Sonne schien anders als in Indien. Er kannte die impulsive Art seiner Herrin, die um ihr Kind bangte und keine Minute zögern würde, den Weg zu Dolly Bakker zu gehen. Ob der Weg aber der richtige war, das mußte jemand ent scheiden, der es wußte. Und Kara war entschlossen, solch einen entscheiden zu lassen. Er klopfte bei Traute an. Klingeln mochte er nicht. Das war aufdringlich und erschreckte. Traute öffnete. Sie machte große, weite Augen, als sie lhn sah. „Ich möchte bitten, Herrin, mitzukommen," sagte er. „Gefunden?" fragte sie. . Er nickte. Sie warf den Mantel über und ging mit ihm fort. „Wohin, Kara?" „Zu einem Anwalt," antwortete er und trug ihr seine Ansicht vor. Da entschied sich Traute für Edward Philips, den sie von früher her kannte und dem sie damals oft in Gesellschaften begegnet war. .Sie hatten Glück, Philips war anwesend und hörte die schöne Frau Mae Leod gern am Nachdem sie geendet, drehte er sich nach Kara Uly. der schweigend an der Tür stehen geblieben war. In ihrer Erregung hatte Traute vergessen, ihn vor zustellen. Sie holte es nach, und der Anwalt dürfte kein Anwalt gewesen sein, wenn er nicht im Moment kombiniert hätte. Nicht sehr freundlich fragte er: „Und was soll der Diener?" Da sagte Kara: „Ich bin kein Diener mehr, Mijnheer, ich bin Dockarbeiter." Noch unfreundlicher fragte Philips: „Was wollen Sie dann hier?" „Wenn Sie gestatten, Mijnheer, Sie zu Klein-Hannele führen." Traute fiel ein: „In meiner Not entsann ich mich seiner. Er ist es, der mir riet, mich eines Anwaltes zu bedienen und nicht übereilt zu tun." „Und er weiß, wo sich ihr Töchterchen befindet?" „Er behauptet es." „Nun?" wendete sich Philips fragend an Kara. „Bis kurz nach zehn in der Wohnung der Tänzerin Dolly Bakker " Traute saß starr und Philips fluchte. oder gegen elf im Vondelpark am Melkhuis." vollendete er „Woher wissen Sie das so bestimmt?" „Das Mädchen der Bakker sagte es mir." Da hellte sich das Gesicht Philips auf, und er bat den Inder, alles zu sagen, was er in Erfahrung gebracht hatte. Der tat es. Als er geendet hatte, sagte Philips: „Ich wüßte mir auch einen anderen Beruf für Sie, als Dockarbeiter." Kara hab die Schultern. „Wir sind, was wir sind," antwortete er in seiner steinernen Ruhe, „nicht was wir scheinen. Auch Könige sterben." Die Antwort hatte Philips nicht erwartet. „Sie haben recht. Mijnheer," pflichtete er bei und tippte auf die Brust, da wo das Hem sitzt- „Darauf kommt es an. Auf nichts weiter. Wir Kulturmenschen vergessen das immer. — Bitte, setzen Sie sich doch." „Vor meiner Herrin, Mijnheer?" „Entschuldigung," sagte Philips zum anderen Male ver wundert und fragte Traute: „Sind die da unten alle so?" „Ich weiß es nicht, Herr Anwalt. Er aber ist so. Das ist das, was ibn mir wert macht." „Verstehe ich vollkommen." Philips besann sich einen Augenblick, dann sagte er, mehr zu sich, als zu den anderen: „Wie machen wir das nun?" und schwieg wieder. Endlich schien er das Richtige gefunden zu haben. „Zunächst müssen wir Ihr Töchterchen wiederhaben. Dann schlage ich vor, Amsterdam zu verlassen. Ich werde sofort Klage einreichen. Das hat in diesem Falle vor dem Militärgericht zu geschehen und geht sehr schnell. Es ist besser, die Parteien sehen sich während dieser Zeit