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Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 b°?ücksichttg°ö°W^ Annahme bis rwrm.10Uhr. — - . - > m —... Richtigkeit d« durch FernrufübermitteltenAnzeigen übernehmen wir keine Garantie. Jeder Rabattanspruch erlischt, wenn der Betrag durch Silage emgezogen werden muß oderderAuftraggcberin Konkurs gerät. Anzeigennehmen alle Vermittlungsstellen entgegen. Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts. gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstremamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nr. 203 — 89. Jahrgang Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Wilsdruffs Dresden Postscheck Dresden 2640 Montag, den 1. September 1930 Revision! Revision! Die Erkenntnis, daß der Vertrag von Versailles nicht durchführbar ist, bricht sich immer mehr Bahn. In Deutsch land ist diese Auffassung Allgemeingut des Volkes, aber auch im Ausland haben sich in letzter Zeit gewichtige Stimmen gemeldet, die den Versailler Vertrag für nicht erfüllbar und für stark revisionsbedürftig halten. Gerade zu sensationell waren die Darlegungen, die der bekannte deutsche Volkswirtschafts- und ehemalige Universitäts lehrer Prof. Dr. Max Seringauf einer Zusammenkunft landwirtschaftlicher Sachverständiger an der amerikanischen Cornell-Universität gemacht hat, bei denen er nachwies, daß die jetzige Weltwirtschaftskrise, von der auch Amerika nicht verschont geblieben ist, letzten Endes aus die dem Versailler Vertrag entspringenden ungeheuren Repara tionslasten Deutschlands zurückzuführen ist. Auch in der Presse der Länder, die Deutschland nicht durch die natio nalistische Brille sehen, haben sich in letzter Zeit die Stimmen gemehrt, die nach sachlicher Untersuchung zu dem Ergebnis kamen, daß die jetzige Form des Versailler Vertrages eine Unmöglich keit ist. Zu den unbedingten Verfechtern des Vertrages zählt natürlich Frankreich, das auch der .Hauptnutznießer des Vertrages ist. Für die französische Öffentlichkeit galt der Vertrag von Versailles bisher als ein Rührmichnichtan. Es wurde schon als ein großes Verbrechen empfunden, wenn man es überhaupt wagte, sich auch nur mit einer Silbe mit dieser Frage zu beschäftigen. Um so auffälliger ist die Tatsache, daß sich jetzt der ehemalige französische Ministerpräsident Poincaro, der bisher einer der Haupt- Verfechter der These war, daß an Versailles nicht gerüttelt werden dürfte, zu der Erkenntnis durchgerungen hat, daß cs für Deutschland doch Möglichkeiten gebe, die schweren Ketten des Vertrages zu lockern. PoincarS weist in einem Artikel in der „Illustration" selbst darauf hin, daß der Vertrag von Versailles ja schon einige Revisionen sich hat gefallen lassen müssen. So hätten die Alliierten auf den Auslicferungsparagraphen verzichtet, der verlangt hatte, daß der Deutsche Kaiser sowie einige hervorragende deutsche Heerführer nach Beendigung des Krieges an dre Entente zur Aburteilung als Kriegsverbrecher aus geliefert werden sollten; so seien die deutschen Zahlungs verpflichtungen wiederholt geändert und herabgesetzt worden und schließlich sei auch die Räumung des Rhein landes vor dem im Versailler Vertrag festgesetzten Termin erfolgt. Das Recht Deutschlands zur Herbeiführung einer Re vision des Friedensvertrages leitet Poincarö aus dem Artikel 19 der Völkerbundsatzungen ab, der die Revision von Verträgen und internationalen Verhältnissen von der „Unabwendbarkeit" oder von einer „ernsthaften Gefähr dung des Friedens" abhängig mache. Allerdings sei für einen Revisionsbeschluß die Einstimmigkeit des be schließenden Gremiums notwendig, und wenn diese Ein stimmigkeit, wie vorauszusehen, nicht erzielt werden könne, müßte die Frage einem internationalen Schiedsgericht unterbreitet werden, wozu allerdings die beteiligten Re gierungen ihr Einverständnis geben müßten. Diese Untersuchung der Revisionsmöglichkeiten von j Versailles ist auf die Debatte zurückzuführen, die in letzter Zeit über die Unhaltbarkeit des Korridors geführt worden ist. Poincare weist darauf hin, daß der polnische Außenminister Zaleski niemals seine Zustim mung dazu geben würde, daß die Korridorangelegenheit vor einem internationalen Gerichtshof entschieden werden Würde. Zugleich macht aber der ehemalige französische Ministerpräsident das immerhin sensationelle Ge ständnis, daß es auch in Frankreich zahlreiche Politiker und Patrioten gebe, die der Ansicht seien, daß Frankreich keinen Anlaß habe, es wegen Polen zu einem Konflikt mit Deutschland kommen zu lassen. Vielmehr sei es an Polen, nachzugeben oder sich mit dem Konflikt abzufinden. Daß Poincars zu diesen Patrioten nicht gehört, braucht Wohl kaum betont zu werden. Er hält den Versailler Vertrag für durchaus in der Ordnung und steht es auch für gerecht an, daß Polen den Korridor und Oberschlesien zügel sprachen erhalten hat, wobei er allerdings hinzuzufügen vergißt, daß Präsident Wilson, der bei diesem Länder handel mitwirkte, keine Ahnung davon hatte, wo das in Betracht kommende Gebiet überhaupt gelegen war. Poincares Ausführungen haben zunächst natürlich rein theoretischen Wert. Aber es ist doch immerhin von Wichtigkeit, zu wissen, daß es auch in Frankreich führende und man kann wohl sagen durchaus nicht deutschfreund liche Persönlichkeiten gibt, die eine friedliche Revision von Versailles als durchaus im Bereiche der Möglichkeit liegend halten. Diese Revision aber muß kommen und wird kommen. ReichSaußenmimfier LmM erkrankt. Erholungspause in Berlin. Neichsaußenminister Dr. Curtius erlitt während einer Wahlrede, die er in Baden-Baden hielt, einen Ohnmachts- "wast, der ihn zwang, die Versammlung zu verlassen und wh Hotel zu begeben. Dr. Curtius ist dann von Baven-Vaden nach Berlin gereist, wo er sich in den nächsten Wochen erholen will. pilsudski löst das Parlament auf Aenderung der polnischen Verfassung Neuwahlen im November. Ein Erlaß des polnischen Staatspräsidenten, hinter dem als eigentlicher Lenker der Geschicke der ncuernanntc Ministerpräsident Marschall Pil-udski steht, verkündet die Auflösung des Sejms und des Senats mit Wirkung vom 30. August. Die Neuwahlen zum Sejm sind auf den 16. November, die Neuwahlen zum Senat aus den 23. No vember d. I. festgesetzt worden. Der Staatspräsident bringt in se?Uem Erlaß zum Ausdruck, daß er sich nach reiflicher Überlegung zu diesem Schritt entschlossen habe, nachdem er einsehen mutzte, daß die Abänderung der Grundrechte lalso der Verfassung) die Voraussetzung für die Mitwirkung aller Staatsbürger an der Regierung sei Die Abänderung sei notwendig, um das jetzt herrschend' Rcchtschaos ru beseitigen. Nachdem er sich überzeugt habe. Moscicki. Staatspräsident in Polen. 00 Inzwischen fön' auch die Vermählung seiner Tochter stattfinden. Dr. Curtius gedenkt sich am Wahlkampf nicht mehr zu beteiligen, um genügende Kräfte für seine Teil nahme an der bevorstehenden Genfer Ratstagung zu sammeln. Dr. Brüning geht nicht nach Gens. Innerhalb der Reichsregierung war erwogen worden daß der Reichskanzler und der Reichsaußenminister mit der deutschen Delegation nach Genf reifen sollten. Der Plan der Kanzlerreise ist aber aufgegeben worden und dabei soll mitgesprochen haben, daß auf eine inoffizielle Wiederanknüpfung der in Paris abgebrochenen deutsch- französischen Verhandlungen über das Saargcbiet ver zichtet worden ist. Die Reichsregierung wird durch Doktor Curtius vertreten werden, der über den Wahltag hinaus bis zum Ende der Völkerbundtagung in Genf bleiben will SeneralMst «oll Seeck Wer deutsche Politik Dortmund, 31. August. Die Deutsche Volkspar- tci hatte hier Sonnabend eine Wahlversammlung einbc- rufen, in der der Generaloberst von Secckt programmatische Ausführungen machte. Er erklärte, in der Außenpolitik müsse das wichtigste Ziel die Wicdcraufrichtung Deutsch lands als Machtstaat sein, d. h. die Wiederherstellung seiner Weltgeltung, wie sie Deutschland bei seiner Größe und Bedeutung zukomme. Zwischen den Völkern sei eine Verständigung anzustrcben. Deutschland habe kein Inter esse daran, sich einer europäischen Zusammenarbeit auf Grund der Vorschläge BrianffZ zu widersetzen. Es müsse so lange Mitarbeiten, wie seine Belange gewahrt würden. Voraussetzung hierfür sei jedoch die Anerkennung der Gleichberechtigung Deutschlands. Generaloberst von Seeckt betonte weiter die Bedcu tung des Kampfes gegen den Vertrag von Versailles für die Befriedung Europas. Dabei hob er drei Forderungen als besonders wichtig hervor. Klares Rechnen mit der gegenwärtigen Lage nach dem verlorenen Krieg, keine nachträgliche Kritik an dem, was geschehen sei, sondern Aufbauarbeit unter Abfindung mit den gegebenen Ver hältnissen, Wiederherstellung des Vertrauens zur Füh rung in der Außenpolitik, deren Ziel bleiben müsse: Ver ständigung, Friede, Zusammenleben. Im Osten sei das Deutschtum zu erhalten. Der Korridor sei eine dauernde Bedrohung Ostpreußens. Mit Italien und Rußland müsse daß