nicht Können Sie m Ihrem Vater gehen?" „Nein! So lange ich den Namen Mac Leod trage, ist das ausgeschlossen. Vielleicht nimmt mich meine Tante in Arnheim auf." „Vielleicht, Mevrouw! Darauf kann man keine Häuser bauen. Wie heißt die Tante? Ich werde anfragen." „Baronin Sweerts van den Landes." Philips meldete das Gespräch an. „Dringend, Juffrouw," bat er die Dame vom Amte. „So, das wäre erledigt. — Und nun schlage ich vor. Sie lassen das Notdürftigste sofort zum Bahnhof bringen. Halb elf Uhr treffen wir uns am Minden-Institut. Das liegt an Ihrem Wege und gleichzeitig am Vondelpark. Ein verstanden?" „Mit tausend Freuden, Herr Anwalt." Sie trennten sich und während Traute und Kara die Treppe Hinabstiegen, diktierte er seiner Sekretärin die Klage in die Maschine. Auf der Straße nestelte Traute ihre goldene Uhr los. Es war ein Andenken an die tote Mutter. Sie betrachtete sie lange Zwei Tränen perlten über die braunen Wangen, als sie sie Kara hinhielt. „Bitte, Kara, verkaufen. Ich bin ganz ohne Geld." „Ist sie Euch wert, Nonna?" Sie nickte. „Dann will ich sie beleihen lassen." „Tun Sie das, Kara. — Einstweilen gehe ich voran. Sie wissen ja, wo ich wohne." Mehr tot als lebendig kam Traute in ihrem Heim an, in diesen ermieteten Räumen, die ihr nicht gehörten, die so nüchtern waren und so unpersönlich. Und doch hatte in diesen Räumen ein kleines Menschenkind gelacht und gejubelt, gejauchzt und geweint. Da war eine Seele in diesen Räumen gewesen und jetzt waren sie tot. In hemmungslosem Schmerz warf sich die Aermste über das Bettchen ihres Kindes und weinte ihr Leid in die kühlen den Kissen. Als Kara eintraf, hatte Traute noch nichts gepackt. Er sah sie elend und verzweifelt und ihn erbarmte ihrer. Ganz leise mahnte er: „Wenn Ihr mir sagen wolltet, Nonna, wo die Koffer stehen?" Traute sah ihn verwirrt an, dann besann sie sich. „Ach ja, ich muß ja packen," sagte sie. „Laßt mich das tun, Herrin. Es ist schon nach zehn. Den Anwalt solltet Ihr nicht warten lasten," Er hing ihr den Mantel um und führte sie hmaus. „Ich bin mit dem Gepäck am Bahnhof, Herrin. Die Schlüssel gebe ich beim Hauswirt ab." Dann reichte er ihr das Täschchen. „Bitte, vergeßt das nicht, Nonna. Geld und Schein sind drin." Sie ging. Er sah ihr nach, wie sie müde und haltlos Stufe um Stufe hinabschritt. Wie ein Schatten, wie etwas Wertloses, etwas Unirdisches Und in ihm war bitteres Leid. Traute hatte sich an vereinbarter Stelle auf eine Bank gesetzt und erwartete den Anwalt. Ungeduldig und doch voll Freude, denn drüben über den Teichen, zwischen Pavilljoen und Melkhuis, trippelte Hannele an der Hand des Bakker- schen Mädchens auf und ab. Pünktlich auf die Minute erschien Philips. Er hatte einen Polizsiwachtmeister mitgebracht. „So strahlend, Mevrouw," fragte er. „Dort — sehen Sie — den Blondkopf neben dem Mädchen, das ist " „Pssst," sie! Philips ihr ins Wort. „Hoppla, hopp, Mevrouw, nicht so laut und hübsch langsam." Traute sah ihn verständnislos an. Philips wandte sich an den Wachtmeister. „Das also ist Frau Hauptmann Mac Leod und dieses Blondköpfchen dort ist — wie Sie eben hörten — ihr Töchter chen. Herr Mac Leod hat sich vor einigen Tagen, während Mevrouw Einkäufe machte, mit seinem Kinde aus der Woh nung entfernt — natürlich ohne Wissen und Einwilligung seiner Gattin — und hat sich bei der Tänzerin Dolly Bakker einquartiert." „So 'n Swineegel," sagte der Wachtmeister. „Das denke ich auch. — Da wären wir uns ja wohl über das Weitere einig?" „Vollkommen. Mijnheer!" „Dann avanti! — Wir gehen ganz langsam da hinüber und begegnen den beiden gewissermaßen als Spaziergänger. Das weitere werden wir sehen." Sie taten wie Philips vorgeschlagen. „Nicht so schnell, Mevrouw." mahnte er Traute, die immer drei Schritte vorweg war. „Haben Sie doch Mitleid, Herr Anwalt." „Haben wir auch, deshalb sind wir ja hier. Nur das Konzept möchte ich nicht verdorben haben." Da beschied sich Traute und hielt mit den anderen Schritt. In gemessenem Abstande schlenderten sie hinter Hannele und dem Mädchen her. „Ein liebes Dingelchen, das Kleinchen." sagte der Wacht meister und Philips bemerkte: „Das Melkhuis! Vorsicht! Ganz gleichgültig tun. Gleich werden sie sich umdrehen." Es geschah. Ein Stutzen, ein Erkennen, ein moelndes: „Mamali!" Das Mädchen konnte Hannele nicht halten. Die gehetzte Mutter hatte ihr Kindchen wieder. Nun folgte noch ein prosaisches Nachspiel auf dem Polizei büro am Leidscheplain: die protokollarische Niederschrift der für Mac Leod so unangenehmen Sache, die Philips zur Klageerhebung benötigte. Dann war das Bakkersche Mädchen entlassen, und Traute fuhr mit Klein-Hannele zur Tante Sweerts van den Landes nach Arnheim. Noch auf dem Bahnhof hatte Kara zu Traute gesagt: „Meine neue Adresse werde ich Euch wissen lassen, Nonna, für alle Fälle. Ich werde immer in Eurer Nähe sein," Dann war auch er nach Hause gegangen. 4. In Arnheim, einer der schönsten Städte Hollands, am Velper Weg, lag der Baronin Sweerts van den Landes prachtvoller Besitz. Die rundliche Dame führte ein großes Haus. Adel und Finanz gingen bei ihr aus und ein. Auch die Großindu striellen, deren Arnheim eine ganze Anzahl besitzt, waren ihre Gäste. Sie selbst war hoffähig, und wenn man die Reserviertheit der Holländer, die in dieser Hinsicht mit den Hamburgern verwandt sind, und ihre Vorliebe für die Güter des Lebens kennt, weiß man, was das bedeutet. Traute hatte nicht gut getan, sich zu dieser Tante zu retten. Leute, die unangefochten durchs Leben gehen, nicht, weil das ihr eigenes Verdienst ist. sondern, weil sie Glück haben, können sich nur schwer in die Lage derer versetzen, denen das Schicksal dauernd auf die Füße tritt. Wo gibt es übrigens Menschen, die das Glück in ihrem Leben anderen gegenüber als Faktor gelten lassen? Selbst wenn sie das große Los gewinnen, rechnen sie sich das als Verdienst an. In Wohibehütetheit geboren und aufgewachsen sein, ist das große Los. Das hatte die Tante Baronin nie begriffen und würde es nie begreifen lernen. Schon kurz nach der Begrüßung — die übliche Atempause hatte sie ihr gelassen — nahm sie die Nichte ins Verhör. Traute mußte erzählen. Alles! Ihr wurde nichts geschenkt. Auch Java passierte Revue. Die Baronin war eine aufmerksame Zuhörerin, aber auch eine sehr reservierte. Kein Wort des Mitfühlens wurde laut, auch kein Wort des Tadels. „Wieviel trägst du nun Schuld an diesen unerfreulichen Verhältnissen?" das war alles, was sie fragte, als Traute geendet hatte. Fortsetzung in der Sonnabend-Nummer.