diese Abänderung trotz seiner Anstrengungen mit Hilfe des bestehenden Sejms nicht möglich sei, habe er sich zur Auflösung des Parlaments entschlossen. Im aufgelösten Polnischen Landtag stand seit län gerer Zeit eine geschlossene Mehrheit dem Verlangen der zu Pilsudski haltenden hauptsächlich aus Anhängern der Militärpartei bestehenden Minderheit gegenüber, die Staatsgeschäfte lediglich von ihrem Willen abhängig zu machen. Unter der jetzigen von Pilsudskis Entschießungen abhängigen Regierung sind sowohl die inneren wie die äußeren Verhältnisse Polens heillos verfahren worden, namentlich diewirtschaftlicheKrise droht allmäh lich alle Dämme niederzureißen. Erst in den letzten Tagen bekundete Marschall Pilsudski durch maßlose Angriffe auf die Mehrheit der Volksvertretung wie der Parlaments mehrheit überhaupt, daß er nunmehr eine andere Rege lung an die Stelle der bisherigen setzen will. Darunter ist Wohl nur die Einrichtung seiner persönlichen Diktatur zu verstehen. * Lleberfall auf den Landtagspräffdenten. Der heftige, persönlich gefärbte Vorstoß des Mar schalls Pilsudski gegen den Landtag hat bereits seine Früchte getragen. In die Wohnung des bekannten Baucrnführcrs und Vizepräsidenten des Polnischen Sejms, Dombski, die in der Warschauer Vorstadt Zoliborz liegt, drangen vier Offiziere ein, die den oppositionellen Politiker überfielen und ihn bis zur Bewußtlosigkeit ver prügelten. Ein Unteroffizier hielt inzwischen auf der Straße Wache. Das Dienstmädchen des Abgeordneten schlug Lärm, worauf Leute aus der Nachbarschaft herbei eilten und die Offiziere verschwanden. Die Landtagsabgeordneten nehmen an, dieser Über fall werde nur das Zeichen zum Beginn weiterer Atten tate der radikalen Freunde Pilsudskis bilden. Bereits wurde ein anderer Abgeordneter auf der Straße in außer ordentlicher Weise beschimpft. Man glaubt, daß die Offi ziere eine Redewendung in der letzten öffentlichen Er klärung Pilsudskis, „die Abgeordneten sind nur gerichtlich unantastbar, in jeder anderen Beziehung sind sie durchaus antastbar", als Aufforderung zu Überfällen verstanden haben. Deutschland in Frieden und Freundschaft leben, wenn gleich es die politischen Ziele beider Staaten ablehne. Die dem deutschen Heere auferlcgten Beschränkungen müßten in jeder Beziehung verschwinden. General Hammersteins Meinung. Die Beziehungen zu Rußland. In der Presse wurden die Erörterungen anläßlich des bevorstehenden Wechsels im Reichswehrministerium in gewissen Zusammenhang mit der Stellung der Reichs wehr im Staate überhaupt gebracht. Nebenher gingen diese und jene Andeutungen über den sogenannten „Fall Am- linger". Der Rittnieister a. D. Amlinger stürzte bekannt lich bei einem privaten Aufenthalt in Rußland mit dem Flugzeug tödlich ab. Zu den gesamten Meinungsäuße rungen gibt nun eine interessante Illustration neben der bereits bekannten Erklärung des Reichswehrministeriums selbst ein vor kurzem erschienener Artikel des voraussicht lichen Nachfolgers des jetzigen Chefs der Heeresleitung, Generals Heye, des GeneralsvonHammerstein. Er sagt u. a. in der Veröffentlichung: „Die Reichswehr ist im Kampf gegen den Kommunismus entstanden. Er war niedergeworfen, als Deutschland das Versailler Diktat annahm. Damals hat es wohl Stimmen gegeben, die rieten, sich mit dem geschlagenen Gegner zu ver söhnen und sich der bolschewistischen Idee in die Arme zu weisen, um mit Hilfe Rußlands, der einzigen Macht Europas außerhalb des Versailler Systems, den Fretheitskampf auf zunehmen. Während des Vordringens der russischen Heere nach Polen stand der „Nationalbolschewismus" auf seinem Höhe punkt. 1923, während des Ruhrkampfes, lebte er noch einmal auf. Seitdem ist der Gedanke des ,National- bolschewismus" tatsächlich tot. Politik betreibt die Reichswehr überhaupt nicht, sondern die Richtlinien für ihr Handeln empfängt sie von der Reichsleitung. Gegenüber Rußland sind es dieselben wie gegenüber jedem Staat, zu dem das Deutsche Reich gute Beziehungen unterhält: wir suchen militärisch von ihm zu lernen und zeigen seinen Offi zieren auch, was wir militärisch können. Denn, sosehr wir auch die weltrevolutionären Bestrebungen ablehnen und be kämpfen, so darf Deutschland darüber nicht vergessen, daß Moskau nicht nur das „Ekki", sondern in erster Linie die Regierung des Russischen Reiches beherbergt, das auch heute noch ein wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor ist, mit dem jeder europäische Staat rechnen muß." UWMWWM